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Unfallbedingte Invalidität – mitursächliche Vorschädigung

Meniskusriss – beginnende Kniearthrose

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 97/18 – Urteil vom 02.10.2019

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 31. Oktober 2018 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 93/18 – wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

III. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 13.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung wegen eines am 6. Januar 2016 erlittenen Unfalles. Zwischen den Parteien bestand seinerzeit ein Versicherungsvertrag über eine Unfallversicherung (Versicherungsschein Nr. …, BI. 13 GA); die Invaliditäts-Grundsumme belief sich zuletzt auf 33.746,- Euro, die Versicherungsleistung bei Vollinvalidität auf 101.238,- Euro (Bl. 64 in 14 OH 1/16). Dem Vertrag lagen u.a. die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 88, Bl. 39 ff. in 14 OH 1/16) und die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit erhöhter progressiver Invaliditätsstaffel bis 300 Prozent zugrunde. Am Schadenstag stürzte die Klägerin beim Wandern. Zwei Tage später begab sie sich erstmals in ärztliche Behandlung bei Dr. Th. W., der eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung, einen massiven Gelenkerguss sowie einen Druckschmerz über dem medialen Gelenkskompartiment diagnostizierte. In der Folgezeit meldete die Klägerin bei der Beklagten Ansprüche wegen eines unfallbedingten Dauerschadens am Knie an; die Beklagte lehnte ihre Eintrittspflicht unter Hinweis auf eine unfallunabhängige Knieerkrankung der Klägerin ab. Im Rahmen eines von der Klägerin bei dem Landgericht in Saarbrücken eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens – 14 OH 1/16 – erstattete der Sachverständige Prof. Dr. R. im Januar 2017 ein Gutachten, das schriftlich ergänzt und mündlich erläutert wurde und in dem dieser u.a. zu den Fragen eines unfallbedingten Dauerschadens, der Höhe einer unfallbedingten Invalidität und der Auswirkungen einer etwaigen Vorinvalidität bzw. unfallfremder Mitwirkungsanteile Stellung nahm.

Die Klägerin hat zur Begründung ihrer hiernach erhobenen, auf Zahlung einer Invaliditätsleistung in Höhe von 13.498,40 Euro nebst Zinsen und außergerichtlicher Kosten gerichteten Klage behauptet, sie habe unfallbedingt einen Dauerschaden am rechten Knie – in Gestalt einer Rissbildung am Innenmeniskus mit fortbestehender Symptomatik – erlitten. Der unfallbedingte Grad einer Invalidität belaufe sich richtigerweise auf 5/10 Beinwert gemäß Gliedertaxe, wovon keine Abzüge wegen unfallunabhängiger Vorschäden vorzunehmen seien; abweichende Feststellungen des Sachverständigen in dem selbständigen Beweisverfahren seien unzutreffend und durch Einholung eines weiteren Gutachtens zu korrigieren. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten mit der Behauptung, die Klägerin habe unfallbedingt allenfalls eine Kniedistorsion erlitten, die folgenlos ausgeheilt sei. Jedenfalls müsse von einem etwaigen unfallbedingten Dauerschaden, der auch höchstens mit 1/20 Beinwert zu bemessen sei, ein Mitwirkungsanteil von 50 Prozent wegen Vorerkrankungen in Abzug gebracht werden.

Mit dem zur Berufung angefallenen Urteil hat das Landgericht Saarbrücken die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung einer Invaliditätsleistung in Höhe von 1.012,38 Euro nebst Zinsen und anteiliger vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Auf der Grundlage des Ergebnisses der Begutachtung aus dem selbständigen Beweisverfahren hat es die Überzeugung davon gewonnen, dass bei der Klägerin unfallbedingt ein Dauerschaden vorliege, dessen Umfang jedoch, auch unter Berücksichtigung einer unfallunabhängigen Vorschädigung, lediglich mit 1/20 Beinwert zu bemessen sei.

