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Unfallversicherung – Anforderungen an die Invaliditätsfeststellung

OLG Hamm, Az.: I-20 U 197/16, Urteil vom 12.05.2017

Die Berufung des Klägers gegen das am 28.10.2016 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckbaren Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger macht Ansprüche aus seiner bei dem Beklagten genommenen Unfallversicherung geltend.

Voraussetzung für eine Invaliditätsleistung ist dabei u. a. gemäß Ziff. 2.1.1.1 AUB, dass die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und geltend gemacht worden ist.

Aufgrund eines Unfalls vom 15.06.2011 erlitt der Kläger eine Verletzung des linken Knies / Beins. Wegen der diesbezüglichen Invalidität erkannte der Beklagte (nach einer Vorschusszahlung in Höhe von 7.000,00 EUR) aufgrund 3/20 Beinwertes und einer sich daraus ergebenden Invalidität von 10,5 % seine Zahlungspflicht in Höhe von 5.250,00 EUR an.

Der Kläger behauptet, aufgrund des Unfalls, der Verletzung des Knies / des Beins und / oder der danach erforderlichen Operationen sei bei ihm die Autoimmunerkrankung Myasthenia Gravis ausgelöst worden, die zu einer weiteren Invalidität von 70 % geführt habe.

Der Kläger verlangt deshalb unter Berücksichtigung der vereinbarten Progression die Zahlung der überschießenden Invaliditätsleistung.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Es hat sich zum einen darauf gestützt, dass sämtliche vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht den inhaltlichen Anforderungen an eine ärztliche Feststellung eines unfallbedingten Dauerschadens im Sinne der Ziff. 2.1.1.1 AUB genügten. Nur das „Statement“ des Hausarztes, datiert auf den 12.05.2012 (Anl. K10), stelle wie erforderlich einen Unfallzusammenhang fest, sei aber im Hinblick auf die dort benannte „dauerhafte Gesundheitsbeeinträchtigung“ nicht hinreichend konkretisiert. Es komme daher nicht auf die von dem Beklagten bestrittene Tatsache an, ob das „Statement“, datiert auf den 12.05.2012, tatsächlich vor Fristablauf am 15.09.2012 erstellt oder etwa rückdatiert worden sei.

Zum anderen fehle es – entsprechend der Rüge des Beklagten – auch an einer fristgerechten Geltendmachung im Sinne der Ziff. 2.1.1.1 AUB. In dem Schreiben des Klägers vom 05.07.2012 (Anl. K15 = Anl. B2, GA 55) und dem dem Schreiben beigefügten berufsgenossenschaftlichen Rentengutachten vom 27.03.2012 (Anl. K9) werde die Myasthenia Gravis nicht geltend gemacht. Vielmehr verneine das beigefügte Rentengutachten die Unfallabhängigkeit gerade.

Auf Treuewidrigkeit könne sich der Kläger nicht berufen.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages, der konkreten Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts Paderborn (GA 140-149) verwiesen.

Unfallversicherung - Anforderungen an die Invaliditätsfeststellung
Symbolfoto: tommaso79/Bigstock

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung materiellen Rechts sowie Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht rügt und sein erstinstanzliches Klagebegehren – unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens – weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn aus dem Unfallversicherungsvertrag mit der Nr. 05.251.196.8 einen Betrag als Invaliditätsleistung in Höhe von 154.000,00 EUR einschließlich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.04.2015 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche Rechtsanwaltskosten aus vorgerichtlicher Tätigkeit einschließlich Umsatzsteuer und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu erstatten.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt – unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens – die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in dieser Instanz wird auf die Schriftsätze Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung seines Hausarztes als Zeugen. Insoweit wird auf den Berichterstattervermerk vom 15.05.2017 (GA 276-283) verwiesen. Weiter wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.05.2017 (GA 273-275) Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zurecht abgewiesen.

Dem Kläger stehen der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung weiterer Invaliditätsleistungen gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag und damit auch die geltend gemachten Nebenforderungen nicht zu.

Es fehlt an einer fristgemäßen ärztlichen Feststellung der Invalidität im Sinne der Ziff. 2.1.1 AUB.

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob der Kläger seine Ansprüche überhaupt im Sinne der Ziff. 2.1.1.1 AUB fristgerecht geltend gemacht hat.

a) Das „Statement“ des vernommenen Zeugen, datiert auf den 12.05.2012 (Anl. K10), genügt nicht.

