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Unfallversicherung: Beeinträchtigung des Geschmacks- und des Geruchssinnes

LG Dessau, Az.: 4 O 1198/03, Urteil vom 25.10.2005

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.186,73 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 8.8.2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 93% und die Beklagte zu 7% .

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung aus Anlass eines Unfalls in Anspruch.

Mit Wirkung vom 1.12.1995 schloss der Kläger bei der Beklagten eine Unfallversicherung ab. Ausweislich des Versicherungsscheines sollte sich die Invaliditätssumme auf 50.000 DM belaufen und sich für Unfälle vor dem 65. Geburtstag des Versicherungsnehmers um 10% erhöhen.

In das Vertragsverhältnis waren auch die Allgemeinen Unfallversicherungs – Bedingungen (AUB 94) einbezogen. Gemäß § 7 I Nr. 4 AUB 94 sollte sich die Invaliditätsentschädigung bei einer Invalidität der versicherten Person von mindestens 70 Prozent vor Vollendung des 25. Lebensjahres vervierfachen, und zwar ausweislich des Versicherungsscheines auf eine Invaliditätssumme von höchstens 200.000 DM.

versicherung: Beeinträchtigung des Geschmacks- und des Geruchssinnes
Symbolfoto: buso23/Bigstock

Am 7.8.2000 erlitt der zum damaligen Zeitpunkt 23 Jahre alte Kläger als Beifahrer eines Betriebsfahrzeuges auf dem Weg zu einer auswärtigen Arbeitsstelle einen Verkehrsunfall, bei dem sich das Fahrzeug überschlug und der Kläger insbesondere Verletzungen im Kopfbereich – insbesondere eine Mittelgesichtsfraktur – davontrug.

Die Beklagte leistete an den Kläger wegen und aufgrund der unfallbedingten Invalidität des Klägers eine Zahlung in Höhe von 11.248,60 Euro und ging hierbei von einer durch den Verkehrsunfall verursachten Invalidität des Klägers von 40% aus, wobei sie sich auf die Feststellungen eines außergerichtlich eingeholten und vom 19.6.2003 datierenden Gutachtens von Prof. Dr. K. stützte.

Der Kläger nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit nunmehr auf Zahlung einer zusätzlichen Invaliditätssumme von 92.236,88 Euro in Anspruch, wobei er unter Bezugnahme auf ein außergerichtlich eingeholtes Gutachten von Dr. R vom 5.11.2002 von einer unfallbedingten Invalidität von 92% ausgeht und wegen der von ihm vorgetragenen Überschreitung des Invaliditätsgrades von 70% eine Vervierfachung der Invaliditätssumme erstrebt.

Hierzu behauptet der Kläger, zusätzlich zu einer – insoweit unstreitig – unfallbedingt vorliegenden und mit 10% zu bewertenden Beeinträchtigung des Geruchssinnes (Anosmie) sei durch den Unfall auch eine mit weiteren 5% zu bewertende Beeinträchtigung des Geschmackssinnes (Ageusie) verursacht worden.

Der Kläger behauptet weiter, die durch den Unfall – insoweit unstreitig – verursachten Sensibilitätsstörungen im Gesichtsbereich sowie die Störungen des stomatognathen Systems (Kaubeschwerden) seien so schwerwiegend, dass sie insgesamt mit einem Invaliditätsgrad von 50% zu bewerten seien.

Durch den Unfall vom 7.8.2000 sei auch ein vestibulärer Schwindel verursacht worden, für den ein Invaliditätsgrad von 20% anzusetzen sei.

Schließlich habe der Unfall auch Sensibilitätsstörungen der Finger 1 und 2 der linken Hand mit einem hierfür anzusetzenden Invaliditätsgrad von 7% verursacht.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 92.236,88 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 8.8.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet, dass der Unfall auch eine Beeinträchtigung des Geschmackssinnes mit einem hierfür anzusetzenden Invaliditätsgrad von 5% verursacht habe.

Der vom Kläger vorgetragene Invaliditätsgrad von 50% für die unstreitig vorliegenden Sensibilitätsstörungen im Gesichtsbereich sowie die Beeinträchtigungen des stomathognathen Systems sei deutlich übersetzt.

Die Beklagte bestreitet zudem, dass durch den Unfall vom 7.8.2000 beim Kläger ein vestibulärer Schwindel sowie Sensibilitätsstörungen im Finger 1 und 2 der linken Hand verursacht worden seien.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Urkunden Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten; insoweit wird auf die Gutachten und ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen der Sachverständigen…………… sowie auf die mündlichen Anhörungen dieser Sachverständigen in den Terminen zur mündlichen Verhandlung vom 19.7.2005 und 4.10.2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist teilweise begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit §§ 1, 7 AUB 94 einen Anspruch auf Zahlung von 6.186,73 Euro.

