LG München I – Az.: 23 S 17285/15 – Urteil vom 05.04.2016
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 26.08.2015, Az. 231 C 5165/15, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 07.01.2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 24% und die Beklagte 76% zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.800,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über Leistungen aus einer Teilkaskoversicherung wegen eines geltend gemachten Kfz-Diebstahls.
Am 26.02.2014 meldete der Kläger sein bei der Beklagten versichertes Fahrzeug bei der Polizei in Turin/Italien als gestohlen. Wegen der Einzelheiten wird auf die als Anlage K 1 sowie in Übersetzung als Anlage B 2 vorgelegte Diebstahlsanzeige Bezug genommen. In der Folge meldete der Kläger den Schaden bei der Beklagten zur Regulierung an
Mit Schreiben vom 13.03.2014 (Anlage K 3) forderte die Beklagte verschiedene Unterlagen sowie alle Fahrzeugschlüssel von dem Kläger an. Der Kläger übersandte hierauf u.a. einen ausgefüllten Fragebogen vom 17.04.2014 (Anlage K 4) sowie einen Fahrzeugschlüssel an die Beklagte. In der Folge lehnte die Beklagte die Regulierung ab
Das Amtsgericht hat in der Sache am 12.08.2015 mündlich verhandelt, das persönliche Erscheinen des Kläger war nicht angeordnet. Das Amtsgericht hat die Klage sodann abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger den Diebstahl nicht bewiesen habe. Selbst wenn der Diebstahlsanzeige eine Vermutungswirkung beikomme, sei diese jedenfalls aufgrund des widersprüchlichen Vortrags des Klägers erschüttert. Die Schilderungen des Klägers seien nicht lebensnah und nicht nachvollziehbar.
Zum Sach- und Streitstand wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts München vom 26.08.2015, Az. 231 C 5165/15 (Bl. 57/65 d. A.) Bezug genommen.
Kläger verfolgt mit seiner Berufung seinen ursprünglichen Klageantrag weiter, rügt die Urteilsgründe als fehlerhaft sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Übergehung seiner Beweisangebote und Nichtanhörung des Klägers persönlich.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
Unter Abänderung des am 26.08.2015 verkündeten Urteils des Amtsgerichts München, Az.: 231 C 5165/15, wird die Beklagte dazu verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 3.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.02.2015 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten.
Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen G in der mündlichen Verhandlung vom 05.04.2016 und in derselben mündlichen Verhandlung den Kläger persönlich informatorisch angehört. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
Anschließend die Beklagtenpartei Schriftsatzfrist zum neuen Sachvortrag des Klägers beantragt, insbesondere zur Reparatur der Bremsanlage in Groß Aitingen, zum Einkauf des Klägers in Turin für das Restaurant, dass der Versicherungsvertreter für ihn den Fragebogen ausgefüllt hat, dass die Kommunikation mit dem Versicherungsvertreter telefonisch erfolgt sei und dass auch seine Frau eingebunden gewesen sein soll.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Die Berufung hat auch teilweise in der Sache Erfolg. Nach der vom Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme stand dem Kläger der streitgegenständliche Versicherungsanspruch zu, wenn auch nicht in der geltend gemachten Höhe.
1. Bei seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen liegen hier – auch unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung – nicht vor. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich die Nachprüfung der Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht wegen § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO darauf beschränken muss, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung in sich vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk-, Natur- und Erfahrungssätze verstößt (BGH NJW 1999, 3481, 3482; NJW 2004, 1876 m.w.N.).
Insbesondere ist die Berufungsinstanz nicht Wiederholung der ersten Tatsacheninstanz, vielmehr dient sie der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung (Zöller/Heßler, ZPO, 30. Auflage 2014, § 529 Rdnr. 1). Die Würdigung der Beweise obliegt in erster Linie dem erkennenden Gericht, denn dieses muss nach § 286 ZPO aufgrund der Beweisaufnahme entscheiden, ob es eine Behauptung für wahr oder nicht für wahr hält, wobei es sich mit einer bloßen Wahrscheinlichkeit nicht begnügen darf. Im Übrigen stellt § 286 ZPO darauf ab, ob der Richter selbst die Überzeugung von der Wahrheit einer Behauptung gewonnen hat.