Es steht nicht fest, dass der vernommene Zeuge das „Statement“ tatsächlich am 12.05.2012 oder jedenfalls fristgerecht vor dem 15.09.2012 erstellte.

Deshalb kann offen bleiben, ob das „Statement“ (entgegen der Würdigung des Landgerichts) den inhaltlichen Anforderungen an eine ärztliche Feststellung genügt.

aa) Beweisbelastet für die fristgemäße Erstellung als anspruchsbegründende Tatsache ist der Kläger.

Er kann sich nicht auf eine etwaige tatsächliche Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit und Vollständigkeit des „Statements“ / der Urkunde, datiert auf den 12.05.2012, im Hinblick auf §§ 416, 440 Abs. 2 ZPO berufen.

Zwar hat die vorgelegte Kopie des „Statements“ erhöhte Beweiskraft, da der Beklagte die Übereinstimmung von Kopie und Original ebenso wenig bestreitet wie – was notwendig ist – die Echtheit der Unterschrift und der Urkunde selbst im Sinne des § 439 ZPO. Eine Vorlage des Originals ist mithin nicht erforderlich (vgl. Geimer, in: Zöller, 31. Aufl. 2016, § 416 Rn. 1, 14).

Es greift dann die Vermutungswirkung des § 416 ZPO, wonach die Urkunde vollen Beweis dafür erbringt, dass die in ihr enthaltenen Erklärungen vom Aussteller abgegeben worden ist.

(2) Dies umfasst jedoch nicht die Vollständigkeit und Richtigkeit der enthaltenen Erklärung.

Dafür kann zwar grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung streiten. Dies kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn die Urkunde – wie hier – von einer nicht am Rechtsstreit beteiligten Person ausgestellt ist.

Eine tatsächliche Vermutung über die inhaltliche Richtigkeit einer Privaturkunde kann nur zwischen den Vertragsparteien, nicht aber gegenüber Dritten gelten. Nur die an der Entstehung der Urkunde Beteiligten sollen nach deren Errichtung nicht die Richtigkeit und Vollständigkeit ihres Inhalts bezweifeln können. Dritten, die an der Entstehung der Urkunde nicht beteiligt waren, muss dieses Recht aber verbleiben, weil ihnen anderenfalls der Beweis der Unrichtigkeit und Unvollständigkeit gerade auch dann aufgebürdet würde, wenn die Urkunde von den Parteien der in ihr niedergelegten Willenserklärung zum Zwecke der Täuschung bewusst falsch errichtet worden sein sollte (vgl. BGH, Urt. v. 01.10.1975, I ZR 12/75, juris, Rn. 23, VersR 1976, 168 explizit für den Fall einer von einem Dritten behaupteten Rückdatierung; BGH, Urt. v. 29.11.1989, VIII ZR 228/88, juris, Rn. 11, BGHZ 109, 240; KG, Urt. v. 06.05.1976, 22 U 1702/75, juris Rn. 23, MDR 1977, 674; OLG Schleswig, Urt. v. 02.02.2007, 4 U 71/06, juris, Ls. 2, OLGR Schleswig 2007, 431; Schreiber, in: MüKo-ZPO, 5. Aufl. 2016, § 416 Rn. 10 m. w. N.).

bb) Für den damit vom Kläger zu führenden Beweis gilt das Maß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Die danach erforderliche Überzeugung des Gerichts erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (BGH, Beschl. v. 18.01.2012, IV ZR 116/11, juris, Rn. 9, VersR 2012, 849).

cc) Diesen Beweis für die fristgerechte Erstellung hat der Kläger nicht erbracht. Es bleiben ernsthafte Zweifel an den Angaben des Klägers und des Zeugen.

(1) Obwohl der Zeuge die Behauptung des Klägers, das „Statement“, datiert auf den 12.05.2012, sei auch an diesem Tage erstellt worden, in diesem Detail konstant, widerspruchsfrei und eindeutig bestätigt hat, ist der Senat von der Wahrheit der Behauptung nicht überzeugt.

Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen und der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Auch in Zusammenschau mit der – übereinstimmenden – Erklärung des Klägers selbst ist der Beweis nicht erbracht.

 

Wesentlich dafür ist zunächst die Würdigung der Gesamtumstände.

Denn die Behauptung des Klägers, das „Statement“ sei am 12.05.2012 erstellt worden, ist vor dem Hintergrund der tatsächlichen Abläufe nicht plausibel. Eine Plausibilisierung ist dem Kläger auch im Rahmen seiner persönlichen Anhörung nicht gelungen.

