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Unfallversicherung – Ausschluss psychischer Reaktionen

LG Freiburg (Breisgau), Az.: 14 O 72/07, Urteil vom 17.08.2009

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Beklagte vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die beklagte Unfallversicherung Ansprüche auf weitere Invaliditätsleistung aufgrund eines Unfalls geltend.

nfallversicherung – Ausschluss psychischer Reaktionen
Symbolfoto: rocketclips/ Bigstock

Der Kläger ist Zahnarzt. Er ist bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer … privat unfallversichert. Dem Vertragsverhältnis liegen die … Unfallversicherungsbedingungen“ zugrunde, die weitgehend den AUB 99 entsprechen. Zudem gelten weitere Zusatzbedingungen, u.a. die Zusatzbedingungen Nr. 72, „Besondere Bedingungen für die Invaliditätsleistung mit verbesserter Gliedertaxe für Ärzte in der Humanmedizin (UIVGT)“.

Die vereinbarte Versicherungssumme bei Invalidität beträgt aufgrund einer Nachtragsvereinbarung vom 28.03.2003 Euro 338.520,–.

Wegen der vertraglichen Vereinbarungen und der Versicherungsbedingungen wird auf die Anlage K 1 verwiesen.

Am 06.09.2003 erlitt der Kläger einen Unfall. Als er an der Wand seiner häuslichen Garage zwei Winkelstangen befestigen wollte, rutschte die an die Wand gelehnte Leiter, auf der er stand, am Boden weg. Im Sturz versuchte der Kläger, sich mit der rechten Hand festzuhalten und blieb dabei an einem Regalboden eines unter der Leiter stehenden Metallregals hängen (vgl. zum Unfallhergang die Lichtbilder Anlage K 2). Nach dem Unfall war der Kläger kurz ohnmächtig. Seine Arbeit konnte er wegen starker Schulterschmerzen nicht fortsetzen.

Am Montag, 08.09.2003, suchte der Kläger wegen der anhaltenden Schmerzen in der rechten Schulter den Chirurgen Dr. … auf. Dieser diagnostizierte eine Teilruptur der Supraspinatussehne mit Umgebungshämatom (Anlage K 9, AS 127), die in der Folgezeit fortlaufend behandelt wurde.

Vier Wochen nach dem Unfall nahm der Kläger seine Arbeit als Zahnarzt wieder auf, klagte aber über Schmerzzunahme unter vermehrter Arbeitsbelastung und unter Sensibilitätsstörungen in den Fingern 1-3 der rechten Hand, insbesondere an der Fingerkuppe des rechten Zeigefingers.

Wegen der Sensibilitätsstörungen war der Kläger ab Dezember 2003 auch in neurologischer Behandlung bei Dr. …, ohne dass die neurologischen Ausfälle objektiviert werden konnten.

Nachdem der Kläger bei der Beklagten Invaliditätsleistungen beansprucht hatte, beauftragte die Beklagte … von der … klinik … mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens. In seinem Gutachten vom 16.02.2005 (Anlage K 3) kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass es aufgrund der mitgeteilten Befunde „eher unwahrscheinlich“ sei, dass es am 06.09.2003 zu einem Riss der Supraspinatussehne gekommen sei.

Zur Klärung des medizinischen Sachverhalts empfahl der Gutachter weitere diagnostische Maßnahmen, insbesondere eine kernspintomographische Untersuchung der rechten Schulter. Die Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Arms schätzte der Gutachter auf 1/10 ein, wobei offen bleibe, ob der Unfall die Ursache dieser Beeinträchtigung sei.

Nach Durchführung der kernspintomographischen Untersuchung der rechten Schulter am 19.04.2005 bestätigte der Gutachter in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.04.2005 (Anlage K 4), dass der Unfall vom 06.09.2003 nicht zu einer Rotatorenmanschettenruptur geführt habe. Vielmehr habe sich der Kläger bei diesem Unfall eine Verrenkung des rechten Schultergelenks zugezogen. Dabei sei es zu einer knöchernen Absprengung am Oberarmkopf und am Unterrand der Gelenkspfanne gekommen. Folge dieses Unfalls sei eine leichtgradige Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks. Die unfallbedingte Beeinträchtigung des rechten Armes schätzte der Gutachter auf 1/10 ein.