I: Der Unfall vom 7.8.2000 hat zu einer Invalidität des Klägers von insgesamt 62% geführt.

Dies folgt aus der von der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme.

1. Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. W. und Prof. Dr. D. führte der Unfall vom 7.8.2000 beim Kläger nicht nur zu einer Beeinträchtigung des Geruchssinnes (Anosmie), sondern auch zu einer Beeinträchtigung des Geschmackssinnes (Ageusie), wobei für diese Beeinträchtigungen insgesamt ein Invaliditätsgrad von 15% anzusetzen ist.

Die Kammer folgt diesen Ausführungen der Sachverständigen aufgrund eigener Überzeugungsbildung. Die Ausführungen der Sachverständigen Dr. W. und Prof. Dr. D. waren detailliert, differenziert, nachvollziehbar und deshalb überzeugend.

Im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 4.10.2005 legten die Sachverständigen zwar insoweit zunächst sehr differenziert dar, dass es zwar durchaus selten vorkomme, dass bei einem kompletten Riechverlust ein kompletter Geschmacksverlust hinzutrete.

Sie lieferten sodann jedoch eine sehr plausible und nachvollziehbare Begründung für die in ihrem Gutachten aufgestellte These, dass der Unfall vom 7.8.2000 beim Kläger auch zu einem Verlust des Geschmackssinnes geführt habe, indem sie auf den konkreten Verlauf des Unfalles und die dabei eingetretenen Verletzungen verwiesen. Bei dem hier in Rede stehenden Unfall – bei dem sich das Fahrzeug, in dem sich der Kläger als Beifahrer aufhielt, überschlagen hatte – sei, so die Sachverständigen, von einer zentral wirkenden Gewalteinwirkung auszugehen. Aufgrund einer solchen zentralen Gewalteinwirkung komme es zu einer zentral im Gehirn eintretenden Verletzung, durch die dann gleichzeitig der Geruchs- und Geschmackssinn beeinträchtigt werde.

Die Kammer erachtet diese von der konkreten Unfallsituation ausgehende Darstellung des Kausalverlaufes als sehr plausibel und ist deshalb davon überzeugt, dass der Unfall vom 7.8.2000 beim Kläger auch zu einem Verlust des Geschmackssinnes führte.

Die Sachverständigen konnten im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung auch ausschließen, dass die Beeinträchtigung des Geschmackssinnes vom Kläger nur vorgetäuscht worden war. Sie wiesen insoweit darauf hin, dass der komplette Ausfall von Geruchs- und Geschmackssinn in den im Zuge der objektiven Tests aufgezeichneten elektrischen Systeme auch beschrieben worden war.

Der bei dem kompletten Ausfall des Geruchs- und Geschmackssinnes anzusetzende Invaliditätsgrad von 15% ergibt sich aus der Gliedertaxe gemäß § 7 I 4 AUB 94, die für Anosmie einen Invaliditätsgrad von 10% und für Ageusie einen Invaliditätsgrad von 5% ausweist.

2. Für die unstreitig durch den Unfall am 7.8.2000 verursachten Sensibilitätsstörungen im Gesicht sowie die Beeinträchtigungen des stomathognathen Systems ist ein Invaliditätsgrad von insgesamt 20% anzusetzen.

Dies folgt aus den detaillierten, differenzierten nachvollziehbaren und deshalb überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. W. und Prof. Dr. D. in ihren schriftlichen Gutachten sowie in der mündlichen Anhörung am 4.10.2005.

Soweit die Sachverständigen hier wie auch an anderer Stelle zur Beschreibung der eingetretenen Beeinträchtigungen den Begriff „ Minderung der Erwerbsfähigkeit „ verwendeten, lieferten sie hierfür in ihrer mündlichen Anhörung eine überzeugende Begründung. Die Sachverständigen H., D. und W. verwiesen insoweit nämlich darauf, dass für die in Rede stehenden Beeinträchtigungen anders als bei den in der Gliedertaxe zu § 7 I AUB 94 aufgeführten Beeinträchtigungen keine bestimmten Invaliditätsgrade festgeschrieben seien. Um die Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit be – und umschreiben zu können, sei deshalb auf den Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit zurückgegriffen worden. Die dabei angesetzten Prozentzahlen seien jedoch mit dem Grad der Invalidität gleichzusetzen. Von daher umschreibt die von den Sachverständigen D. und W. festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20% einen Invaliditätsgrad von 20%.

Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen H., D. und W. in ihrer mündlichen Anhörung vom 4.10.2005 kommt eine Addition der für die Sensibilitätsstörungen im Gesicht und die Beeinträchtigungen des stomathognathen Systems anzusetzenden Werte von 20% und 10% nicht in Betracht, weil die Feststellungen in den Gutachten betreffend der Sensibilitätsstörungen im Gesicht und den Beeinträchtigungen des stomathognathen Systems auf den gleichen Befunden beruhen und die in Rede stehenden Beeinträchtigungen auf den gleichen Ursachen beruhen.