Zweifel an seiner Schilderung bestehen – zum einem -, da er nicht plausibel zu erklären vermocht hat, wieso das „Statement“ erst so spät an den Beklagten – mit anwaltlichem Schreiben vom 16.04.2015 (Anl. K20) – übersandt wurde.

Es war weder Gegenstand seiner Unfallanmeldung vom 05.07.2012 (Anl. K15 = Anl. B2, GA 55), obwohl diese in noch nahem zeitlichen Zusammenhang zum 12.05.2016 erfolgte, noch Gegenstand der Schilderungen des Klägers gegenüber dem Privatsachverständigen Dr. C (Gutachten vom 19.06.2013, Anl. K17), noch seines Schreibens vom 30.07.2013 (Anl. K4), noch seines anwaltlichen Schreibens vom 30.07.2014 (Anl. K18 = Anl. B3, GA 56-58). Weiter gab es auch keine Reaktion des Klägers auf die Ablehnung der Beklagten wegen Fristversäumnis vom 14.08.2014 (Anl. K19 = Anl. B4, GA 59), obwohl spätestens hierauf – unabhängig von einer etwaigen anwaltlichen Beratung und Nachfrage – eine zeitnahe Reaktion und die Übersendung des „Statements“ zu erwarten gewesen wäre.

Der Kläger kann sich nicht darauf zurückziehen, dass er dem „Statement“, datiert auf den 12.05.2012, keine Bedeutung beigemessen habe und den Inhalt des stattdessen mit der Unfallmeldung vom 05.07.2012 übersandten Rentengutachtens vom 27.03.2012 nicht zur Kenntnis genommen habe.

Denn sowohl nach seiner eigenen Aussage als auch nach der Aussage des Zeugen war die Frage der Unfallkausalität der Myasthenia Gravis von Anfang an von erheblicher Bedeutung für den Kläger und wiederholt Gegenstand der Unterhaltungen mit dem Zeugen. Wenn der Kläger dann nach Erstellung des Rentengutachtens vom 27.03.2012, das die Unfallabhängigkeit ausdrücklich und deutlich verneinte, anschließend den Zeugen für den Anwalt bzw. den Versicherer um ein „Statement“ gebeten und ein solches tatsächlich erhalten hätte – wie er und der Zeuge es übereinstimmend ausgeführt haben -, dann hätte nichts näher gelegen, als dieses der Unfallmeldung vom 05.07.2012 beizufügen. Dafür spricht insbesondere auch, dass der Kläger ausgesagt hat, er habe immer alle ärztlichen Unterlagen an den Versicherer geschickt.

Bei diesen zeitlichen Abläufen und der Intensität der vom Kläger behaupteten und vom Zeugen bestätigten Gespräche mit dem Zeugen über die Kausalität ist es auch nicht glaubhaft, dass der Kläger den Inhalt des Gutachtens vom 27.03.2012 nicht zur Kenntnis genommen haben will. Entsprechend sind seine Angaben hierzu gegenüber dem Senat auch widersprüchlich gewesen. Erst hat er verneint, das Gutachten gelesen zu haben. Dann hat er das Lesen eingeräumt („doch“), dies dann aber sofort wieder einzuschränken versucht.

Weder seine noch die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten, der Anwalt in der Haftpflichtangelegenheit hätten die Bedeutung des „Statements“ entwertet, überzeugen vor diesem Hintergrund.

Auch die Behauptung des Klägervertreters, der Kläger habe einfach unbesehen übernommen, was ihm die für Personalangelegenheiten zuständige Mitarbeiterin eines seiner Arbeitgeber für die Antragstellung bei dem weiteren Versicherer erstellt habe, überzeugt deshalb nicht, zumal sich der Kläger diese Ausführungen jedenfalls im Anschluss offenbar nicht zu eigen machen wollte, sondern sich dazu enthalten hat.

Daher hätte – zum anderen – auch nahegelegen, dass der Kläger bei seiner Unfallmeldung vom 05.07.2012 ganz ausdrücklich und deutlich die Myasthenia Gravis als Unfallfolge geltend gemacht hätte.

