Skip to content

Unfallversicherung – Beeinträchtigung Sehschärfe bei unfallbedingter Augenschädigung

OLG Frankfurt – Az.: 3 U 214/15 – Urteil vom 12.01.2017

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12.12.2015, Aktenzeichen 2-23 O 321/12, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 4.800,00 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.06.2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz hat der Kläger 3/4 zu tragen. Alle übrigen Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht nach einer außergerichtlichen Teilregulierung bei der beklagten Versicherung weitere Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung geltend wegen dauerhafter Folgen eines Arbeitsunfalls vom ….20xx, durch den das rechte Auge des Klägers dauerhaft geschädigt wurde, wobei die Parteien im Wesentlichen um die zu berücksichtigende, unfallbedingte Funktionseinschränkung des rechten Auges und um den sich daraus ergebenden Invaliditätsgrad streiten, nachdem die Beklagte außergerichtlich ihre Einstandspflicht – faktisch – dem Grunde nach anerkannt und auf Grundlage einer außergerichtlichen Begutachtung eine Entschädigungsleistung in Höhe von EUR 4.800,00 unter Berücksichtigung einer Beeinträchtigung in Höhe von 2/25 erbracht hatte.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten (in ihrer Eigenschaft als Rechtsnachfolgerin des den Versicherungsschein ausstellenden Versicherungsunternehmens) unter Versicherungsschein-Nummer A eine private Unfallversicherung, die für den Fall der Invalidität eine Versicherungssumme in Höhe von EUR 120.000,00 verspricht, wobei wegen der Einzelheiten verwiesen wird auf den 1. Nachtrag zum Versicherungsschein (Bl. 6 dA) sowie die B-Konzern Allgemeine Unfall-Versicherungsbedingungen (GKA AUB 2000) (Bl. 67 dA), die Zusatzvereinbarungen zur B Exclusive-Unfallversicherung (ZB 2000) (Bl. 13 dA, Bl. 73 dA), die Besonderen Bedingungen für die Bemessung des Invaliditätsgrades (U 3190:01) (Bl. 15 dA, Bl. 78 dA) sowie die Besonderen Bedingungen für die progressive Invaliditätsstaffel (BB Progression 2000 – 300 %) (Bl. 15 dA, Bl. 79 dA). Etwaige Entschädigungsleistungen sind nach der Gliedertaxe zu bemessen. Nach den Besonderen Bedingungen für die Bemessung des Invaliditätsgrades war für den vollständigen Verlust eines Auges ein Invaliditätsgrad von 50% vereinbart. Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung der genannten Körperteile und Sinnesorgane gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.

Infolge eines am ….20xx erlittenen Arbeitsunfalls, bei dem ein Fremdkörper in das rechte Auge des Klägers geriet, ist das rechte Auge des Klägers dauerhaft und nachhaltig geschädigt, da nach Entfernen des Fremdkörpers eine Narbe auf der Hornhaut verblieb mit dadurch bedingten, im Einzelnen nach Art und Ausmaß streitigen Einschränkungen in der Funktions- und Gebrauchsfähigkeit des Auges.

Die Beklagte erbrachte nach Einholung eines augenärztlichen Gutachtens außergerichtlich Versicherungsleistungen in Höhe von EUR 4.800,00 unter Annahme einer Beeinträchtigung von 2/25.

Der Kläger beauftragte außergerichtlich einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung seiner Ansprüche, der die Beklagte zunächst zur Überprüfung ihres Abrechnungsschreibens bat. Zur weiteren Anspruchsdurchsetzung holte der Kläger zudem ein augenärztliches Attest der Augenärztin C vom 13.04.2012 (Bl. 18 dA) ein, wonach das Sehvermögen des rechten Auges ohne Korrektur 0,6 betrage und keine Besserung durch Sehhilfen herbeigeführt werden könne.

