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Unfallversicherung – Auslegung Erhöhung der Invaliditätsleistung

OLG Frankfurt, Az.: 12 U 150/13, Urteil vom 30.12.2014

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 30.8.2013 teilweise abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger mehr als 13.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.5.2011 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sind von dem Kläger zu 74 %, von der Beklagten zu 26 % zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind vom Kläger allein zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Unfallversicherung - Auslegung Erhöhung der Invaliditätsleistung
Symbolfoto: Von Valeri Potapova /Shutterstock.com

1. Der Kläger schloss mit der Beklagten zum 1. September 2002 einen Unfallversicherungsvertrag nach dem von ihr so genannten Tarif „BBU Luxus 99“ ab. Im Versicherungsschein vom 30.8.2002 1 heißt es unter anderem

„Versicherte Leistungen … Invalidität mit 350 % Progression 60.000,00 € … Vollinvalidität 210.000,00 € …

Die gegenseitigen Rechte und Pflichten richten sich nach … den AUB 99 – Stand 01.06.2002 … BBU Luxus 99 – Stand 01.06.2002“.

Die „Besonderen Bedingungen zu Unfallversicherung BBU Luxus 99 Stand 01.06.2002“ bestimmen in ihrem Abschnitt A.12. 2 u.a.:

Progressive Invaliditätsstaffel bis 350 % der Grundversicherungssumme …

Führt ein Unfall nach den Bemessungsgrundsätzen zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, werden der Berechnung der Invaliditätsleistung folgende Versicherungssummen zugrunde gelegt:

a) für den 25 % nicht übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die im Versicherungsschein festgelegte Invaliditätssumme,

b) für den 25 %, nicht aber 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die dreifache Summe,

c) für den 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die fünffache Summe.

Die zu zahlende Invaliditätsleistung erhöht sich aus diesen Bedingungen im Einzelnen wie folgt 3:

von %     auf %

30          40“

Der Kläger stürzte am … .12.2009 von einer Leiter und erlitt dabei Verletzungen vor allem am Fersenbein und Sprunggelenk links. Als dauernde Unfallfolge hat sich das untere Sprunggelenk versteift, das obere Sprunggelenk hat sich fast versteift, und die Beweglichkeit der Zehen ist eingeschränkt. Diese körperlichen Folgen hat der im erstinstanzlichen Verfahren mit der Begutachtung betraute Sachverständige A einem Invaliditätsgrad von 3/7 Beinwert zugeordnet 4. Diese Ausgangspunkte sind im weiteren Prozessverlauf unstreitig geworden.

Der Kläger reichte am 10.12.2009 eine Unfall-Schadenanzeige ein, deren Eingang die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2009 bestätigte 5. Mit Schreiben vom 20.7.2010 übersandte die Beklagte dem Kläger einen Vordruck „Ärztliches Zeugnis zur privaten Unfallversicherung“ und führte dazu aus, sie erbitte „zur Begründung des angemeldeten Anspruchs auf eine Invaliditätsleistung“ die Rücksendung „nicht vor Ablauf eines Jahres, spätestens jedoch bis zum 6.6.2011“ 6. Der Kläger übersandte der Beklagten später das ärztliche Zeugnis des B vom 26.11.2010 und den ärztlichen Bericht dieses Arztes vom 13.2.2011 7; dort heißt es u.a.:„… dauernde Beeinträchtigung der körperlichen … Leistungsfähigkeit (Invalidität) … linker Fuß 66 %“.

Mit Schreiben vom 14.3.2011 rechnete die Beklagte „unter Berücksichtigung der uns vorliegenden ärztlichen Unterlagen die Invaliditätsleistung nach der Gliedertaxe ab“ und bestimmte „einen Invaliditätsgrad von 17,5 %“, auf dessen Grundlage sie aus der „versicherten Invaliditätssumme von 60.000,00 € … eine Invaliditätsleistung in Höhe von 10.500,00 €“ ermittelte. Diesen Betrag zahlte sie an den Kläger aus.

Das Landgericht hat dem Kläger eine weitere Invaliditätsleistung in Höhe von 31.500,00 € zugesprochen; es ist hierbei davon ausgegangen, dass die Leistung, welche zunächst in zwei Stufen gemäß der „Besonderen Bedingungen zu Unfallversicherung BBU Luxus 99 / A.12. a) und b)“ zu berechnen sei, um den in der dort anschließenden Tabelle bezeichneten Wert zu erhöhen sei. Wegen der vom Landgericht getroffenen Feststellungen und der im Einzelnen gefundenen Gründe wird auf das Urteil vom 30.8.2013 verwiesen.

Mit ihrer Berufung verficht die Beklagte eine Berechnung der Invaliditätsleistung auf der Grundlage einfacher Anwendung von A.12. a) und b) der „BBU Luxus 99 / A.12. a) und b)“ zur Höhe von insgesamt 24.000,00 € und beschränkt ihre Berufung auf den Teil ihrer erstinstanzlichen Verurteilung, der den Betrag weiterer Invaliditätsleistung von 13.500,00 € nebst anteiliger vorgerichtlicher Kosten übersteigt 8.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger mehr als 13.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.5.2011 zu zahlen, und die Klage auch abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt ist, an den Kläger mehr als 369,00 € an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit am 13.10.2011 zu zahlen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das am 30. August 2013 verkündete Urteil des Landgerichts Darmstadt, Az. 17 O 386/11 zurückzuweisen.

Er schließt sich der vom Landgericht angestellten Berechnung für die zweite Instanz an.