Der Kläger kann sich auch nicht darauf zurückziehen, er sei „auf Cortison“ und „nicht gut beisammen“ gewesen. Denn, wie er selbst ausgeführt hat, war er zu diesem Zeitpunkt schon wieder drei bis vier Stunden täglich in seiner leitenden Position tätig. Wieso er dann nicht auch in der Lage gewesen sein sollte, die ihm besonders wichtige und mit dem Zeugen viel diskutierte Frage der Unfallabhängigkeit der Myasthenia Gravis gegenüber dem Beklagten durch Vorlage des „Statements“ zu untermauern, erschließt sich nicht. Selbst wenn er im Rahmen eines Schubes der Erkrankung dazu nicht in der Lage gewesen sein sollte, hätte hierzu jedenfalls deutlich vor dem 16.04.2015 Zeit, Gelegenheit und Anlass bestanden.

Ein solcher Anlass war beispielsweise das Angebot des Beklagten im Schreiben vom 16.07.2013 (Anl. K3) nach der Begutachtung, auf die teilweise Rückforderung zu verzichten, wenn der Kläger dafür keine Ansprüche mehr geltend macht. Hier hätte der Kläger die Gelegenheit gehabt mit seinem Schreiben vom 30.07.2013 (Anl. K4) auf das „Statement“ zu verweisen und eine weitere Begutachtung einzufordern; er behielt sich indes nur Ansprüche wegen der Myasthenia Gravis vor.

Die aufgrund der Gesamtumstände bestehenden Zweifel konnte der Zeuge durch seine Aussage nicht ausräumen. Im Gegenteil hat seine Aussage die Zweifel noch bestärkt.

Denn seine Angaben zum Randgeschehen sind mehrfach widersprüchlich und sein Aussageverhalten im Hinblick auf seine Bestimmtheit nicht überzeugend.

So ist der Zeuge der anfänglichen Frage, ob und wann über die Unfallursächlichkeit gesprochen worden sei, zunächst inhaltlich ausgewichen.

Im Detail inkonstant sind seine Angaben zum Zeitpunkt seiner Feststellungen Anfang 2012 oder im ersten Quartal 2012 einerseits und ungefähr ein Jahr nach dem Unfall, also ungefähr im Juni 2012, andererseits gewesen. Dem misst der Senat indes keine entscheidende Bedeutung bei.

Der Zeuge hat aber sodann widersprüchliche Angaben zur grundsätzlichen Erstellung solcher „Statements“ und zum Umgang mit einem solchen im Rahmen einer Aktenanforderung gemacht.

So hat er zunächst ohne jeden Zweifel ausgeführt, dass er nie ein anderes als das Erstelldatum in ein solches „Statement“ aufnehme, dann aber später ausgeführt, dass es sehr wohl sein könne, dass er ein solches einmal zwei oder drei Tage später unter dem früheren Datum der tatsächlichen Feststellung erstelle, aber keinesfalls später.

Zudem ist die Aussage bezüglich des Umgangs mit Aktenanforderungen widersprüchlich. Insbesondere die Aussage, er gebe nur die wichtigsten Sachen heraus, ist widersprüchlich zu seiner Erklärung, dass er bei Aktenanforderungen grundsätzlich sehr offen sei und alles im Original herausgebe.

Inkonstant sind ferner seine Angaben zur Aktenanforderung im konkreten Fall, da er eine solche zuerst ohne weiteres Nachdenken ausgeschlossen und dann auf Vorhalt doch eingeräumt hat. Vor allem aber widersprechen sich seine Angaben zu seiner Erinnerungsleistung. Einmal will er sich nicht mehr erinnern, welche Unterlagen im konkreten Fall herausgeschickt worden sind. Ein anderes Mal hat er noch gewusst, dass er das „Statement“ nur dem Kläger ausgehändigt habe, weil das von niemandem angefordert worden sei. Abgesehen davon, dass er dabei nicht beantworten konnte, wie ein Dritter, der den Inhalt einer Patientenakte nicht kennt, ein konkretes „Statement“ anfordern können soll, ist er dann wieder zu seiner Aussage zurückgekehrt, sich nicht konkret erinnern zu können.

Gegen die Würdigung des Senats spricht auch nicht, dass es dem Zeugen sicher an einem Motiv gefehlt habe, falsche Angaben gemacht zu haben. Denn ein solches kommt dahin in Betracht, nicht eingestehen zu wollen, bereits das „Statement“ unter falschem Datum erstellt zu haben.

