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Regress der Kfz-Haftpflichtversicherung bei Verkehrsunfall mit EU-Führerschein

LG Karlsruhe, Az.: 19 S 19/17, Urteil vom 20.12.2017

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bruchsal vom 20.12.2016, Az. 4 C 149/16, im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Ziffer 1 des Versäumnisurteils des Amtsgerichts Bretten vom 21.01.2016 – 1 C 255/14 – bleibt aufrecht erhalten.

Die Ziffer 2 des Versäumnisurteils des Amtsgerichts Bretten vom 21.01.2016 – 1 C 255/14 – wird aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens sowie – neben den bereits im Versäumnisurteil des Amtsgerichts Bretten vom 21.01.2016 – 1 C 255/14 – auferlegten Kosten – die weiteren Kosten des Rechtsstreits erster Instanz. Hiervon ausgenommen sind diejenigen Kosten, die durch die Anrufung des örtlich unzuständigen Amtsgerichts Bretten entstanden sind. Diese trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Bretten vom 21.01.2016 – 1 C 255/14 – ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den bei ihr versicherten Beklagten nach einem Verkehrsunfall vom … .2011 auf der … Straße in … wegen einer Obliegenheitsverletzung in Regress. Umstritten ist zwischen den Parteien, ob eine dem Beklagten ausgestellte tschechische Fahrerlaubnis aus dem Jahr 2006 und eine weitere aus dem Jahr 2009 zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet berechtigten. Darüber hinaus ist umstritten, ob der Beklagte den Obliegenheitsverstoß vorsätzlich begangen hat.

Regress der Kfz-Haftpflichtversicherung bei Verkehrsunfall mit EU-Führerschein
Symbolfoto:FreedomTumZ/Bigstock

Hinsichtlich des Unfallhergangs sowie der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das Urteil des Amtsgerichts Bruchsal verwiesen, soweit nachfolgend keine entgegenstehenden oder weitergehenden Feststellungen getroffen werden.

Ergänzend ist anzumerken, dass in den Versicherungsbedingungen der Klägerin u.a. Folgendes geregelt ist (AS I, 31 ff.) und dies unstreitig auch für mitversicherte Fahrer gilt:

„Fahren mit der erforderlichen Fahrerlaubnis“

D.1.3.

Der Fahrer des Fahrzeugs darf das Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen nur mit der erforderlichen Fahrerlaubnis benutzen (…)

Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung

D.3.1

Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in D.1 und D.2 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. [Es folgt eine Regelung zur grob fahrlässigen Pflichtverletzung]

Beschränkung der Leistungsfreiheit in der KFZ-Haftpflichtversicherung

D.3.3

In der KFZ-Haftpflichtversicherung ist die sich aus D.3.1 ergebende Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung Ihnen und den mitversicherten Personen gegenüber auf den Betrag von höchstens je 5.000,00 EUR beschränkt.

Die Klägerin macht mit ihrer Klage diesen Betrag i.H.v. 5.000,00 EUR zuzüglich Nebenkosten geltend. Der von der Klägerin regulierte Gesamtschaden beläuft sich auf ca. 25.000 EURO.

Streitig war in erster Instanz, ob der Beklagte vorsätzlich gegen die Obliegenheit verstieß. Während die Klägerin Vorsatz behauptete (AS I, 39), hat der Beklagte behauptet, dass die Begehung einer vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit ausgeschlossen sei. § 28 Abs. 4 Nr. 9 FeV sei erst Jahre nach dem Unfall begründet worden und bis zu diesem Zeitpunkt habe der Inhaber einer derartigen Fahrerlaubnis durchaus von der Inlandsgültigkeit ausgehen dürfen. Selbst wenn Rückwirkungen im Bereich der Eingriffsverwaltung möglich wären, habe ein Betroffener in der Situation des Beklagten hiervon keine Kenntnis gehabt und daher auch nicht vorsätzlich gehandelt. Ansonsten sei auch nicht verständlich, warum der Beklagte in zwei nachfolgenden Strafverfahren vor dem Amtsgericht Bad-Cannstatt und dem Amtsgericht Bruchsal vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen worden sei. Der Beklagte habe auch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht damit rechnen müssen, dass ein begünstigender Verwaltungsakt (die tschechische Fahrerlaubnis) im Nachhinein durch eine neue Rechtsverordnung wieder außer Kraft gesetzt werde (AS I, 203 zu den Einzelheiten der Argumentation).

