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Unfallversicherung – Anforderungen an fristgerechte ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 11 U 107/16 – Beschluss vom 14.03.2019

1. Beide Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Juli 2016 – 14 O 243/15 – aus den nachfolgend dargestellten Gründen gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmig gefassten Beschluss als unbegründet zurückzuweisen.

2. Für den Kläger und seine Streithelferin besteht die Gelegenheit, sich hierzu binnen drei Wochen zu äußern. Dem Berufungsführer bleibt anheimgestellt, sein Rechtsmittel – zwecks Kostenersparnis nach GKG-KV Nr. 1222 – vor dem Ablauf dieser Frist zurückzunehmen.

Gründe

I.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die (an sich statthafte und auch im Übrigen zulässige) Berufung des Klägers in der Sache selbst offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, es der vorliegenden Rechtssache an grundsätzlicher – über den Streitfall hinausgehender – Bedeutung fehlt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Judikatur eine Entscheidung des Berufungsgerichtes erfordert und auch keine mündliche Verhandlung geboten erscheint (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Zivilkammer hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der beklagte Versicherer schuldet dem Berufungsführer aus der privaten Unfallversicherung, die die Prozessparteien gemäß der Police Nr. 1… vom 03. Mai 2012 (Kopie Anlage K1/GA I 12 f.) mit Wirkung ab 01. Juli 2012 zu den Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung – AUB 2004 Fassung 10/2007 Auflage 04/2011 – (Kopie Anlage K2/GA I 14 ff.), den Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer Unfall-Rente bei einem Invaliditätsgrad ab 50 % in der Unfallversicherung – U 192 – (Kopie in Anlage K2/GA I 18R = B2/ GA I 69) sowie den Besonderen Bedingungen zu Gruppen-Unfallversicherung – Sonderbedingungen „P…“ (Kopie in Anlage K2/GA I 19R ff. = B1/GA I 66 ff.) abgeschlossen haben, wegen des Verkehrsunfallereignisses vom 03. August 2012 weder eine (kapitalisierte) Invaliditätsleistung noch eine Unfallrente. Bereits die formellen Anspruchsvoraussetzungen dafür sind hier – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – nicht erfüllt. Die Wahrung der zweijährigen Frist für die Geltendmachung der Invalidität steht in diesem Zusammenhang nicht zur Diskussion. Den Erfordernissen des § 186 VVG hat die Beklagte mit ihren vorgerichtlichen Schreiben vom 22. August 2012 (Kopie Anlage K4/GA I 24) und vom 13. Dezember 2012 (Kopie Anlage K5/GA I 25) hinreichend Rechnung getragen. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird zunächst auf die hinsichtlich der tragenden Erwägungen zutreffenden Ausführungen in den Gründen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen(LGU 4 f.), die auch den klägerischen Berufungsangriffen standhalten. Ergänzend sei lediglich folgendes angemerkt:

A. Ein Anspruch auf Invaliditätsleistung und Unfallrente besteht nach den hier vereinbarten Versicherungsbedingungen nur dann, wenn – unter anderem – innerhalb von 18 Monaten seit dem Unfalltage von einem Arzt schriftlich festgestellt wird, dass die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person unfallbedingt dauerhaft, das heißt voraussichtlich länger als drei Jahre ohne zu erwartende Änderung des Zustandes, beeinträchtigt ist und – soweit es um die Rentenzahlung geht – diese Beeinträchtigung wenigstens 50 % beträgt. Der fristgerechten ärztlichen Feststellung unfallbedingter Invalidität bedarf es laut ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und inzwischen nahezu ganz einhelliger Meinung, die der Senat teilt, nicht zur bloßen Wahrung einer Ausschlussfrist; sie gehört vielmehr zu den formellen Anspruchsvoraussetzungen des objektiven Tatbestandes und soll im berechtigten Interesse des Versicherers und zugleich der Gemeinschaft der Versicherten an einer rationellen, vor allem arbeits- und kostensparenden, Abwicklung Spätschäden – unabhängig von ihrer früheren Erkennbarkeit und von einem Verschulden des Versicherungsnehmers – vom Versicherungsschutz ausgrenzen (vgl. BGH, Urt. v. 07.03.2007 – IV ZR 137/06, Rdn. 10, juris = BeckRS 2007, 06584; Urt. v. 20.06.2012 – IV ZR 39/11, Rdn. 22, juris = BeckRS 2012, 15999; ferner BeckOK-VVG/Jacob, § 180 Rdn. 75 und 84; Grimm, UnfallVers, 5. Aufl., AUB 2010 Abschn. 2 Rdn. 8 f.; Mangen in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersR-HdB, 3. Aufl., § 47 Rdn. 165, m.w.N.). Inhaltlich muss die schriftlich zu treffende Feststellung zwar keinen hohen Anforderungen gerecht werden; so kommt es mit Blick auf die Unfallbedingtheit eines bestimmten Dauerschadens weder auf ihre Richtigkeit an noch ist eine möglichst präzise Diagnose von dessen Umfang und Ursachen erforderlich oder wird – sofern allein die Invaliditätsleistung in Rede steht – eine abschließende Äußerung zu einem konkreten Invaliditätsgrad verlangt (vgl. dazu BGH [IV ZR 137/06] aaO; BGH, Urt. v. 01.04.2015 – IV ZR 104/13, Rdn. 21 f., juris = BeckRS 2015, 07080). Gemessen an dem Zweck der fristgebundenen ärztlichen Feststellung hat diese aber die Schädigung und den Bereich, auf den Letztere sich auswirkt, sowie die Ursachen, auf denen der Dauerschaden beruht, so zu umreißen, dass der Versicherer den medizinischen Bereich zu erkennen vermag, auf den sich die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung erstrecken muss, und dass er vor der späteren Geltendmachung von völlig anderen Gebrechen oder Invaliditätsursachen geschützt wird (vgl. BGH [IV ZR 104/13] aaO, Rdn. 22). Stets unverzichtbar ist eine allein von ärztlicher Sachkunde und Erfahrung getragene Beurteilung, ob und in welchem Umfange bestimmte Gesundheitsschädigungen auf dem Unfallereignis beruhen und ob diese die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Gefahrsperson auf Dauer mindern (vgl. insb. Grimm aaO Rdn. 11; ferner Leverenz in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., AUB Abschn. 2.1 Rdn. 91; jeweils m.w.N.).

