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Unfallversicherung – Beurteilungszeitpunkt für die gerichtliche Erstbemessung der Invalidität

OLG München, Az.: 25 U 2208/14, Beschluss vom 25.09.2014

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 02.05.2014, Az. 25 O 10064/12, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Die Klageabweisung durch das Landgericht beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da nach seinen -auf eine sachverständige Begutachtung gestützten -Feststellungen bei der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Invalidität von mehr als 4/20 Armwert vorlag. Diese Feststellung ist rechtsfehlerfrei und nicht zu beanstanden.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist der Senat an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich etwa daraus ergeben, dass Beweislast oder Beweismaß verkannt wurden, beweiswürdigende Darlegungen nachvollziehbarer Grundlagen entbehren, ein lückenhaftes Sachverständigengutachten ohne Ergänzung geblieben ist, oder aus Verfahrensfehlern, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (Thomas/ Putzo -Reichold, ZPO, 35. Aufl., Rn. 2 zu § 529 ZPO; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171; BGH NJW 2004, 1876). Ein solcher Verfahrensfehler läge namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem landgerichtlichen Urteil den Anforderungen nicht genügen würde, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies wäre der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH NJW 1999, 3481, 3482; NJW 2004, 1876 m.w.N.). Neue Tatsachen sind gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nur zugrunde zu legen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

Unfallversicherung - Beurteilungszeitpunkt für die gerichtliche Erstbemessung der Invalidität
Symbolfoto: Von Elnur /Shutterstock.com

Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Der Vortrag in der Berufungsbegründung der Klägerin ist nicht geeignet, das Beweisergebnis des Landgerichts in Zweifel zu ziehen.

1.

Entgegen der unter Ziffer I. der Berufungsbegründung geäußerten Rechtsauffassung der Klägerin hat das Landgericht dem Sachverständigen für die Begutachtung mit dem 27.04.2010 einen zutreffenden Bewertungszeitpunkt für die Beurteilung der Invalidität aufgrund des Unfalls vom 09.04.2009 vorgegeben. Die Klägerin hat erstinstanzlich ausdrücklich und mehrmals deutlich gemacht, dass sie primär die Erstbemessung, „die streitgegenständliche Regulierung vom 10.06.2010 (Anlage K 1)“, für unzutreffend und zu niedrig hält und es „allenfalls sekundär darauf ankommen“ könne, „ob der streitgegenständliche Unfall binnen der 3-Jahresfrist eine Invalidität 6/20 Armwert hinterlassen habe“ (so z.B. Schriftsatz vom 04.09.2012, Seite 2, Bl. 19 d.A.; ebenso Schriftsatz vom 14.11.2012, Seite 2, Bl. 31 d.A.; auch Schriftsatz vom 18.12.2012, Seiten 2 und 3, Bl. 46/47 d.A.). Sie wiederholt dies selbst noch an anderer Stelle ihrer Berufungsbegründung vom 13.08.2014, nämlich dort auf Seiten 5 und 7 (Bl. 133 und 135 d.A.).

Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 02.12.2009, Az. IV ZR 181/07, VersR 2010, 243, für einen solchen Fall ausdrücklich ausgeführt: „Da der Streit die Erstbemessung betrifft, ist insoweit maßgeblich der Gesundheitszustand, wie er sich zu diesem Zeitpunkt -und nicht nach Ablauf der Dreijahresfrist -dargestellt hat“ (vgl. dort, Rz. 33 sowie Rz. 24 -26 bei juris). Der Senat hält diese Auffassung für richtig und schließt sich ihr an (so auch schon Hinweisbeschluss des Senats vom 25.11.2013 im Verfahren 25 U 3745/13). Die Erstbemessung datiert vom 10.06.2010, das zugrundliegende fachärztliche Gutachten vom 19.05.2010 (Anlage B 1) und die dafür erfolgte Befunderhebung bei der Klägerin vom 27.04.2010.

Im Übrigen würde ein -hilfsweises -Abstellen auf das Ende der Dreijahresfrist zu keinem anderen Ergebnis führen (vgl. dazu unten unter Ziffer 3.).

2.

Entgegen der Auffassung der Berufungsbegründung ist die Frage des konkreten Invaliditätsgrades, ob also hier die bei der Klägerin festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen 4/10 Armwert oder mehr rechtfertigen, keine Rechts-, sondern Tatsachenfrage, die vom Gericht auf Grundlage sachverständiger Beratung mit dem Beweismaßstab des § 287 ZPO festzustellen ist (vgl. nur Knappmann in Prölss/ Martin, VVG, 28. Aufl., Rn 6 zu § 180).

