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Unfallbegriffserweiterung auf Folgen einer erhöhten Kraftanstrengung

OLG Hamm – Az.: I-6 U 104/17 – Urteil vom 17.05.2018

Die Berufung des Klägers gegen das am 11.05.2017 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Dortmund wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der klagende Verein nimmt den beklagten Versicherer auf Unterlassung der Verwendung der Formulierung „erhöhte“ Kraftanstrengung in dessen Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen in Anspruch.

Der Kläger ist in der Liste der qualifizierten Einrichtungen gem. § 4 UKlaG des Bundesamtes der Justiz eingetragen. Die Beklagte verwendet in ihren Versicherungsbedingungen zur Unfallversicherung (AUB 2010, Bl. 49 ff. GA) u.a. folgende Regelung:

„Der Versicherungsumfang

1. Was ist versichert?

1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrags zustoßen.

(…)

1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

1.4 Als Unfall gilt auch,

wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule

– ein Gelenk verrenkt wird oder

– Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden oder wenn der Versicherte anlässlich der rechtmäßigen Verteidigung oder der Bemühung zur Rettung von Menschenleben, Tieren oder von Sachen eine Gesundheitsschädigung erleidet.

(…)

Mit Schreiben vom 28.01.2016 (Bl. 9 ff. GA) forderte der Kläger die Beklagte auf, es zu unterlassen, die Formulierung „erhöhte“ in Ziffer 1.4 der AUB 2010 zu verwenden oder sich bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge auf diese oder inhaltsgleiche Klauseln zu berufen, soweit dies nicht gegenüber Unternehmern im Sinne von § 14 BGB geschehe. Der Kläger forderte die Beklagte mit diesem Schreiben zudem auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung (Bl. 16 f. GA) abzugeben.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 22.02.2016 (Bl. 18 GA) mit, keine Veranlassung zu sehen, dieser Aufforderung nachzukommen.

Der Kläger hat die Rechtsmeinung vertreten, die Klausel sei wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) unwirksam. In Rechtsprechung und Lehre werde eine Vielzahl von Auslegungsvarianten hinsichtlich dieser Klausel vertreten, was zeige, dass für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht zu beantworten sei, was unter einer „erhöhten“ Kraftanstrengung zu verstehen sei.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1.

es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern der Beklagten, zu unterlassen,

beim Abschluss von Verträgen über Unfallversicherungen,

– wie in der als Anlage K3 vorgelegten „Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2010)“ unter Ziffer 1.4 geschehen –

die folgende – hier durch Fettdruck hervorgehobene – oder eine dieser inhaltsgleiche Versicherungsklausel zu verwenden

und/oder

sich gegenüber Versicherungsnehmern bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge der vorgenannten Art auf diese oder inhaltsgleiche Klausel zu berufen,

sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmen im Sinne des § 14 BGB geschieht:

„Der Versicherungsumfang

1. Was ist versichert?

(…)

1.4 Als Unfall gilt auch,

wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule

– ein Gelenk verrenkt wird oder

– Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden (…)“

2.

an ihn 250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.02.2016 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klage könne keinen Erfolg haben, weil die Klausel den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers erweitere und daher eine den Versicherungsnehmer begünstigende Regelung darstelle. Klauseln, die den Klauselgegner begünstigen, seien niemals nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Daneben sei das Verständnis des Begriffs der erhöhten Kraftanstrengung zwar uneinheitlich, dies begründe jedoch nicht die Intransparenz der Regelung. Die Klausel sei nicht konturenlos und für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Kern verständlich.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zum einen enthalte die Klausel keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers, da sie den Versicherungsschutz für Unfälle und somit die Leistungspflicht des Versicherers gerade erweitere. Zum anderen sei die Klausel nicht intransparent, da sie auslegungsbedürftig und auslegungsfähig sei.