Unfallbedingte Invalidität - mitursächliche Vorschädigung
(Symbolfoto: Von Studio Romantic/Shutterstock.com)

Mit ihrer hiergegen eingelegten Berufung wendet sich die Klägerin unter Bezugnahme auf ihr früheres Vorbringen – nur – gegen den vom Landgericht festgesetzten, aus ihrer Sicht zu gering bemessenen Invaliditätsgrad: Dieser müsse angesichts ihrer starken Beeinträchtigung richtigerweise mit 5/10 Beinwert angesetzt werden, was durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nachzuweisen sei. Vom Landgericht vorgenommene Abzüge für unfallunabhängige Vorschäden beträfen in Wahrheit lediglich altersentsprechenden Verschleiß, was sich auch aus dem Gutachten ergebe, und hätten daher nicht vorgenommen werden dürfen.

Die Klägerin beantragt (Bl. 97 GA), unter Abänderung des am 31. Oktober 2018 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken, Az. 14 O 93/18, die Beklagte zur Zahlung weiterer 12.486,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4. Juni 2018 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt (Bl. 88 GA), die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung, soweit diese zum Nachteil der Klägerin ergangen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 10. Oktober 2018 (Bl. 57 f. GA) und des Senats vom 13. September 2019 (Bl. 126 ff. GA) verwiesen. Der Senat hat die Akten des selbständigen Beweisverfahrens – 14 OH 1/16 LG Saarbrücken – beigezogen und den Sachverständigen ergänzend angehört (Bl. 126 ff. GA).

II.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung ist unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich in der Sache als zutreffend. Auf der Grundlage der selbständigen Beweiserhebung, die gemäß § 493 Abs. 1 ZPO einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich steht, und des Ergebnisses einer ergänzenden Anhörung des Sachverständigen durch den Senat bestehen keine weitergehenden Ansprüche der Klägerin auf Zahlung unfallbedingter Invaliditätsleistung aus dem Versicherungsvertrag:

1.

Das Landgericht hat zutreffend – und von der Berufung unbeanstandet – angenommen, dass sich der geltend gemachte Zahlungsanspruch dem Grunde nach nur aus dem von der Klägerin bei der Beklagten unterhaltenen Unfallversicherungsvertrag ergeben kann, und dass der in § 1 Ziff. III AUB 88 näher definierte Versicherungsfall – ein Unfall – eingetreten ist. Das von der Klägerin unwidersprochen vorgetragene Sturzereignis vom 6. Januar 2016, aus dessen Anlass es ebenfalls unbestritten zu gewissen Verletzungen – jedenfalls in Gestalt einer „leichten Distorsion“ des rechten Knies – gekommen ist, beschreibt ein plötzlich von außen auf den Körper der Klägerin wirkendes und aus deren maßgeblicher Sicht unfreiwillig erlittenes Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung der Klägerin geführt hat (Ziff. 1.3 AUB 2000). Denn diese Voraussetzungen sind schon dann gegeben, wenn eine vom Willen des Versicherten getragene und gesteuerte Eigenbewegung zu einer plötzlichen Einwirkung von außen führt (BGH, Urteil vom 28. Januar 2009 – IV ZR 6/08, VersR 2009, 492; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG 30. Aufl., § 178 Rn. 6). Auch kommt es nicht darauf an, ob die gravierenden körperlichen Beeinträchtigungen, die zur Grundlage eines Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung gemacht werden, bereits durch den Unfall hervorgerufen wurden, sondern es genügt, dass eine als solche unerhebliche Körperbeschädigung die Voraussetzung für weitere auf den Verletzten einwirkende Ursachen schafft (Senat, Urteil vom 21. Januar 2009 – 5 U 249/08-29, VersR 2009, 1109; Knappmann, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 178 Rn. 17).

2.