2. Im Rahmen der Teilkaskoversicherung bestehen keine strengen Anforderungen an den vom Versicherungsnehmer zu führenden Beweis einer Entwendung, weil sonst der Versicherungsschutz entwertet würde. Erforderlich aber auch ausreichend ist daher, wenn Tatsachen feststehen, aus denen sich das äußere Bild eines Diebstahls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erschließen lässt. Dafür reicht aus, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt und dort zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr vorgefunden wurde. Der Verdacht auf eine Täuschung liegt demgegenüber bei einer Häufung untypischer Umstände nahe (Prölls/Martin/Knappmann, Versicherungsvertragsgesetzt, 29. Auflage 2015, Ziff. A.2.2 AKB 2008, Rdnr. 18).
Der Nachweis des Minimalsachverhalts des äußeren Bildes eines Diebstahls kann durch Zeugen und durch Parteivernehmung erbracht werden. Auch die persönliche Anhörung nach § 141 ZPO kann ausreichen. Dabei ist im Einzelnen zu begründen, weshalb dem Versicherungsnehmer nicht geglaubt wird, da im Ansatz von der Redlichkeit des Versicherungsnehmers auszugehen ist. Das Gegenteil muss der Versicherer beweisen, wobei ausreichend ist, dass die allgemeine Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers durch den Versicherer durch von diesem voll zu beweisende Tatsachen erschüttert ist (Prölls/Martin/Knappmann, aaO., Ziff. A.2.2 AKB 2008, Rdnr. 22). Danach muss zu dem äußeren Bild eines Diebstahls wenigstens der Versicherungsnehmer nach § 141 ZPO persönlich angehört werden.
3. Diesen Grundsätzen genügt das erstinstanzliche Urteil nicht. Die Klageabweisung wurde ausschließlich auf die Würdigung des schriftsätzlichen Vorbringens des Klägers als widersprüchlich und nicht lebensnah gestützt, ohne dass der Kläger persönlich angehört wurde.
4. Nach der freien Überzeugung des Gerichts hat der Kläger das Vorliegen des äußeren Bildes eines Diebstahls nachgewiesen, ohne dass die Beklagte die Glaubwürdigkeitsvermutung erschüttert hätte.
4.1. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 05.04.2016 nachvollziehbar geschildert, dass er das streitgegenständliche Fahrzeug um Mitternacht in Turin in der Nähe seines Hotels abgestellt und am nächsten Morgen nicht mehr vorgefunden habe. Seine Angaben in der mündlichen Verhandlung stimmen mit dem Inhalt der Diebstahlsanzeige bei der italienischen Polizei (Anlage K 1 bzw. Anlage B 2) und den Angaben im Fragebogen (Anlage K 4) im wesentlichen Kernbereich überein, auch wenn die Diebstahlsanzeige als Urkunde nur darüber Beweis erbringt, dass und wie der Kläger diese Anzeige erstattet hat.
Die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 05.04.2016 waren zwar etwas sprunghaft und durcheinander, so dass das Gericht die informatorische Anhörung immer wieder durch Nachfragen strukturieren musste. Auch war sich der Kläger beim Kaufpreis des Autos – nach seiner Erinnerung 2.700,00 € oder 2.800,00 € – und dem für die Inzahlungnahme seines alten Autos (900,00 €) nicht mehr sicher, während schriftsätzlich und nach dem schriftlichen Kaufvertrag (Anlage K 6) der Kaufpreis 2.900,00 € betragen und das alte Auto mit 700,00 € angesetzt werden sollte.
Gerade diese Umstände machen die Angaben des Klägers aber für das Gericht glaubhaft. Hätte der Kläger einen Diebstahl des streitgegenständlichen Autos vortäuschen und im vorliegenden Verfahren unberechtigt Versicherungsleistungen geltend machen wollen, hätte es nahe gelegen, dass sich der Kläger mit der Klageschrift und den dazu vorgelegten Anlagen auf seine Parteianhörung vorbereitet. Dies hat er offensichtlich nicht getan, sondern sich durch Ungenauigkeiten in seiner Erinnerung angreifbar gemacht. Nicht einmal auf die Beträge auf dem Kaufvertrag war der Kläger vorbereitet.
4.2. Für das Gericht ist auch ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Kläger bei der Polizei in Turin zunächst warten musste, und dann nicht die Zeit seines Erscheinens auf der Dienststelle sondern die Zeit der Aufnahme seiner Anzeige durch den Beamten festgehalten wurde.