Hier ist das Landgericht beanstandungsfrei dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. M. gefolgt, der sich unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur zu den Bewertungsmaßstäben im Ergebnis der Einschätzung des fachärztlichen Gutachtens vom 19.05.2010 angeschlossen hat, wonach „zur Zeit“ eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit von 5/20 Armwert, zukünftig „auf Dauer“ -wegen der durch Plattenentfernung mit gleichzeitiger Rekonstruktion der Rotatorenmanschette zu erwartenden Besserung der Funktionsbeeinträchtigungen -von 4/20 Armwert angenommen wurde. Für den Invaliditätsgrad entscheidend ist diese dauernde bzw. dauerhafte Beeinträchtigung, also eine, die voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und bei der eine Änderung dieses Zustandes nicht erwartet werden kann (§ 7 I. (1) Allianz-AUB 88, § 180 VVG).

Die Berufung verkennt hier mit ihrer Argumentation zu schematischen Erhöhungen schon, dass der Privatgutachter Dr. K. und ihm folgend der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. M. bei der Beurteilung des derzeitigen Zustandes am 27.04.2010 neben der eingeschränkten Armhebung bis 90° in der Hauptbewegungsebene (nach Bemessungstabelle 4/20 Armwert) durchaus die erhebliche Einschränkung der Drehbewegung berücksichtigt haben und daher insoweit zu der höheren Annahme von 5/20 Armwert gekommen sind. Bei der Bewertung der zukünftigen, dauerhaften Beeinträchtigung war aber die Prognose entscheidend, dass davon ausgegangen werden konnte, dass mit einer Rekonstruktion des Schadens an der Rotatorenmanschette im Rahmen der Metallentfernung eine entsprechende Besserung der Funktionsbeeinträchtigung erreicht werden würde (GA vom 10.11.2013, Seite 5, Bl. 80 d.A.). Nach den Bemessungstabellen (z.B. Lehmann/ Ludolph, Die Invalidität in der privaten Unfallversicherung, 4. Aufl., Seite 25) wäre bei einer Verbesserung in der Hauptbewegungsebene die nächste „Stufe“ die Armhebung bis 120°, die nur mehr zu einer Grundeinstufung von 2/20 Armwert führen würde. Das zeigt, dass bereits eine moderate Verbesserung der Armhebung regelmäßig zu einem geringeren Invaliditätsgrad führt.

Daneben ist zu berücksichtigen, dass es sich insgesamt um eine Gesamtbewertung individueller Faktoren handelt und dass eine zusätzlich bedeutsame Störung der Rotation von 20° oder mehr den Armwert um 1/20 erhöhen „kann“ -also nicht muss.

Schließlich steht der Argumentation der Berufung entgegen, dass eine „schmerzhafte“ Bewegungsstörung nur dann Auswirkungen auf die Invaliditätsbemessung haben kann, wenn sich die subjektiv angegebene Schmerzhaftigkeit in objektiven Befunden niederschlägt, also insbesondere ein schonungsbedingter Muskelminus oder eine auffällige Minderbeschwielung vorliegt (vgl. nur Lehmann/ Ludolph, Die Invalidität in der privaten Unfallversicherung, 4. Aufl., Seite 27). Solches war bei der Klägerin aber gerade nicht der Fall (vgl. Anhörung des Sachverständigen, Protokoll vom 11.04.2014, Seite 11, Bl. 105 d.A.).

3.

Selbst wenn man auf das Ende der Dreijahresfrist abstellen und die beiden späteren Nachuntersuchungen der Klägerin in die Beurteilung einbeziehen würde, würde es an konkreten Anhaltspunkten für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen, die eine erneute Feststellung gebieten, im Sinne des § 529 Abs. 1 ZPO fehlen. Denn die erforderliche zumindest gewisse Wahrscheinlichkeit, dass bei weiterer Beweiserhebung ein der Klägerin günstigeres Ergebnis herauskäme, besteht nicht. Sowohl das Privatgutachten von Dr. M. vom 11.07.2011 (Anlage B 4) als auch das von Frau Dr. W. vom 04.05.2012 (Anlage B 11), die nach vollständiger Materialentfernung und Refixation der Supraspinatussehne im Rahmen eines stationären Eingriffs im Oktober 2010 erstellt wurden, kommen ebenfalls zum Ergebnis von 4/20 Armwert, wobei in der Untersuchung für das letztgenannte Gutachten erhebliche Verbesserungen der Bewegungsausübung, insbesondere der Armhebung, festgestellt wurden. Die für die Invalidität beweispflichtige Klägerin kann sich hier nicht darauf beschränken, dieses letzte Gutachten als unzulänglich anzugreifen sowie dessen tatsächliche Feststellungen zu bestreiten, und auf dieser Grundlage Sachverständigenbeweis anzubieten. Sie hätte vielmehr konkret -z.B. durch Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung für diesen Zeitpunkt -darlegen müssen, dass 3 Jahre nach dem Unfall gerade keine Verbesserungen der Bewegungsfähigkeit vorlagen, sondern Funktionsbeeinträchtigungen bestanden, die in der Prognose von diesem Zeitpunkt aus einen höheren Invaliditätsgrad rechtfertigen würden. Das ist nicht geschehen und erscheint jetzt -mehr als 5 Jahre nach dem Unfall -nicht nachholbar.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

 

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