Unfallversicherung - Beeinträchtigung  Sehschärfe bei unfallbedingter Augenschädigung
(Symbolfoto: Von Jen Bernal/Shutterstock.com)

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen, insbesondere des erstinstanzlichen Parteivorbringens, wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12.11.2015 (Bl. 192 dA) verwiesen, mit dem das Landgericht die Klage nach Beweisaufnahme zu Art und Umfang der unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Auges gemäß Beweisbeschluss vom 27.02.2013 (Bl. 81 dA) vollumfänglich abgewiesen hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war das Landgericht davon überzeugt, dass sich die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Auges auf 2/25 belaufe, was zu einem Grad der Invalidität von 4% führe. Einschränkungen, die über die Einschränkung des Visus hinausgehen, insbesondere Störungen des Farbsehens und der Gesichtsfeldausfälle, würden sich weder aus den außergerichtlichen ärztlichen Befunden noch aus dem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten ergeben. Im Lichte der Angaben der gerichtlich bestellten Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Sachverständigengutachtens, insbesondere in Bezug auf den Vorhalt der Privatgutachten, sei ein Visus von 0,63, nicht aber lediglich von 0,5 zugrunde zu legen, da die Abweichungen zwischen den diversen Untersuchungsergebnisse zwanglos mit unterschiedliche Methoden und Ungenauigkeiten aufgrund der Abhängigkeit von den Angaben des Patienten zu erklären seien. Zweifel an der Korrektheit der Angaben des Klägers würden sich konkret daraus ergeben, dass er Störungen des Farbsehens sowie Gesichtsfeldausfälle behaupte, die offenbar nicht bestünden. Soweit hinsichtlich der Frage nach Verbesserungsmöglichkeiten durch den Einsatz von Sehhilfen erhebliche Widersprüche zwischen den Privatgutachten und dem gerichtlichen Sachverständigengutachten bestünden, bestehe kein Aufklärungsbedarf, da nur ein Visus von 0,63 – ohne Brille- zugrunde zu legen sei. Ein Visus von 0,63 entspreche den Ergebnissen der Privatgutachten. Bei einem Visus von 0,63 belaufe sich die Funktionsbeeinträchtigung des Auges auf 2/25, so dass die berechtigten klägerischen Ansprüche durch die außergerichtliche Zahlung bereits infolge Erfüllung erloschen seien.

Hiergegen richtet sich die am 27.11.2015 eingelegte und mit Schriftsatz vom 03.02.2016 begründete Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren teilweise, und zwar nur noch in Höhe eines Betrages von EUR 4.800,00, weiter verfolgt. Der Kläger beanstandet im Wesentlichen die Beweiswürdigung des Landgerichts und trägt vor:

Entgegen der plausiblen und nachvollziehbaren Ausführungen im schriftlichen Gutachten sei durch das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht ein Visus von 0,5, sondern von 0,63 angenommen worden, obwohl die gerichtlich bestellte Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Gutachtens nachvollziehbar und ohne Widersprüche und wissenschaftliche Fehler ausgeführt habe, auf welche Weise der so ermittelte Visus von 0,5 zustande gekommen sei. Anzeichen von Aggravation seien durch die Sachverständige nicht festgestellt worden.

Es sei mit den Grundsätzen der Beweiswürdigung nicht zu vereinbaren, dass das Landgericht aus der Nichtnachweisbarkeit der von dem Kläger behaupteten Einschränkungen in dem Farb- und Kontrastsehen und falscher Angaben, die der Kläger gegenüber der Sachverständigen in Bezug auf seine Einschränkungen gemacht haben müsse, einen Visus von 0,63 herleite. Der Rückschluss des Gerichts sei fehlerhaft, da aus der Tatsache, dass subjektiv empfundene Einschränkungen des Auge nicht objektivierbar bewiesen werden könnten, nicht zwingend auf die Fehlerhaftigkeit subjektiven Angaben des Klägers und der von der Sachverständigen festgestellte Visus geschlossen werden könne.