Im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachten fortbestehenden Sensibilitätsstörungen beauftragte die Beklagte zudem Prof. Dr. …, … Klinik, …, mit der Erstattung eines neurologischen Gutachtens. In seinem Gutachten vom 27.07.2005 (Anlage K 5) konnte Prof. … den vom Kläger angegebenen Gefühlsstörungen an den Fingern der rechten Hand keine objektiv messbaren Befunde zuordnen. Es gebe keine Hinweise für eine Nervenschädigung. Da die Gefühlsstörungen sich erst 5-6 Wochen nach dem Unfall bemerkbar gemacht hätten, lasse sich aus neurologischer Sicht ein Zusammenhang mit dem Unfall nicht herstellen.

In seinem Zusatzgutachten vom 02.08.2005 (Anlage K 6) schloss der Gutachter auch eine periphere Schädigung des Nervus Medianus aus.

In einem weiteren von der Beklagten eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. …, … klinik …, vom 11.07.2006 (Anlage K 7) schloss sich der Gutachter grundsätzlich dem Gutachten von Prof. Dr. … an. Er stellte jedoch klar, dass es sich weder zweifelsfrei beweisen noch ausschließen lasse, ob die Funktionseinschränkung der rechten Schulter von 1/10 Folge des Unfalls vom 06.09.2003 sei.

Bezüglich der Gefühlsstörung in den Fingern rechts schloss sich Prof. Dr. … dem Gutachten von Prof. Dr. … an, wobei er darauf hinwies, dass objektivierbare peripher neurologische Schäden mit großem fachärztlichem Aufwand ausgeschlossen worden seien.

Auf der Basis der eingeholten Gutachten rechnete die Beklagte mit Schreiben vom 21.07.2006 die geschuldete Invaliditätsleistung mit Euro 33.852,– ab. Dabei ging sie von einer unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigung des Arms von 1/10 aus. Weitere Leistungen – insbesondere aufgrund der Sensibilitätsstörungen der Finger der rechten Hand – lehnte sie ab.

Der Kläger meint, ihm stünden weitere Invaliditätsleistungen zu.

Er behauptet, auch die Sensibilitätsstörungen an den Fingern der rechten Hand, aufgrund derer er seine Tätigkeit als Zahnarzt nicht mehr ordnungsgemäß ausüben könne, seien Unfallfolge. Er beruft sich darauf, dass bei ihm die unfallbedingten Primärverletzungen wegen seiner labilen Psyche und seiner im Unfallzeitpunkt bestehenden schwierigen privaten und beruflichen Situation zu einer Konversionsneurose geführt hätten. Es sei zu einer psychischen Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens gekommen, durch die seine seelischen Konflikte in ein körperliches Symptom – hier die Sensibilitätsstörungen an den Fingern – umgewandelt worden seien.

Die Tatsache, dass es sich bei den Sensibilitätsstörungen an den Fingern um eine psychisch vermittelte Folgewirkung der unfallbedingten Verletzung handelt, führt nach Auffassung des Klägers nicht zur Anwendbarkeit der Ausschlussklausel in Ziff. 5.2.1. GUB 99 (= 5.2.6 AUB 99 = § 2 Abs. 4 AUB 94, sog. „Psychoklausel“).

Diese Klausel, nach der kein Versicherungsschutz besteht für „krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“, erfasse nur Schäden, die ausschließlich psychischer Natur sind. Hier habe der Kläger jedoch unstreitig einen organischen Schaden erlitten, der in der Folge zu den – psychisch vermittelten – Sensibilitätsstörungen an den Fingern geführt habe.

Bei der Bemessung der Funktionsbeeinträchtigung ist nach Auffassung des Klägers für jeden Finger von einem Wert von 1/10 auszugehen, wobei nach seiner Ansicht für die Feststellung der Gesamtinvalidität die jeweiligen Werte zu addieren sind.

Im Hinblick auf die Schulterverletzung macht der Kläger geltend, die von den Gutachtern angenommene Funktionsbeeinträchtigung von 1/10 sei zu niedrig bemessen, es sei von einer Funktionsbeeinträchtigung von 2/10 auszugehen.