Das zunächst von der Klägerin angegangene Amtsgericht Bretten hat den Beklagten durch Versäumnisurteil vom 21.01.2016 (Aktenzeichen 1 C 255/14) verurteilt, an die Klägerin 5.000,00 EUR nebst Zinsen sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 489,45 EURO zu bezahlen. Auf den rechtzeitigen Einspruch des Beklagten hin hat es sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 281 ZPO an das Amtsgericht Bruchsal verwiesen.

Das Amtsgericht Bruchsal hat – obwohl die Klägerin ausweislich des Protokolls der Verhandlung vom 21.09.2016 beantragte, das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Bretten aufrecht zu erhalten (AS 207; anders wiedergegeben jedoch im Urteil AS I, 229, 231) – den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 5.000,00 EUR nebst Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 489,45 EURO zu bezahlen. Das Amtsgericht hat hierbei die Auffassung vertreten, dass der Beklagte bei seiner Fahrt die erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte. Ob der Beklagte vorsätzlich gehandelt habe, könne dahingestellt bleiben, da auch bei lediglich grober Fahrlässigkeit der Anspruch begründet sei (S. 4 des Urteils; AS I, 233). Das Amtsgericht war davon überzeugt, dass der Beklagte bei der Ausstellung des zweiten Führerscheins im Jahre 2009 das Wohnsitzerfordernis zu umgehen versucht habe, indem er nur vorgeblich seinen Aufenthalt in Tschechien angemeldet habe, während sein ordentlicher Wohnsitz sich tatsächlich in Deutschland befunden habe. Der Beklagte habe im Rahmen eines „klassischen Führerscheintourismus“ eine Fahrerlaubnis erworben, auf deren Gültigkeit er nicht habe vertrauen dürfen (S. 5 und 6 des Urteils; AS I, 235, 237). Auch im Falle eines lediglich grob fahrlässigen Verstoßes bestehe der Regressanspruch der Klägerin in voller Höhe.

Gegen das am 30.12.2016 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner am 30.01.2017 eingegangenen und am 03.02.2017 begründeten Berufung (AS I, 251; II, 1, 11).

In dieser rügt der Beklagte, dass er eine Fahrerlaubnis gehabt habe und weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit angenommen werden könne. Er verweist hierzu darauf, dass ein Wohnsitzverstoß gem. § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV nur dann zur Inlandsungültigkeit führe, wenn es hierüber unbestreitbare Informationen von einer Behörde des Ausstellstaates gäbe. § 28 Abs. 4 Nr. 3 der FeV sei europarechtswidrig. Wenn schon der Verordnungsgeber, Verwaltungsbehörden und Gerichte große Schwierigkeiten bei der Anwendung der Schriften aus Europa hätten, könne dem Beklagten nicht ernsthaft Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit angerechnet werden. Dies ergebe sich auch daraus, dass er nicht wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis belangt worden sei. Im übrigen liege ein Tatbestandsirrtum vor. Darüber hinaus liege eine doppelte Titulierung des geltend gemachten Betrages vor und das Amtsgericht Bretten habe seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen (vgl. AS II, 11 ff. zu den Einzelheiten der Argumentation).