Der Senat teilt auch die Einschätzung der Erstrichterin, dass das von der Klägerin beschriebene Unfallereignis vom 6. Januar 2016 nachgewiesenermaßen binnen Jahresfrist zu einer unfallursächlichen dauernden Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin im Bereich des rechten Knies geführt hat (§ 7 Ziff. I Abs. 1 AUB 88). Auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. R., die dieser im Januar 2017 nach einer eigenen Untersuchung der Klägerin sowie mit Hilfe entsprechender radiologischer Befunde getroffen hat und die dies trotz gewisser verbleibender Unsicherheiten hinsichtlich des bildgebenden Nachweises nachvollziehbar und schlüssig begründen, hat sich das Landgericht mit Recht davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass bei der Klägerin unfallbedingt eine Läsion des Innenmeniskus eingetreten ist, entweder im Sinne einer Entstehung oder der Vergrößerung eines vorbestehenden Risses, der – neben einer weiterhin vorhandenen beginnenden, aber leicht progredienten Kniearthrose – zu einer dauerhaften Funktionseinschränkung im Bereich des rechten Kniegelenks geführt hat, die wahrscheinlich dauerhaft bestehen bleiben werde (Bl. 109 in 14 OH 1/16). Diesbezüglich kann auch mit hinreichend gesicherter überwiegender Wahrscheinlichkeit (§ 287 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2011 – IV ZR 36/10, VersR 2011, 1171) angenommen werden, dass die Invalidität durch den Unfall zumindest mitverursacht worden ist, was für die Annahme eines unfallbedingten Dauerschadens genügt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten verschiedene Argumente aufgeführt, die einerseits für, andererseits gegen einen solchen Ursachenzusammenhang sprechen, diesen letztendlich aber im Rahmen einer Gesamtwürdigung, insbesondere mit dem Hinweis auf die vorherige Beschwerdefreiheit der Klägerin, für gegeben erachtet (Bl. 106 ff. in 14 OH 1/16). Soweit das Landgericht dieser Einschätzung gefolgt ist, bestehen an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen keine durchgreifenden Zweifel (§ 529 Abs. 1 ZPO). Insbesondere stellt die von dem Sachverständigen aufgezeigte Möglichkeit, dass die Funktionsbeeinträchtigung auch auf degenerativen oder anlagebedingten Vorschäden beruhen könnte, die bis zum Unfall noch keine Beschwerden ausgelöst hatten, die Annahme eines Ursachenzusammenhanges nicht durchgreifend in Frage, weil im privaten Unfallversicherungsrecht ausreichende Adäquanz auch schon bei einer nicht gänzlich außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegenden Mitwirkung gegeben ist (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2016 – IV ZR 521/14, VersR 2016, 1492).

3.

Vergeblich wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung gegen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zum Umfang des unfallbedingten Dauerschadens und zur Höhe des daraus errechneten Anspruchs auf Zahlung einer Invaliditätsleistung. Eine weitergehende Zahlungspflicht der Beklagten besteht nach dem im Berufungsrechtzug mündlich ergänzten Gutachten aus dem selbständigen Beweisverfahren nicht:

a)