Der Kläger meint, er könne seine Ansprüche auf weitere Invaliditätsleitung im Wege einer unbezifferten Leistungsklage geltend machen, da das Gericht für die Feststellung des Umfangs der unfallbedingten Gesundheitsschädigung im Rahmen von § 287 ZPO zu einer richterlichen Schätzung befugt sei.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine, der Höhe nach durch das Gericht zu bestimmende weitere, über den bereits gezahlten Betrag von Euro 33.852,– hinausgehende, Invaliditätsleistung aus dem Unfallversicherungsvertrag mit der Versicherungs-Nr. … auf Grund der dem Kläger durch den Unfall vom 06.09.2003 entstandenen Verletzungen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die vom Kläger geltend gemachten Sensibilitätsstörungen an den Fingern der rechten Hand seien rein psychogener Natur und damit gem. Ziff. 5.2.1. GUB 99 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

Im übrigen kommt nach Auffassung der Beklagten die vom Kläger vorgenommene Addition der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen hier nicht in Betracht. Die Bemessung der Gesamtinvalidität im Rahmen der vereinbarten Gliedertaxe erfolge nicht additiv, sondern integrativ: Sei bei einer teilweisen Funktionsbeeinträchtigung eines Gliedes auch das übergeordnete Glied betroffen, sei für die Bemessung des Invaliditätsgrades allein auf das übergeordnete Glied – hier den Arm – abzustellen.

Im Hinblick auf die Funktionsbeeinträchtigung des Arms beruft sich die Beklagte darauf, dass die von ihr beauftragten renommierten Gutachter übereinstimmend eine Funktionsbeeinträchtigung von 1/10 festgestellt hätten; eine weitere Beweisaufnahme des Gerichts sei insoweit entbehrlich.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. …, …, vom 13.10.2008 mit ergänzender Stellungnahme vom 20.04.2009.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten nebst ergänzender Stellungnahme verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Im Ergebnis ist die Erhebung einer unbezifferten Zahlungsklage hier noch zulässig.

Soweit sich der Kläger darauf beruft, eine unbezifferte Zahlungsklage sei im gesamten Anwendungsbereich des § 287 ZPO stets zulässig, so erscheint diese Auffassung als zu weit. Die Vorschrift des § 287 ZPO erleichtert dem Geschädigten in erster Linie die Beweisführung zur Schadenshöhe; sie soll ihm darüber hinaus nicht in jedem Fall die Erhebung einer konkret bezifferten Forderung ersparen. Dies würde den Grundgedanken des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, für alle Beteiligten klarzustellen, worum konkret gestritten wird, nicht berücksichtigen (vgl. Zöller, 27. Aufl., ZPO, § 253 Rdn. 14 a).

Andererseits entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen die Schadenshöhe von einer richterlichen Schätzung nach § 287 ZPO abhängt, ein unbezifferter Zahlungsantrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig sein kann , wenn der Kläger die tatsächlichen Grundlagen vorträgt, die dem Gericht die Feststellung der Höhe der Klageforderung ermöglicht (vgl. BGH WRP 2009, 745; BGHZ 4, 138 ff.; 45, 91 ff.; 165, 311 ff.).

Allerdings sollte die Zulassung einer unbezifferten Zahlungsklage als Ausnahme auf solche Fälle beschränkt bleiben, wo eine Bezifferung überhaupt nicht möglich ist oder doch aus besonderen Gründen dem Kläger nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH NJW 1967, 1420).

Ob hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, erscheint nicht unzweifelhaft. Aufgrund der vertraglich vereinbarten Gliedertaxe hängt die vom Kläger geltend gemachte Invaliditätsleistung nicht in erster Linie vom Ermessen oder der Schätzung des Gerichts ab, sondern von der Feststellung der Funktionsbeeinträchtigung des betroffenen Gliedes durch den Sachverständigen.

Da der Kläger hier jedoch – gerade auf der Grundlage der Gliedertaxe – auf S. 13 der Klageschrift den „klagweise begehrten Betrag mit Euro 81.244,80 angibt“ und diesen Wert auch als Gegenstandswert zugrunde legt, ist der Streitgegenstand hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (vgl. BGH NJW 1984, 1807 ff.), so dass die Klage zulässig ist.

II.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 VVG i.V.m. Ziff. 1, 2.1. GUB 99 aus der privaten Unfallversicherung bei der Beklagten keine über den bereits gezahlten Betrag hinausgehende Invaliditätsleistung zu.

1.

Die vom Kläger geltend gemachten Sensibilitätsstörungen an den Fingern der rechten Hand sind gem. Ziff. 5.2.1. GUB 99 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

a.

Die Ausschlussklausel, die Ziff. 5.2.6 AUB 99 entspricht, hält nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung einer Bedingungskontrolle stand. Sie ist weder unklar (§ 305 c Abs. 2 BGB), noch gefährdet sie den Vertragszweck (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB), noch benachteiligt sie den Versicherungsnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 BGB) und genügt den Anforderungen an das Transparenzgebot (vgl. BGH VersR 2004, 1039; VersR 2004, 1449).

b.

