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Reisekrankenversicherung – Versicherungsfall bei Selbstmordversuch

Landgericht Dortmund

Az.: 2 O 309/13

Urteil vom 16.01.2014

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 8.306,01 € die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

T a t b e s t a n d

Reisekrankenversicherung – VersicherungsfallDie Klägerin, die bei der Beklagten eine Reisekrankenversicherung unterhielt, der die Versicherungsbedingungen für Reiseversicherungen der Beklagten (VB-ERV/TUI2011) zugrunde lagen, unternahm im Juni 2011 eine Reise nach Mexiko. Wenige Tage nach der Ankunft wollte sie sich im Reisehotel, möglicherweise veranlasst durch den erst ein halbes Jahr zurückliegenden Tod ihres Ehemannes, das Leben nehmen und schnitt sich die Pulsadern auf. Noch lebend wurde sie vom Hotelpersonal aufgefunden, das sofort lebenserhaltende Maßnahmen einleitete. Die Klägerin wurde auf die Intensivstation eines Krankenhauses verbracht, wo ihr Leben gerettet und sie nach einer Woche entlassen werden konnte. Für die medizinischen Behandlung wurden ihr zwei Rechnungen über umgerechnet insgesamt 8.306,01 € erteilt. Die erste Rechnung bezahlte sie vor Ort. Die zweite Rechnung wurde zunächst von der Beklagten beglichen und nach Rückforderung von der Klägerin an die Beklagte erstattet.

Die Parteien streiten, ob ein gedeckter Versicherungsfall vorgelegen hat.

Die Klägerin meint, dass der in den Versicherungsbedingungen enthaltene Ausschluss für „auf Vorsatz beruhende Unfälle und deren Folgen“ nicht eingreife, weil dieser Ausschluss dem § 201 VVG nachempfunden sei und von dieser Vorschrift nach herrschender Meinung ein fehlgeschlagener Selbstmordversuch nicht erfasst sei. Außerdem beinhalte der Unfallbegriff in der privaten Unfallversicherung das Merkmal der Unfreiwilligkeit.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.306,01 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf den Leistungsausschluss für die auf Vorsatz beruhenden Unfälle und deren Folgen und verweist darauf, dass sich der Vorsatz nur auf den Unfall und nicht auf deren Folgen beziehen müsse. Zudem sei eine Gesundheitsbeschädigung ein vom Vorsatz notwendigerweise erfasstes Durchgangsstadium für eine (fehlgeschlagene) Selbsttötung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Kostenerstattungsanspruch aus der vereinbarten Reisekostenkrankenversicherung aus Anlass ihrer Behandlung in Mexiko nach einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch zu.

1.

Gemäß § 1 der VB-ERV/TUI leistet die Beklagte Entschädigung bei auf der versicherten Reise akut eintretenden Krankheiten und Unfällen für die Kosten der Heilbehandlung und erstattet gemäß § 2 der VB-ERV/TUI die Kosten der im Ausland notwendigen Heilbehandlungen. Gemäß § 6 Abs. 1 f VB-ERV/TUI sind nicht versichert auf Vorsatz beruhende Krankheiten und Unfälle und deren Folgen. Da die Behandlung der Klägerin durch einen Selbstmordversuch verursacht worden ist, sind die dadurch entstandenen Kosten von der Leistungspflicht der Beklagten ausgenommen, weil es sich bei dem Selbstmordversuch durch Aufschneiden der Pulsadern um einen vorsätzlich herbeigeführten Unfall und bei der ärztlichen Behandlung um dessen Folgen handelt.

a)

Der Begriff des Unfalls wird in der Krankenversicherung, zu der auch die Reisekrankenversicherung gehört, in § 192 VVG, dem gesetzlichen Leitbild für die private Krankenversicherung, nicht näher definiert. Auch die vereinbarten Versicherungsbedingungen für die Reisekrankenversicherung enthalten keine Definition des Unfallbegriffs. Allerdings kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die Definition des Unfalls aus der Unfallversicherung für die Krankenversicherung übernommen werden, weil es sich bei der Krankenversicherung nicht um eine Unfallversicherung handelt. Auch die Definition in den AUB kann für die Ausfüllung des Unfallbegriffs in den VB-ERV/TUI nicht herangezogen werden. Denn bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bildet nur die vereinbarte Vertragsklausel den Gegenstand der Auslegung. Andere Klauseln, wie die Definition des Unfallbegriffs in den AUB oder z. B. auch den AKB können nicht herangezogen werden, da von einer Kenntnis des Versicherungsnehmers hiervon nicht ausgegangen werden kann (BGH VersR 2007, 388; VersR 1987, 68; Beckmann in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersR Handbuch, 2. Auflage, § 10 Rdnr. 168). Im Übrigen kommt die von der Klägerin herangezogene Verwendung des Unfallbegriffs aus der privaten Unfallversicherung schon deswegen nicht in Betracht, weil dann die in § 6 Abs. 1 f verwendete Wendung von auf Vorsatz beruhenden Unfällen ein Widerspruch in sich wäre, da zum Unfallbegriff in der privaten Unfallversicherung die Unfreiwilligkeit per definitionem gehört.