Ohne Erfolg wendet die Klägerin ein, die durch den Unfall verursachten Einschränkungen führten bei zutreffender Bewertung zu einer Invalidität von 5/10 Beinwert nach der Gliedertaxe. Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat in seinem schriftlichen Gutachten eingehend dargelegt, dass, ausgehend von der festzustellenden Funktionseinschränkung des rechten Kniegelenks mit leichter Ergussbildung, leichten belastungsabhängigen Beschwerden und geringer Einschränkung des Bewegungsumfanges im Rahmen einer vorzunehmenden Gesamtbetrachtung, die auch bestehende Vorschäden einschließe, die dauerhafte Gesamteinschränkung des Knies der Klägerin mit lediglich 1/10 Beinwert anzusetzen sei (Bl. 109 in 14 OH 1/16). Er hat dies anhand literaturbasierter Referenzwerte nachvollziehbar damit begründet, dass die bei der Klägerin festzustellende Funktionsbeeinträchtigung objektiv geringfügig sei, und dabei auf die anlässlich der körperlichen Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse Bezug genommen. Weitergehend hat er erläutert, dass ein Invaliditätsgrad von 2/10 Beinwert bereits den Bereich einer schweren Arthrose beschreibe, für die hier aber nichts festzustellen sei; bei einem Invaliditätsgrad von 3/10 befinde man sich bereits im – hier ebenfalls nicht gegebenen – Bereich eines OP-Befundes (Bl. 171 f. in 14 OH 1/16). Soweit der Sachverständige, und ihm folgend das Landgericht, der Klägerin einen höheren Invaliditätsgrad als 1/10 Beinwert versagt haben, ist dies deshalb auch nach Auffassung des Senats vollkommen zutreffend, zumal die Berufung auch keine konkreten Zweifel an der Richtigkeit dieser tatsächlichen Feststellungen aufzeigt (§ 529 Abs. 1 ZPO). Dass die Klägerin das Ergebnis des Sachverständigengutachtens lediglich für zu niedrig erachtet, genügt hierzu nicht. Erst recht besteht kein Anlass, gemäß § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einzuholen (zu den Voraussetzungen: BGH, Urteil vom 4. März 1980 – VI ZR 6/79, VersR 1980, 533; Senat, Urteil vom 9. Mai 2018 – 5 U 23/16, VersR 2018, 1314; Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung 32. Aufl., § 412 Rn. 2). Das vorliegende, mehrfach schriftlich und mündlich erläuterte Sachverständigengutachten, auf das sich das Landgericht gestützt hat, ist weder ungenügend noch unbrauchbar, sondern ganz im Gegenteil schlicht überzeugend, die fachliche Qualifikation des dem Senat langjährig bekannten Sachverständigen steht außer Zweifel, und es liegen auch nicht mehrere, gleichwertige Gutachten vor, von denen das Gericht ohne einleuchtende, nachvollziehbare Begründung keinem den Vorzug hätte geben können. Deshalb hat der Senat auch davon abgesehen, den Sachverständigen zu dieser schon in erster Instanz vollumfänglich aufgeklärten Frage erneut anzuhören.

b)

Zu Recht hat das Landgericht die Invaliditätsentschädigung der Klägerin unter Berücksichtigung eines unfallunabhängigen Mitwirkungsanteils von 50 Prozent auf 1.012,38 Euro bemessen.

aa)

