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Reiserücktrittskostenversicherung – unerwartet schwere Erkrankung

AG Frankfurt – Az.: 32 C 196/18 (18) – Urteil vom 27.04.2018

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger macht Zahlungsansprüche aus einem Versicherungsverhältnis geltend.

Er buchte am 15.01.2017 unter der Nummer 15539860/1 bei der A-GmbH für sich, seine Ehefrau V sowie seine Tochter A eine Pauschalreise von München nach Hurghada und zurück zum Gesamtpreis von 1.650,00 Euro. Als Reisezeitraum war der 25.06.2017 bis 01.07.2017 vorgesehen. Zusätzlich hierzu schloss der Kläger mit der Beklagten über deren Vertriebspartner eine Reiserücktrittskostenversicherung in Höhe von 135,00 Euro ab. Darunter versicherte Personen waren neben ihm auch seine mitreisende Ehefrau und Tochter. Das versicherte Risiko wurde unter anderem in den Versicherungsbedingungen der Beklagten (nachfolgend „VB“ genannt), welche in den Versicherungsvertrag mit einbezogen wurden, umgrenzt. Dort heißt es unter der Überschrift „II. Besondere Bestimmungen“ unter anderem:

㤠2 Versicherte Ereignisse/Risikopersonen

1. Versicherungsschutz besteht, wenn die planmäßige Durchführung der Reise nicht zumutbar ist, weil die versicherte Person oder eine Risikoperson gemäß Ziff. 6 während der Versicherungsdauer von einem der nachfolgenden Ereignisse betroffen wird:

a) unerwartet schwere Erkrankung. Als unerwartet gilt die Erkrankung, die nach Versicherungsbuchung erstmals auftritt. Verschlechterungen bereits bestehender Erkrankungen gelten dann als unerwartet, wenn in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsbuchung keine ärztliche Behandlung erfolgte; ausgenommen hiervon sind Kontrolluntersuchungen; […]

2. Versicherungsschutz besteht […] für die vertraglich geschuldeten Stornokosten, sofern […]“

6. Risikopersonen sind

a) die Angehörigen der versicherten Person […]

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die auf Bl. 62 ff. d.A. abgedruckten VB verwiesen.

Bei der Tochter des Klägers wurde Mukoviszidose (Cystische Fibrose, CF) – eine autosomal rezessiv vererbte Erkrankung – diagnostiziert (vgl. den Bericht der MHH auf Bl. 7 d.A.). Diesbezüglich ließ sie sich bereits am 02.07.2015 zu einer Lungentransplantation listen.

Mit Schreiben vom 06.06.2017 teilte die MHH mit, dass für die Tochter des Klägers nun ein entsprechend geeignetes Spenderorgan vorliege und für sie am 04.06.2017 eine viereinhalbstündige bilaterale Lungentransplantation mit stationärem Aufenthalt im Klinikum der MHH bis zum 26.06.2017 anberaumt wurde. Der Eingriff wurde daraufhin tatsächlich auch vorgenommen, wobei die permanente Betreuung, Anwesenheit und Bereitschaft des Klägers für mindestens den Zeitraum des stationären Aufenthalts der Tochter als erforderlich angesehen wurde.

Aufgrund der Lungentransplantation traten der Kläger, dessen Tochter und seine Ehefrau die gebuchte Reise nicht an. Diese wurde storniert, wofür dem Kläger Kosten in Höhe von 673,00 Euro entstanden.

Der Kläger forderte die Beklagte im Rahmen des bestehenden Reiserücktrittskostenversicherungsverhältnisses zur Begleichung der Stornokosten auf. Dies wurde mit Schreiben vom 24.10.2017 durch die Beklagte jedoch abgelehnt. Der Kläger mandatierte deshalb seinen Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen Wahrnehmung seiner Interessen. Die Beklagte behielt aber auch nach anwaltlichem Aufforderungsschreiben vom 20.11.2017 ihre Meinung bei und zahlte nicht.

Der Kläger ist der Auffassung, die Durchführung der Lungentransplantation falle unter den Risikotatbestand der unerwartet schweren Erkrankung.