B. Die ärztlichen Atteste und sonstigen Dokumente, die der Kläger im Streitfall in Kopie vorgelegt hat, werden den oben erörterten Anforderungen nicht gerecht.

1. Die Frist für die Feststellung der Invalidität durch einen Arzt, die sich hier nach Abschn. 6 Abs. 1 Sonderbedingungen „P…“ auf 18 Monate seit dem Unfalltage beläuft, endete regulär mit dem 03. Februar 2014. Bis zum 30. August 2014 verlängert hat die Beklagte mit ihrem vorgerichtlichen Schreiben vom 15. August 2014 (Kopie Anlage B4/GA I 72) allein die – nach Abschn. 6 Abs. 1 Sonderbedingungen „P…“ zweijährige – Geltendmachungsfrist, wobei sie offenbar – unzutreffend (vgl. BGH, Urt. v. 25. 04.1990 – IV ZR 28/89, LS und Rdn. 15, juris = BeckRS 2008, 19658; ferner Grimm, UnfallVers, 5. Aufl., AUB 2010 Abschn. 2 Rdn. 20; Mangen in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersR-HdB, 3. Aufl., § 47 Rdn. 177) – davon ausging, zu deren Wahrung müsse bei ihr eine ärztliche Bescheinigung eingereicht werden. Aus der Zeit bis zum Feststellungsstichtag stammen lediglich der Entlassungsbericht des … Klinikums … vom 13. August 2012 (Kopie Anlage K3/GA I 22 f.) sowie die beiden ärztlichen Atteste des Dr. med. X… vom 06. Juni 2013 (Kopie Anlage K9/GA I 29) und des Dr. med. Y… (Kopie in Anlage K19/GA I 80); das des Letztgenannten ist zwar selbst undatiert, wurde aber der Beklagten bereits mit dem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 03. Dezember 2013 (Kopie Anlage K19/GA I 79) übersandt. Im Attest von Dr. X… werden dem Kläger „Einschränkungen bei (der) alltäglichen Haus- und Gartenarbeit“ für die Zeit vom 03. August 2012 bis zum 06. Juni 2013 bescheinigt; zu deren Ursachen, eingetretenen Gesundheitsschäden, deren Auswirkungsbereich und zur Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigungen besagt das Dokument indes nichts. Dabei ist gerade die Zukunftsprognose eines der Kernelemente der ärztlichen Invaliditätsfeststellung (vgl. dazu Leverenz in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., AUB Abschn. 2.1 Rdn. 99, m.w.N.). Ebenso wenig lässt sich eine derartige Prognose dem Attest von Dr. Y… entnehmen; es handelt sich dabei im Wesentlichen um einen bloßen Behandlungsbericht mit Angabe von Diagnosen, in dem das Verkehrsunfallereignis vom 03. August 2012 keine Erwähnung findet und der zu dem Ergebnis kommt, der weitere Behandlungsverlauf und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit könnten noch nicht verlässlich vorhergesagt werden. Ebenso wenig verhält sich der Entlassungsbericht des … Krankenhauses zu dauerhaften Beeinträchtigungen, die voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen werden, ohne dass eine Änderung des Zustandes erwartet werden kann. Alle anderen ärztlichen Dokumente datieren sogar erst aus der Zeit nach dem Ablauf der verlängerten Geltendmachungsfrist und sind deshalb selbst dann verspätet, wenn man – wofür es jedoch schon keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt – zugunsten des Klägers annähme, die Beklagte habe ihm zugleich die Feststellungsfrist bis zum 30. August 2014 prolongiert.