Wegen des zweitinstanzlichen Vortrages der Parteien im Einzelnen wird auf die vor dem Senat gewechselten Schriftsätze verwiesen.

2. Die Berufung der Beklagten ist in der Hauptsache begründet. Das Landgericht hätte die dem Kläger zustehende Invaliditätsleistung nicht höher als auf insgesamt 24.000,00 € bemessen dürfen, ihm also, nachdem die Beklagte vorprozessual bereits 10.500,00 € gezahlt hatte, nicht mehr als weitere 13.500,00 € zusprechen dürfen.

a) Es steht nunmehr außer Streit, dass das Ereignis vom … 12.2009 Unfall im Sinne der AUB 99 war und auch die dauerhafte unfallbedingter Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit im Sinne bedingungsgemäßer Invalidität rechtzeitig ärztlich festgestellt wurde, des Weiteren, dass der unfallbedingte Invaliditätsgrad mit 30 % zu bemessen ist.

b) Der Senat teilt die Auslegung der Tarifbedingungen zur Berechnung der Invaliditätsleistung gemäß der „BBU Luxus 99 / A.12. a) und b)“, die der Kläger verfolgt und die dem angefochtenen Urteil auch zugrunde liegt, nicht.

c) Versicherungsbedingungen sind – worauf der Kläger zu Recht hinweist – auszulegen nach den Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen, mit versicherungsrechtlichen Spezialkenntnissen nicht belasteten Versicherungsnehmers, der die Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und ihren Sinnzusammenhang, soweit er dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar ist, in den Blick nimmt.

Nach der Einschätzung des Senats kann der verständige, unbelastete Versicherungsnehmer der umstrittenen Tarifbedingung allein entnehmen, dass die Regelungen zu lit. A.12. a), b) und c) der der „BBU Luxus 99“ den Umfang der Progression abschließend umschreiben und die angeschlossene, mit dem Satz „Die zu zahlende Invaliditätsleistung erhöht sich aus diesen Bedingungen im Einzelnen wie folgt:“ eingeleitete Tabelle keine weitere Erhöhung der Invaliditätsleistung umschreibt, vielmehr nur zum erleichterten Verständnis die Ergebnisse der Berechnung darstellt, die sich aus der Anwendung der ihr vorangehenden, zu den vorstehenden lit. a) – c) getroffenen Regelungen ergeben.

Dies folgt für den verständigen Leser gleichviel, ob er versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse hat oder nicht, schon aus dem unmittelbaren Wortlaut der Ziff. 12: Heißt es einleitend „… werden der Berechnung der Invaliditätsleistung folgende Versicherungssummen zugrunde gelegt“, dann ist diese Formulierung eindeutig eine abschließende, bedeutet also, dass das in den folgenden drei Absätzen – lit. a) – c) – Bestimmte die Berechnungsgrundlagen abschließend formuliert. Nichts anderes umschreibt der zur Tabelle überleitende Satz mit den Worten „erhöht sich aus diesen Bedingungen im Einzelnen“, konnten doch andere als die vorstehenden Bedingungen zu lit. a) – c) nicht gemeint sein.

Die Tabelle selbst macht ihrerseits und nunmehr nicht sprachlich, sondern rechnerisch dasselbe deutlich: Ihr Endwert einer Erhöhung von 100 % auf 350 % gibt exakt das Berechnungsergebnis wieder, das sich aus den zu lit. a) – c) formulierten Bedingungen ergibt: 25/100 (lit. a]) + 3 x 25/100 (lit. b]) + 5 x 50/100 (lit.c]) = 25/100 + 75/100 + 250/100 = 350/100 oder 350 %.

Eine letzte Bestätigung findet der abschließende Charakter der zu lit. a) – c) getroffenen Regelungen im Versicherungsschein selbst, ist dort doch die Invaliditätsleistung bei Vollinvalidität mit dem Wert von 350 % der Versicherungssumme von 60.000,00 €, 210.000,00 € angegeben.

Alles dies konnte der verständige, unbelastete Versicherungsnehmer bei sorgfältiger Lektüre nicht missverstehen. Für die vom Kläger gefundene hiervon abweichende Auslegung bleibt kein Raum.

d) Damit ergibt sich die folgende Berechnung der bedingungsgemäß geschuldeten Invaliditätsleistung:

Für den 25 % nicht übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades ist die zwischen den Parteien festgelegte Invaliditätssumme von 60.000,00 € zu Grunde zu legen; in die Rechnung ist also einzustellen ein Teilbetrag von 25 % von 60.000,00 € = 15.000,00 €.

Für den 25 %, nicht aber 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades, also für die bis zum unstreitig geltenden Invaliditätsgrad von 30 % verbleibenden 5 % ist das Dreifache der vereinbarten Versicherungssumme, also 180.000,00 € zugrunde zu legen; einzustellen ist damit ein Teilbetrag von 5 % aus 180.000,00 € = 9.000,00 €.

Insgesamt ergibt sich eine Invaliditätsleistung von insgesamt 24.000,00 €.

e) An vorgerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung hat die Beklagte nur den Gebührenaufwand zu ersetzen, der für die Geltendmachung des Betrages angefallen wäre, wäre der seinerzeitige anwaltliche Vertreter des Klägers nur in diesem Umfang mandatiert worden; zu ersetzen ist mithin nur der Gebührenaufwand, der dem damals noch offenen Betrag von 13.500,00 € entsprach. Dies sind 1,3 Gebühren aus diesem Wert zuzüglich Postpauschale und Umsatzsteuer, insgesamt 899,40 €. Damit stand dem Kläger der ihm seitens des Landgerichts zugesprochene Betrag von 723,78 € auf diese Position zu.

f) Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 92Abs. 1 und 2, 708 Nr. 10,711 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Zulassung der Revision erachtet der Senat nicht für gegeben.