Die Beklagte hat auch den ihr obliegenden Nachweis erbracht, dass die Voraussetzungen der Ausschlussklausel vorliegen.

aa.

Zwar weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass die Ausschlussklausel nicht eingreift, wenn der Versicherungsnehmer bei dem Unfall eine organische Schädigung oder Reaktion erleidet, die zu einem psychischen Leiden führt; diese seelischen Beschwerden beruhen dann nicht, wie von der Klausel wörtlich verlangt, ihrerseits auf psychischen Reaktionen, sondern sind physisch hervorgerufen und mithin nicht vom Ausschluss erfasst (vgl. BGH VersR 2004, 1449: Tinnitus bei einem Polizisten durch Knalltrauma).

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Ausschlussklausel nie eingreifen kann, wenn es durch einen Unfall nicht nur zu einer psychischen Reaktion, sondern auch zu einer organischen Schädigung oder Reaktion gekommen ist. Würde man die Klausel so verstehen, hätte sie nur einen verschwindend geringen Anwendungsbereich. Denn ein „Unfall“ im Sinne der Versicherungsbedingungen liegt nach Ziff. 1.3. GUB nur dann vor, „wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet, so dass Unfälle völlig ohne organische Schäden kaum vorkommen.

Käme die „Psychoklausel“ schon dann nicht zur Anwendung, wenn Unfallfolge irgendeine organische Schädigung ist, die in keinerlei Zusammenhang zu der psychischen Reaktion steht, würde dies dem Sinn der Klausel nicht gerecht. Sinn des Ausschlusses ist es, dem Versicherer eine zuverlässige Tarifkalkulation zu ermöglichen, die allein über objektiv erfassbare Vorgänge erfolgen kann, nicht jedoch über psychische Reaktionen, denn die Berücksichtigung psychischer Reaktionen macht buchstäblich jedes Geschehen in der Außenwelt zu einem potentiellen Unfallereignis (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl, Ziff. 5 AUB 99, Rdn. 100).

Entscheidend muss daher sein, ob zwischen Gesundheitsschaden und körperlichem Trauma ein adäquater Kausalzusammenhang besteht (dann greift die Ausschlussklausel nicht) oder ob die krankhafte Störung allein mit ihrer psychogenen Natur erklärbar ist (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 5 AUB 99, Rdn. 104 m.w.N.). Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen können daher durchaus unter die Ausschlussklausel fallen, obwohl ein schadensersatzrechtlicher Haftungszusammenhang bejaht werden würde (vgl. vgl. Grimm, Unfallversicherung, a.a.O.).

bb.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass die Sensibilitätsstörungen an den Fingern des Klägers allein mit ihrer psychogenen Natur erklärbar sind.

Der Sachverständige Prof. Dr. … kommt in seinem psychiatrischen Gutachten vom 13.10.2008 zu dem eindeutigen Ergebnis, dass es sich bei der Entwicklung der vom Kläger angegebenen Sensibilitätsstörung im Bereich der rechten Hand ausschließlich um eine psychische Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens handelt.

Der Sachverständige bestätigt dabei zunächst die Auffassung des Klägers, dass bei ihm – sowohl nach den Diagnosekriterien der Weltgesundheitsorganisation als auch der Amerikanischen Psychiatervereinigung – eine Konversionsneurose vorliegt. Kennzeichen einer solchen Konversionsneurose ist nach den Ausführungen des Sachverständigen vor allem der fehlende Nachweis einer körperlichen Krankheit, die die empfundenen Symptome (i.d.R. Verlust von Hautempfindungen oder Seh-/Hör-/Riechverlust) erklären könnte sowie ein überzeugender zeitlicher Zusammenhang zwischen den Symptomen und belastenden Ereignissen, Problemen oder Bedürfnissen.

Der Sachverständige führt hierzu aus, dass sich der Kläger zum Unfallzeitpunkt in einer beruflichen und gesundheitlichen Belastungssituation befunden habe. Aus psychiatrischer Sicht erscheine es auch plausibel, dass die vom Kläger angegebene Sensibilitätsstörung im Bereich der rechten Hand einen für einen Zahnarzt entscheidenden Bereich betreffe, zumal durch den Sturz von der Leiter mit dem Anschlagen der rechten Hand auf die Regalböden die potentielle Gefährdung der (existenzsichernden) rechten Hand im psychischen Geschehen aktualisiert worden sei.

