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Reiseversicherung – Fälligkeit eines Anspruchs aus Personen-Assistance-Versicherung

Oberlandesgericht Brandenburg –  Az.: 11 U 92/13 – Beschluss vom 11.02.2014

I. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin aus den unten angeführten Gründen teilweise gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen und im Übrigen gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmig gefassten Beschluss als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Berufungsklägerin kann sich hierzu binnen drei Wochen äußern. Ihr bleibt anheimgestellt, das Rechtsmittel – zwecks Kostenersparnis nach GKG-KV Nr. 1222 – vor Ablauf der Stellungnahmefrist zurückzunehmen.

Gründe

I.

Reiseversicherung - Fälligkeit eines Anspruchs aus Personen-Assistance-Versicherung
Symbolfoto: Von 279photo Studio/Shutterstock.com

Soweit das Landgericht die Klage betreffend die restlichen Taxikosten (€ 266,61), die weiteren Telefonkosten (€ 1.106,14) und die Kosten für den Ersatz des beschädigten Reisekoffers (€ 29,95) abgewiesen hat (LGU 7), ist das Rechtsmittel der Berufungsführerin bereits unzulässig, weil es – entgegen § 520 ZPO – nicht fristgerecht begründet wurde. Den inhaltlichen Anforderungen, die das Gesetz in § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO an die Rechtsmittelbegründung stellt, werden die bis zum Fristablauf am 23. August 2013 (GA II 347) vorgebrachten Berufungsangriffe diesbezüglich nicht gerecht. Wer in zweiter Instanz eine Mehrheit von Ansprüchen weiterverfolgt, muss sein Rechtsmittel hinsichtlich eines jeden davon begründen; der Angriff gegen einen Rechtsgrund genügt lediglich dann, wenn dieser im angefochtenen Urteil für alle geltend gemachten Ansprüche als abweisungsrelevant erachtet wurde (vgl. BGH, Urt. v. 26.01.2006 – I ZR 121/03, Rdn. 22, NJW-RR 2006, 1044 = MDR 2006, 943; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 520 Rdn. 37; ferner [für den Fall der Verurteilung] Saenger/Wöstmann, 5. Aufl., § 520 Rdn. 23; jeweils m.w.N.). Entsprechendes gilt bei einem einheitlichen Streitgegenstand, sofern die Vorinstanz die Klageabweisung auf mehrere – rechtlich voneinander unabhängige und mit Blick auf die Beschwer gleichwertige – Erwägungen gestützt hat, die jeweils für sich genommen entscheidungstragend sind (vgl. BGH, Beschl. v. 30.01.2013 – III ZB 49/12, Rdn. 8, NJW-RR 2013, 509 = MDR 2013, 545; Zöller/Heßler aaO Rdn. 37a; ferner [für den Fall der Verurteilung] Saenger/Wöstmann aaO; jeweils m.w.N.).

Im Streitfall verfolgt die Berufungsführerin ihr Klagebegehren im zweiten Rechtszug vollumfänglich weiter. Zwar hat sie – was auch nicht zwingend erforderlich ist (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 13. 05.1998 – VIII ZB 9/98, Rdn. 17, NJW-RR 1999, 211; ferner Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 520 Rdn. 32; jeweils m.w.N.) – keine gesonderten Berufungsanträge ausformuliert; aus dem Abschn. I der Rechtsmittelbegründungschrift vom 23. August 2013 (GA II 358) geht aber – entsprechend § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO – mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass die Klägerin an ihrem erstinstanzlichen Rechtsschutzverlangen unverändert festhalten möchte. Ihre Berufungsangriffe beziehen sich indes allein auf die von der Zivilkammer durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens getroffenen Feststellungen zum Zeitpunkt der Transportfähigkeit der Klägerin, zu dessen Erkennbarkeit durch die Beklagte und zu den möglichen Folgen einer früheren Repatriierung aus Malaysia nach Deutschland, wobei insbesondere die Sachkunde des vom Landgericht beauftragten Gutachters angezweifelt sowie grobe Mängel und Widersprüche in dessen Gutachten gerügt werden. Selbst wenn diese Angriffe begründet sein sollten, worüber im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung des Rechtsmittels nicht zu befinden ist, wäre der erstinstanzlichen Klageabweisung betreffend die restlichen Taxikosten (€ 266,61), die weiteren Telefonkosten (€ 1.106,14) und die Kosten für den Ersatz des beschädigten Reisekoffers (€ 29,95) keineswegs die rechtliche Grundlage entzogen, weil sie auf andere – von den beanstandeten Feststellungen gänzlich unabhängige – Erwägungen gestützt worden ist.

