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Unfallversicherung – Anforderungen an ärztliche Invaliditätsfeststellung

LG Paderborn – Az.: 2 O 181/16 – Urteil vom 28.10.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten kein Anspruch auf Zahlung weiterer Invaliditätsleistungen aus § 1 VVG i. V. m. den Ziffern 1.3. und 2.1.1 M-AUB 2011 zu.

Es kann dahinstehen, ob die beim Kläger diagnostizierte „myasthenia gravis“ tatsächlich auf das Unfallgeschehen vom 15.06.2011 zurückzuführen ist und zu der von dem Kläger behaupteten Invalidität geführt hat. Denn die Voraussetzungen für die Erbringung der Invaliditätsleistungen liegen bereits in formeller Hinsicht nicht vor.

Nach Ziffer 2.1.1 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden M 2011 ist Voraussetzung für die Invaliditätsleistung, dass die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und geltend gemacht worden ist.

Unfallversicherung - Anforderungen an ärztliche Invaliditätsfeststellung
(Symbolfoto: Elnur/Shutterstock.com)

Im vorliegenden Fall liegt bereits keine fristgerechte ärztliche Feststellung innerhalb des in den Versicherungsbedingungen vorgegebenen Zeitraumes bis zum 15.09.2012 vor. Zwar sind an die anspruchsbegründende ärztliche Feststellung der Invalidität keine hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt dem Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Leistungspflicht, wenn ihm eine – nicht notwendig an ihn gerichtete – ärztliche Stellungnahme vorliegt, die formgerecht innerhalb der Frist erstellt und in der eine innerhalb der Jahresfrist seit dem Unfall eingetretene und auf den Unfall zurückzuführende Invalidität bestätigt wird. Inhaltlich ist jedoch eine von ärztlicher Sachkunde und Erfahrung getragene und schlüssige – nicht notwendig inhaltlich richtige – sowie auf objektiven Befunden beruhende Beurteilung dahin erforderlich, dass die versicherte Person unfallbedingte Gesundheitsschäden davongetragen hat, die – dem Grunde nach – ihre körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit (bzw. Arbeitsfähigkeit) auf Dauer beeinträchtigen (vgl. Leverenz in: Bruck/Möller, VVG, 9. Auflage 2010, AUB Ziff 2.1 Rn. 91 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Dabei besteht zwar kein Begründungszwang. Erforderlich ist aber jedenfalls eine Konkretisierung, die hinreichend klar zu erkennen gibt, dass bei der versicherten Person die Voraussetzungen für die Invalidität gegeben sind (vgl. Leverenz in: Bruck/Möller, VVG, 9. Auflage 2010, AUB Ziff 2.1 Rn. 92 f.). Unerlässlich sind deshalb Angaben zu der vom Arzt angenommenen Ursache, die Art und Dauer ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit der versicherten Person sowie die Angabe eines konkreten die Leistungsfähigkeit der versicherten Person beeinflussenden Dauerschadens (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.06.2007, 5 U 70/07; OLG Hamm, Beschluss vom 06.09.2006, 20 U 81/06, zit. nach juris). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt eine fristgerechte ärztliche Feststellung der Invalidität nicht vor. Die von dem Kläger als Anlage K5, K6 und K7 vorgelegten ärztlichen Berichte des N vom 08.09.2011 und des W vom 26.09.2011 und 17.10.2011 enthalten zwar die Diagnose der „myasthenia gravis“, allerdings keine Aussagen zur Unfallursächlichkeit und keine Angaben zur Dauerhaftigkeit der Erkrankung im Sinne einer Invalidität. Auch die mit Anlage K8 vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Neurologen I vom 19.10.2011, die anamnestisch jedenfalls festhält, dass die „myasthenia gravis“ anlässlich einer OP symptomatisch geworden sei, enthält keine hinreichende Aussage zur Rückführbarkeit der Erkrankung auf das Unfallgeschehen und auch keine Feststellungen zur Dauerhaftigkeit der Erkrankung. Das mit Anlage K9 vorgelegte Rentengutachten vom 27.02.2012 enthält ebenfalls einen Hinweis auf eine im September 2011 diagnostizierte „myasthenia gravis“, stellt diese Erkrankung aber ausdrücklich als unfallunabhängig heraus. Auch der mit Anlage K 11 vorgelegte Arztbericht des N der D vom 15.06.2012 enthält keine Aussage zur Unfallbedingtheit der dort einschließlich Beschwerden aufgeführten „myasthenia gravis“.