Bei einem Visus von 0,5 liege eine Funktionsbeeinträchtigung von 4/25 vor. Auf diesen Wert habe sich die gerichtlich bestellte Sachverständige sowohl im schriftlichen als auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Gutachtens festgelegt.

Nachdem der Kläger ursprünglich eine Hauptsacheforderung in Höhe von EUR 19.200,00 und darauf bezogener Nebenforderungen geltend gemacht hatte, hat er sein Begehren für die Berufungsinstanz teilweise beschränkt und nur noch in Höhe eines Teilbetrages von EUR 4.8000,00 zuzüglich darauf bezogener Rechtsverfolgungskosten weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt nunmehr, das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12.11.2015, Aktenzeichen 2-23 O 321/12, teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.800 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 12.06.2012 zu zahlen und die Beklagte weiter zu verurteilen, vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten in Höhe von EUR 489,44 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und trägt vor:

Die berechtigten klägerischen Ansprüche seien bereits vollständig reguliert worden, zumal die gerichtliche Begutachtung keine weitere unfallbedingte Invalidität, als beklagtenseits bereits reguliert worden sei, ergeben habe. Das landgerichtliche Urteil beruhe nicht auf einem Rechtsfehler, insbesondere auch nicht auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung. Das Landgericht habe sich mit dem erstinstanzlichen Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt und dabei ein rechtlich mögliches und nicht gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßendes Ergebnis erzielt, so dass eine Bindung an die Feststellungen des Tatrichters bestehe.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerechte, Berufung des Klägers hat in der Sache, soweit nach Beschränkung der Rechtsverfolgung auf eine Hauptforderung in Höhe von EUR 4.800,00 zuzüglich darauf bezogener Nebenforderungen, noch eine Entscheidung erforderlich ist, in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, da das Landgericht die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen hat.

A.

Durch die außergerichtlich bereits erbrachte Zahlung in Höhe von EUR 4800,00 sind die klägerischen Ansprüche aus der verfahrensgegenständlichen Unfallversicherung noch nicht vollständig infolge Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen, da die Beklagte der Schadensregulierung zu Ungunsten des Klägers einen falschen Invaliditätsgrad zugrunde legte, nämlich – unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Gliedertaxe – lediglich 2/25 anstelle von 4/25.

Tatsächlich ist aufgrund eines Visus von lediglich 0,5 der Regulierung ein Invaliditätsgrad von 8 % (anstelle eines Invaliditätsgrades von 4% bei einem Visus von 0,63) zugrunde zu legen, so dass, ausgehend von der vereinbarten Versicherungssumme für Invalidität in Höhe von EUR 125.000,00, der klägerische Anspruch sich auf insgesamt EUR 9.600,00 beläuft. Unter Berücksichtigung der bereits erbrachten Zahlung in Höhe von EUR 4.800,00 besteht somit noch ein weitergehender klägerischer Anspruch in Höhe von EUR 4.800,00.

Auf Grundlage der vollständig und fehlerfrei erhobenen Beweise steht zur vollen Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) fest, dass dem Kläger infolge des Unfalls lediglich ein Visus von 0,5 verblieben ist, der der Regulierung zugrunde zu legen ist. Die Beweiswürdigung des landgerichtlichen Urteils, die zu einem Visus von 0,63 kommt, ist fehlerhaft, weil das Landgericht im Ergebnis in unzulässiger Weise vom Ergebnis des Sachverständigengutachtens abgewichen ist.

Das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten weist keine inhaltlichen Mängel oder sonstigen Schwächen auf, die seine Verwertbarkeit beeinträchtigen könnten. Sofern die Beklagte erstinstanzlich gegenüber dem schriftlichen Sachverständigengutachten noch Einwendungen erhoben hat, hat sie diese im Lichte der mündlichen Erläuterung des Gutachtens durch die gerichtlich bestellte Sachverständige bereits in der ersten Instanz nicht weiter aufrecht erhalten und in der Berufungsinstanz auch nicht mehr aufgegriffen.