Die Erstattungsfähigkeit der Taxikosten ihres Lebensgefährten B… K… für Besuchsfahrten zwischen dem gebuchten Hotel am Urlaubsort und dem Krankenhaus auf der Insel P… in Malaysia hat die Klägerin in der Vorinstanz als Versicherungsleistung aus dem zwischen beiden Parteien bestehenden Reiseversicherungsgeschäft geltend gemacht (GA I 1, 11 ff.). Die Beklagte ist dem mit dem Einwand entgegengetreten, dass dafür kein Versicherungsschutz vereinbart gewesen sei (GA I 81, 90 f.). Dieser Auffassung hat sich das Landgericht im angefochtenen Urteil angeschlossen (LGU 7). Damit setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander. Ähnlich verhält es sich mit den in Rede stehenden Telefonkosten des B… K…; unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes für Nebenpflichtverletzungen aus dem Reiseversicherungsvertrag – früher als positive Forderungs- oder Vertragsverletzung bezeichnet – hat die Zivilkammer (sogar vorrangig) die Entstehung eines wirtschaftlichen Nachteils bei der Klägerin verneint, da die finanziellen Aufwendungen bei deren Lebensgefährten angefallen seien (GA I 1, 13 f.; GA I 81, 91 und LGU 7). Betreffend den lädierten Reisekoffer wird im landgerichtlichen Urteil von der Vorinstanz eine Obliegenheitsverletzung der Anspruchstellerin in Gestalt nicht unverzüglicher Meldung der Beschädigung beim Beförderungsunternehmen bejaht, die zur vollständigen Leistungsfreiheit führe. Ob diese Erwägungen unter den hier gegebenen konkreten Umständen einer inhaltlichen Überprüfung durch den Senat standhalten würden, ist in diesem Zusammenhang irrelevant, weil eine solche stets ein auch insoweit zulässiges Rechtsmittel voraussetzt.

II.

Hinsichtlich der übrigen Ansprüche ist der Senat einstimmig davon überzeugt, dass die klägerische Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, es der Rechtssache an grundsätzlicher – über den Streitfall hinausgehender – Bedeutung fehlt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichtes erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten erscheint. Das Landgericht hat die Klage – soweit dies gemäß den obigen Ausführungen der Nachprüfung in zweiter Instanz unterliegt – zutreffend abgewiesen. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine andere – der Klägerin günstigere – Entscheidung. Denn sie kann von der Beklagten aus dem Reiseversicherungsvertrag, den die Prozessparteien nach dem undatierten Versicherungsschein zur Buchungsnummer 936487586 (Kopie in Anlage K1/GA I 25) zu den Versicherungsbedingungen für Reiseversicherungen der E… AG – VB-E… 2009 – (Kopie in Anlage K1/GA I 26 f.) betreffend die für die Zeit vom 08. bis zum 22. Februar 2010 gebuchte Urlaubsreise nach P…/Malaysia abgeschlossen haben, wegen des Unfallereignisses am 14. Februar 2010 (Vernesselung durch eine giftige Qualle) keinen Schadenersatz verlangen. Ebenso wenig kommen im Streitfall deliktsrechtliche Vorschriften – speziell § 823Abs. 1 und § 831 BGB – als Anspruchsgrundlage in Betracht. Obwohl grundsätzlich echte Anspruchskonkurrenz besteht, darf dies nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der Senat angeschlossen hat, im Einzelfalle nicht dazu führen, dass vorrangige vertragliche Bestimmungen wie beispielsweise Fristsetzungserfordernisse ausgehöhlt werden (vgl. insb. BGH, Urt. v. 07.11.1985 – VII ZR 270/83, Rdn. 26 f., BGHZ 96, 221 = WM 1986, 291; Urt. v. 19.10.2004 – X ZR 142/03, Rdn. 7, NJW-RR 2005, 172 = VersR 2005, 282; ferner BeckOK-VOB/B/Koenen, Edition 13, § 13 Nr. 7 Rdn. 20 ff.; Kohler in Ganten/Jansen/Voit, VOB/B, 3. Aufl., § 13 Abs. 7, Rdn. 44 f.; Pastor in Werner/Pastor, Der Bauprozess, 14. Aufl., Rdn. 2350). Im Detail gilt Folgendes:

1.

