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Schadensversicherung – Anspruchsübergang  auf in häuslicher Gemeinschaft lebende Person

LG Berlin – Az.: 5 O 261/10 – Urteil vom 23.06.2011

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz aus übergegangenem Recht in Höhe von 64.212,16 € sowie Freistellung von ihren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.761,08 €.

Die Beklagte war die Lebensgefährtin des Herrn Karl-Heinz … und vom 30.7.2008 bis zum 11.1.2009 zu dessen Betreuerin bestellt. Die Betreuung umfasste unter anderem den Bereich der Vermögenssorge. Herr Karl-Heinz … war Eigentümer des Grundstücks “J. …” in Berlin und verstarb am 27.12.2008. Alleinerbe ist sein Sohn Christian …. Dieser verlangte von der Beklagten am 29.12.2008 Herausgabe der Hausschlüssels, welche sich nach Übergabe durch den Erblasser in deren Besitz befanden. Unter Hinweis auf den fehlenden Erbschein verweigerte die Beklagte die Herausgabe. Mit Schreiben vom 13.1.2009 verlangte der von Herrn Christian … beauftragte Rechtsanwalt … von der Beklagten die Herausgabe der Schlüssel bzw. den Zugang zum Haus. Dem kam die Beklagte nicht nach. Am 17.1.2009 stellte die Beklagte in dem Haus einen auf geplatzten Heizungsrohren beruhenden Wasserschaden fest. Die Heizung war wegen Ölmangel ausgefallen. Die Klägerin war am 17.1.2009 Gebäude- und Hausratversicherer des o.g. Objekts. Versicherungsnehmer war ursprünglich der am 27.12.2008 verstorbene Karl-Heinz …. Die Klägerin leistete dem Sohn und Alleinerben ihres Versicherungsnehmers, Christian …, den Schaden und nimmt nun ihrerseits die Beklagte in Regress.

Die Klägerin behauptet, Leistungen in Höhe von 64.212,16 € an Christian … erbracht zu haben.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. an sie 64.212,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.02.2010 zu zahlen;

2. sie von dem außergerichtlichen Honoraranspruch der Rechtsanwälte … & Collegen, … Köln, in Höhe von 1.761,08 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Erblasser habe sie angewiesen, das Grundstück erst gegen Vorlage des Erbscheins herauszugeben.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht zu.

Der Klägerin steht kein Anspruch aus §§ 989, 990 Abs. 1 BGB i.V.m. § 86 Abs. 1 VVG wegen der – trotz Aufforderung – unterlassenen Herausgabe der Hausschlüssel an den Sohn zu. Ein solcher Anspruch ist schon in der Person des Sohnes, Christian …, nicht entstanden. Zwar war Christian … seit dem 27.12.2008 als Gesamtrechtsnachfolger des Karl-Heinz … nach § 1922 BGB Eigentümer des Grundstücks “J. …” in Berlin geworden. Als alleinige Inhaberin der Schlüssel war die Beklagte Besitzerin des Grundstücks . Der Beklagten stand auch kein Recht zum Besitz zu. Ein solches Besitzrecht der Beklagten ergibt sich weder aus dem Betreuungsverhältnis, noch aus der – als wahr unterstellten – Anweisung des Karl-Heinz … die fragliche Immobilie erst gegen Vorlage des Erbscheins an seinen Sohn, Christian … herauszugeben. Das Betreuungsverhältnis endete automatisch mit dem Tod des Betreuten am 27.12.2008 (vgl.: BT-Drucks 11/4528, 155; Palandt-Diedrichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., § 1896, Rn. 26). Damit enden grundsätzlich auch sämtliche damit einhergehenden Rechte und Pflichten des Betreuers. Die seitens der Beklagten behauptete Anweisung durch den Erblasser das Grundstück erst gegen Vorlage des Erbscheins herauszugeben begründet kein Recht zum Besitz. Eine solche Verfügung als Beschränkung des Erbrechts des Herrn Christian … wäre allenfalls unter Beachtung der Formvorschriften des Erbrechts zulässig gewesen. Selbst wenn man die Anweisung als atypischen Verwahrungsvertrag qualifizieren wollte, wäre dieser analog § 695 BGB durch das Herausgabeverlangen des Erben beendet gewesen (vgl.: Palandt – Sprau, a.a.O., § 695 Rdnr. 1).