Inhaltliche Widersprüche und/oder Abweichungen zwischen dem schriftlichen Sachverständigengutachten und der mündlichen Erläuterung des Gutachtens im Rahmen der Sitzung vom 03.09.2015 (Bl. 173 dA) gibt es nicht. Vielmehr gelangte die gerichtlich bestellte Sachverständige aufgrund eigener Untersuchungen, die den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt wurden, zu einem plausiblen und nachvollziehbaren Ergebnis, das sie im Rahmen der öffentlichen Sitzung vom 03.09.2015 sowohl in der Herleitung als auch in der Schlussfolgerung verständlich erläuterte. Dabei kommt die Sachverständige hinsichtlich des Visus zu einem Wert von 0,5, der sich im Übrigen in vollständiger Übereinstimmung befindet mit dem Wert, den der von der Beklagten beauftrage Privatgutachter ohne Korrektur (also ohne Sehhilfe) ermittelt hat. Hinsichtlich des in dem von dem Kläger in das Verfahren eingeführten ärztlichen Attest ausgewiesenen Wertes von 0,6 erklärte die Sachverständige in völliger Übereinstimmung mit den Vorgaben der DIN 58220, dass ein Wert von 0,6 auf anderen Versuchsmethoden beruhe, die der augenärztlichen Praxis entsprechen würden, die aber gutachterlich nicht korrekt seien.

Das Landgericht lässt im Rahmen seiner Beweiswürdigung unberücksichtigt, dass die Reihung der Sehschärfestufen durch DIN 58220 vorgegeben ist. Diese Reihung ist, worauf die gerichtlich bestellte Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Gutachtens ausdrücklich hingewiesen hat, nicht linear, sondern logarithmisch bestimmt, so dass ein Wert von 0,6, wie er in dem privatärztlichen Attest der C vom 13.04.2012 (Bl. 18 dA) angegeben ist, nicht der maßgeblichen DIN-Vorschrift entspricht und nicht durch einen den Vorgaben der DIN-Verordnung entsprechenden Apparat ermittelt worden sein kann. Zwischenwerte zwischen 0,63 und 0,5 gibt es nach den nachvollziehbaren und mit den Vorgaben der DIN 58220 übereinstimmenden Angaben der Sachverständigen nämlich nicht.

Die der maßgeblichen DIN entsprechenden Werte werden apparateseitig in den von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft zugelassenen Geräten angeboten, was bedeutet, dass eine Sehschärfe von 0,63 keine bessere Sehschärfe beschreibt als 0,6, sondern lediglich eine Sehschärfe, die nach den apparatebedingten Vorgaben mit 0,63 zu beziffern ist.

Ein – auf welche Art auch immer – ermittelter Visus von 0,6 entspricht nach den relevanten DIN-Vorgaben allerdings nur einem Visus von 0,5, da ein Wert von 0,6 eine geringere Sehschärfe zum Ausdruck bringt als durch einen Visus von 0,63 gekennzeichnet wird. Sofern Apparate Werte auswerfen, die nicht der DIN entsprechen, ist die nächstniedrigere Stufe zu werten, vorliegend also 0,5 für 0,6 (B. Gramberg-Danielsen, Das augenärztliche Gutachten in GUV, PUV, SozER und SchwbG).

Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft berücksichtigt hat, dass der im privatärztlichen Attest angegebene Visus-Wert von 0,6 für einen höheren Visus spreche, da diese Würdigung die Vorgaben der DIN-Verordnung verkennt. Vielmehr belegt das privatärztliche Attest in Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigengutachten und dem Privatgutachten, dass der Visus ohne Korrektur nach DIN 58220 lediglich 0,5 beträgt.