Für allen materiellen und immateriellen Schaden, der der Berufungsführerin durch den Unfall entstanden ist oder noch entstehen wird, muss die Rechtsmittelgegnerin schon deshalb nicht aufkommen, weil sie das schädigende Ereignis weder durch Tun noch durch Unterlassen herbeigeführt hat. Bereits dies steht dem Erfolg des Feststellungsbegehrens insgesamt entgegen, weil das erkennende Gericht zu Umformulierungen inhaltlicher Art nicht befugt ist. Doch selbst für Teile der eingetretenen Nachteile besteht kein Ersatzanspruch gegen die Beklagte.

a) Die Klägerin hatte nach ihrem eigenen Vorbringen während ihres Urlaubsaufenthalts in P…/Malaysia beim Baden am M… Beach in hüfttiefem Wasser am linken Arm mit einer giftigen Qualle Kontakt. Der Berufungsgegnerin könnte allenfalls anzulasten sein, ihre Pflicht aus § 3 Nr. 1 Teil D VB-E… 2009, den Krankenrücktransport nach Deutschland mit medizinisch adäquaten Transportmitteln zu organisieren, sobald es medizinisch sinnvoll und vertretbar ist, nicht rechtzeitig erfüllt zu haben. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung besteht indes nach deutschem Recht, dessen Geltung die Parteien hier explizit vereinbart haben (Art. 10 Nr. 2 VB-E… 2009), was keinerlei Bedenken begegnet, nur bei Schuldnerverzug (§ 280i.V.m. § 286 BGB). Hat der Reiseversicherer – wie im Streitfall – entsprechend den vertraglichen Abreden nicht allein die Kosten für die Repatriierung zu tragen (§ 3 lit. c Teil C VB-E… 2009), sondern auch diese selbst zu organisieren (§ 3 Nr. 1 Teil D VB-E… 2009), so bleibt für einen Rückgriff auf den in § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB enthalten Grundtatbestand unter der Gesichtspunkt der Verletzung rechtsgeschäftlich begründeter Nebenpflichten regelmäßig kein Raum (vgl. Linden, Rechtliche Aspekte weltweiter Krankenrücktransporte [Repatriierung], S. 282). Die Leistungsstörung müsste im Streitfall zudem dafür kausal geworden sein, dass es bei der Rechtsmittelführerin letztlich zur teilweisen Amputation aller Finger der linken Hand mit Versteifung der Gelenke und Aufhebung der Greiffunktion gekommen ist, weil sich – verzugsbedingt – entweder ihr Gesundheitszustand verschlechtert hat oder dieser nicht rechtzeitig mittels allein in Deutschland möglicher medizinischer Maßnahmen in einem geeigneten Krankenhaus, welches dem Wohnort der Klägerin am nächsten liegt, verbessert werden konnte. Das lässt sich – wie später noch auszuführen sein wird – nicht feststellen.

b) Auch aus dem Recht der unerlaubten Handlung ergibt sich für die Anspruchsgegnerin keine weitergehende Haftung. Durch Unterlassen kann ein Delikt – speziell eine Verletzung von Körper oder Gesundheit im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB – regelmäßig nur durch einen Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten oder bei Bestehen einer so genannten Garantenstellung nach dem Verständnis von § 13 Abs. 1 StGB begangen werden (vgl. hierzu BeckOK-BGB/Spindler, Edition 29, § 823 Rdn. 5 ff.; Schulze/Staudinger, BGB, 7. Aufl., § 823 Rdn. 56 ff.). Mit der Organisation des Krankenrücktransportes unter den Voraussetzungen von § 3 Nr. 1 Teil D VB-E… 2009 hatte die Beklagte lediglich eine Leistung versprochen und sich keineswegs kraft Vertrages in eine rechtliche Position begeben, in der sie verpflichtet war, Körper und Gesundheit der Klägerin vor Risiken aus allen Richtungen zu bewahren, was einen so genannten Beschützergaranten kennzeichnet (vgl. dazu Stree/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 13 Rdn. 8 ff.; ferner Heuchemer in BeckOK-StGB, Edition 23, § 13 Rdn. 36; jeweils m.w.N.). Soweit in der Literatur eine deliktische Einstandspflicht des Versicherers für Organisationsmängel bei der Anspruchsprüfung erwogen worden ist (vgl. Linden, Rechtliche Aspekte weltweiter Krankenrücktransporte [Repatriierung], S. 278 ff. und 282), mag es gewiss um eine Verletzung allgemeiner Verkehrspflichten gehen (vgl. dazu Staudinger/Belling, BGB, Bearb. 2012, § 831 Rdn. 22). Im Streitfall ist jedoch – insbesondere unter Berücksichtigung des substanziierten Vortrages der Berufungsgegnerin zu den von ihr veranlassten Maßnahmen (GA I 81, 82 ff.) – nichts dafür ersichtlich, dass organisatorische Unzulänglichkeiten die seinerzeit gebotenen Reaktionen – in schadensursächlicher Weise – verhindert oder verzögert haben. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt – gemäß den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen – die Anspruchstellerin.