Der Beklagte beantragt im Berufungsrechtszug:

Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Bretten – Az. 1 C 255/15 – vom 21.01.2016 sowie das Endurteil des Amtsgerichts Bruchsal – Az. 4 C 149/16 vom 20.12.2016 werden aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin beantragt: Die Zurückweisung der Berufung mit der Maßgabe, dass das Urteil des Amtsgerichts Bruchsal lautet, das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Bretten aufrechtzuerhalten.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Das Gericht hat den Beklagten im Termin vom 06.12.2017 gem. § 141 ZPO informatorisch angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Protokoll AS II, 73 verwiesen. Darüber hinaus waren die folgenden Akten beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung: Amtsgericht Bruchsal, Az. 3 Cs 470 Js 32615/13, Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt, Az. 61 Js 89111/11, Fahrerlaubnisakte des Landkreises Karlsruhe, Außenstelle Bruchsal, Amt für Straßenverkehr, Ordnung und Recht, Az. IV.40.14205, Verwaltungsgericht Karlsruhe, Az. 4 K 3870/15 (einschließlich VGH Mannheim 10 S 1640/16).

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten hat nur zu einem geringen Teil hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten Erfolg (hierzu nachfolgend C.). Darüber hinaus war der Ausspruch – klarstellend – zu korrigieren, da keine weitere Verurteilung zur Zahlung von 5.000 EURO erfolgen durfte, sondern das bereits eine Verurteilung in voller Höhe enthaltende Versäumnisurteil des Amtsgerichts Bretten aufrecht zu erhalten war. Dies ist zwischen den Parteien unumstritten und auch in der Antragstellung der Klägerin im Termin vor der Kammer kommt zum Ausdruck, dass sie den Betrag nur einmal geltend macht.

Im Übrigen hat die Berufung keinen Erfolg.

A. Soweit der Beklagte rügt, das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Bretten sei in unzulässiger Weise ergangen, da der Beklagte dort nicht mehr wohnhaft gewesen sei (AS II, 13), kann die Berufung hierauf gem. § 513 Abs. 2 ZPO nicht gestützt werden.

B. In der Hauptsache hat die Berufung keinen Erfolg.

Der Beklagte hat nach Auffassung der Kammer einen vorsätzlichen Verstoß gegen die Obliegenheit, nur mit einer Fahrerlaubnis zu fahren, begangen (hierzu nachfolgend 1. zur Fahrerlaubnis und 2. zum Vorsatz). Daher hat die Klägerin gegen den Beklagten einen Regressanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 115 Abs. 1 Satz 4, 116 Abs. 1 Satz 2 VVG wegen vorsätzlicher Verletzung der unter D.1.3 i.V.m. D.3.1, D.3.3 der klägerischen Vertragsbedingungen geregelten Obliegenheit. Im vorliegenden Fall war der Versicherer daher im Verhältnis zum Versicherungsnehmer von der Leistungspflicht aufgrund der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG befreit. Der beklagte Versicherungsnehmer haftet im Innenverhältnis allein (§ 116 Abs. 1 Satz 2 VVG). Neben diesen Ausgleichsanspruch tritt gemäß § 426 Abs. 2 BGB der übergegangene Anspruch der Geschädigten.

Im Einzelnen:

1. Der Beklagte hatte zum Unfallzeitpunkt keine Fahrerlaubnis, die ihn zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtigte.

Die vom Beklagten am 20.06.2006 erworbene tschechische Fahrerlaubnis der Klassen A und B mit der Nummer … berechtigte ihn nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. In diesem Führerschein war ein deutscher Wohnsitz “ “ eingetragen. Ausweislich des Schreibens des Landratsamts Karlsruhe vom 17.10.2008 (AS 235 der Akte des Landratsamtes) sowie der daraufhin erfolgenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31.07.2009 (Az. 9 K 3814/08) und vom 19.12.2011 (Az. 9 K 3574/09) berechtigte ihn diese nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Auch die tschechische Fahrerlaubnis vom 23.09.2009 der Klassen A, B, CE, BE und C mit der Nummer … (Kopie des Führerscheins auf AS 243 der Akte 3 Cs 470 Js 32615/13 des Amtsgerichts Bruchsal) berechtigte den Beklagten nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen. Wie zuletzt durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15.11.2016 ausgeführt wurde, handelt es sich hierbei um eine auf der zuvor aberkannten Fahrerlaubnis vom 20.06.2006 aufbauende weitere Fahrerlaubnis, die ebenfalls nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt.