Fußnoten

1)

Bl. 12 d.A.

2)

Bl. 15 d.A.

3)

angefügt ist eine Tabelle, die unter anderem die oben wiedergegebenen Zeilen enthält

4)

Bl. 148 ff d.A.

5)

Bl. 29 – 31 d.A.

6)

Bl. 32 d.A.

7)

Bl. 33 – 37 d.A.

8)

… und diesen Ansatz auf die weiter geltend gemachten zugesprochenen vorgerichtlichen Anwaltskosten überträgt …

 

3. für versicherungsrechtsiegen.de

Krankentagegeldversicherung – Wirksamkeit der Herabsetzung des Krankentagegeldes bei Absinken des Nettoeinkommens

OLG Karlsruhe

Az.: 9a U 15/14

Urteil vom 23.12.2014

unter den der Erstbemessung des Krankentagegeldes zugrunde gelegten Betrag

 

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 18.11.2013 im Kostenpunkt aufgehoben, im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die von der Beklagte mit Schreiben vom 25.07.2012 erklärte Herabsetzung des versicherten Krankentagegeldes von ursprünglich 100 € pro Tag ab dem 01.09.2012 auf 62 € pro Tag unwirksam ist.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien sind u.a. durch eine Krankentagegeldversicherung verbunden und streiten über die Berechtigung der Beklagten, einseitig die Höhe des Krankentagegeldes herabzusetzen. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Krankentagegeldanspruch in der zunächst vereinbarten Höhe von 100 € pro Tag weiter bestehe.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 18.11.2013 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass auf der zwischen den Parteien für die Krankentagegeldversicherung vereinbarten vertraglichen Grundlage der Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KT) 2009 in Verbindung mit den Tarifbedingungen der Beklagte die Höhe des Krankentagegeldes vom Nettoeinkommen abhänge, nicht vom Bedarf. Selbst wenn die Versicherungsagentin der Beklagten bei Vertragsschluss für die Höhe des Krankentagegeldes auf seinen Bedarf als selbständiger Handwerker abgestellt habe und nicht auf das Nettoeinkommen, könne der Kläger mit seiner Klage keinen Erfolg haben. Daraus könne keine Änderung der vertraglichen Grundlagen abgeleitet werden. Für einen den Klageantrag tragenden Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 5 VVG fehle es an relevantem Vortrag zum beratungsgerechten Verhalten. Die Beklagte sei vertraglich berechtigt gewesen, das Krankentagegeld von ursprünglich 100 € auf 62 € pro Tag herabzusetzen. Entgegen der Meinung des Klägers, die maßgebliche Vorschrift verstoße gegen AGB-Recht, halte diese der AGB-Kontrolle stand.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Das Gericht sei rechtsfehlerhaft dem gestellten Beweisantrag auf Vernehmung der Versicherungsagentin S. (vom Kläger fehlerhaft mit falschem Vornamen, aber korrekter ladungsfähiger Anschrift benannt) nicht nachgekommen. Da diese beim Kläger den Bedarf im Krankheitsfalle, den der Kläger als selbstständiger Handwerker auf Vorschlag der Zeugin mit 100 € pro Tag angesetzt habe, und nicht sein Nettoeinkommen abgefragt habe, sei dieser Betrag unabhängig von der Entwicklung seines Nettoeinkommens nach den Grundsätzen der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung maßgeblich. Da ein ursprüngliches Nettoeinkommen des Klägers, auf das eine Bemessung des Krankentagegeldes ursprünglich bezogen gewesen sein könnte, von der Beklagten nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich sei, fehle es an den Voraussetzungen für eine Neufestsetzung. Schließlich halte die maßgebliche Klausel einer AGB-Kontrolle nicht stand, weil der Kläger dadurch unangemessen benachteiligt werde, dass die Beklagte zur nachträglichen Erhöhung des Krankentagegeldes nach einer früher erfolgten Herabsetzung ohne erneute Gesundheitsprüfung bei einer späteren Erhöhung seines Nettoeinkommens nicht verpflichtet sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 18.11.2013 abzuändern:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, das, mit der zwischen den Parteien abgeschlossenen Krankentagegeldversicherung, Mitglieds-Nummer: …, nach dem Tarif TA IV versicherte Krankentagegeld i.H.v. 100 Euro pro Tag, ab dem 01.09.2012 auf 62 € pro Tag herabzusetzen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Eine Individualabrede sei nicht geschlossen worden, die vom Kläger als Versicherungsagentin benannte Zeugin sei der Beklagten unbekannt. Die streitgegenständliche Vorschrift sei wirksam und halte der AGB-Kontrolle stand. Durch die Möglichkeit des Absenkens von Versicherungsleistung und Beitrag sei es dem Versicherer möglich, das subjektive Risiko der Inanspruchnahme, nämlich durch eine Erkrankung ein höheres Einkommen aufgrund von Versicherungsleistungen erzielen zu können als durch die eigene Erwerbstätigkeit, zu begrenzen. Das sei ein legitimer Zweck. Die vom Kläger begehrte Erhöhungsmöglichkeit ohne erneute Risikoprüfung bei höherem Nettoeinkommen ergebe sich aus den Tarifbedingungen zu § 2 MB/KT 2009. Als maßgebliches Nettoeinkommen seien die Einkünfte aus Gewerbebetrieb abzüglich der Einkommensteuer zuzüglich der Versicherungsprämien anzusehen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin S.. Für deren Bekundungen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.12.2014 verwiesen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil ist abzuändern. Die einseitige Herabsetzung des Krankentagegeldes auf 62 € pro Tag durch die Beklagte ist ohne vertragliche Grundlage erfolgt und damit unwirksam.

