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Unfallversicherung – Augenverletzung – Berücksichtigung eines Augenvorschadens

LG Arnsberg, Az.: 4 O 431/14, Urteil vom 15.11.2016

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 Euro seit dem 01.01.2012,

sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.02.2012,

sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.03.2012,

sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.04.2012,

sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.05.2012,

sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.06.2012 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht Leistungen aus einem Unfallversicherungsvertrag geltend.

Der am 26.01.1969 geborene Kläger ist gelernter Kraftfahrzeugmechaniker. Am 10.01.2012 gegen 10:30 Uhr war der Kläger mit dem Ausbau eines Fahrersitzes eines Kundenfahrzeugs beauftragt. Er hatte hierzu eine der Federn des Sitzes auszuhängen. Er nutzte hierzu eine Spitzzange. Bei Ausführung dieser Arbeiten rutschte der Kläger ab und die Spitzzange stieß in sein linkes Auge. Zunächst wurde die Hornhaut des linken Auges genäht sowie das aus dem Auge ausgetretene Glaskörpermaterial entfernt. Letztendlich waren die Verletzungen so schwer, dass das linke Auge am 09.11.2012 operativ entfernt werden musste.

Für den Kläger bestand bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer H XX/X eine Unfallversicherung. Diese sieht in § 7 Absatz Ia VB 2008 für den Fall der dauernden Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit (Invalidität) der versicherten Person von mindestens 50 % die Zahlung einer lebenslangen Unfallrente in Höhe von monatlich 1.000,00 EUR vor.

Unfallversicherung – Augenverletzung - Berücksichtigung eines Augenvorschadens
Symbolfoto: World Image/Bigstock

In § 7 Absatz I (3) AUB 2008 heißt es: „Wird durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen, die schon vorher dauernd beeinträchtigt war, so wird ein Abzug in Höhe dieser Vorinvalidität vorgenommen. Diese ist nach (2) zu bemessen.“

Vor dem Unfall betrug die Sehschärfe des Klägers ohne Brille auf dem linken Auge 0,63 und mit Brille 1,0. Bei dem Kläger bestand eine Myopie (Kurzsichtigkeit) sowie Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) mit -0,75 -0,5 18 … .

Der Kläger meldete den Unfall bei der Beklagten und beanspruchte Leistungen aus der Unfallversicherung. Mit Schreiben vom 26.04.2013 erklärte die Beklagte, sie erkenne lediglich ein Invaliditätsgrad von 47 % an, da der Kläger bereits vor dem Unfall Brillenträger gewesen sei. Insofern sei sein linkes Auge bereits vor dem Unfall beeinträchtigt gewesen, was zu einem Brillenabschlag führe. Daher schulde sie keine Unfallrente. Außergerichtlich zahlte die Beklagte aufgrund einer von ihr progrediert berechneten 91 %igen Invalidität einen Betrag in Höhe von 45.500,00 EUR aus.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Vorschädigung des linken Auges vor dem Unfall derart gering gewesen sei, dass sie nicht ins Gewicht falle und nicht zu einer Vorinvalidität führe. Bei einem Dioptrien Wert von -3,00 dpt oder weniger, spreche man von einer leichten Kurzsichtigkeit. Liege der Wert bei -1,00 dpt oder darunter, bestünden keinerlei Einschränkungen im Alltag. Bei einem solchen Wert sei noch kein Tragen einer Brille erforderlich. Daher habe der Kläger mit einem Wert von -0,75 dpt keine Brille tragen müssen. Es habe also keinerlei Krankheitswert vorgelegen. Vielmehr sei durch den Verlust des linken Auges eine Invalidität von 50 % gegeben, so dass die Voraussetzungen für die Zahlung einer Unfallrente vorliegen würden. Hinzu komme, dass die Leistung des linken Auges vor dem Unfallereignis dem Normalzustand eines Menschen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren entspreche. Eine Abweichung von der normalen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit müsse gerade anhand der entsprechenden Altersgruppe bewertet werden. Im Übrigen habe er auch keine Brille getragen.