(2) Weiteren Zeugen- oder sonstigen Beweis für seine Behauptung hat der Kläger, auch nach der Erörterung des vorläufigen Beweisergebnisses im Senatstermin, nicht angetreten, so dass nicht festgestellt werden konnte, ob der Zeuge das „Statement“ tatsächlich vor Fristablauf erstellte.

Die übrigen zur Akte gereichten ärztlichen Bescheinigungen genügen nicht den inhaltlichen Anforderungen an eine ärztliche Feststellung.

An die Feststellung der Invalidität sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie muss sich nicht abschließend zu einem bestimmten Invaliditätsgrad äußern und braucht hinsichtlich der Feststellung der Unfallbedingtheit eines bestimmten Dauerschadens noch nicht einmal richtig zu sein. Es müssen sich aus ihr aber die ärztlicherseits für einen Dauerschaden angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen ergeben, denn die Invaliditätsbescheinigung soll dem Versicherer Gelegenheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und seine Leistungspflicht auf Grundlage der ärztlichen Feststellung zu prüfen. Zugleich soll sie eine Ausgrenzung von Spätschäden ermöglichen, die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar sind und die der Versicherer deshalb von der Deckung ausnehmen will. Deshalb können nur die in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung beschriebenen unfallbedingten Dauerschäden Grundlage des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung sein (vgl. BGH, Urt. v. 01.04.2015, IV ZR 104/13, juris, Rn. 21, VersR 2015, 617; BGH, Urt. v. 07.03.2007, IV ZR 137/06, juris, Rn. 10 ff. m. w. N., VersR 2007, 1114). Gemessen am Zweck der fristgebundenen ärztlichen Feststellung genügt es dabei, wenn diese Feststellung die Schädigung sowie den Bereich, auf den sich diese auswirkt, ferner die Ursachen, auf denen der Dauerschaden beruht, so umreißt, dass der Versicherer bei seiner Leistungsprüfung den medizinischen Bereich erkennen kann, auf den sich die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung erstrecken muss und vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invaliditätsursachen geschützt wird (vgl. BGH, Urt. v. 01.04.2015, IV ZR 104/13, juris, Rn. 22, VersR 2015, 617).

Die innerhalb der maßgeblichen Frist bis zum 15.09.2012 erstellten ärztlichen Bescheinigungen genügen diesen niedrigen Anforderungen – entsprechend den Feststellungen des Landgerichts – nicht.

(1) In der Bescheinigung vom 08.09.2011 (Anl. K5) erfolgt nur die Diagnose eines Verdachts auf Myasthenia Gravis. Es wird aber keine kausale Verknüpfung mit dem Unfall festgestellt.

In der Bescheinigung vom 26.09.2011 (Anl. K6) erfolgt nur die Diagnose der Myasthenia Gravis, u. a. aufgrund eindeutiger positiver Antikörper. Es wird aber wiederum keine kausale Verknüpfung mit dem Unfall festgestellt.

Für die der Bescheinigung vom 17.10.2011 (Anl. K7) gilt Entsprechendes.

Auch für die Bescheinigung vom 19.10.2011 (Anl. K8) gilt Entsprechendes. Allein die Tatsache, dass in der Anamnese festgehalten wird, dass die Myasthenia Gravis anlässlich einer Operation symptomatisch wurde, ändert daran nichts. Denn selbst wenn der Unfall Auslöser der Operation und die Operation Auslöser der Symptomatik gewesen sein sollte und eine adäquate Kausalität zu bejahen wäre, wird aus dem Arztbericht nicht deutlich, dass es sich um eine unfallbedingte Operation handelte, anlässlich derer die Krankheit symptomatisch wurde.

Die Bescheinigung vom 27.03.2012 – das berufsgenossenschaftliche Rentengutachten (Anl. K9) – schließt schließlich eine Unfallabhängigkeit explizit aus.

Weitere fristgemäße ärztliche Feststellungen bis zum 15.09.2012 liegen nicht vor.

2. Es ist dem Beklagten auch nicht gemäß § 186 S. 2 VVG verwehrt, sich auf das Fristversäumnis zu berufen, da er den Kläger unstreitig mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 25.06.2012 (Anl. B7, GA 67-69), hinreichend im Sinne des § 186 S. 1 VVG auf die einzuhaltenden Fristen hinwies.

3. Der Kläger kann das Fristversäumnis bezüglich der ärztlichen Feststellung auch nicht entschuldigen. Dies ist nach allgemeiner und zutreffender Auffassung generell ausgeschlossen (vgl. nur BGH, Urt. v. 07.03.2007, IV ZR 137/06, juris, Rn. 10, VersR 2007, 1114; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, Ziff. 2 AUB 2010 Rn. 10).