Dazu passt auch die Angabe im Fragebogen (Anlage K 4), er habe auf die Polizei gewartet. Dabei kann auch zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Kläger den Fragebogen gemäß Anlage K 4 selbst ausgefüllt hat. Der Kläger spricht nämlich kaum Deutsch und war in der mündlichen Verhandlung zur Verständigung mit dem Gericht auf die Dolmetscherin angewiesen. Nachdem die Angaben in dem Fragebogen auf Deutsch gemacht wurden, sind geringe Abweichungen für das Gericht ohne weiteres mit den Sprachschwierigkeiten des Klägers erklärlich. Das gilt auch für die Angabe im Fragebogen, er habe seinen kranken Vater besucht, um Vergleich zu der Angabe in der mündlichen Verhandlung, er sei sowohl zum Einkaufen nach Turin gefahren, als auch um seinen Vater zu besuchen.
Nachdem das entsprechende Beklagtenvorbringen als wahr unterstellt werden kann, bedurfte es insofern auch nicht der Einräumung der beantragten Schriftsatzfrist. Insofern kam es auch nicht mehr darauf an, dass sich die Betreuung des Klägers durch die Generalvertretung M M bereits aus dem als Anlage K 3 vorgelegten Schreiben der Beklagten vom 13.03.2014 ergibt, und es sich insofern um einen Umstand handelt, zu dem sich die Beklagte im Termin nicht mit Nichtwissen erklären kann.
4.3. Soweit die Beklagte darauf verweist, der frühere Klägervertreter habe mit Schreiben vom 03.11.2014 (Anlage K 9) mitgeteilt, die Zugfahrkarte des Klägers habe sich in dem gestohlenen Fahrzeug befunden, so sind die von der Beklagten daraus hergeleiteten Schlüsse zwar nachvollziehbar. Aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse des Klägers ist für das Gericht aber auch ohne weiteres plausibel, dass diese Ausführungen auf einem Missverständnis zwischen dem Kläger und seinem früheren Anwalt beruhten. Dass der Kläger keine Zugfahrkarte vorweisen kann, spricht zudem nach der freien Überzeugung des Gerichts gerade gegen einen Versicherungsbetrug. Denn dann hätte es gerade nahegelegen, einen entsprechenden Nachweis über die Rückfahrt zu beschaffen und aufzubewahren. Demgegenüber ist für das Gericht aufgrund seines persönlichen Eindrucks vom Kläger aus der mündlichen Verhandlung ohne weiteres plausibel, dass der Kläger beim Umsteigen in München einen falschen Zug nahm, deshalb eine Strafe zahlte und aus Wut die Zugfahrkarte zerrissen hat.
4.4. Schließlich hat der Zeuge G bestätigt, dass er dem Kläger zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug nur einen Schlüssel übergeben hat. Das Gericht hat keinen Grund an diesen Angaben des Zeugen G zu zweifeln, zumal sich dieser mit dem Kläger offensichtlich überworfen und damit keinen Grund für eine Gefälligkeitsaussage zugunsten des Klägers hat. Auch insofern sind nach der freien Überzeugung des Gerichts keine tatsächlichen Anhaltspunkte nachgewiesen, die gegen die Redlichkeit des Klägers sprechen würden.
5. Der geltend gemachte Leistungsanspruch aus der Teilkaskoversicherung besteht indes nur in Höhe von 2.900,00 €. Für einen höheren Wert des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist der Kläger beweisfällig geblieben.
Der Kaufpreis ist im Kaufvertrag vom 18.03.2013 (Anlage K 6), der als Urkunde die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich trägt, als „Gesamtbetrag 2.900,00 €“ ausgewiesen. Darunter lässt sich auch ohne weiteres im Wege der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB auch die weitere Eintragung im Kaufvertrag fassen, dass eine Anzahlung von 2.200,00 € geleistet werden sollte, und der Rest bei Abholung durch Übergabe des alten Autos des Klägers im Wert von 700,00 € beglichen werden sollte. Der Zeuge G hat dies so im Rahmen seiner Aussage bestätigt, während sich der Kläger weder beim Kaufpreis noch bei dem Wert für die Inzahlungnahme seines alten Autos noch sicher war. Etwaige danach verbleibende Zweifel gehen zulasten des insofern beweisbelasteten Klägers.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Kläger vorgetragenen Reparaturen. Der Kläger trägt insofern nämlich nicht vor, dass sich die Reparaturen werterhöhend ausgewirkt hätten. Ob die vom Kläger behaupteten Reparaturen wie von ihm vorgetragen durchgeführt und bezahlt wurden, konnte damit dahinstehen. Nachdem diese Frage nicht entscheidungserheblich war, bedurfte es auch insofern nicht der von der Beklagten beantragten Schriftsatzfrist.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.
7. Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 3, 4 ZPO, 39, 47, 48 GKG und entspricht der Höhe der Klageforderung in der Hauptsache.