Der Senat teilt zwar nicht den vom Ausgangsgericht gewählten Ansatz, wonach die anteilige Mitwirkung der nach den Feststellungen des Sachverständigen unfallunabhängig zweifellos vorhanden gewesenen Kniearthrose schon bei der Bemessung des Invaliditätsgrades zu berücksichtigen sei. Die von der Beklagten übernommene Erwägung, nicht unfallbedingte Beeinträchtigungen aufgrund der Kniearthrose dürften, weil sie abgrenzbar nicht auf das geschilderte Ereignis zurückzuführen seien, bei der Bemessung des Invaliditätsgrades von vornherein nicht berücksichtigt werden, beruht auf einer Fehlinterpretation der Äußerungen des Sachverständigen und beachtet nicht hinreichend die Systematik der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten, wonach mitwirkende Krankheiten und Gebrechen nicht im Rahmen der Kausalität zu berücksichtigen sind, sondern nachgeordnet als möglicher Leistungsminderungsgrund (§ 3 AUB 88; vgl. Jacob, Unfallversicherung 1. Aufl., Ziff. 2.1 AUB 2010 Rn. 75; Leverenz, in: Bruck/Möller, VVG 9. Aufl., § 182 Rn. 11; vgl. auch BGH, Urteil vom 19. Oktober 2016 – IV ZR 521/14, VersR 2016, 1492). Zwar hat der Sachverständige im Rahmen seiner Ausführungen zur „Unfallbedingtheit“ der Invalidität (u.a. Seite 18 des Ausgangsgutachtens, Bl. 108 in 14 OH 1/16) eine – von ihm so bezeichnete – „Abgrenzung“ der Mitwirkungsanteile von Meniskusverletzung und Kniearthrose auf jeweils 50 Prozent vorgenommen und daraus eine „unfallbedingte Invalidität von 1/20 Beinwert“ – nur – für die Meniskusverletzung hergeleitet (Bl. 129 a.a.O.). Ebenso deutlich hat er an anderer Stelle aber klargestellt, dass die derzeitige „Funktionseinschränkung … ohne Abgrenzung von Verursachungsanteilen (Vorinvalidität, Mitwirkung)“ aufgrund der nachvollziehbaren funktionellen Einschränkung mit 1/10 Beinwert bewertet werden müsse (Seite 5 des Ergänzungsgutachtens, Bl. 128 in 14 OH 1/16; mündliche Erläuterung, Bl. 128 GA). Daraus erhellt jedoch zweifelsfrei, dass „die Invalidität“ – im Sinne einer Funktionsbeeinträchtigung – hier sowohl durch die unfallbedingte Verletzung als auch durch die unfallfremde Arthrose mitverursacht worden ist, wobei die beiderseitigen Anteile nach sachverständiger Einschätzung in etwa gleich schwer wiegen und „im Zusammenspiel“ die Gesundheitsschädigung oder deren Folgen „zumindest beeinflusst“ haben (OLG Schleswig, VersR 1995, 825; Götz, in: Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl., § 182 Rn. 5; Rixecker, in: Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl.., § 182 Rn. 5; vgl. auch Senat, Urteil vom 22. Dezember 2010 – 5 U 638/09-127, RuS 2013, 618). Maßgeblich für die Bemessung der daraus zu errechnenden Invaliditätsleistung ist indes – ausschließlich – die von der Beklagten in ihren Versicherungsbedingungen getroffene Regelung des § 7 I AUB 88. Hat der Unfall zu einer dauerhaften Beeinträchtigung geführt, wofür Mitursächlichkeit genügt (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2016 – IV ZR 521/14, VersR 2016, 1492; Knappmann, in: Prölss/Martin, a.a.O., Ziff. 2 AUB 2010 Rn. 3), so richtet sich die Höhe der Leistung nach dem „Grad der Invalidität“. Dieser bemisst sich hier einheitlich nach der sog. Gliedertaxe (§ 7 Ziff. I Abs. 2 AUB 88), und zwar für den Fall des Verlusts oder der Funktionsunfähigkeit eines Beines bis zur Mitte des Oberschenkels auf 60 Prozent und bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung auf den entsprechenden Teil dieses Prozentsatzes, den der Sachverständige mit 1/10 angenommen hat. Allein für den Fall, dass durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen wäre, die schon vorher dauernd beeinträchtigt war, hätte ein Abzug dieser – nach denselben Grundsätzen zu bemessenden – Vorinvalidität zu erfolgen (§ 7 I Abs. 3 AUB 88). Das betrifft aber nur solche Funktionsbeeinträchtigungen, die bereits vor dem Unfall bestanden und sich auch geäußert haben. „Latente“ Vorschäden, die sich – wie hier – noch nicht praktisch ausgewirkt und damit bislang objektiv nicht zu Funktionsbeeinträchtigungen geführt haben, sind dagegen nicht als Vorinvalidität zu berücksichtigen, sondern können nur – und zwar auch wenn sie noch nicht subjektiv bemerkt oder als Leiden empfunden wurden – nach § 8 AUB 88 als mitwirkende Krankheiten oder Gebrechen zu einer Anspruchsminderung führen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2016 – IV ZR 521/14, VersR 2016, 1492; OLG Karlsruhe, VersR 2017, 747; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG 30. Aufl., Ziff. 2 AUB 2010 Rn. 48). Die Beachtung dieser durch die Bedingungen vorgegebenen Systematik ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil eine Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen an der Gesundheitsschädigung oder ihren Folgen erst ab einem bestimmten Grad der Mitwirkung – hier: 25 Prozent – berücksichtigungsfähig ist, was überdies der Versicherer mit dem Maßstab des § 286 ZPO zu beweisen hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2011 – IV ZR 70/11, VersR 2012, 92).

