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Unfallversicherung – Abrechnung von mehreren Unfallereignissen

LG Köln – Urteil vom 23.04.2021 – Az.: 12 O 119/20

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger geht aus einer Unfallversicherung gegen die Beklagte vor. Zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten besteht unter der Vertragsnummer 00000 ein Vertrag über eine Unfallversicherung mit einer Invaliditätssumme von 78.000 EUR und Progressionsmöglichkeiten. Wegen der Einzelheiten der Vertragsbedingungen wird auf die Unterlagen ab Bl.8 der Akte verwiesen; die Regelungen zu Invaliditätsleistungen befinden sich in den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2011) ab Ziffer 2.1 (Bl.22 der Akte).

Unfallversicherung - Abrechnung von mehreren Unfallereignissen
(Symbolfoto: Chinnapong/Shutterstock.com)

Der Kläger erlitt bei einem Unfall in seinem Haus am 02.02.2019 eine Fraktur des Wadenbeins und des Sprunggelenks links mit Weichteilschaden und Ruptur der vorderen Syndesmose und wurde deshalb stationär im städtischen Krankenhaus Heinsberg aufgenommen. Er wurde am 04.02.2019 operiert, und in diesem Zusammenhang wurden zur Stabilisierung seines Bein-/Fußbereichs links übergangsweise Fixateure angebracht.

In der Nacht vom 07. zum 08.02.2019 stürzte der Kläger in seinem Zimmer im Krankenhaus auf dem Rückweg von der Toilette und erlitt dadurch eine distale Radius-Extensionsfraktur mit metaphysärer Trümmerzone an seinem linken Arm.

Er meldete die Vorfälle bei der Beklagten. Daraufhin wurde er auf Veranlassung der Beklagten begutachtet; der Facharzt für Orthopädie Dr. med. O stellte aufgrund Auswertung medizinischer Unterlagen über den Kläger und einer eigenen fachorthopädischen Untersuchung am 22.11.2018 in seinem Gutachten vom 04.12.2019 fest, dass der Kläger sowohl hinsichtlich des linken Beins als auch der linken Hand jeweils einen Dauerschaden erlitten hatte. Der Sachverständige attestierte in diesem Zusammenhang einen Dauerschaden von 6/20 Fußwert links und 4/20 Handwert links.

Die Beklagte regulierte auf dieser Basis mit zwei Schreiben vom 17.12.2019 die Unfallschäden des Klägers. Wegen des Inhaltes der Abrechnungsschreiben wird auf Bl.44 bis 47 der Akten verwiesen. In diesem Zusammenhang beurteilte die Beklagte beide Schadensfälle vom 02.02. und 08.02.2019 separat und zahlte für die Verletzung des linken Fußes des Klägers unter Annahme eines Invaliditätsgrades von 15 % (6/20 von 50 %) einen Betrag in Höhe von 11.700 EUR und für die Verletzung des Klägers an dem linken Arm unter Annahme eines Invaliditätsgrades von 14 % (4/20 von 70 %) einen weiteren Betrag in Höhe von 10.920 EUR an den Kläger aus.

Mit einem Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 07.04.2020 ließ der Kläger die Beklagte erfolglos zur Zahlung eines weitergehenden Betrages in Höhe der Klageforderung auffordern.

Der Kläger behauptet, er sei beim zweiten Unfall in der Nacht im Krankenhaus beim Gehen an Unterarmgehstützen durch das Gewicht der Fixateure ins Straucheln geraten und habe das linke Bein schützend nach links außen gehalten, woraufhin er das Gleichgewicht verloren und sich beim Abstützen mit der linken Hand das Handgelenk gebrochen habe.

Er ist der Ansicht, dass seine Beeinträchtigung an der linken Hand eine medizinische Erweiterung aus der Beeinträchtigung des linken Beins nach dem ersten Unfall darstelle. Es sei von einem einheitlichen Vorgang auszugehen, durch den mehrere Körperteile beeinträchtigt worden seien, so dass die Invaliditätsgrade zu addieren seien. Er könne den Betrag der Klageforderung zusätzlich beanspruchen, da bei ihm insgesamt ein Invaliditätsgrad von 39 % anzunehmen sei und für diesen Prozentsatz auf der Grundlage der Staffelung im streitgegenständlichen Versicherungsvertrag von ihm 52.560 EUR beansprucht werden könnten. Wegen der Herleitung des Betrages wird auf die Seite 5 der Klageschrift (Bl.5 der Akte) verwiesen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 29.640 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.04.2020 und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.06 2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, sie habe die Ansprüche des Klägers bereits überobligatorisch erfüllt. Dem Kläger sei für den linken Fuß richtigerweise lediglich ein Invaliditätsgrad von 12 % und für die linke Hand ein Invaliditätsgrad von 11 % zuzuerkennen. Jedenfalls komme ein höherer als der im Zuge der Abrechnung der Unfälle angenommene Invaliditätssatz von 4/20 Handwert und 6/20 Fußwert nicht in Betracht.