4. Dem Anspruchsausschluss aufgrund der Fristversäumnis steht auch § 242 BGB nicht entgegen.

Der Kläger beruft sich auf § 242 BGB insbesondere, weil der Beklagte durch sein Schreiben vom 01.08.2012 (Anl. K16) zum Ausdruck gebracht habe, sämtliche Gesichtspunkte zu prüfen, und er auf das Schreiben des Klägers vom 30.07.2013 (Anl. K4) wegen des Vorbehalts bezüglich der Myasthenia Gravis nicht reagierte.

a) Das Berufen auf Treu und Glauben soll – schon nach der Rechtsprechung zum VVG alter Fassung bis 2008 / 2009 – etwa dann möglich sein, wenn dem Versicherer ein Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen der Fristversäumnis deutlich wird.

aa) Davon kann auszugehen sein, wenn der Versicherte Invaliditätsansprüche rechtzeitig geltend macht, seine Angaben oder die von ihm vorgelegten ärztlichen Atteste den Eintritt eines Dauerschadens nahe legen, die erforderliche ärztliche Feststellung der Invalidität aber noch fehlt (BGH, Urt. v. 30.11.2005, IV ZR 154/04, juris, Rn. 8, VersR 2006, 352; vgl. m. w. N. Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl. 2014, G Rn. 69-79).

Ein solcher Fall liegt aber nicht vor.

Denn es ist unstreitig, dass der Beklagte den gesetzlichen Vorgaben entsprechend in Kenntnis des Bestehens der Myasthenia Gravis mehrfach auch bezüglich der Notwendigkeit einer fristgerechten ärztlichen Feststellung belehrte – zuletzt mit der Nachfrage und erneuten Belehrung vom 25.06.2012 (Anl. B7, GA 67-69), ob überhaupt Invaliditätsansprüche geltend gemacht werden sollen.

Es bestand zu diesem Zeitpunkt für den Beklagten auch nicht ausnahmsweise ein Anlass, konkret darauf einzugehen, dass eine ärztliche Feststellung bezüglich der Myasthenia Gravis nicht vorlag, da der Kläger diese als Unfallfolge gegenüber dem Beklagten nicht hinreichend erkennbar geltend gemacht hatte.

Aber auch anschließend ergab sich hierfür kein hinreichend konkreter Anlass, beim Kläger irgendwie nachzufassen. Dies gilt insbesondere auch für das Schreiben vom 05.07.2012 (Anl. K15 = Anl. B2, GA 5), in dem der Kläger als Folgen des Unfalls „geringe Belastbarkeit, keine Streckung, teilweise Schmerzhaftigkeit beim Gehen, schiefe Stellung“ angab. Denn selbst wenn es sich hierbei um eine hinreichende Geltendmachung im Sinne der Ziff. 2.1.1.1 AUB gehandelt haben sollte, was offen bleiben kann (vgl. oben), war diese Geltendmachung unter Bezugnahme auf das beigefügte Rentengutachten vom 27.03.2012 nicht derart deutlich, dass dies besondere Umstände im Sinne des § 242 BGB begründen könnte (dazu noch sogleich).

bb) Ein gesonderter Belehrungsbedarf kann auch in Betracht kommen, wenn der Versicherer nach Geltendmachen von Invalidität von sich aus noch innerhalb der Frist zur ärztlichen Feststellung ein ärztliches Gutachten einholt, ohne den Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, dass er unbeschadet dessen selbst für eine fristgerechte ärztliche Feststellung der Invalidität zu sorgen habe (BGH, Urt. v. 30.11.2005, IV ZR 154/04, juris, Rn. 8, VersR 2006, 352; vgl. m. w. N. Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl. 2014, G Rn. 69-79; zuletzt OLG Koblenz, Urt. v. 06.07.2016, 10 U 890/16, RuS 2017, 207, 207 f.).

Auch dies war hier nicht der Fall.

Der Beklagte vermittelte nie den Eindruck, die Invalidität auch im Hinblick auf die Myasthenia Gravis zu prüfen.

Zwar kündigte der Beklagte mit Schreiben vom 01.08.2012 (Anl. K16) noch innerhalb der maßgeblichen Frist eine Untersuchung des Klägers für einen späteren Zeitpunkt an.