bb)

Im Ergebnis wirkt sich die abweichende Begründung des Landgerichts jedoch nicht aus. Denn auf der Grundlage der ergänzenden Anhörung des Sachverständigen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich die Klägerin von der aus dem nachgewiesenen Invaliditätsgrad von 1/10 Beinwert (60 Prozent) errechneten Invaliditätsleistung, die in der Berufungsbegründung zutreffend mit 2.024,76 Euro angegeben wird (Bl. 99 GA), gemäß § 8 AUB 88 einen Mitwirkungsanteil für Krankheiten oder Gebrechen von 50 Prozent in Abzug bringen lassen muss. Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass die durch den Unfall bedingungsgemäß mitverursachte Funktionsbeeinträchtigung hier nicht allein auf dem Meniskusriss beruht, sondern mit einem erheblichen, von ihm auf 50 Prozent veranschlagten Anteil auch auf der unfallunabhängig vorhandenen, leicht progredienten Kniearthrose (Bl. 108, 127 in 14 OH 1/16). Auf Nachfrage hat er angegeben, dass am Kniegelenk unfallunabhängig bereits Schäden der Gelenkknorpelüberzüge vorlägen, die zwar noch gering ausgeprägt seien, nach medizinischen Kriterien aber zumindest die Definition eines „Gebrechens“ erfüllten, wenngleich sie vor dem Unfall möglicherweise mangels subjektiver Beschwerden noch keinen „Krankheitszustand“ erreicht hatten (Bl. 126 ff. in 14 OH 1/16). In seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat hat der Sachverständige weiter beschrieben, wie beide Verursachungsanteile ineinander wirken und im Zusammenspiel zu der Funktionsbeeinträchtigung beitragen. An einer maßgeblichen Mitwirkung dieser – unfallunabhängigen – Vorschädigung an den Folgen der Gesundheitsschädigung im Sinne des § 8 AUB 88 bestehen daher keine Zweifel. Die Klägerin kann ihre Berufung auch nicht mit Erfolg darauf stützen, dieser Zustand begründe lediglich einen altersbedingt normalen Verschleiß, der bei der Bemessung einer unfallbedingten Invalidität außer Betracht zu bleiben habe (vgl. Senat, Urteil vom 22. Dezember 2010 – 5 U 638/09-127, RuS 2013, 618; Knappmann, in: Prölss/Martin, a.a.O., Ziff. 3 AUB 2010 Rn. 5); das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Der Sachverständige hat anlässlich der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens auf Nachfrage des Senats ausgeführt, die Spannbreite sei hierzu viel zu groß, und man könne eigentlich keinen „altersentsprechenden“ Zustand definieren. Es habe sicher nicht jeder 65jährige Patient eine Arthrose. Ein Zustand, wie er hier bei der Klägerin vorliege, habe daher zweifellos Krankheitswert (Bl. 128 GA). Ferner liegt ein mitwirkendes Gebrechen auch unabhängig davon, ob der Versicherte zuvor schon an Beschwerden gelitten hat, jedenfalls dann vor, wenn eine vorbestehende Schädigung nicht lediglich zu einer erhöhten Schadenanfälligkeit geführt, sondern – wie hier erwiesenermaßen – zur Verstärkung der Folgen des späteren Unfalls beigetragen hat (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2016 – IV ZR 521/14, VersR 2016, 1492). Deshalb erweist sich die vom Landgericht unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitwirkungsanteils unfallunabhängiger Beschwerden ermittelte Invaliditätsleistung der Höhe nach als zutreffend. Da die Klägerin hiernach eine weitergehende Entschädigung nicht beanspruchen kann, war ihre Berufung zurückzuweisen.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG.

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