Allerdings war die Beklagte nicht wie von § 990 Abs. 1 BGB vorausgesetzt bösgläubig. Bei Besitzerwerb wenige Tage vor dem Tod des Herrn Karl-Heinz … stand ihr ein Recht zum Besitz zu. Die Beklagte hat auch nach Besitzerwerb keine von § 990 Abs. 1 Satz 2 BGB geforderte positive Kenntnis von ihrem fehlenden Besitzrecht erlangt. Positive Kenntnis setzt – über die Kenntnis der die Nichtberechtigung begründenden Tatsachen hinaus – Kenntnis der Rechtslage voraus. Die erforderliche Kenntnis muss dann als erlangt angesehen werden, wenn dem Besitzer die Rechte des Eigentümers durch liquide Beweise dargetan werden oder wenn er über den Mangel seines Besitzrechts in einer Weise aufgeklärt wird, dass sich ein redlich Denkender, der von dem Gedanken an den eigenen Vorteil nicht beeinflusst ist, der Überzeugung hiervon nicht verschließen würde (BGH, NJW 1958, 668). Dabei schließt die rechtsirrtümliche Annahme eines Besitzrechts die Bösgläubigkeit aus (BGH, NJW 1977, 31, 34). Dies gilt jedenfalls soweit dem Rechtsirrtum nicht nach dem natürlichen Denken jegliche Grundlage fehlt (BGH, NJW 1960, 1105, 1107) und ist selbst dann der Fall, wenn der Rechtsirrtum vermeidbar war.

Zwar kannte die Beklagte die die Nichtberechtigung begründenden Tatsachen. Sie war jedoch – unwiderlegt – der Ansicht, das Grundstück erst gegen Vorlage des Erbscheins herausgeben zu müssen und solange zum Besitz berechtigt zu sein. Dieser Rechtsirrtum schließt die positive Kenntnis auf Seiten der Beklagten aus. Er basiert auf – wenn auch falschen so doch nachvollziehbaren – Erwägungen und entbehrt nach dem natürlichen Denken nicht jeglicher Grundlage. Die Beklagte war rechtsunkundig. Zwar war sie mit anwaltlichem Schreiben vom 13.1.2009 zur Herausgabe aufgefordert worden. Eine Mahnung allein begründet jedoch noch keine Bösgläubigkeit bzw. positive Kenntnis. Die Frage, ob das Grundstück nur gegen Erbschein herauszugeben war, ist juristisch zwar nicht anspruchsvoll. Für den Laien ist sie jedoch gerade im Hinblick auf die Besonderheiten des Erbrechts und des Immobiliarsachenrechts nicht einfach zu beurteilen. Insbesondere schützt der Erbschein vor einer haftungsauslösenden Leistung an den falschen Erben. Wenn auch ein Laie diese konkrete rechtliche Ausgestaltung meist nicht kennen wird, so ist doch offensichtlich, dass der Erbschein seinen Inhaber in qualifizierter Weise als Erben ausweist. Die Ansicht bis zur Vorlage dieser qualifizierten Legitimation die Herausgabe verweigern zu können und zum Besitz berechtigt zu sein, erscheint aus Laiensicht zumindest nicht evident abwegig. Zwar hätte sich die Beklagte anwaltlich beraten lassen können. Unterlassene Nachforschung bei aufkommenden Zweifeln und billigende Inkaufnahme genügen indes nicht zur Begründung positiver Kenntnis (Palandt-Bassenge, a.a.O., § 990 Rdnr. 5). Die Beklagte war über ihren Rechtsirrtum nicht so aufgeklärt, dass sich ein redlich und vom eigenen Vorteil nicht beeinflusst Denkender der Erkenntnis seiner Nichtberechtigung verschlossen hätte.

Weitere in der Person des Herrn Christian … entstandene Schadensersatzansprüche, die nach § 86 Abs. 1 VVG auf die Klägerin übergegangen sein könnten, insbesondere ein Anspruch aus §§ 1833, 1908i, 1893 Abs. 1, 1698b BGB bzw. § 823 Abs. 1 BGB scheiden wegen des sich aus § 993 Abs. 1 BGB ergebenden abschließenden Charakters der §§ 987 ff. BGB aus.

Ein Anspruch aus §§ 280 Abs, 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 990 Abs. 2 BGB scheidet aus, da § 990 Abs. 2 BGB nur bei Bösgläubigkeit i.S.v. § 990 Abs. 1 BGB Anwendung findet (BGH, NJW 1993, 389, 392).

Ein Anspruch der Klägerin aus §§ 1833, 1908i, 1922 BGB i.V.m. § 86 Abs. 1 VVG wegen der nicht erfolgten Beheizung des Hauses oder der nicht erfolgten sicheren Stilllegung der Heizung besteht nicht, da der Beklagten nicht ernsthaft vorgehalten werden kann, sie habe den Wasserschaden vorsätzlich verursacht. Wenn sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person richtet, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, so kann der Übergang des Ersatzanspruchs nicht geltend gemacht werden, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht (§ 86 Abs. 3 VVG). Die Beklagte lebte mit Karl-Heinz … bis zu dessen Tod in häuslicher Gemeinschaft.