Wegen der Einzelheiten der Argumentation der Parteien sowie der Begründung des Landgerichts wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie die angegriffene Entscheidung Bezug genommen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge fort. Das Landgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass in der Praxis der Schadensregulierung und in der Rechtsprechung eine Reihe von beachtlichen Zweifelsfragen und erheblichen Widersprüchen darüber existiere, was unter einer „erhöhten“ Kraftanstrengung zu verstehen sei. Diese Divergenzen gingen über das für eine Klausel im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB noch vertretbare Maß an Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit hinaus. Die durch die Wortwahl der Versicherungsklausel verursachte Verunsicherung bei der Anwendung der Klausel verstoße vielmehr gegen das Transparenzgebot. Dabei sei das Landgericht fehlerhaft davon ausgegangen, dass eine den Klauselgegner begünstigende Klausel niemals gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam sein könne. Zum einen könnten im Verbandsprozess auch solche intransparenten Klauseln verboten werden, die sich auf die Rechtsposition der Kunden nicht nachteilig auswirken. Zum anderen liege eine unangemessene Benachteiligung auch bei unklarer Rechtslage und der Unübersichtlichkeit des vertraglich geschuldeten Leistungsversprechens vor, weil dem Kunden dadurch die Ausübung seiner Entschließungsfreiheit versagt werde und er bei der Abwicklung des Vertrages seine Rechtsposition nicht aus den AGB ersehen könne.

Der Kläger beantragt, das am 11.05.2017 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Dortmund, Az. 2 O 259/16, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

1.

es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern der Beklagten, zu unterlassen,

beim Abschluss von Verträgen über Unfallversicherungen,

– wie in der als Anlage K3 vorgelegten „Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2010)“ unter Ziffer 1.4 geschehen –

die folgende – hier durch Fettdruck hervorgehobene – oder eine dieser inhaltsgleiche Versicherungsklausel zu verwenden

und/oder

sich gegenüber Versicherungsnehmern bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge der vorgenannten Art auf diese oder inhaltsgleiche Klausel zu berufen,

sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmen im Sinne des § 14 BGB geschieht:

„Der Versicherungsumfang

1. Was ist versichert?

(…)

1.4 Als Unfall gilt auch,

wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule

– ein Gelenk verrenkt wird oder

– Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden (…)“

2.

an ihn 250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.02.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung mit näheren Ausführungen.

Der Senat hat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Gelegenheit zur Stellungnahme gem. § 8 Abs. 2 Ziffer 1 UKlaG gewährt.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte gem. §§ 1, 3 Abs. 1 Ziffer 1 UKlaG keinen Anspruch auf Unterlassung hinsichtlich der in Ziffer 1.4 AUB 2010 verwendeten Klausel der „erhöhten“ Kraftanstrengung. Denn diese Klausel ist entgegen der Rechtsansicht des Klägers weder gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot noch im Übrigen gem. § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.

a)

Zwar führt, anders als das Landgericht meint, allein die mit der Regelung verbundene Erweiterung des Versicherungsschutzes nicht zwangsläufig zur Wirksamkeit der Klausel. Bereits die bloße Unklarheit einer Klausel kann zu ihrer Unwirksamkeit führen, die Gefahr einer Benachteiligung des anderen Teils muss nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 05.11.1998, Az. III ZR 95/97, NJW 1999, 635, 637; Urteil vom 24.05.2006, Az. IV ZR 263/03, NJW 2006, 2545, 2546; Palandt-Grüneberg, BGB, 77. Auflage 2018, § 307 Rn. 24), § 307 Abs. 3 S. 2 BGB.

b)

Die nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 26.03.2014, Az. IV ZR 422/12, NJW 2014, 2038, Rn. 35) auch als Teil des Hauptleistungsversprechens kontrollfähige Klausel verstößt nicht gegen das Transparenzgebot. Das Transparenzgebot verlangt vom Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Eine Klausel muss nicht nur in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Vertragspartner verständlich sein, sondern darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Das Transparenzgebot verlangt ferner, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen führen, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass eine Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind hierbei so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 13.09.2017, Az. IV ZR 302/16, VersR 2017, 1330, Rz. 13 m.w.N; Urteil vom 04.04.2018, Az. IV ZR 104/17, zitiert nach juris, Rn. 9). Dabei kann sich ein Verstoß gegen das Transparenzgebot aus einer Verletzung des Verständlichkeitsgebots, einer Verletzung des Bestimmtheitsgebots sowie einer Verletzung des Täuschungsverbots ergeben (Palandt-Grüneberg, BGB, 77. Auflage 2018, § 307 Rn. 25 ff. m.w.N.).