2. Zur ärztlichen Feststellung der Voraussetzungen für die Zahlung einer Unfallrente nach Nr. 1 U 192 ist hier bereits deshalb keines der Atteste und sonstigen Dokumente geeignet, weil darin nirgends ein Invaliditätsgrad von wenigstens 50 % ausgewiesen wird; insbesondere lässt das durch Dr. med. X… am 19. September 2014 ausgefüllte Formular (Kopie Anlage K12/GA I 32) offen, ob und gegebenenfalls wann die zuverlässige Beurteilung des auf Dauer verbleibenden Invaliditätsgrades möglich ist, und kommt Dr. med. Y… in seiner ärztlichen Invaliditätsbescheinigung vom 01. April 2016 (Kopie Anlage K20/GA I 95) bloß zu einem Invaliditätsgrad von „mindestens 20 %“. Eine retrospektive Einschätzung, wie sie in dieser Bescheinigung sowie in den Attesten des Dr. med. Y… und des Dr. med. X…, beide jeweils vom 28. Juli 2015 datierend (Kopie Anlagen K17 und 18/GA I 37 f.), zu finden ist, vermag die rechtzeitige schriftliche Invaliditätsfeststellung nicht zu ersetzen. Daher bedarf es im Streitfalle auch keiner Beantwortung der Frage, ob die Attestierung von – nicht weiter bezeichneten – „dauerhafte(n) Unfallfolgen“ für die ärztliche Feststellung einer permanenten Beeinträchtigung der körperlichen beziehungsweise geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Gefahrsperson genügt. Der Nachweis, dass die schriftliche Feststellung rechtzeitig erfolgt ist, der allein dem Versicherungsnehmer als Anspruchsteller obliegt (vgl. BeckOK-VVG/Jacob, § 180 Rdn. 86), kann – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht durch die nachträgliche (mündliche oder schriftliche) Erklärung eines Arztes geführt werden, wonach dieser – wie es in der Invaliditätsbescheinigung vom 01. April 2016 heißt – „dauernde Gesundheitsbeeinträchtigungen … binnen 18 Monaten … ärztlich festgestellt und dokumentiert“ habe. Denn zum einen kommt es nach den Versicherungsbedingungen für den Eintritt der Invalidität gerade darauf an, wie sich die durch das Unfallereignis herbeigeführte Gesundheitsschädigung auf die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person auswirkt. Zum anderen hat der Versicherer einen Anspruch darauf, dass ihm – zum Beweis der Einhaltung der Frist für die ärztliche Feststellung – Letztere tatsächlich vorgelegt wird (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.1987 – IVa ZR 195/86, Rdn. 19 a.E., juris = BeckRS 2008, 18460; Urt. v. 25.04.1990 – IV ZR 28/89, Rdn. 15 a.E., juris = BeckRS 2008, 19658). Sofern sich diese in einer Krankenakte befindet, ist – entsprechend dem im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz – der Kläger als Beweisführer damit belastet, das jeweilige Dokument zu beschaffen und in den Rechtsstreit einzuführen; erst wenn ihm dies – aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen – misslingt, wozu hier nichts vorgetragen wurde, darf der Richter von § 142 Abs. 1 ZPO Gebrauch machen. Unabhängig davon muss die beweiserhebliche Urkunde stets konkret bezeichnet werden; es ist keineswegs Aufgabe des Gerichtes, die gesamten Krankenakten danach durchzusehen, ob und gegebenenfalls wo sich darin für den Anspruchsteller günstige Eintragungen finden lassen.

II.

Den Gebührenstreitwert für die zweite Instanz beabsichtigt der Senat gemäß §§ 3, 6 und 9 ZPO i.V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und § 39 Abs. 1 GKG auf bis zu € 80.000,00 festzusetzen. Dieser Betrag ergibt aus Folgendem:

Antrag Nr.  Gegenstand Norm Betrag in €

1 Invaliditätsleistung § 3 und § 6 Satz 1 ZPO 33.500,00

2 Bei Klageeinreichung rückständige Unfallrente § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG 21.645,00

3 Laufende Unfallrente ab Klageeinreichung § 9 Satz 1 ZPO 23.310,00

4 Vorgerichtliche Anwaltskosten § 43 Abs. 1 GKG 0,00

Zusammen § 39 Abs. 1 GKG 78.455,00

Beginn der einschlägigen Streitwertstufe 65.000,01 Ende der einschlägigen Streitwertstufe 80.000,00

 

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