2.

Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Schadensersatz gemäß § 280i.V.m. § 286 BGB wegen einer Verzögerung des Krankenrücktransportes von Malaysia nach Deutschland sind nicht gegeben. Dass die schweren Folgen, zu denen es durch die Vernesselung des linken Armes der Rechtsmittelführerin beim Baden im Indischen Ozean gekommen ist, seitens der Berufungsgegnerin hätten verhindert werden können, lässt sich nicht feststellen.

a) Schuldnerverzug kann nicht vor Fälligkeit der versprochenen Leistung eintreten (§ 286 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. dazu Kropholler/Jacoby/v. Hinden, StudKomm BGB, 12. Aufl., § 286 Rdn. 2). Im Streitfall erscheint es bereits sehr fraglich, ob die Beklagte vor dem 23. Februar 2010, als sich – gemäß dem in erster Instanz unstreitigen Vorbringen beider Seiten (LGU 3) – B… K… bei ihr meldete und mitteilte, dass der Zustand der Klägerin zwar stabil sei, sich aber nicht bessere und Letztere nach Hause wolle, überhaupt verpflichtet war, mit der Organisation der Repatriierung zu beginnen. Keineswegs ist die Anspruchsgegnerin jedoch zuvor in Verzug geraten.

aa) Hat der Versicherer – wie hier im Rahmen der medizinischen Notfallhilfe – keine Geldzahlung zu erbringen, so bestimmt nicht § 14 VVG, sondern – sofern keine vorrangige Regelung existiert – § 271 BGB, wann der Anspruch des Versicherungsnehmers fällig wird (vgl. dazu Begründung zum Regierungsentwurf eines VVG-Reformgesetzes, BT-Drucks. 16/3945, S. 47, 63; ferner Ebers in Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2. Aufl., § 14 Rdn. 8 f.; Fausten, Ansprüche des Versicherungsnehmers aus positiver Vertragsverletzung, S. 222; Rixecker in Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., § 14 Rdn. 2). Dementsprechend tritt die Fälligkeit von Ansprüchen auf touristische Beistandsleistungen aus einer so genannten Personen-Assistance-Versicherung, um die es im Streitfall geht (vgl. hierzu Nies in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 41 Rdn. 146 ff.; dies. in van Bühren/Nies, Reiseversicherung, 3. Aufl., Teil 3 Rdn. 90 ff.), regelmäßig zugleich mit dem Versicherungsfall ein (arg. § 158 Abs. 2 BGB; vgl. Rixecker aaO Rdn. 2). Das gilt insbesondere hinsichtlich Informations- und Beratungsleistungen. Betreffend die Organisation des Krankenrücktransportes folgt indes zumindest aus den Umständen, speziell aus der Art der vom Versicherer versprochenen Leistung, dass die versicherte Person transportfähig sein muss und dass sie – wenn sie (wie hier die Klägerin) zu einer entsprechenden Willensbildung in der Lage ist – ihre Repatriierung wünscht. Solange es an Ersterem fehlt, ist eine Rückholung bereits nicht medizinisch sinnvoll und vertretbar nach dem Verständnis von § 3 Nr. 1 Teil D VB-E… 2009. Das letztgenannte Erfordernis ergibt sich daraus, dass der Versicherer die versicherte Person grundsätzlich – von Ausnahmekonstellationen wie etwa unfall- oder krankheitsbedingter Bewusstlosigkeit abgesehen – nicht ohne oder sogar gegen ihren Willen repatriieren kann und darf. Deshalb deutet Vieles darauf hin, dass lediglich ein so genannter verhaltener Anspruch vorliegt, soweit es um die Bewirkung des Krankenrücktransportes geht. Dessen Charakteristikum besteht darin, dass der Schuldner seine Leistung nicht von sich aus erbringen muss respektive nicht leisten darf, bevor sie vom Gläubiger verlangt wird (vgl. BGH, Urt. v. 01.12.2011 – III ZR 71/11, Rdn. 11, BGHZ 192, 1 = WM 2012, 25). Im Streitfall hat die Klägerin der Beklagten am 23. Februar 2010 mitteilen lassen, dass sie nach Hause wolle. Erst tags zuvor war sie im P… Hospital von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt worden. An diesem Tage hätte zudem ihre Urlaubsreise bei planmäßigem Verlauf geendet. Zu berücksichtigen bleibt in diesem Zusammenhang ferner, dass es naturgemäß eine gewisse Zeit braucht, um eine Repatriierung in die Wege zu leiten, zumal hier die Entfernung zwischen dem Aufenthaltsort der Rechtsmittelführerin in Malaysia und Berlin, wo sich die ihrem Wohnort nächstgelegenen internationalen Flughäfen im Inland befinden, schon in Luftlinie mehr als 9.000 km betrug.