Grundsätzlich war und ist es einem Gericht nicht verwehrt, von einem klaren, eindeutigen Gutachten abzuweichen, da Sachverständigengutachten – wie andere Beweismittel auch – der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) unterliegen. Dementsprechend darf ein Gericht grundsätzlich von dem Gutachten eines Sachverständigen abweichen, wenn es von dessen Ausführungen nicht überzeugt ist. Es bedarf aber der Ausweisung entsprechender Sachkunde, wenn ein Gericht fachkundigen Feststellungen oder fachlichen Schlussfolgerungen eines Sachverständigen nicht folgen will. Eine zulässige Abweichung des Gerichts vom Gutachten eines Sachverständigen erfordert stets die Darlegung der hierfür maßgeblichen Erwägungen im Sinne einer einleuchtenden und nachvollziehbaren Begründung im Urteil, die nicht darauf beruhen darf, dass das Gericht eine ihm nicht zukommende eigene Sachkunde in Anspruch nimmt.

Vorliegend hat das Gericht nicht dargelegt, über welche eigene Sachkunde im augenärztlichen Bereich es verfügt, die es ermächtigen würde, von dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen D in eigener Sachkunde abzuweichen. Die dafür erforderlichen Darlegungen zur Sachkunde des Gerichts sind nicht erfolgt.

Allein die der Begutachtung immanente Fehleranfälligkeit wegen der Abhängigkeit von der Mitwirkung des Klägers und seinen Angaben reicht für ein Abweichen von dem gerichtlichen Sachverständigengutachten nicht aus, zumal diese Fehleranfälligkeit in gleicher Weise sämtlichen ärztlichen Attesten, Privatgutachten und Untersuchungsberichten anhaftet, die hier verfahrensgegenständlich sind. Im Übrigen gibt es vorliegend keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Fehleranfälligkeit auf das Ergebnis der Begutachtung ausgewirkt haben könnte. Sowohl der Privatgutachter als auch die gerichtlich bestellte Sachverständige haben keine Anhaltspunkte für erkennbare Widersprüche erlangt. Vielmehr gibt der Privatgutachter, der ebenfalls zu einem Visus von 0,5 ohne Korrektur gelangte, im Rahmen seines Gutachtens sogar ausdrücklich an, dass der Kläger alle Aufgaben mit voller Kooperation erledigt habe.

Anhaltspunkte für eine Aggravationstendenz gibt es ausweislich der von den Gutachtern erhobenen Befunde nicht. Wenn und soweit der Kläger versucht haben sollte, durch falsche Angaben die Ergebnisse zu beeinflussen, erscheint es nicht nachvollziehbar, dass er als Laie in der Lage gewesen sein sollte, bei zwei Begutachtungen, die zeitlich weit auseinander liegen, so geschickt manipuliert zu haben, dass weitgehend dasselbe Ergebnis erzielt wird.

Zudem spricht eindeutig gegen eine Aggravationstendenz des Klägers, dass er in dem Bereich, in dem sein subjektives Empfinden gerade nicht zu objektivierbaren Befunden führte, nämlich dem Farbensehen, keinerlei Manipulationsversuche zeigte, sondern bei beiden Begutachtungen mit dem betroffenen Auge jeweils sämtliche Farbtafeln zutreffend erkannte.

Gerade die Tatsache, dass der Kläger bei diversen Testungen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten von verschiedenen Ärzten durchgeführt wurden, jeweils weitgehend identische Ergebnisse erzielte, spricht gegen die Annahme von Manipulationsversuchen.