1. Das besondere Feststellungsinteresse des Klägers, vgl. § 256 ZPO, ergibt sich aus der jederzeit bestehenden Möglichkeit des Eintritts des Versicherungsfalles.

2. Eine mögliche Anpassung der Höhe des Krankentagegeldes scheitert nicht bereits daran, dass beim Vertragsschluss kein bestimmtes Nettoeinkommen zugrunde gelegt worden wäre (vgl. OLG Saarbrücken ZfS 2002, 445; Bach/Moser/Wilmes, Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, MB/KT § 4 Rn. 16; Prölss/Martin/Voit, VVG, 28. Aufl. 2010, MB/KT 2009 § 4 Rn. 10 m.w.N.; anders noch OLG Karlsruhe VersR 82, 233). Die Beklagte, die die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 MB/KT – und damit auch für das zunächst zugrunde gelegte und später veränderte Nettoeinkommen – trägt (s. OLG Saarbrücken ZfS 2002, 445), hat nachgewiesen, dass die von den Parteien zunächst vereinbarte Tagesgeldhöhe auf Grundlage des Nettoeinkommens gebildet wurde.

Nach Einvernahme der Zeugin S. ist der Senat davon überzeugt, dass der Ansatz des Tagegeldes mit 100 € auf den Angaben des Klägers zu seinen Nettoeinkünften beruht. Die Zeugin hat glaubhaft bekundet, dass sie zwar keine konkrete Erinnerung an die Vertragsgespräche mehr habe (s. Protokoll v. 04.12.2014, S. 3), was nach über acht Jahren bei einem typischen Beratungs- und Abschlussgespräch ohne Besonderheiten zu erwarten war. Sie hat jedoch den üblichen Ablauf eines Beratungsgespräches und die von ihr normalerweise abgegebenen Erklärungen plausibel und plastisch geschildert. Danach frage sie bei Ziff. 5 des Antragsformulars – wie dort vorgesehen – nach dem Nettoeinkommen. Sie erkläre dazu, dass das Krankentagegeld nur zur Absicherung des Einkommensausfalls bestimmt sei, nicht dazu, sich zu bereichern. Sie gehe üblicherweise von den vom Antragsteller angegebenen Zahlen aus, Unterlagen oder Belege verlange sie – entsprechend der Forderung der Beklagten – erst ab einem Tagesgeldsatz von 175 € (ebd., S. 3 f.). Diesen Gesprächsinhalt legt der Senat auch für den vorliegenden Fall zugrunde. Soweit der Kläger angegeben hat, er habe beim Ausfüllen des Versicherungsantrages mit der Zeugin S. auch auf Nachfrage keinen Orientierungswert für sein Nettoeinkommen angeben können, worauf die Zeugin S. erklärt habe, er müsse als Handwerker 100 € pro Tag haben, damit seien seine Kosten abgedeckt, stellt das die Aussage der Zeugin nicht ernsthaft in Frage. Auch der Kläger konnte sich nur noch rudimentär an die Inhalte des Gesprächs erinnern. Dass er gerade bezogen auf den behaupteten Wortwechsel eine so klare Erinnerung haben will, obwohl dieser Punkt nur am Rande thematisiert wurde (ebd., S. 2) und mindestens bis zur Klage für den Kläger belanglos gewesen sein dürfte, ist wenig nachvollziehbar.

Auf die Frage, ob sich ein Anspruch des Klägers auf Grundlage der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung (vgl. BGH VersR 2001, 1502; KG VersR 2004, 723) ergeben könnte, kommt es damit nicht mehr an.

3. Die einseitige Anpassung von Krankentagegeld und Beitrag durch die Beklagte ist jedoch deshalb unwirksam, weil die Regelungen in § 4 Abs. 4 i.V.m. § 2 Abs. 2 MB/KT einer AGB-rechtlichen Kontrolle nicht standhalten.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind Allgemeinen Geschäftsbedingungen gleichstehend und unterliegen der AGB-Kontrolle (BGH VersR 2013, 1397). Für die Beurteilung ihrer Wirksamkeit sind allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH VersR 2014, 625, 627; st. Rspr.).

Wenn nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind, ist von der Auslegung auszugehen, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt (s. Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Auflage 2014, § 305c Rn. 15, 18), weil die kundenfeindlichste Auslegung in diesem Falle in Wahrheit die dem Versicherungsnehmer günstigste Auslegung ist, § 305c Abs. 2 BGB.

a. Die tatsächlichen Voraussetzungen der Einbeziehung des Bedingungswerkes der Beklagten in den Vertrag sind unstreitig. Die Einbeziehung von § 4 Abs. 4 MB/KT scheitert auch nicht daran, dass die Klausel ungewöhnlich und überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB wäre (s. OLG München r+s 2012, 607, zust. Fuchs, jurisPR-VersR 11/2012 Anm. 1). Es handelt sich bei Regelungen, die die Möglichkeit eröffnen, ein Dauerschuldverhältnis an neue tatsächliche Umstände anzupassen, nicht um ungewöhnliche Klauseln, denen ein Überraschungsmoment innewohnt, weil eine solche Regelung üblich ist, um bei langfristigen Verträgen die Interessen beider Parteien zu wahren. Auch die Stellung der Regelung im Bedingungswerk der Beklagten unter dem Titel „Umfang der Leistungspflicht“ ist nicht zu beanstanden.