bb) Keinesfalls ist die Anspruchsgegnerin vor dem 23. Februar 2010 in Schuldnerverzug geraten. Denn hierfür bedarf es nach § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB regelmäßig einer Mahnung. Darunter wird jede an den Schuldner gerichtete Aufforderung des betreffenden Gläubigers verstanden, die das eindeutige und bestimmte Verlangen zum Ausdruck bringt, die fällige Leistung nun unverzüglich zu bewirken (vgl. Jauernig/Stadler, BGB, 15. Aufl., § 286 Rdn. 15; ferner Kropholler/Jacoby/v. Hinden, StudKomm BGB, 12. Aufl., § 286 Rdn. 3). Eine solche Leistungsaufforderung kann hier frühestens darin gesehen werden, dass die Klägerin der Beklagten durch ihren Lebensgefährten ausrichten ließ, ihr Zustand sei zwar stabil sei, bessere sich aber nicht und sie wolle nach Hause. Die Voraussetzungen des § 286 Abs. 2 BGB unter denen eine Mahnung entbehrlich ist, sind im Streitfall nicht erfüllt gewesen. Insbesondere fehlte es an Gründen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen ausnahmsweise den sofortigen Eintritt des Verzuges rechtfertigen (§ 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB). Solche können sich vor allem aus dem Verhalten des Schuldners oder aus einer besonderen Dringlichkeit der vertraglich versprochenen Leistung ergeben (vgl. dazu Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 286 Rdn. 25). Dafür gibt der hier vorgetragene Sachverhalt jedoch nichts her. Krankenrücktransporte sind, speziell wenn die Versicherungsbedingungen – wie im Streitfall – nicht an die medizinische Notwendigkeit anknüpfen, sondern daran, ob die Repatriierung medizinisch sinnvoll und vertretbar ist, keineswegs schon ihrer Natur gemäß stets dringlich. Dass B… K… der Berufungsgegnerin bereits bei seinem ersten Telefonat am 17. Februar 2010 mitgeteilt hatte, die Anspruchstellerin sei aus Sicht der einheimischen Bevölkerung „mit einem Tier namens Jellyfish“ (GA I 103, 107 f.) in Kontakt gekommen, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Das Wort jellyfish stammt aus dem Englischen und steht dort – anders als die Recherchen des Lebensgefährten der Klägerin ergeben haben mögen – für jede Art von Qualle. Da dies senatsbekannt ist und anhand allgemein zugänglicher Nachschlagewerke ohne Weiteres verifiziert werden kann, bedarf es hierzu nicht der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Die Rechtsmittelführerin befand sich seinerzeit im P… Hospital auf der Intensivstation. Anzeichen dafür, dass ihr dort keine hinreichende medizinische Versorgung zu teil werde, gab es nicht. Schon nach der Lebenserfahrung war vielmehr davon auszugehen, dass die dortigen Ärzte über weitaus größere Erfahrungen mit der Behandlung der negativen Folgen von Vernesselungen durch giftige Quallen verfügen als ein deutsches Krankenhaus im Binnenland in Wohnortnähe der Klägerin. Als voraussichtlichen Entlassungstermin (approximate discharge) hatte der behandelnde Arzt in P…/Malaysia der Anspruchsgegnerin unter dem 21. Februar 2010 per Telekopie (Kopie Anlage K8/ GA I 127) den 27. Februar 2010 benannt.