aa)

Zwar hat insbesondere Tschersich Bedenken an der Wirksamkeit der Klausel geäußert, weil der Begriff der „erhöhten Kraftanstrengung“ letztlich so konturenlos sei, dass selbst der um dessen Verständnis bemühte Versicherungsnehmer ihn nicht verlässlich bestimmen könne (Marlow/Tschersich, r+s 2011, 367, 369; r+s 2013, 157, 160; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 276, 279; im Anschluss hieran Melzer VK 2012, 106 sowie VK 2015, 168; vgl. auch Kloth/Piontek, r+s 2017, 505, 508).

bb)

Diese Bewertung teilt der Senat jedoch nicht. Der Umstand, dass auslegungsbedürftige Begriffe letztlich durch die Gerichte ausgefüllt werden müssen, macht eine Regelung noch nicht intransparent. Bloße Schwierigkeiten bei der „rechtlichen Handhabung“ einer Klausel bei den im Einzelfall zu treffenden Feststellungen lassen eine im Übrigen klare Abgrenzungsregel nicht unklar werden (BGH, Urteil vom 23.06.2004, Az. IV ZR 130/03, NJW 2004, 2589, 2590). Dies gilt auch für den Begriff der erhöhten Kraftanstrengung (Naumann/Brinkmann, zfs 2012, 69, 75). Zwar sind die Grenzen des Begriffs der „erhöhten Kraftanstrengung“ je nach Person und Situation unterschiedlich und nicht leicht fassbar. Das ist aber typisch für jeden seiner Natur nach nicht fest zu umschreibenden Lebenssachverhalt. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist aber erkennbar, dass nur für die Folgen von über den üblichen Anstrengungen des täglichen Lebens hinausgehenden Kraftanstrengungen Versicherungsschutz zugesagt werden soll. Gewisse Unklarheiten werden durch § 305 c Abs. 2 BGB zu Gunsten des Versicherungsnehmers ausgeglichen. Deshalb sind die Grenzen zur Intransparenz nicht überschritten (Grimm, AUB, 5. Auflage 2013, 1 AUB Rn. 53; Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz-Dörner, 2. Auflage 2017, § 178 VVG Rn. 104; Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Auflage 2018, AUB 2010 Ziffer 1 Rn. 11).

Zu einer anderen Bewertung der streitgegenständlichen Klausel führt auch nicht die Neuformulierung der Regelung in der unverbindlichen Bekanntgabe des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) für neue Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB) 2014. Unabhängig von der Frage, ob diese Formulierung tatsächlich klarer ist, kommt es für die Frage der Intransparenz nicht darauf an, ob Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (exemplarisch BGH, Hinweisbeschluss vom 13.02.2013, Az. IV ZR 260/12, NJOZ 2013, 1607, Rn. 15; Urteil vom 13.09.2017, Az. IV ZR 302/16, NJW 2017, 3711, Rn. 15). Die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, besteht nur im Rahmen des Möglichen. Es bedarf nicht eines solchen Grades an Konkretisierung, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keinerlei Zweifelsfragen auftreten können (BGH, Urteil vom 04.04.2018, Az. IV ZR 104/17, zitiert nach juris, Rn. 8). Die notwendig generalisierenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen müssen ausreichend flexibel bleiben, um künftigen Entwicklungen und besonderen Fallgestaltungen Rechnung tragen zu können, ohne dass von ihnen ein unangemessener Benachteiligungseffekt ausgeht. Die Anforderungen an mögliche Konkretisierungen dürfen deshalb nicht überspannt werden; sie hängen auch von der Komplexität des Sachverhalts unter den spezifischen Gegebenheiten des Regelungsgegenstandes ab (BGH, Urteil vom 09.06.2011, Az. III ZR 157/10, NJW-RR 2011, 1618, Rn. 27).