Es handele sich um zwei gesonderte Unfallereignisse. Die Verletzung am linken Arm sei nicht Folge der Verletzung aus dem ersten Unfallereignis.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat nicht darzulegen vermocht, dass durch die unstreitig erfolgten Zahlungen der Beklagten seine aus den Unfallereignissen resultierenden Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag noch nicht vollständig erfüllt sind.

Nach dem Ergebnis der informatorischen Anhörung des Klägers als Partei und der Diskussion der Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2021 hat die Beklagte die Ereignisse, die dem Kläger am 02.02.2019 und am 08.02.2019 widerfahren sind, zu Recht als zwei separate Unfallereignisse und in der Höhe korrekt abgerechnet.

Zutreffend hat die Beklagte die Unfallereignisse vom 02. und 08.02.2019 jeweils separat beurteilt und ist nicht davon ausgegangen, dass im Sinne von Ziffer 2.1.2.2.4 der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen ein einheitlicher Unfall vorliegt, durch den mehrere Körperteile des Klägers beeinträchtigt worden sind, so dass die Invaliditätsgrade hätten zusammengerechnet werden müssen.

Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung zutreffend darauf hingewiesen, dass mehrere Unfälle in der privaten Unfallversicherung grundsätzlich getrennt abzurechnen sind. Es existiert im Bereich der Privatversicherung keine dem bis Ende 1996 geltenden § 555 Abs.1 RVO (oder danach § 11 Abs.1 Nr.1 SGB VII) vergleichbare Bestimmung, nach welcher auch Unfälle bei der Durchführung der Heilbehandlung als Folge des ersten Unfalls gelten. Vielmehr ist im Bereich der privaten Unfallversicherung grundsätzlich jeder Unfall mit seinen konkreten Folgen getrennt zur Beurteilung abzurechnen (OLG Köln, Urteil vom 23.02.1989, – 5 U 97/88 -, juris, mit Verweis auf OLG Köln, Urteil vom 26.06.1986 – 5 U 18/86 – r + s 1987, S.145, und Urteil des BGH vom 24.02.1988 – IVa ZR 220/86 – VersR 1988, S.461 ff., KG Berlin, Beschluss vom 09.05.2006, – 6 U 23/06 -, juris Rz 3, OLG Frankfurt, Urteil vom 02.05.2001, – 7 U 85/00 -, juris Rz 16).

Nur dann, wenn ein später eingetretener Unfall auf der bei einem früheren Unfall erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigung beruht, ist eine einheitliche, wenn auch zeitlich verzögerte Kausalkette anzunehmen. Dem entsprechend ist ein einheitlicher Versicherungsfall anzunehmen, wenn ein Versicherter zunächst durch einen Fahrradunfall eine Hemiparese (halbseitige Muskellähmung) erleidet und allein durch diese bedingt beim Aufstehen von einem Stuhl die Kontrolle über seinen Körper verliert und deshalb nachfolgend stürzt (OLG Frankfurt, Urteil vom 02.05.2001, – 7 U 85/00 -, juris Rz 16). Abzugrenzen von solchen Fällen eines einheitlich zu betrachtenden Geschehens sind aber Fälle, in denen es zu einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs gekommen ist und zwei voneinander unabhängige Kausalketten bestehen. Maßgebend für die Beurteilung der Kausalkette ist dabei eine wertende Betrachtung: Ergibt sich, dass sich zum Zeitpunkt des zweiten Geschehens nicht mehr das Schadensrisiko des Ersteingriffs verwirklicht hat, ist eine Kausalität zu verneinen (Leverenz in: Bruck/Möller, VVG, 9.Aufl.201, § 180 Rz 30 ff. m.w.N.).