b) Dass der Eintritt der schweren körperlichen Schäden, die die Berufungsführerin durch die Vernesselungen – infolge eines atypischen Verlaufs mit Gefäßverschlüssen und Nekrosenbildung – erlitten hat, nach dem 22. Februar 2010, speziell in der Zeit bis zum 06. März 2010, dem Tag des von der Beklagten organisierten Rückfluges mit einer Linienmaschine in der Business Class unter Begleitung eines deutschen Arztes, durch medizinische Maßnahmen im Inland noch hätten verhindert werden können, lässt sich im Streitfall nicht feststellen. Darlegungs- und beweisbelastet ist insoweit – gemäß den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen – die Anspruchstellerin. Der gerichtliche Sachverständige PD Dr. med. T… J… gelangt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im P… Hospital, das von US-amerikanischen Krankenhauskonzernen akkreditiert sei, eng mit der Loma Linda Universität in den Vereinigten Staaten zusammenarbeite, auf die Behandlung von Ausländern und Touristen eingestellt sei und von der Organisation International SOS die Einstufung erster Wahl erhalten habe, adäquat medizinisch versorgt worden sei (GA I 199, 204 ff.). Seine Einschätzungen konnte er naturgemäß lediglich auf den vorhandenen Akteninhalt stützen, wozu im Streitfall weder ein umfassender Arztbericht noch die Krankenakte gehört, weil offensichtlich keine der Parteien über diese Unterlagen verfügt. Dass die Thrombolyse ordnungsgemäß durchgeführt wurde, stellt auch die klägerische Privatgutachterin Dr. med. D… A… nicht in Abrede. Auf die Frage, ob ein Rücktransport der Anspruchstellerin bereits am 22. Februar 2010 medizinisch vertretbar gewesen wäre, kommt es – wie bereits oben erörtert – aus Rechtsgründen und, was den nachfolgenden Ausführungen zu entnehmen ist, zugleich aus tatsächlichen Erwägungen für die Entscheidung des Streitfalles nicht an; allerdings wäre gegebenenfalls im Rahmen von § 280Abs. 1 Satz 2 und § 286 Abs. 4 BGB zu berücksichtigten, dass der behandelnde Arzt in P…/Malaysia die Transportfähigkeit der Berufungsführerin erst mit Telefax vom 03. März 2010 (Kopie in Anlage K5/GA I 37) bescheinigt hat. Die Beklagte schuldete nicht die medizinische Behandlung der Klägerin am Urlaubsort. Den entsprechenden Vertrag hat Letztere allein mit dem Träger des P… Hospital abgeschlossen. Selbst wenn diesem ein Fehler dergestalt unterlaufen sein sollte, dass – wie Dr. med. D… A… annimmt – nicht abgeklärt wurde, ob ein sekundäres Ödem mit Entwicklung eines massiven Kompartmentsyndroms bestand, müsste die hiesige Berufungsgegnerin dafür nicht aufkommen. Zudem stimmen beide Gutachter darin überein, dass die Privatsachverständige die Existenz eines ödematös bedingten Kompartmentsyndroms lediglich vermutet hat und dass ein eindeutiger Nachweis rückwirkend nicht mehr geführt werden kann (GA II 270, 273 und GA II 298, 300 f.). Soweit PD Dr. med. T… J… und Dr. med. D… A… zu unterschiedlichen Auffassungen gelangen, bedurfte es – anders als die Rechtsmittelführerin meint – der Einholung eines so genannten Obergutachten jedenfalls deshalb nicht, weil selbst die Privatsachverständige, worauf auch im angefochtenen Urteil zutreffend abgestellt wird (LGU 11), davon ausgeht, dass die von ihr für erforderlich und hilfreich erachtete Faszienspaltung (Fasziotomie) 24 bis 36 Stunden nach dem Beginn der Thrombolyse – hier also am 18./19. Februar 2010 – hätte durchgeführt werden müssen, um den möglichen Interventionszeitraum nicht zu verpassen (GA I 233, 239). Zu dieser Zeit befand sich die Beklagte jedoch – wie oben eingehend dargestellt – noch keineswegs im Schuldnerverzug. Die Klägerin wurde damals gerade intensivmedizinisch im P… Hospital versorgt und ihr Lebensgefährte hatte den Eintritt des Versicherungsfalles unstreitig erst am 17. Februar 2010 telefonisch gemeldet.

III.

Den Gebührenstreitwert für die zweite Instanz beabsichtigt der Senat auf € 130.645,50 festzusetzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG).

 

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