Wie bereits ausgeführt, kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer der Klausel den Umfang seines Versicherungsschutzes hinreichend klar entnehmen. Ausgehend vom Wortlaut der Klausel wird auch ohne besondere Spezialkenntnisse aufgrund der Formulierung „gilt auch“ klar, dass Ziffer 1.4 AUB 2010 eine ergänzende, den Unfallbegriff erweiternde Funktion einnimmt. Dies ergibt sich zudem aus den Überschriften „Der Versicherungsumfang“ und „1. Was ist versichert?“. Der Benennung konkreter Körperstellen und Verletzungsmuster in Ziffer 1.4 AUB 2010 kann der durchschnittliche, um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer zudem entnehmen, dass nicht jede erdenkliche Gesundheitsschädigung, hervorgerufen durch jede mögliche Art von Eigenbewegungen, einem Unfall gleichgestellt wird. Die Unfallfiktion dehnt den Versicherungsschutz vielmehr erkennbar nur auf einen Teilbereich im Sinne einer besonders qualifizierten Form von Eigenbewegungen aus, die eine gegenüber einem Unfallereignis vergleichbare Gefahrenlage für die körperliche Unversehrtheit bergen. Als zentrale Parameter werden als Verletzungsmechanismus eine erhöhte Kraftanstrengung gefordert und als versicherte Verletzungsfolge die Verrenkung eines Gelenks und die Zerrung bzw. Zerreißung von Muskeln, Sehnen, Bändern und Kapseln an Gliedmaßen und Wirbelsäule genannt. Es ist zu berücksichtigen, dass die AUB eine produktkonstituierende Funktion haben, woraus sich für die Auslegung der AUB im Vergleich zu anderen AGB eine gesteigerte Bedeutung ergibt, welche auch eng mit dem notwendigerweise hohen Abstraktionsgrad der Begriffe in den AUB, verglichen mit anderen AGB, zusammenhängt. Im Rahmen eines rational gestalteten und überschaubaren Bedingungswerkes ist es nicht möglich, für die einzelnen Muskeln bzw. Gewebestrukturen die jeweils möglichen bzw. nötigen biomechanischen Schädigungsmechanismen aufzuführen, weil dies zu einer Informationsflut führen würde, die unverständlich wäre (Naumann/Brinkmann, zfs 2012, 69, 75).

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte sind die Grenzen zur Intransparenz weder in der Ausprägung des Verständlichkeitsgebotes noch in der Ausprägung des Bestimmtheitsgebotes überschritten. Die Verwendung (unbestimmter) Rechtsbegriffe ist einer Vielzahl von Regelungen gemein und teilweise unentbehrlich. Die Eingrenzung des Begriffsinhaltes erfolgt dann anhand der anerkannten Auslegungsregeln unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und ist Rechtsprechung und Schrifttum übertragen (König, Anmerkung zu VGH Mannheim, Urteil vom 08.03.2017, Az. 5 S 1044/15, DAR 2017, 657, 658).

Auch eine Verletzung des Täuschungsverbotes, für die bereits eine objektive Eignung zur Irreführung genügt und für die eine Täuschungsabsicht nicht erforderlich ist (Palandt-Grüneberg, BGB, 77. Auflage 2018, § 307 Rn. 27), liegt unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen nicht vor.

cc)

Entgegen der Ansicht des Klägers führt auch die Rechtsprechung des BGH zur Intransparenz eines Risikoausschlusses für „ernstliche Erkrankungen“ in einer Ratenschutzversicherung (BGH, Urteil vom 10.12.2014, Az. IV ZR 289/13, NJW-RR 2015, 801) nicht zu einer anderen Bewertung.