Die Kammer geht in Übereinstimmung mit den Ausführungen im schriftlichen Gutachten der Sachverständigen W. und D. von einem für die Sensibilitätsstörungen im Gesicht und die stomathognathen Beeinträchtigungen insgesamt anzusetzenden Invaliditätsgrad von 20% aus. Da die in Rede stehenden Beeinträchtigungen zur Folge haben, dass jegliche Konzentrationsarbeiten vom Kläger nicht mehr adäquat ausgeführt werden können, erscheint der Ansatz eines Invaliditätsgrades von 20% als angemessen, aber auch als ausreichend.

3. Aufgrund der detaillierten, differenzierten und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen D. und W. steht weiterhin fest, dass der Unfall vom 7.8.2000 auch zu einem vestibulären Schwindel mit einem hierfür anzusetzenden Invaliditätsgrad von 20% geführt hat.

Im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung im Termin am 4.10.2005 haben die Sachverständigen insoweit überzeugend und nachvollziehbar begründet, dass und warum der vestibuläre Schwindel – unbeschadet einer möglichen Mitverursachung durch die Einnahme eines Schmerzmittels – durch den Unfall vom 7.8.2000 zumindest mitverursacht wurde.

Die vom Kläger erlittene Mittelgesichtsfraktur sei nämlich einerseits durchaus geeignet, die in Rede stehenden Schwindelsymptome auszulösen.

Andererseits gebe es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Schwindelsymptome nur vortäuscht. So habe der Sachverständige Prof. Dr. J. wahrgenommen, dass sich der Kläger beim Ausziehen festhalten musste. Ein derartiges Anzeichen für das Vorliegen eines vestibulären Schwindels werde üblicherweise nicht vorgetäuscht.

Aufgrund einer zusammenfassenden Würdigung der beiden soeben referierten Umstände ist die Kammer deshalb davon überzeugt, dass durch den Unfall beim Kläger tatsächlich ein vestibulärer Schwindel verursacht wurde. Die Möglichkeit, dass der Kläger Schindelsymptome nur vortäuscht ist aus Sicht der Kammer von daher nur theoretischer Natur und kann deshalb hier praktisch ausgeschlossen werden.

Aus den Ausführungen der Sachverständigen D. und W. in der mündlichen Anhörung vom 4.10.2005 ergibt sich auch, dass der Ansatz eines Invaliditätsgrades von 20% insoweit sachgerecht ist. Die Sachverständigen haben insoweit für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass ein Schwindel der Intensitätsstufe 1 und der Belastungsstufe 2 vorliege, weil der Kläger einerseits mit geradem Schritt in die in das Untersuchungszimmer zu Prof. Dr. J. gekommen sei- dies spreche für das Vorliegen der als gering einzuschätzenden Intensitätsstufe 1 -, andererseits der Kläger sich aber beim Entkleiden habe festhalten müssen, was für das Vorliegen der etwas gehobenen Belastungsstufe 2 spreche.

4. Aufgrund der differenzierten und deshalb überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. J. steht schließlich fest, dass durch den Unfall am 7.8.2000 eine Sensibilitätsstörung am linken Daumen des Klägers mit einem hierfür anzusetzenden Invaliditätsgrad von 7%. Aus den detaillierten, differenzierten und deshalb überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. J. ergibt sich insoweit, dass einerseits beim Kläger am linken Daumen Nervenausfälle und Gefühlsstörungen festgestellt werden konnten, dass andererseits ein gewisses Empfinden aber noch vorhanden ist.

Die daraus folgende Beeinträchtigung des Daumens zu 1/3, wie sie der Sachverständige Prof. Dr. J. im Rahmen seiner mündlichen Anhörung am 19.7.2005 festgestellt hat, rechtfertigt es, insoweit einen Invaliditätsgrad von 7% und damit 1/3 des in der Gliedertaxe zu § 7 I AUB 94 aufgeführten Wertes von 20% für den Verlust eines Daumens anzusetzen.

II. Auf der Grundlage der festgestellten Invalidität von 62% errechnet sich ausgehend von einer Invaliditätssumme von 50.000 DM = 25.565 Euro und dem vereinbarten Treuebonus von 10% eine Invaliditätssumme von 17.435,33 Euro (25.565 x 0,62 = 15.850,30 + 1.585 (10% von 15.850,30)).

Abzüglich der von der Beklagten unstreitig geleisteten Zahlung von 11.248,60 Euro verbleibt damit eine Restforderung des Klägers von 6.186,73 Euro. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 I, 709 S. 1 ZPO.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 92.236,88 Euro festgesetzt.

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