Hinzu komme, dass weitere Beeinträchtigungen in der Form von Wundschmerzen, Kopfschmerzen sowie erhöhte Empfindlichkeit und Infektionsgefahr durch das Erfordernis einer Augen-Prothese vorliegen würden. Selbst wenn der Verlust des vorgeschädigten Auges nur 47 % Beeinträchtigung darstellen würde, sei unter Hinzurechnung der weitergehenden Beeinträchtigung, die der operative Eingriff mit sich gebracht habe, die 50 %-Marke erreicht worden. Die Frist zur Geltendmachung dieser weitergehenden Beeinträchtigungen sei auch nicht abgelaufen. Zum einen seien diese Beeinträchtigungen inzidenter in den Schreiben des Dr. L und des Dr. M benannt worden und zum anderen sei die Fristenklausel insofern unwirksam.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 Euro seit dem 01.01.2012, sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.02.2012, sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.03.2012, sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.04.2012, sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.05.2012, sowie weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR seit dem 01.06.2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass bei dem Kläger eine Vorinvalidität vorliege, die zu einem Abzug von 3 % führen würde, so dass nur ein Invaliditätsgrad von 47 % gegeben sei. Der Wert der Kurzsichtigkeit des Klägers sei nicht so gering, dass von einer Beeinträchtigung nicht gesprochen werden könne. Ebenfalls lägen hinsichtlich der Hornhautverkrümmung Werte vor, wonach eine Erkrankung gegeben sei. Auch die weiter geltend gemachten Beeinträchtigungen würden nicht zu einer Annahme einer höheren Invalidität führen, da die weiteren Beeinträchtigungen nicht fristgerecht ärztlich festgestellt und geltend gemacht worden seien.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 07.07.2015 (Bl. 137 ff. d. A.) sowie die weiteren Ergänzungsgutachten vom 13.08.2015 (Bl. 161 f. d. A.), 03.12.2015 (Bl. 192 f. d. A.) und 01.04.2016 (Bl. 255 f. d. A.) sowie auf die mündliche Erläuterung des Sachverständigen C in der Sitzungsniederschrift vom 09.11.2016, Blatt 299 ff. d. A. verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat Erfolg.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsrente in Höhe von 6.000,00 EUR für die Monate Januar bis einschließlich Juni 2012 aus dem Versicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer H XX/X i.V.m. § 7 Abs. Ia. (1) AUB 2008 zu. Bei dem Kläger liegt nach dem Unfallereignis vom 10.01.2012 eine Invalidität am linken Auge zu 50 % vor. Dies hat die Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer ergeben. Der Sachverständige C hat nachvollziehbar und in sich schlüssig erklärt, dass bei dem Kläger durch den Verlust des linken Auges ein Invaliditätsgrad von 50 % vorliegt. Dabei kann dahin stehen, ob die weiter vorgetragenen Beeinträchtigungen diesen Invaliditätsgrad erhöhen, da allein der Verlust des linken Auges schon die Annahme einer Invalidität von 50 % rechtfertigt.

Auch war vorliegend kein Abzug in Höhe von 3 % im Sinne des § 7 Abs. I (3) AUB 2008 für eine Vorinvalidität vorzunehmen. Das linke Auge des Klägers war vor dem Unfall nicht nur beschränkt gebrauchsfähig. Es bestand keine Notwendigkeit für den Kläger eine Brille zu tragen. Der Sachverständige hat plausibel erläutert, dass eine Vorinvalidität bei dem Kläger nicht gegeben ist. Er erklärte, dass bei der Sehschwäche des Klägers keine Beeinträchtigung im Alltagsleben vorliegen würde. Das Tragen einer Brille sei für den Kläger vor dem Unfall nicht medizinisch notwendig gewesen. Bei der Sehschwäche des Klägers von -0,75 -0,5 (18 … ) werde es dem Patienten freigestellt, freiwillig eine Brille zu tragen, dies sei aber keineswegs medizinisch erforderlich, sodass er in diesem Falle auch keine Brille verschrieben hätte. Es sei auch auf Dauer nicht ersichtlich, dass in naher Zukunft eine Brille benötigt werde. Durch die bestehende geringe Kurzsichtigkeit, sei zum Beispiel das Erfordernis einer Lesebrille, dass sonst regelmäßig im Alter von 45 Jahren eintrete, für den Kläger erst wesentlich später gegeben. Auch sei es dem Kläger möglich, ohne das Tragen einer Brille, im Straßenverkehr ein Fahrzeug zu führen. Nach den geänderten Richtlinien sei das Tragen einer Brille im Straßenverkehr bis zu einem Visus von 0,5 nicht erforderlich. Da der Kläger über einen Visus von 0,63 verfügte, habe er ohne das Tragen einer Brille ein Fahrzeug führen dürfen. Der Sachverständige erklärte zudem nachvollziehbar, dass zwar die privaten Unfallversicherungen in dem Bereich einer geringfügigen bis mittelgradigen Sehschwäche im Bereich von +10 bis -13 Dioptrien einen Brillenzuschlag von 3 % vornehmen würden. Er erläuterte aber, dass 70 % der Bevölkerung außerhalb des Bereiches zwischen + 0,5 und – 0,5 Dioptrien liegen würden und aufgrund dessen sowie des Umstandes, dass so eine leichte Abweichung kein Erfordernis einer Brille hervorrufen würde, er im Bereich zwischen +1,5 bis – 1,5 Dioptrien noch nicht einmal eine geringe Sehschwäche annehmen würde, die einen solchen 3 %igen Abschlag rechtfertigen könnte. Da der Kläger mit 0,75 Dioptrien in diesem Bereich liegen würde, sei eine Vorinvalidität ausgeschlossen.

Diese Angaben haben die Kammer überzeugt. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH Beschluss vom 30.03.2009, Az. IV ZR 301/06; BGH VersR 1983, 581) ein Brillenabschlag von 3 % anerkannt, wenn vor dem Unfall das Tragen einer Brille erforderlich und die Gebrauchsfähigkeit des Auges ohne Brille eingeschränkt war. In den entschiedenen Fällen, war jedoch auch ein Grad einer Sehschwäche erreicht, in dem das Tragen einer Brille medizinisch erforderlich war. Der Sachverständige C gab im vorliegenden Fall jedoch an, dass das Tragen einer Brille medizinisch gerade nicht notwendig war. Insofern kann nicht angenommen werden, dass das linke Auge des Klägers bereits vor dem Unfallereignis beeinträchtigt war.

Die vorliegende Invalidität von 50 % rechtfertigt daher einen Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Unfallrente in Höhe von monatlich 1.000,00 EUR.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286, 288 Abs. 1 BGB i.V.m. § 7 Ia. (8) AUB 2008.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 6.000,00 EUR festgesetzt.

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