Zum einen betrifft diese Entscheidung eine Ausschlussklausel. Wird der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, so muss dem Versicherungsnehmer oder Versicherten deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel noch besteht (BGH, Urteil vom 10.12.2014, a.a.O., Rn. 23, 28). Demgegenüber handelt es sich bei der vom Kläger angegriffenen Klausel um eine Erweiterung des Versicherungsschutzes, die – wie unten ausgeführt – über das gesetzliche Leitbild hinausgeht und zudem den Versicherungsschutz entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers erweitert. Dies gilt unabhängig davon, ob der Begriff der „erhöhten“ Kraftanstrengung dahin auszulegen ist, dass darunter eine Steigerung des geforderten Kraftaufwands zu verstehen ist, oder ob es sich lediglich um eine klarstellende Hinzufügung handelt, der eine eigenständige Bedeutung nicht zukommt. Im letztgenannten Fall kann kein Zweifel bestehen, dass der Begriff der „erhöhten Kraftanstrengung“ eine Erweiterung des Versicherungsschutzes über den gesetzlich normierten Umfang darstellt. Auch im erstgenannten Fall gilt nichts anderes. Denn dann stellt der Begriff der „erhöhten“ Krafteinschränkung keine Einschränkung einer durch den Begriff der „Kraftanstrengung“ gewährten Erweiterung des Versicherungsschutzes dar, sondern beschreibt bei wertender Betrachtung allein den Umfang und die Grenzen der gewährten Erweiterung.

Zum anderen sieht der BGH in dem Risikoausschluss für „ernstliche Erkrankungen“ einen Verstoß gegen das Transparenzgebot, weil der Versicherungsnehmer gerade durch die im Klammerzusatz dieser Klausel genannten Erkrankungen verunsichert werde. Der allgemeine Sprachgebrauch bezeichne nicht jede der in diesem Klammerzusatz genannten Erkrankungen als „ernstlich“, weil dazu auch weit verbreitete Beschwerden wie etwa zu niedriger oder zu hoher Blutdruck, sportbedingte Gelenkläsionen, Sodbrennen oder gelegentliche Übelkeit usw. zählten (BGH, Urteil vom 10.12.2014, a.a.O., Rn. 26). Auch insoweit unterscheidet sich die vom BGH bereits beurteilte Regelung von der streitgegenständlichen Klausel.

c)

Die Regelung in Ziffer 1.4 AUB 2010 stellt auch im Übrigen keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar, sie weicht insbesondere nicht von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab, § 307 Abs. 2 Ziffer 1 BGB. Zwar unterliegen gem. § 307 Abs. 3 BGB auch solche Regelungen, die – wie hier – gesetzliche Regelungen ergänzen, einer Klauselkontrolle. Diese Kontrolle führt jedoch dazu, dass die von der Beklagten verwendete Klausel exakt den Vorstellungen und dem Willen des Gesetzgebers entspricht.

Gem. § 178 Abs. 2 S. 1 VVG liegt ein Unfall vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Diesen gesetzlichen Unfallbegriff hat die Beklagte in Ziffer 1.3 AUB 2010 übernommen. Die Erweiterung des Unfallbegriffs und damit des Versicherungsschutzes in der vom Kläger beanstandeten Ziffer 1.4 AUB 2010 entspricht den Vorstellungen des Gesetzgebers im Rahmen der Reform des Versicherungsvertragsrechts 2008. Insoweit heißt es in den Motiven (BT-Drucks. 16/3945, 107):

„Zu § 178 (Leistung des Versicherers)

Zu Absatz 1

Die Vorschrift beschreibt unter Einbeziehung des § 179 Abs. 1 Satz 1 VVG-E die wesentliche Verpflichtung des Versicherers nach Abschluss einer Unfallversicherung. Sie berücksichtigt ferner, dass über den eigentlichen Unfallbegriff hinaus, den Absatz 2 definiert, auch andere Ereignisse durch Vereinbarung einem Unfall gleichgestellt werden können, wie dies in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) häufig für die „erhöhte Kraftanstrengung“ geschieht.“

Damit liegt auch insoweit keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers als Vertragspartner des Verwenders vor. Vielmehr hatte der Gesetzgeber genau die nun von dem Kläger beanstandete Formulierung vor Augen.

2.

Der geltend gemachte Anspruch des Klägers ergibt sich mangels Intransparenz der verwendeten Regelung in Ziffer 1.4 AUB 2010 auch nicht aus §§ 3 Abs. 1, 3 a, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14.12.2017, Az. I ZR 184/15, zitiert nach juris, Tz. 40 ff.).

III.

Mangels Erfolgs der Klage in der Hauptsache hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die geltend gemachte Nebenforderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 ZPO. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (Zöller-Heßler, ZPO, 32. Auflage 2018, § 543 ZPO Rn. 11 m.w.N.), was hier der Fall ist.

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