Ebenso wenig kann auf einen möglicherweise dahingehenden Willen des Bedingungsgebers zurückgegriffen werden, weil ein solcher Wille in den VB-ERV/TUI keinen Niederschlag gefunden hat. Denn bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen gelten nicht die für die gesetzesähnliche Auslegung zu berücksichtigenden Grundsätze (BGH NJW-RR 2000, 1341).

Der Begriff des Unfalls ist vielmehr unabhängig von Unfalldefinitionen in anderen Versicherungszweigen unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Krankenversicherung auszulegen. Danach wird in der Krankenversicherung unter einem Unfall ein von außen kommendes Ereignis (Voit in Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, § 192 Rdnr. 43; Langheid in Römer/Langheid, VVG, 4. Auflage, § 192 Rndr. 10), für das allenfalls noch das Erfordernis der Plötzlichkeit der Einwirkung von außen, nicht aber die Unfreiwilligkeit der Gesundheitsbeschädigung gelten kann. Da das Aufschneiden der Pulsadern nach einem so verstandenen Unfallbegriff eine plötzliche Einwirkung von außen darstellt (BGH VersR 2014, 59 für den vergleichbaren Fall einer willentlich herbeigeführten Kokaininjektion) und es auf die Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit der dadurch herbeigeführten Körperverletzung nicht ankommt, ist die versuchte Selbsttötung vom Leistungsbereich der Reisekrankenversicherung ausgenommen. Denn die Klägerin hat sich die Pulsadern vorsätzlich aufgeschnitten und damit den Unfall vorsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen herbeigeführt. Wie sich dem eindeutigen Wortlaut von § 6 Abs. 1 f VB-ERV/TUI entnehmen lässt, muss sich der Vorsatz nur auf den Unfall, nicht aber auf die durch den Unfall verursachten Folgen beziehen.

b)

§ 201 VVG, der gemäß § 208 VVG nicht zum Nachteil der Klägerin abgeändert werden kann und der deshalb auch durch die Bedingungen der Reisekrankenversicherung keine Einschränkung zu Lasten der Klägerin erfahren kann, steht dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass eine weit verbreitete Auffassung in der Literatur zur Krankenversicherung die Meinung vertritt, dass die Folgen eines fehlgeschlagenen Selbstmordversuchs der Leistungsausschluss nach § 201 VVG greife bei einem jedenfalls ernstgemeinten Selbstmordversuch nicht, weil im Hinblick auf eine statt des erstrebten Todes eingetretene Gesundheitsbeschädigung in der Regel kein Vorsatz vorliege (Voit aaO, § 201 Rdnr. 11; Hütt in Langheid/Wandt, Müko-VVG, § 201 Rdnr. 25/26; Kalis in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 4. Auflage, § 5 MB/KK Rdnr. 7). Dem wird aber nach Auffassung des Gerichts zu Recht entgegengehalten, dass bei einem Suizidversuch der Leistungsausschluss nach § 201 VVG eingreift, da der Verletzungsvorsatz notwendiges Durchgangsstadium des Vollendungsvorsatzes ist (Rogler in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG 2. Auflage, § 201 Rdnr. 6). Auch für andere Rechts- und Versicherungsbereiche ist zutreffend die Auffassung vertreten worden, dass selbst schwerste Verletzungen notwendiges Durchgangsstadium eines fehlgeschlagenen Selbstmordes sind (BGH NJW 1961, 1779 für das Verhältnis Tötungs- zu Körperverletzungsvorsatz im Strafrecht; OLG Hamm R+S 1999, 524; OLG Frankfurt NVersZ 1999, 325; LG Dortmund v. 15.09.2011 – 2 O 145/11 -; Manthey NVersZ 2000, 161 jeweils für die private Unfallversicherung). Jedenfalls wenn sich ein Versicherungsnehmer die Pulsadern aufschneidet, um sich das Leben zu nehmen, muss von einem vorsätzlich herbeigeführten Gesundheitsschaden auch ohne Eintritt des eigentlich beabsichtigten Todes ausgegangen werden. Da die Behandlungskosten, für die die Klägerin bedingungsgemäße Entschädigung verlangt, gerade durch die vorsätzlich herbeigeführte Öffnung der Pulsadern verursacht worden sind, greift der in § 6 VB-ERV/TUI vereinbarte Leistungsausschluss ein.

2.

Die Klage musste so mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und deren Abwendung beruht auf §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

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