b. Die Inhaltskontrolle führt zur Unwirksamkeit der Vorschriften. § 4 Abs. 4 MB/KT benachteiligt den Kläger entgegen des Gebotes von Treu und Glauben unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1BGB.

aa. § 4 Abs. 4 MB/KT gestattet es dem Versicherer, seine Leistung einseitig für die Zukunft herabzusetzen, unabhängig davon, ob der Versicherungsfall bereits eingetreten ist oder nicht. Voraussetzung dieser Leistungsbeschränkung ist, dass das Nettoeinkommen des Versicherten unter die Höhe des dem Vertrag zugrunde gelegten Einkommens gesunken ist. Die Herabsetzung von Krankentagegeld und Beitrag erfolgt dann entsprechend dem geminderten Nettoeinkommen.

Damit wird dem Versicherer ein Entschließungsermessen eingeräumt, ob er seinen Leistungsumfang für die Zukunft entsprechend mindern will oder nicht. Das benachteiligt den Versicherungsnehmer, der sich nicht auf einen Fortbestand des Vertrages, so wie er ursprünglich abgeschlossen wurde, verlassen kann.

bb. Benachteiligungen des Versicherungsnehmers durch die Vertragsbedingung sind dann unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn der Versicherer durch eine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH NJW 2010, 57; Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Auflage 2014, § 307 Rn. 12). Dies ist vorliegend der Fall.

(1) In der Krankentagegeldversicherung bietet der Versicherer dem Versicherungsnehmer Schutz gegen Verdienstausfall bei Arbeitsunfähigkeit, § 1 Abs. 1 MB/KT. Der Versicherungsnehmer deckt damit Risiken ab, die durch die Möglichkeit eines Wegfalls des Lohnanspruchs im Krankheitsfall oder des Ausfalls der Arbeitskraft zur selbständigen Erzielung eines Einkommens entstehen (s. Bach/Moser/Wilmes, Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, MB/KT § 1 Rn. 2). Sie ist Summen-, nicht Schadensversicherung (s. BGH VersR 2001, 1100), weil die vom Versicherer zu erbringende Leistung betragsmäßig bereits vor dem Versicherungsfall feststeht.

Dabei hat der Versicherer ein Interesse daran, die Gefahr zu begrenzen, dass er aufgrund eines Verschuldens des Versicherungsnehmers zu Unrecht (insb. betrügerisch) in Anspruch genommen wird. Diese Gefahr ist bei der Krankentagegeldversicherung, deren Versicherungsfall nicht vollständig objektivierbar und auch vom Versicherungsnehmer abhängig ist und die außerdem unabhängig von einem konkreten Schaden eintritt, besonders hoch (s. Bach/Moser/Wilmes, Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, MB/KT § 4 Rn. 6). Deshalb ist es legitim, zu diesem Zweck die Höhe der Leistungen so anzupassen, dass jedenfalls keine höheren Einkünfte durch eine Arbeitsunfähigkeit erzielt werden können als durch die berufliche Tätigkeit (s. OLG München r+s 2012, 607). Dem dient das Herabsetzungsverfahren nach § 4 Abs. 4 MB/KT.

(2) Dabei sind indes auch die Interessen des Versicherungsnehmers angemessen zu berücksichtigen. Das ist durch die Versicherungsvertragsbedingungen nicht ausreichend gewährleistet.

(aa) Aus § 4 Abs. 4 MB/KT ist ein Zeitraum, innerhalb dessen der Versicherer berechtigt ist, das Krankentagegeld herabzusetzen, nicht ersichtlich.

Die frühestmögliche Wirkung der Herabsetzung tritt bedingungsgemäß zu Beginn des zweiten Monats nach Kenntniserlangung des Versicherers vom Absinken des Nettoeinkommens ein. Sollte diese Frist den Versicherungsnehmer schützen, ihm insbesondere die Möglichkeit eröffnen, sich auf die neue Situation einzustellen, wäre es interessengerecht, den Eintritt zwei Monate nach Zugang einer entsprechenden Erklärung beim Versicherten zu vereinbaren. Selbst wenn der Versicherte weiß, dass sein Nettoeinkommen abgesunken ist und er dies der Versicherung offenbart hat, also weiß, dass eine Herabsetzung möglich wäre, wäre eine solche Gestaltung sinnvoll, weil die Herabsetzung im Ermessen der Versicherung steht. Zwar kommt es abweichend vom Wortlaut nach der obergerichtlichen Rechtsprechung tatsächlich nicht auf die Kenntnis des Versicherers, sondern auf den Zeitpunkt des Zugangs der Herabsetzungserklärung an (OLG Hamm VersR 1983, 1177; OLG Stuttgart VersR 1999, 1138; OLG Frankfurt VersR 1999, 1138; OLG Frankfurt VersR 2001, 318; Prölss/Martin/Voit, VVG, 28. Aufl. 2010, MB/KT 2009 § 4 Rn. 22; Nachweise zur kontroversen Literaturmeinung bei Bach/Moser/Wilmes, Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, MB/KT § 4 Rn. 14). Dieses Verständnis dürfte sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht und verständiger Würdigung der Bedingungen der Beklagten indes kaum ergeben und lässt sich im Rahmen der kundenfeindlichsten Auslegung so auch nicht zugrunde legen.