Es steht nicht fest, ob der Wasserschaden vor oder nach dem Tod des Versicherungsnehmers am 27.12.2008 eingetreten ist.

Falls der Wasserschaden noch zu Lebzeiten des Karl-Heinz … entstanden ist, scheidet der Übergang eines etwaigen Ersatzanspruchs aus § 1833 BGB gemäß § 86 Abs. 3 VVG aus. Ein auch nur bedingt vorsätzliches Herbeiführen des Wasserschadens durch die Beklagte ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, daß sich die Beklagte über die Möglichkeit eines solchen Schadens während ihrer Betreuerstellung – also während der letzten Leidenszeit ihres Lebensgefährten und kurz vor dessen Tod – tatsächlich überhaupt keine Gedanken gemacht hat. Dies zeigt schon das Verhalten der Beklagten kurz nach dem Versterben des Betreuten. Obwohl die Beklagte den Schlüssel erst nach Vorlage eines Erbscheins herausgeben wollte, hat sie nach Feststellung des Schadens, diesen sofort dem Sohn gemeldet und den Schlüssel herausgegeben.

Der Beklagten kann insoweit auch nicht vorgehalten werden noch zu Lebzeiten am 1.12.2008 einen Ölbelieferungsvertrag des Betreuten mit der … Mineralöl GmbH (im Folgenden: …) gekündigt zu haben. Aus dem Schreiben der … vom 19.12.2008 (Anlage K 4) ergibt sich, daß der Betreute einen “heiz&SPAR” – Vertrag abgeschlossen hatte. Hierbei handelt es sich um ein Ansparsystem der …, bei dem der Kunde voraussichtliche Mineralölkosten in monatlichen Raten anspart und abträgt. Die Heizölbelieferung ist auch im Rahmen eines solchen Ansparvertrages jeweils bei Bedarf zu beauftragen. Lediglich die Art und Weise der Zahlung ändert sich. Dies hat eine Nachsicht im Internet ergeben, worauf die Parteien in der mündlichen Verhandlung am 12.5.2011 hingewiesen worden sind.

Falls der Wasserschaden erst nach dem Versterben des Karl-Heinz … und vor der Herausgabe des Schlüssels an dessen Sohn erfolgt ist, findet § 86 Abs. 3 VVG analoge Anwendung. § 86 Abs. 3 VVG ist entsprechend anzuwenden, wenn der Versicherungsnehmer stirbt und die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende Person nunmehr einen Schaden verursacht, aufgrund dessen der Rechtsnachfolger des Versicherungsnehmers einen Ersatzanspruch gegen die ehemals mit dem Verstorbenen in häuslicher Gemeinschaft lebende Person erlangt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – der ursprüngliche Versicherungsnehmer erst gerade verstorben ist und die Rechtsnachfolge noch nicht nachgewiesen ist. Voraussetzung für die Bejahung einer häuslichen Gemeinschaft i.S.d. § 86 Abs. 3 VVG ist das Vorliegen einer auf Dauer angelegten Gemeinschaft der Wirtschaftsführung (Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 86 Rdnr. 50). Charakteristisch für eine solche auf Dauer angelegte Gemeinschaft ist, daß sie – gerade wegen ihrer Anlage auf Dauer – nicht zu jedem gerade gewünschten, beliebigen Zeitpunkt mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden kann. Vielmehr sind von den Mitgliedern der Gemeinschaft längerfristige Planungen auch im Hinblick auf die Gestaltung der rechtlichen Beziehungen anzustellen. So dürfte für die Beklagte gerade im Hinblick auf § 86 Abs. 3 VVG kein Anlaß bestanden haben, zur Absicherung von etwaigen Schäden am Eigentum ihres Lebensgefährten eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, da sie davon ausgehen durfte, daß sie ihm nicht vorsätzlich Schaden zufügen würde, und fahrlässige Schädigungen vom ihrem Lebensgefährten nicht geltend gemacht werden würden. Es erscheint daher grob unbillig, nach dem Versterben einer Person der häuslichen Gemeinschaft, der verbleibenden Person sofort mit Eintritt des Todes höhere Sorgfaltspflichten im Verhältnis zu den Versicherern der verstorbenen Person aufzuerlegen. Zumindest während eines angemessenen Übergangszeitraums ist § 86 Abs. 3 VVG daher auf das überlebende Gemeinschaftsmitglied entsprechend anzuwenden.

Zudem obläge es der Klägerin, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, daß der Wasserschaden erst nach dem Versterben des Karl-Heinz … eingetreten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, diejenigen über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.

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