Im Übrigen ist es auch nichts Ungewöhnliches, dass, soweit hier hinsichtlich Farbensehen und Gesichtsfeld relevant, subjektives Empfinden und objektivierbare Befunde auseinanderfallen. In Abhängigkeit von Art und Ausmaß dieses Phänomens kann einer solchen Diskrepanz sogar Krankheitswert (Somatoforme Schmerzstörung) zukommen. Daraus, dass Beeinträchtigungen des Farbensehens und Einschränkungen des Gesichtsfeldes nicht nachgewiesen werden konnten, kann dementsprechend nicht hergeleitet werden, dass der Kläger im Rahmen der Begutachtung Aggravationstendenzen zeigte und versuchte, die Ergebnisse zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

Der Rechtsstreit ist auch zur Entscheidung reif und bedarf keiner weitergehenden Aufklärung hinsichtlich der Möglichkeit eines Ausgleichs der Verringerung der Sehschärfe durch eine Sehhilfe (Brille), da ausgeschlossen werden kann, dass durch eine Sehhilfe ein vollständiger Ausgleich, also eine Vollkorrektur, erfolgen kann und die möglichen Verbesserungen des Visus, die durch eine Sehhilfe erreicht werden können, in der konkreten Fallgestaltung durch den Brillenabschlag vollständig ausgeglichen werden.

Bei der Bewertung der Sehschärfe ist nach einer Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 1983 (BGH, Urteil vom 27. April 1983 – IVa ZR 193/81 -, BGHZ 87, 206-215 Zitiervorschlag) entscheidend, ob und wieweit diese durch eine Sehhilfe ausgeglichen werden kann. Bei der Beurteilung der Gebrauchsfähigkeit eines Auges ist danach grundsätzlich von der durch eine Brille korrigierten Sehkraft auszugehen. Hiervon ist jedoch ein Abschlag für diejenige Minderung der Gebrauchsfähigkeit zu machen, die sich aus der Notwendigkeit des Tragens der Brille und den damit generell verbundenen Belastungen ergibt. Es kommt somit allein auf den „Visuswert cum correctione“ an, d.h. es ist von der optimal verträglichen Korrektur durch eine Sehhilfe auszugehen. Der sog. Visus naturalis (sine correctione) – der ohne optische Korrektur ermittelte Wert – hat für die Invaliditätsbemessung dagegen keine Bedeutung.

Sofern das unfallgeschädigte Auge mit verträglicher Korrektur die volle Sehschärfe erlangt, ist das Auge voll funktionsfähig. Die unfallbedingte Einschränkung der Sehkraft bleibt bei der Invaliditätsbemessung außer Betracht. Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen auch die Sehhilfe nicht zur Wiedererlangung der vollen Sehkraft führt. Wenn sich die verringerte Sehkraft nicht durch eine Sehhilfe vollständig beseitigen lässt, ist Teilinvalidität begründet.

Allerdings sind in Fällen, in denen eine Sehhilfe zu Verbesserungen führt, die – selbst bei Vollkorrektur der Sehschärfe – durch die Notwendigkeit der Nutzung einer Sehhilfe verbleibenden Belastungen und Unannehmlichkeiten bei der Invaliditätsfeststellung zu berücksichtigen, da sie eine (wenn auch häufig geringfügige) Minderung der Funktionsfähigkeit des Auges, begründen. Die Obergrenze des Invaliditätsgrades liegt bei dem Wert, der für die unkorrigierte Gebrauchsminderung des Auges anzunehmen ist.

Die Notwendigkeit, eine Brille zu benutzen, wird von Burggraf je nach Brillenstärke mit einer einmaligen Funktionsbeeinträchtigung bzw. Gebrauchsbeeinträchtigung von 2/20 bis 5/20 bewertet, was bei einem Augenwert von 30 % (AUB 61) einen Invaliditätsgrad von 3 bis 7,5 % und bei einem Augenwert von 50 % (AUB 88/94/99) einen Invaliditätsgrad von 5 % bis 12,5 % ergibt. In der Praxis wird aufgrund der Vorschläge von Gramberg-Danielsen/Thomann bei gering bis mittelgradigen Korrekturen bis +10 dpt und bis -13 dpt 3 % und bei hochgradigen Korrekturen über den genannten Werten 5 % angenommen. Die Bemessung des Brillenzuschlages ist, da im Wesentlichen außermedizinische Lästigkeitsfaktoren relevant sind, eine in das Ermessen des Gerichts (§ 287 ZPO) gestellte Rechtsfrage.