(bb) Ein letztmöglicher Zeitpunkt einer Herabsetzung ist in den Bedingungen nicht geregelt. Die Klausel schließt es nicht aus, dass der Versicherer auch nach Ablauf der Zweimonatsfrist die Herabsetzung erklärt (s. BGH VersR 2001, 1100; Bach/Moser/Wilmes, Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, MB/KT § 4 Rn. 14; Prölss/Martin/Voit, VVG, 28. Aufl. 2010, MB/KT 2009 § 4 Rn. 23). Der Versicherer kann also mit der Herabsetzung ohne weiteres bis zum Versicherungsfall abwarten und bis dahin Prämien für einen Risikoschutz vereinnahmen, bei dem sich das Risiko bekanntermaßen nicht realisiert hat. Im Versicherungsfall lassen sich dann Leistungen und Prämien herabsetzen für ein bekannt realisiertes Risiko. Damit wird – jedenfalls bei Selbständigen, deren Einkommen regelmäßig Schwankungen unterworfen ist und so häufiger Anpassungsmöglichkeiten eröffnen dürfte – das Äquivalenzverhältnis der Leistungen nachträglich einseitig änderbar.

(cc) Das ist insbesondere dann problematisch, wenn das Einkommen in Folge der Arbeitsunfähigkeit weiter sinkt, so dass schrittweise eine Reduzierung der Versicherungsleistungen bis auf Null denkbar ist (OLG München r+s 2012, 607; Bach/Moser/Wilmes, Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, MB/KT § 4 Rn. 13). Damit verliert der Versicherte gerade die Absicherung, die er durch seine Prämienzahlungen erreichen wollte. Soweit das OLG München die Rechtfertigung für die so mögliche Herbeiführung der Leistungsfreiheit des Versicherers im Fall des Eintritts des versicherten Risikos im generell fehlenden „‘Rundumschutz‘ gegen negative finanzielle Auswirkungen krankheitsbedingter Beeinträchtigungen der Arbeitskraft“ (OLG München a.a.O.) durch die Krankentagegeldversicherung sieht, überzeugt das den Senat nicht. Das Argument, das Krankentagegeld sichere etwaige negative Auswirkungen von Arbeitsunfähigkeitszeiten auf die Erwerbsmöglichkeiten in gesunden Tagen nicht ab – entsprechend auch keine Reflexwirkungen daraus, lässt nicht ohne weiteres erkennen, welche Sachverhalte damit angesprochen sind. Zutreffend ist, dass mit dem Krankentagegeld nicht der Verlust von Know-How, Marktpräsenz, Markenwert u. dgl., die durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit eines Selbständigen entstehen können, ausgeglichen wird. Diese Nachteile realisieren sich regelmäßig nach Ende der Arbeitsunfähigkeit in gesunden Tagen. Sinkt dadurch das Nettoeinkommen, ist insoweit eine Anpassung von Tagegeld und Beitrag interessengerecht. Problematisch hingegen ist ein Absinken des Nettoeinkommens allein aufgrund der Arbeitsunfähigkeit, gegen deren finanziellen Folgen sich der Versicherungsnehmer ja gerade versichern wollte und deren Ziel gerade im Aufrechterhalten des Einkommens auf dem Niveau des bisherigen Nettoeinkommens besteht.

 

Ein solcher Effekt dürfte seine Rechtfertigung auch kaum darin finden, dass in der Regel nur schwer feststellbar sein wird, welcher Anteil eines Einkommensrückgangs bei einem Selbständigen auf Arbeitsunfähigkeitszeiten zurückgeht und welcher sich auf sonstige Gründe zurückführen lässt, z.B. gewisse Einschränkungen der Leistungsfähigkeit in einem Umfang, der nicht vom Versicherungsschutz gedeckt ist, oder sonstige Ursachen, in die der Versicherer keine Einblicke hat (so aber OLG München, a.a.O., zust. Fuchs, jurisPR-VersR 11/2012 Anm. 1). Ein solches Problem ließe sich durch die einfache Addition der Versicherungsleistungen aus der Krankentagegeldversicherung zum sonstigen Nettoeinkommen beheben, denn im Krankentagegeld drückt sich der Einkommensverlust durch die Arbeitsunfähigkeit aus.

Eine Regelung, die auf diese Interessenlage des Versicherten Rücksicht nimmt, ist den Bedingungen der Beklagten nicht zu entnehmen.

(dd) Schließlich wird auch dem Interesse des Versicherten auf eine spätere Erhöhung von Krankentagegeld und Beitrag nach einer früheren Herabsetzung wegen eines verminderten Nettoeinkommens nicht Rechnung getragen.

Das Verfahren zur Erhöhung des Versicherungsschutzes ist im Rahmen der Tarifbedingungen der Beklagten nachfolgend zu § 2 MB/KT – Beginn des Versicherungsschutzes – geregelt. Danach bietet der Versicherer mindestens alle drei Jahre Gelegenheit, das vereinbarte Krankentagegeld ohne erneute Wartezeiten und Risikoprüfung zu erhöhen. Diese Erhöhung bemisst sich üblicherweise nach der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (zur Orientierung: 2009 bis 2015 ø 1,92 % p.a.). Dann heißt es in den Bedingungen:

„Sofern eine darüber hinausgehende Erhöhung des Nettoeinkommens (vgl. § 4 Abs. 2 MB/KT 2009) nachgewiesen wird, erfolgt diese Anpassung aufgrund der individuellen Entwicklung des Nettoeinkommens. … Nimmt der Versicherungsnehmer an zwei aufeinanderfolgenden Leistungsanpassungen nicht teil, ohne dass ein Grund nach § 4 Abs. 2 MB/KT 2009 vorliegt, so erlischt der Anspruch auf künftige Leistungsanpassungen nach Abs. 1 dieser Vorschrift. Eine erneute Teilnahme kann zugelassen werden, wenn ein ärztliches Zeugnis über den Gesundheitszustand der zu versichernden Person vorgelegt wird.“

Die danach folgenden Sonderregeln für Arbeitnehmer in einem festen Arbeitsverhältnis sind vorliegend nicht einschlägig.