Dass sich diese Einschätzung weitgehend auf die Angaben des Klägers stützen muss, liegt nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen in der Natur der Sache, da eines der entscheidenden Diagnosekriterien für eine Konversionsneurose gerade darin besteht, dass sich eine körperliche Krankheit nicht nachweisen lässt.

Der Sachverständige weist allerdings weiter darauf hin, dass es für die Entwicklung der Konversionsneurose des Klägers unerheblich sei, ob es im Bereich der rechten Hand durch den Unfall tatsächlich zu einer Verletzung gekommen sei. Aus psychiatrischer Sicht sei schon die potentielle Gefährdung der existenzsichernden rechten Hand ausreichend, um die vom Kläger angegebene Sensibilitätsstörung zu entwickeln.

Aus den ärztlichen Untersuchungsbefunden im Zusammenhang mit dem Unfall ergäben sich auch keinerlei Hinweise auf eine Verletzung der rechten Hand. Im Befundbericht von Dr. … (Anlage K 9) heiße es wörtlich: „Die Durchblutung, Motorik und Sensibilität der Finger waren unauffällig“.

Auch eine unfallbedingte periphere Nervenschädigung könne aufgrund der ausführlichen elektrophysiologischen Diagnostik im Rahmen der neurologischen Begutachtung von Prof. … ausgeschlossen werden. Zudem habe Prof. … nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass eine Nervenschädigung bereits unmittelbar nach dem Unfall zu einer Sensibilitätsstörung hätte führen müssen.

Der durch den Unfall hervorgerufene organische Schaden im Bereich der rechten Schulter sei ungeeignet, die Sensibilitätsstörung im Bereich der rechten Hand ursächlich (mit) zu begründen, da die Symptomatik, die auf die Verrenkung des rechten Schultergelenks zurückzuführen sei, sich mit der Beschwerdesymptomatik im Bereich der rechten Hand nicht decke. Ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Beschwerden im Bereich der rechten Schulter und der angegebenen Sensibilitätsstörung im Bereich der rechten Hand könne daher auch aus psychiatrischer Sicht nicht hergestellt werden.

Es müsse daher aus psychiatrischer Sicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Konversionsneurose des Klägers um eine alleinige psychische Störung im Sinne einer Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens handele. Dafür spreche im übrigen auch der zeitliche Verlauf mit Entwicklung der Sensibilitätsstörungen erst nach Wiederaufnahme der Tätigkeit als Zahnarzt.

Diese Ausführungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar, ausführlich begründet und in sich widerspruchsfrei, so dass kein Grund dafür besteht, die Ausführungen in Zweifel zu ziehen.

cc.

Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass hier wegen verbleibender Unsicherheiten eine Beweislastentscheidung zu Lasten der Beklagten ergehen müsse.

Zwar trifft zu, dass die Beweislast für die Anwendbarkeit der „Psychoklausel“ beim Versicherer liegt (BGH VersR 2004, 1449), so dass in der Tat bei fehlendem Nachweis einer ausschließlich psychischen Reaktion zu Lasten der Beklagten zu entscheiden wäre.

Auch weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.04.2009 die Frage, ob der Kläger die Konversionsneurose auch erlitten hätte, wenn es bei einem sonst identischen Sturzgeschehen nicht zu körperlichen Verletzungen gekommen wäre, auf empirischer Grundlage nicht beantworten konnte.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich der Nachweis der allein psychischen Verknüpfung im Sinne von Ziff. 5.2.1. GUB 99 faktisch als Nachweis einer „negativen“ Tatsache darstellt. Angesichts der Möglichkeiten sowohl physischer als auch psychischer Ursachenverknüpfung, die zudem alternativ wie kumulativ möglich sind, kann der vom Versicherer verlangte Ausschlussnachweis letztlich nur im Ausschluss denkbarer physischer Verknüpfungen bestehen. Dementsprechend kann der vom Versicherer geforderte Ausschlussnachweis nicht dahin verstanden werden, dass dieser naturwissenschaftlich zwingend – positiv – eine ausschließlich psychische Ursachenverknüpfung beweisen müsste; gefordert ist von ihm vielmehr der Beweis, dass keinerlei Anhaltspunkte für eine physisch/unfallbedingte Verursachung der aufgetretenen Beeinträchtigung festgestellt werden kann (vgl. OLG …, VersR 2006, 105; …, Private Unfallversicherung, 2008, S. 204).