Er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 673,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.12.2017 zu zahlen; die Beklagte zu verurteilen, ihn von den vorgerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 74,26 freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zwar zulässig, aber nicht begründet.

I.

Reiserücktrittskostenversicherung - unerwartet schwere Erkrankung
(Symbolfoto: Von 9nong/Shutterstock.com)

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der angefallenen Stornokosten. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus § 1 Satz 1 VVG i.V.m. mit dem Versicherungsvertrag i.V.m. Teil II. § 2 Nr. 1a, Nr. 2 der VB.

In der Durchführung der bilateralen Lungentransplantation hat sich kein versichertes Risiko verwirklicht, für das die Beklagte einstandspflichtig wäre.

Zwar war für die Beteiligten die Durchführung der geplanten Reise eindeutig nicht mehr zumutbar. Versicherungsschutz bestand gleichwohl nicht, da keines der in § 2 Nr. 1 VB abschließend aufgezählten Ereignisse bei den Versicherten oder einer Risikoperson eingetreten ist. Insbesondere ist in der obigen Operation keine unerwartet schwere Erkrankung zu sehen.

Schon dem Wortlaut nach passt der Begriff „Erkrankung“ nicht auf die Lungentransplantation selbst. Darunter zu verstehen ist eine Störung der normalen physischen oder psychischen Funktionen, die einen Grad erreicht, der die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden eines Lebewesens subjektiv oder objektiv wahrnehmbar negativ beeinflusst. Lediglich die vererbbare Mukoviszidose wäre unter diesen Begriff zu subsumieren. Bei dieser steht aber unstreitig fest, dass der Tochter des Klägers eine dahingehende Diagnose spätestens seit der Listung zur Lungentransplantation am 02.07.2015 – mithin fast zwei Jahre vor Abschluss des Versicherungsvertrages – gestellt werden konnte. Von der Legaldefinition der Unerwartetheit aus § 2 Nr. 1 VB MDT 2016-D kann hier offensichtlich nicht mehr ausgegangen werden.

Bei der Lungentransplantation hingegen handelt es sich (lediglich) um eine Therapie für die bereits bestehende Erkrankung, nicht aber um eine eigenständige Erkrankung (so für den Fall der Lebertransplantation auch LG Heidelberg, Urt. v. 11.08.2011 – 2 S 10/10, BeckRS 2012, 16736; ebenfalls für eine Nierentransplantation AG Hamburg, Urt. v. 20.06.2006 – 4 C 4/06, r + s 2007, 284; vgl. auch Dörner, in: Prölls/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, VB 2008 Ziff. 2 Rdnr. 6).

Entgegen der Auffassung des Klägervertreters kommt es mithin nicht darauf an, ob die Behandlung der Krankheit als stationärer Aufenthalt geplant war oder ob die Reise bei Kenntnis der Operation nicht angetreten worden wäre. Insbesondere die so beschriebene Kausalität ist keine Prämisse, die für den Deckungsschutz maßgeblich ist.

Auch aus dem Sinn und Zweck der Norm ergibt sich kein anderes Ergebnis. Das für den Versicherer maßgebliche Risiko muss für diesen überschau- und planbar bleiben. Dementsprechend hoch werden auch die Versicherungsprämien kalkuliert. Weiß der Versicherungsnehmer jedoch bereits, dass eine schwere Erkrankung vorliegt und ist er für eine entsprechende Transplantation gelistet, liegt es in seinem Risikobereich, wenn sich die Möglichkeit der notwendigen Operation durch Vorhandensein eines Spenderorgans auch realisiert und diese durchgeführt wird.

Dieses Ergebnis mag für den juristischen Laien zwar gegebenenfalls auf Unverständnis stoßen und gegen sein Gerechtigkeitsgefühl sprechen. Im Rahmen des Versicherungsschutzes erfasst ist tatsächlich jedoch nicht jedes unerwartete Ereignis. Insoweit liegt es an ihm, sich vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages über die Deckung der befürchteten Risiken aufklären zu lassen.

2. Die Nebenentscheidungen (vorgerichtliche Rechtsanwalts- und Zinsforderungen) teilen das Schicksal der Hauptforderung.

II.

1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erging nach aufgrund von §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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