Grundlage dessen waren aber nur die vom Kläger bis zu diesem Zeitpunkt eingereichten Unterlagen, insbesondere die bereits dargestellten ärztlichen Bescheinigungen mit Ausnahme des „Statements“, datiert auf den 12.05.2012. Aus diesen ergab sich an keiner Stelle, dass die jeweils erwähnte Myasthenia Gravis unfallbedingt sein könnte. Das vom Kläger überreichte Rentengutachten vom 27.03.2012 schloss dies sogar im Gegenteil aus. Vor diesem Hintergrund konnte der Kläger die Ankündigung der Untersuchung nicht dahin verstehen, dass der Beklagte diese auch auf die Myasthenia Gravis erstrecken wollte und auf die bedingungsgemäße ärztliche Feststellung verzichten wollte.

Selbiges gilt im Hinblick auf die Unfallmeldung vom 05.07.2012 (Anl. K15 = Anl. B2, GA 55). Denn selbst wenn man darin entgegen der Annahme des Landgerichts eine den inhaltlichen Anforderungen genügende Geltendmachung sehen wollte, brachte der Beklagte mit der Ankündigung der Untersuchung nicht und schon gar nicht mit deren rein orthopädischen Durchführung zum Ausdruck, auch die Myasthenia Gravis und deren Folgen zu untersuchen und auf die Vorlage einer den Anforderungen genügenden ärztlichen Feststellung zu verzichten.

Entsprechend forderte der Kläger nach der abschließenden Entscheidung des Beklagten vom 16.07.2013 (Anl. K3) mit Schreiben vom 30.07.2013 (Anl. K4) eine entsprechende Begutachtung im Übrigen auch nicht ein; er behielt sich nur Ansprüche wegen der Myasthenia Gravis vor. Auch im Privatgutachten Dr. C vom 19.06.2013 heißt es gerade (Anl. K17 Seite 10), dass der Versicherte, also der Kläger, ein Zusammenhangsgutachten erstellen lasse und dieses beim Versicherer einreichen werde. Wohlgleich machte der Beklagte im Schreiben vom 16.07.2013 (Anl. K3) deutlich, dass die Invalidität nur im Hinblick auf das linke Bein bemessen worden und damit die Regulierung abgeschlossen ist. Eine weitere Begutachtung wird gerade nicht angekündigt. Eine Reaktion auf den Vorbehalt des Klägers im Schreiben vom 30.07.2013 (Anl. K4) war vom Beklagten deshalb nicht zu erwarten.

Stattdessen kam der Kläger erst deutlich später am 30.07.2014 (Anl. K18 = Anl. B3, GA 56-58) darauf zurück, obwohl auch das dafür maßgebliche Gutachten des Prof. Dr. N bereits unter dem 22.01.2014 (Anl. K12) erstellt worden war.

b) Soweit der Versicherer nach Ablauf der ärztlichen Feststellungsfrist noch Untersuchungen vornehmen lässt, soll es ihm nur in Ausnahmefällen verwehrt sein, sich auf eine Fristversäumnis zu berufen (vgl. BGH, Urt. v. 20.06.2012, IV ZR 39/11, juris, Rn. 28, VersR 2012, 1113). Davon wurde beispielsweise in einem Fall ausgegangen, in dem es nach Fristablauf zu einer „Reihe von ärztlichen Untersuchungen und Explorationen“ kam, „die sich großenteils auch auf neurologischem und psychischem Gebiet bewegten und […] mit erheblichen körperlichen und seelischen Unannehmlichkeiten verbunden waren“, und sich die Beklagte bei ihrer Leistungsablehnung nicht auf die Fristversäumnis berief (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.1978, IV ZR 7/77, juris, Rn. 20-24, VersR 1978, 1036; siehe auch BGH, Urt. v. 20.06.2012, IV ZR 39/11, juris, Rn. 28, VersR 2012, 1113; BGH, Urt. v. 05.07.1995, IV ZR 43/94, juris, Rn. 11, VersR 1995, 1179).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Der Kläger hat beschwerliche Untersuchungen seitens des Beklagten bzw. des parallel tätigen Versicherers bereits nicht behauptet. Solche sind auch nicht ersichtlich. Vor allem aber bezogen sich die Untersuchungen gerade nicht auf die Myasthenia Gravis.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 S. 1, S. 2, § 709 S. 2 ZPO.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die Rechtssache weist weder grundsätzliche Bedeutung auf noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

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