Genau diesen Nachweis hat die Beklagte mit den eingeholten Sachverständigengutachten geführt. Der Sachverständige hat ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen keine Anhaltspunkte für eine physisch/unfallbedingte Verursachung der Sensibilitätsstörungen festgestellt werden können. Er hat nochmals betont, dass entscheidend für die Entwicklung dieser Störung die potentielle Verletzung der rechten Hand war und dass körperliche Verletzungen allgemein keine notwendige ursächliche Bedingung für die Entwicklung einer Konversionsneurose sind.

Dass der Sachverständige Prof. Dr … die vom Kläger gestellte Ergänzungsfrage, ob der Kläger auch ohne körperliche Verletzungen eine Konversionsneurose erlitten hätte, auf empirischer Basis nicht beantworten konnte, führt nicht zu einer verbleibenden Unklarheit. Vielmehr liegt dies in der Natur der Frage, der eine hypothetische Zusatzannahme zugrunde liegt. Eine Antwort auf empirischer Basis kann auf eine solche Frage naturgemäß nicht gegeben werden.

2.

Soweit der Kläger aufgrund der vereinbarten Gliedertaxe (Nr. 72, UIVGT i. v. m. Ziff. 2.1.2.2.1 GUB 99) wegen der Funktionsbeeinträchtigung der Schulter eine höhere Invaliditätsleistung als die bezahlte begehrt, hält das Gericht eine eigene Beweisaufnahme für entbehrlich.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Privatgutachten als qualifizierter Parteivortrag verwertet werden und kann eine eigene Beweisaufnahme des Gerichts entbehrlich machen, wenn die Beweisfrage allein schon aufgrund dieses substantiierten Parteivortrags zuverlässig beantwortet werden kann (BGH, VersR 1993, 899; vgl. auch OLG …, VersR 2001, 755; OLG … VersR 2005, 679).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Die Beklagte hat zur Feststellung der unfallbedingten Invalidität des Klägers ein orthopädisches Gutachten von Prof. Dr. …, eingeholt. Der Beauftragung des Gutachters hat der Kläger nicht widersprochen. Sowohl in seinem Gutachten vom 16.2.2005 als auch in seinem Ergänzungsgutachten vom 27.04.2005 stellt Prof. Dr. … aufgrund von in jeder Hinsicht überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen eine Funktionsbeeinträchtigung des Arms von 1/10 aufgrund leichtgradiger Bewegungseinschränkungen des rechten Schultergelenkes fest.

Bei seiner Begutachtung setzt sich der Gutachter ausführlich mit den unfallnah erhobenen Befunden auseinander, erhebt ausführliche eigene Befunde und ordnet weitere diagnostische Maßnahmen an. Als ausgebildeter Orthopäde, der an einer Universitätsklinik tätig ist, verfügt der Gutachter Prof. Dr … auch über die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung von Dauerschäden.

Darüber hinaus stimmt die Einschätzung von Prof. Dr. … mit der Einschätzung von Prof. Dr. … von der Universitätsklinik … überein, den die Beklagte ebenfalls zur Feststellung der unfallbedingten Invalidität mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt hatte. Auch dieser Gutachter hat den Kläger umfassend untersucht und anhand der vorgelegten Unterlagen ein umfassendes und nachvollziehbares Gutachten erstellt. An der erforderlichen Sachkunde des Gutachters, unter anderem Mitautor eines Standardwerkes zur Bewertung von Unfallfolgen (…, Die Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane), bestehen keine Zweifel.

Den überzeugenden Feststellungen der Gutachter hat der Kläger kein substantiiertes Vorbringen entgegengesetzt, das zu einer Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zwingen würde. Er hat lediglich – ohne Angabe von Gründen – vorgetragen, die Bewertung der Funktionsbeeinträchtigung mit 1/10 sei „zu niedrig bemessen“. Da der Kläger sich nicht eingehend mit den in sich schlüssigen und fundierten Ausführungen der Gutachter auseinandergesetzt und keine konkreten Anhaltspunkte für eine unzureichende oder fehlerhafte Begutachtung aufgezeigt hat, ist das Gericht nicht gehindert, aus den von der Beklagen durchgeführten Begutachtungen die Überzeugung zu gewinnen, dass die unfallbedingte Invalidität jedenfalls nicht über 1/10 Armwert hinausgeht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, 2 ZPO.

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