Letztlich genügt, unabhängig von der Frage des tatsächlichen Ausstellungstages, auch das mit Anlage K 10 vorgelegte und auf den 12.05.2012 datierende „Statement“ des Hausarztes B den vorgenannten Voraussetzungen an eine ärztliche Stellungnahme im Sinne der Versicherungsbedingungen nicht. Zwar enthält die Stellungnahme ausdrücklich eine ärztliche Feststellung einer auf den Unfall vom 15.06.2011 zurückzuführenden „myasthenia gravis“. Die Stellungnahme lässt aber jegliche Konkretisierung der Erkrankung nach Art und Dauer ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit des Klägers ebenso vermissen, wie die Feststellung eines zur Invalidität führenden Dauerschadens. In der Stellungnahme ist insoweit allein von nicht näher dargelegten „Beschwerden im Sinne der bekannten myasthenia gravis“ die Rede. Diese soll, so heißt es weiter in der Stellungnahme, zu einer nicht näher konkretisierten „dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigung“ des Klägers geführt haben. Diese generellen Angaben versetzen den Beklagten als Versicherer – entsprechend dem Sinn der Fristregelung – nicht in die Lage, die Leistungspflicht auf der Grundlage der ärztlichen Feststellung zu prüfen und eine Ausgrenzung von Spätschäden, für die er nicht einzutreten hat, zu ermöglichen.

Darüber hinaus fehlt es auch an einer fristgerechten Geltendmachung der Invalidität durch den Kläger innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall, im vorliegenden Fall also bis zum 15.09.2011. Bei der in den Versicherungsbedingungen vorgesehenen Frist handelt es sich um eine Ausschlussfrist, die dem Versicherer u.a. Gewissheit über den Umfang seiner Leistungsprüfung geben soll. Inhaltlich erfordert sie eine ordnungsgemäße Meldung des Unfalls und muss die Behauptung enthalten, dass eine unfallbedingte Invalidität eingetreten ist. Die fristgerechte Geltendmachung erstreckt sich allerdings nur auf den jeweils angemeldeten Invaliditätsbereich. Der Anspruchsteller muss also einen speziellen Hinweis darauf geben, welche zur Invalidität führenden Beschwerden er geltend macht. Mit der Geltendmachung eines von mehreren Dauerschäden sind grundsätzlich nicht zugleich auch die nicht angegebenen Beeinträchtigungen bzw. Symptome rechtzeitig erfasst (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.02.2011, 20 U 176/00, zit. nach beck-online). Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich auch für einen geschulten Leistungsbearbeiter kein zwingender Anhaltspunkt für eine Verknüpfung der Schäden ergibt (vgl. Leverenz in: Bruck/Möller VVG, 9. Auflage 2010, AUB Ziffer 2.1 Rn. 123).

Dies zugrundegelegt hat der Kläger eine Invalidität in Bezug auf die „myasthenia gravis“ nicht fristgerecht bis zum 15.09.2012 geltend gemacht. Eine solche Geltendmachung liegt insbesondere nicht in der Anmeldung vom 05.07.2012 unter Übersendung des Rentengutachtens vom 27.03.2012. Denn das Rentengutachten verhält sich allein zur unfallbedingten Invalidität in Bezug auf die kniespezifischen Beeinträchtigungen und befasst sich nur am Rande mit der ausdrücklich als unfallunabhängig bezeichneten später diagnostizierten „myasthenia gravis“. Die in der Anmeldung angegebenen dauerhaften Beschwerden beziehen sich ebenfalls allein auf kniebezogene Funktionsbeeinträchtigungen. Die Anspruchsanmeldung des Klägers kann vor diesem Hintergrund nicht als Aufforderung zur Leistungsüberprüfung im Hinblick auf die „myasthenia gravis“ angesehen werden und ist dort in diesem Sinne zu Recht auch nicht verstanden worden. Umstände, die das Versäumnis entschuldigen ließen, sind seitens des Klägers nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich.

Das Berufen des Beklagten auf das Fristversäumnis erweist sich auch nicht als treuwidrig im Sinne des § 242 BGB. Weder hat der Beklagte einen Vertrauenstatbestand dahin begründet, dass er sich auf das Fristversäumnis nicht berufen wird, noch hat er die verspätete Geltendmachung veranlasst oder sonst wie dazu beigetragen. Das vorläufige Regulierungsschreiben des Beklagten vom 01.08.2012 mit Hinweis auf eine abschließende Begutachtung in etwa einem Jahr bezog sich erkennbar auf die angemeldeten unfallbedingten Dauerfolgen am Bein und konnte auch aus Sicht des Klägers insoweit kein Vertrauen dahin erwecken, dass im Hinblick auf bisher nicht angemeldete invaliditätsrelevante Erkrankungen, wie der „myasthenia gravis“, auf die geltenden Fristen verzichten werde. In einem bloßen Schweigen des Beklagten auf das Schreiben des Klägers vom 30.07.2013, mit dem er erklärt hat, sich Ansprüche wegen der „myasthenia gravis“ noch vorzubehalten, kann entgegen der Auffassung des Klägers ein Verzicht auf die Geltendmachung der in den Versicherungsbedingungen vorgesehenen Fristen ebenfalls nicht gesehen werden, zumal zu diesem Zeitpunkt die Frist zur Geltendmachung der Invalidität ohnehin bereits lange verstrichen war.

Nach alledem unterlag die Klage schon wegen Nichtvorliegens der formellen Anspruchsvoraussetzungen vollumfänglich der Abweisung.

Mangels Anspruchs in der Hauptsache hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Zinsen und Feststellung der Ersatzpflicht für entstandene vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.

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