Daraus ergibt sich, dass der versicherte Selbständige eine Erhöhung von Leistung und Betrag nur aufgrund eines Angebotes der Beklagten erreichen kann. Spätestens alle drei Jahre besteht ein Anspruch auf ein solches Angebot. Dieses Angebot bemisst sich, wenn eine Erhöhung des Nettoeinkommens im Vergleich zum zuletzt zugrundeliegenden Nettoeinkommen nachgewiesen wird, nach der „Entwicklung des Nettoeinkommens“. Ob damit ein sachlicher Unterschied zu § 4 Abs. 4 MB/KT gemacht werden soll, in dem die Höhe des Krankentagegeldes „entsprechend dem geminderten Nettoeinkommen“ herabgesetzt werden kann, ist unklar.

Hat der Versicherungsnehmer an zwei aufeinanderfolgenden Leistungsanpassungen, z.B. im Rahmen der üblichen Erhöhungen unabhängig von einem veränderten Nettoeinkommen nicht teilgenommen, verliert er das Recht auf künftige Leistungsanpassungen. Sinkt also nun sein Nettoeinkommen und wird entsprechend § 4 Abs. 4 MB/KT angepasst, hat er – ohne erneute Risikoprüfung – keine Möglichkeit mehr, eine Erhöhung zu erreichen. Ob er dann zur Teilnahme am Erhöhungsverfahren überhaupt zugelassen wird, steht im Ermessen des Versicherers.

Diese Asymmetrie des Anpassungsverfahrens für Versicherungsnehmer und Versicherung führen in Literatur und Rechtsprechung zu erheblichen Bedenken gegen das Klauselwerk (OLG München, a.a.O.; Fuchs, a.a.O.; Prölss/Martin, a.a.O., Rn. 20, unter Verweis auf BGH NJW 1992, 1164, der eine endgültige und ersatzlose Beendigung einer einmal begründeten Krankentagegeldversicherung als empfindliche Beeinträchtigung der Position des Versicherungsnehmers in rechtlicher wie in wirtschaftlicher Hinsicht ansieht, da der Versicherungsnehmer damit die Chance verliere, sich wieder sachgerecht versichern zu können). Als Ausgleich für den Versicherungsnehmer wird in der Regel eine Anwartschaftsversicherung, ein Anwartschafts- oder Anpassungsrecht erwogen, das eine Wiedererhöhung der Versicherung – ohne erneute Risikoprüfung – ermöglichen soll (ebd.). Da das Bedingungswerk der Beklagten entsprechende Regelungen nicht vorsieht, ist dieser Weg im Rahmen der Klauselkontrolle zunächst verschlossen (keine geltungserhaltende Reduktion, s. BGHZ 84, 114, anders OLG München a.a.O.).

Damit hat die Beklagte in ihrem Regelwerk ein an sich legitimes Anpassungsverfahren an die sich im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ändernden Verhältnisse zum Schutz vor der Erhöhung ihres subjektiven Risikos in einer Weise umgesetzt, die in wesentlichen Teilen auf Kosten des Versicherungsnehmers geht. Dabei wurden dessen Belange beim Vertrauensschutz zu Beginn des Verfahrens, bei der zeitlichen Begrenzung des Verfahrens und der nachträglichen einseitigen Leistungsänderung bis zu einem Krankentagegeld von Null nicht hinreichend berücksichtigt und ihm auch im Erhöhungsverfahren ein angemessener Ausgleich nicht zugestanden.

c. Die Regelungen zur Herabsetzung des Krankentagegeldes verstoßen im Übrigen gegen das Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, und sind auch deshalb unwirksam.

Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Bei einer den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklausel muss der Versicherungsnehmer den danach noch bestehenden Umfang der Versicherung erkennen können (BGH VersR 2013, 1397).

Diesen Anforderungen hält das Klauselwerk der Beklagten nicht stand.

aa. Aus den bereits oben ausgeführten Gründen ist für den beruflich selbständigen Versicherungsnehmer insbesondere die Entwicklung seines Versicherungsschutzes kaum absehbar. Die Umstände und der Ablauf einer möglichen Absenkung des Krankentagesgeldes und die danach nur bedingt mögliche Aufstockung sind aus den Bedingungen zunächst nicht zu ersehen.

bb. Unklar ist aber auch, welcher Stichtag für die Berechnung des Nettoeinkommens aus dem Durchschnittseinkommen der letzten 12 Monate nach § 4 Abs. 2 MB/KT maßgeblich sein soll. Dort wird der Zeitraum vor Antragstellung bzw. vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit genannt. Damit ergeben sich drei mögliche Anknüpfungspunkte: Der Zeitpunkt der Stellung des Versicherungsantrags, der Zeitpunkt der Stellung des Leistungsantrags und der Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit. Welcher Zeitpunkt tatsächlich maßgeblich sein soll, lässt sich auch im Wege der Auslegung nicht ermitteln (so ebenfalls OLG Hamm VersR 2000, 750). Soweit es bei der Erhöhung des Versicherungsschutzes auf ein gestiegenes Nettoeinkommen ankommt, ist der Stichtag überhaupt nicht ersichtlich. Der dann notwendige Nachweis kann den Versicherungsnehmer dazu zwingen, Zwischenbilanzen zu erstellen, um diesen Nachweis zu führen. Eine zutreffende Beurteilung ist im Allgemeinen erst nach Fertigstellung der Einkommensteuererklärung möglich, was bei Selbständigen häufig Jahre dauert (so Bach/Moser/Wilmes, a.a.O., Rn. 18), wobei allerdings nach Ansicht des OLG Brandenburg das steuerliche Einkommen grundsätzlich nicht mit dem Nettoeinkommen nach § 4 Abs. 2 MB/KT gleichzusetzen sei (VersR 2005, 820).

