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Unfallversicherung – Begriff Kapsel an Gliedmaßen oder der Wirbelsäule

OLG Hamm – Az.: I-20 U 109/19 – Beschluss vom 16.09.2019

Die Berufung der Klägerin gegen das am 09.05.2019 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 414.400,00 EUR (Antrag 1: 315.000,00 EUR; Antrag 2: 40.600,00 EUR + 58.800,00 EUR; Antrag 3: 0,00 EUR) festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin macht Ansprüche aus ihrer bei der Beklagten genommenen Unfallversicherung.

Ihr sei beim Training im Fitnessstudio allein aufgrund erhöhter Kraftanstrengung im Sinne der Ziff. 1.4 AUB ein präexistierendes kavernöses Hämangiom, welches eine bedingungsgemäße Kapsel darstelle, zerrissen, so dass sie nunmehr brustabwärts querschnittsgelähmt sei.

Ziff. 1.4 AUB (eGA I-35 [= elektronische Gerichtsakte Erste Instanz]) lautet:

„Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung sowie während der Ausübung von Sport an Gliedmaßen oder Wirbelsäule

–  ein Gelenk verrenkt wird oder

–  Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden oder

–  ein Knochen gebrochen wird.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es liege weder ein Unfall noch ein Fall der Ziff. 1.4 AUB vor, da es sich bei dem Hämangiom nicht um eine bedingungsgemäße Kapsel handele. Zudem sei von einer 100 %igen Mitwirkung im Sinne von Ziff. 3 AUB auszugehen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge und der genauen Argumentation des Landgerichts wird auf das angefochtene Urteil (eGA I-207 ff.) verwiesen.

Hiergegen wendete sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das im Streit stehende Ereignis keinen Unfall im Sinne von Ziff. 1.4 AUB darstelle. Es liege auch keine Mitwirkung einer Krankheit oder eines Gebrechens vor.

Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 29.07.2019 (eGA II-69 ff.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt unter Abänderung des angefochten Urteils,

Unfallversicherung – Begriff Kapsel an Gliedmaßen oder der Wirbelsäule
(Symbolfoto: Von peterschreiber.media/Shutterstock.com)

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 315.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.09.2016 zu zahlen;

2.   die Beklagte zu verurteilen, an sie aus Anlass des Unfallereignisses vom 14.07.2016 eine monatliche Rente in Höhe von 1.400,00 EUR, rückwirkend ab dem 01.07.2016 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 15. des jeweiligen Monats sowie für die Zukunft zum 15. eines Monats zu zahlen;

3.   die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.251,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Klägerin durch Beschluss vom 02.08.2019 (eGA II-81 ff.) darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Es handele sich bei dem Hämangiom nach dem eigenen Vortrag der Klägerin um eine bindegewebliche Kapsel, die aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht versichert sei, und Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.

Die Klägerin hat sich gegen diesen Hinweis gewandt. Sie verweist im Wesentlichen darauf, dass jedenfalls für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht ohne weiteres erkennbar sei, dass nach den Bedingungen nur Gelenkkapseln versichert seien. Der Regelungsgehalt der Ziff. 1.4 AUB sei jedenfalls nicht so eindeutig, dass er als frei von Zweifeln im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB angesehen werden könnte.

Im Einzelnen wird auf die Stellungnahme vom 10.09.2019 (eGA II-108 f.) Bezug genommen.

II.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Berufungsangriffe der Klägerin greifen jedenfalls in einem entscheidenden Punkt nicht durch. Es liegt kein Fall der Ziff. 1.4 AUB vor.

Insoweit kann der Vortrag der Klägerin, dass es sich bei einem kavernösen Hämangiom um ein fibrosiertes Gewebe und damit um eine Vermehrung des Bindegewebes, also um eine bindegewebliche Kapsel handelt, als zutreffend unterstellt werden.

Allein aus einer medizinischen Begrifflichkeit „Kapsel“ folgt aus Sicht des durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse auch unter Berücksichtigung seiner Interessen nicht, dass jede „Kapsel“ im medizinischen Sinne auch eine Kapsel „an Gliedmaßen oder der Wirbelsäule“ im Sinne von Ziff. 1.4 Spiegelstrich 2 Hs. 1 Var. 4 AUB ist und dass im Streitfall eine solche Kapsel „gezerrt oder zerrissen“ wurde.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird den Begriff im Gesamtzusammenhang der Ziff. 1.4 AUB verstehen.

Dabei wird durch die in den drei Spiegelstichen genannten Schädigungsarten deutlich, dass nicht bei jeder Schädigung jeder – medizinisch noch so bezeichneten – Kapsel ein Unfall fingiert werden soll, sondern eine Gelenkskapsel / eine Umhüllung eines Körperteils an Gliedmaßen oder der Wirbelsäule gezerrt oder gerissen sein muss. Dies ist hier unstreitig nicht der Fall.

Dabei wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer jedenfalls nicht auf die Idee kommen, dass durch die Unfallfiktion (mittelbare) Auswirkungen abnormer Kapselbildungen auf „Gliedmaßen“ oder die „Wirbelsäule“ versichert sein sollen.

Das Wort „an“ („Gliedmaßen“ oder der „Wirbelsäule“) ist nicht rein örtlich in dem Sinne zu verstehen, dass auch eine zufällig in räumlicher Nähe zur Wirbelsäule befindliche Bindegewebskapsel erfasst ist. Es reicht also nicht aus, dass – wie vorliegend – ein Hämangiom (nach dem unterstellten Vortrag der Klägerin eine bindegewebliche Kapsel) an der Wirbelsäule liegt, platzt und das austretende Blut auf das Rückenmark schädigend einwirkt.

Entgegen der Stellungnahme der Klägerin auf entsprechenden Hinweis vom 02.08.2019 ist damit der Anwendungsbereich des § 305c Abs. 2 BGB nicht eröffnet.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10 Satz 2, § 711  ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung dieses Beschlusses unmittelbar aus § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.

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