In der konkreten Fallgestaltung gleichen sich Zu- und Abschläge, die durch den Einsatz einer Brille erzielt werden könnten, letztlich aber aus, so dass es für die Bestimmung des Invaliditätsgrades im Ergebnis bedeutungslos ist, ob ein Invaliditätsgrad von 8%, ausgehend von einem Visus von 0,5, angenommen wird, oder ob sich der Invaliditätsgrad von 8% zusammensetzt aus einem Invaliditätsgrad von 4%, ausgehend von einem Visus von 0,63 mit Korrektur, zuzüglich eines Brillenzuschlags von 4%.

B.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286, 288 BGB, wobei Verzug eintrat mit Ablehnung einer weitergehenden Schadensregulierung durch die Beklagte mit Schreiben vom 11.06.2012, das als Reaktion auf ein als Mahnschreiben auszulegendes Anwaltsschreiben als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung auszulegen ist.

C.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der als Nebenforderung geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 489,44, da im Lichte von § 86 VVG weder die Aktivlegitimation des Klägers hinreichend dargetan, geschweige denn unter Beweis gestellt ist (1), noch ersichtlich ist, dass die streitgegenständlichen Rechtsverfolgungskosten dem Grunde nach als Verzugsschaden erstattungsfähig sein könnten (2). Hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten erfolgte die Klageabweisung demzufolge zu Recht, weshalb die (insoweit weitergehende) Berufung des Klägers hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten zurückzuweisen war.

(1) Obwohl die Beklagte das Bestehen vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bereits mit der Klageerwiderung dem Grunde und der Höhe nach bestritten hat, erfolgte klägerseits keine prozessuale Reaktion. Eine solche Reaktion wäre aber veranlasst gewesen, da der Hinweis der Beklagte auf die Möglichkeit des Bestehens einer Rechtsschutzversicherung vorliegend berechtigt erscheint angesichts der Zahlungsanzeigen der E Rechtsschutz-Versicherung AG vom 23.08.2012 betreffend die Gerichtskosten (Bl. 32 dA) bzw. vom 24.04.2013 betreffend den Sachverständigen-Vorschuss (Bl. 94 dA).

Bei dieser Sachlage wäre ein substantiierter Vortrag dazu erforderlich gewesen, ob, wann und gegebenenfalls durch wenn die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten beglichen wurden und ob und gegebenenfalls aufgrund welcher Ermächtigung (gesetzliche Prozessstandschaft oder gewillkürter Prozessstandschaft bzw. Rückabtretung der Forderung an den Kläger) der Kläger diese Kosten geltend machen kann mit, soweit erforderlich, entsprechender Anpassung der klägerischen Anträge hinsichtlich des Zahlungsempfängers.

(2) Neben der unzureichenden Darlegung der Aktivlegitimation des Klägers fehlt es aber auch an einer schlüssigen Darlegung der Verzugsbedingtheit der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten, wie es für ihre Erstattungsfähigkeit unter dem allein in Betracht kommenden Gesichtspunkt des Verzuges aber erforderlich wäre. Hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten war nämlich bereits das Anwaltsschreiben, mit dem der Klägervertreter die Beklagte zur Überprüfung der Abrechnung vom 01.03.2012 bat, gebührenauslösend. Dass sich die Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits in Verzug befunden haben könnte, ist weder dargetan, noch sonst ersichtlich. Im Einklang hiermit beansprucht der Kläger Verzugszinsen auch erst am dem 12.06.2012. Die Kosten einer verzugsbegründenden Erstmahnung aber sind nicht erstattungsfähig.

D.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Zulassung der Revision war auch nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!