cc. Auch der Begriff des Nettoeinkommens in § 4 Abs. 2 MB/KT ist unbestimmt und in der Rechtsprechung und Lehre umstritten (Betrag, der nach Abzug von Betriebskosten, Abgaben und Steuern verbleibt: OLG Dresden VersR 2014, 364; Bruttobetriebseinnahmen abzüglich Steuern: OLG Brandenburg VersR 2005, 820; Bruttoeinkünfte abzüglich Abgaben und Steuern, nicht aber Geschäftskosten: Prölss/Martin, a.a.O., § 4 MB/KT Rn. 3). Wie der Betrag letztlich berechnet wird, ist aus den Bedingungen nicht zu ersehen.

dd. § 4 Abs. 3 MB/KT, der dem Versicherungsnehmer aufgibt, unverzüglich eine Minderung seines Nettoeinkommens mitzuteilen, soweit diese Minderung nicht nur vorübergehend ist, ist bei Selbständigen problematisch. Jedes Einkommen in einer konkreten Höhe eines Selbständigen ist naturgemäß nur vorübergehend (so auch Bach/Moser/Wilmes, a.a.O., Rn. 18). Wann also eine Vertragsanpassung droht und wann noch nicht, ist für den Versicherungsnehmer nur schwer einzuschätzen.

Soweit der BGH in seiner Entscheidung vom 04.07.2001 (VersR 2001, 1100) die Wirksamkeit von § 4 MB/KT 94 nicht problematisiert hat, folgte die Erörterung der Vorschrift in diesem Urteil erkennbar aus einer ganz anderen Perspektive. Dort ging es allein um die Frage, ob die Krankentagegeldversicherung eine Summen- oder Schadensversicherung ist. Es war insoweit nur problematisch, ob die dort vorgesehene Anpassungsfähigkeit des Tagegeldsatzes und Beitrags an das Nettoeinkommen der Einschätzung der Krankentagegeldversicherung als einer Summenversicherung zuwiderliefe. Ein Argument für oder gegen die Wirksamkeit der Vorschrift nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen ergibt sich damit nicht.

d. Rechtsfolge des Verstoßes ist die Unwirksamkeit der Klausel bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Versicherungsvertrages im übrigen, § 306 Abs. 1 BGB. Damit entbehrt die Reduzierung des Krankentagegeldes durch die Beklagte einer vertraglichen Grundlage und ist daher ebenfalls unwirksam.

e. Eine ergänzende Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157,242 BGB dergestalt, dass für den Versicherer die Möglichkeit der Reduzierung von Krankentagegeld und Beitrag bei sinkendem Nettoeinkommen besteht, kommt nicht in Betracht.

Für das Versicherungsvertragsrecht ist es typisch, dass im Falle einer Klauselunwirksamkeit nach dem AGB-Recht dispositive Gesetzesbestimmungen nicht zur Verfügung stehen, so dass das Regelungsgefüge eine Lücke aufweist. Eine ergänzende Vertragsauslegung ist in derartigen Fällen möglich. Allerdings ist besonders darauf zu achten, dass sie nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führt. Außerdem ist es gemäß § 306 Abs. 3 BGB notwendig, dass sich feststellen lässt, für den Versicherer sei es unzumutbar, an dem lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden. Andererseits muss der ergänzte Vertrag für den Versicherungsnehmer typischerweise von Interesse sein (BGH VersR 1992, 477).

Entfällt die Möglichkeit zur Anpassung des Krankentagegeldes an das Nettoeinkommen des Versicherten, ist es nach Ansicht des Senats nicht unzumutbar, den Versicherer am insoweit lückenhaften Vertrag festzuhalten. Zwar widerspricht ein vom Verdienst abgekoppeltes Krankentagegeld zunächst dem Zweck der Krankentagegeldversicherung, den Verdienstausfall abzudecken. Diese Lösung von Verdienst und Krankentagegeld ist indes bereits in der Ausgestaltung der Krankentagegeldversicherung als Summen- und nicht als Schadensversicherung angelegt (s. BGH VersR 2001, 1100). Das bei einer Diskrepanz zwischen Nettoeinkommen und Krankentagegeld erhöhte subjektive Risiko des Versicherers besteht in erheblichem Maße bereits bei einem dem Nettoeinkommen entsprechenden Krankentagegeld (vgl. Bach/Moser/Wilmes, Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, MB/KT § 4 Rn. 6) und ist durch die Versicherungsprämien abgedeckt.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708Nr. 10, 711 ZPO.

5. Der Senat hat die Revision gemäß § 543 ZPO zugelassen. Der Rechtsstreit ist aufgrund der Bedenken in Literatur und Rechtsprechung gegen die Wirksamkeit der Anpassungsregelung nach § 4 (4) MB/KT von grundsätzlicher Bedeutung. Darüber hinaus steht die Entscheidung des Senats auch in Widerspruch zu der Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 27. Juli 2012 – 25 U 4610/11 – (r+s 2012, 607) mit der Folge einer Divergenz.

 

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