Nach der Anhörung des Klägers ist das Gericht davon überzeugt, dass der Sturz des Klägers nicht adäquat kausal auf seiner fünf bzw. sechs Tage zuvor erlittenen Verletzung am linken Bein beruhte. Zwar hat der Kläger behauptet, dass er durch ein angeblich großes Gewicht der an seinem linken Bein angebrachten Fixateure sein Gleichgewicht verloren hat. Die Fixateure dienten der Behandlung der zuvor erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigung. Das Gericht hat aber den Eindruck gewonnen, dass der Kläger den Vorgang zu Unrecht auf die eingesetzten Fixateure bezogen hat, um eine Verbindung zu dem ersten Unfall herzustellen. So wirkte der Kläger sehr stark darauf fokussiert, durch seine Angaben die von ihm begehrte Summe von der Beklagten erhalten zu können. Mehrfach verwies er darauf, dass er Anspruch darauf habe, eine deutlich höhere Versicherungsleistung zu erhalten. Weniger schien er sich anlässlich seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung auf das tatsächlich am 08.02.2019 Erlebte zu konzentrieren.

Auch unter Berücksichtigung seiner Schilderungen hat das Gericht zudem nicht den Eindruck gewonnen, dass ein Bezug des Sturzes am 08.02.2019 zu den Fixateuren tatsächlich vorhanden war. In diesem Zusammenhang kann es dahinstehen, dass es nach es den eigenen medizinischen Erfahrungen des Gerichts nicht zutreffend ist, dass den Fixateuren am Bein des Klägers ein großes Gewicht zugekommen sein kann. Darauf angesprochen relativierte der Kläger seine Aussage dahingehend, dass ihm die Fixateure zumindest subjektiv schwer vorgekommen seien. Das tatsächliche Gewicht der Fixateure ist aber nicht entscheidungserheblich, sodass insoweit kein Beweis erhoben werden muss. Denn jedenfalls hat sich selbst dann, wenn die Fixateure entsprechend der Behauptung des Klägers mehrere Kilogramm wögen, dieses Gewicht angesichts des Eigengewichts des Klägers von 115 Kilogramm (im November 2019) bei Adipositas permagna und seiner Größer von 190 cm kaum maßgeblich auswirken können.

Zudem hatte der Kläger nach seinen eigenen Angaben schon vier Tage lang auf seinen Unterarmgehstützen die Wege innerhalb seines Zimmers und bis zum Badezimmer zurückgelegt, sodass er an das Zusatzgewicht an seinem linken Bein, mit dem er zudem gar nicht auftreten durfte, sondern das er lediglich in der Luft zu halten hatte, gewöhnt gewesen sein muss. Auch befand er sich nach eigenen Angaben bereits auf dem Rückweg von der Toilette, sodass ihn ein eventuell maßgebliches Zusatzgewicht in der konkreten Situation nicht überrascht haben kann. Dass der Kläger sein Gleichgewicht verloren hat, ist deshalb auf eine andere Ursache, möglicherweise entsprechend der Darstellung der Beklagten seine Müdigkeit mitten in der Nacht oder auch eine allgemeine Unachtsamkeit, zurückzuführen. Der Vorgang steht damit nicht mehr in einem adäquaten Zusammenhang zu der Behandlung des Klägers nach den Unfall vom 02.02.2019. Der Kausalverlauf wurde insoweit durch die eigenständige und verletzungsunabhängige Ungeschicklichkeit des Klägers unterbrochen, sodass kein einheitlicher Versicherungsfall anzunehmen ist.

Der Höhe nach sind die Abrechnungen der Beklagten nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger zunächst von einem höheren Invaliditätsgrad ausgegangen war und sich auf den Hinweis des Gerichts vom 10.09.2020 diesbezüglich auf ein Attest seines Hausarztes Herrn Q vom 11.02.2020 (Bl.106/107 der Akte) bezogen hatte, ist in der Diskussion mit den Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2021 festgestellt worden, dass dieses Attest keinen substantiierten Anhalt für einen von der gutachterlichen Feststellung abweichenden Invaliditätsgrad darstellen kann. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Hausarzt nicht um einen Orthopäden oder Unfallchirurgen handelt, sondern auch deshalb, weil bereits die Ermittlung der Invalidität aus der Gliedertaxe hinsichtlich der Gesundheitsbeeinträchtigung am Arm nicht zutreffend erfolgt ist.

Auf die vertraglich vereinbarte Progression kann sich der Kläger in keinem Falle berufen. Dies folgt schon daraus, dass die Unfallereignisse separat zu betrachten sind. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass auch bei einer Zusammenrechnung der hinreichende Invaliditätsgrad nicht erreicht wäre.

Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache kann der Kläger auch nicht erfolgreich den Ersatz seiner außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten beanspruchen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: 29.640 EUR

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