Eine fehlende Kausalität des Obliegenheitsverstoßes gem. § 28 Abs. 3 VVG ist weder behauptet noch sind Anhaltpunkte hierfür ersichtlich.

2. Der Beklagte handelte zur Überzeugung der Kammer vorsätzlich i.S.v. § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG sowie der Ziffer D.3.1. der Versicherungsbedingungen.

a. Vorsatz erfordert, das Wollen der Obliegenheitsverletzung im Bewusstsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm. Er umfasst auch bedingten Vorsatz. Dieser liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt, also nicht ernsthaft darauf vertraut, dass der Erfolg ausbleiben werde.

Die Anforderungen an den Vorsatz sind hierbei in mehrfacher Hinsicht gelockert: So genügt ein Handeln „ins Blaue hinein“, also ohne das Risiko zu erwägen. Auch genügt für das Bewusstsein der Obliegenheitsverletzung, dass der Versicherungsnehmer nach einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die Merkmale der Obliegenheit im Kern kennt. Auch muss er die Folgen der Obliegenheitsverletzung nicht kennen. Ein Rechtsirrtum schließt zwar grundsätzlich den Vorsatz aus. Hegt der Versicherungsnehmer allerdings Zweifel über das Bestehen und den Inhalt der einer Obliegenheit und handelt er obliegenheitswidrig, ohne eine Klärung zu versuchen, so nimmt er einen Obliegenheitsverstoß billigend in Kauf und handelt mit bedingtem Vorsatz (vgl. zum Vorstehenden Prölss/Martin-Armbrüster, Versicherungsvertragsgesetz, 29. Auflage, 2015, § 28 Rn. 188 – 191 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der ständigen Rechtsprechung).

b. Nach dem Ergebnis der informatorischen Anhörung des Beklagten im Termin vom 06.12.2017 sowie der Auswertung des Vortrags der Parteien und der beigezogenen Akten ist die Kammer iSv § 286 ZPO davon überzeugt, dass der Beklagte „vorsätzlich“ im vorbeschriebenen Sinne handelte.

(1.) Die Fahrerlaubnis vom 20.06.2006 weist selbst einen Wohnsitz in der Bundesrepublik aus, sodass hiervon keinerlei Anhaltspunkte dafür ausgehen konnten, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Unfalltages vom … .2011 aus dieser berechtigt gewesen wäre, ein Fahrzeug im Inland zu führen.

Soweit der Beklagte am 10.07.2007 vom Landgericht Karlsruhe vom Verstoß des Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen wurde (AS 213 der Akte des Landratsamtes), weil die Fahrerlaubnis gültig sei, stellt dies den Vorsatz nicht in Frage. Zum einen hat sich der Beklagte auf diesen Freispruch nicht zur Untermauerung seines – angeblich – fehlenden Vorsatzes berufen. Zum anderen wurde der Beklagte über ein Jahr später und über drei Jahre vor dem streitgegenständlichen Unfall durch das Schreiben des Amts für Straßenverkehr, Ordnung und Recht Karlsruhe – der zuständigen Fachbehörde – vom 17.10.2008 (AS 235 der Akte des Landratsamtes) eindeutig auf die Rechtslage hingewiesen. Dieses Schreiben endet damit, dass dem Beklagten die Rechtslage zur Kenntnis gegeben wurde und er gebeten wurde, im eigenen Interesse sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten. Auch in der sich hieran anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung über dieses Schreiben wurde er mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31.07.2009 (9 K 3814/08) darauf hingewiesen, dass die von der Behörde vertretene Rechtsauffassung zutreffend ist. Angesichts dieses klaren, unmissverständlichen und im Ergebnis auch zutreffenden Hinweises hatte der Beklagte die positive Kenntnis, dass ihn die Fahrerlaubnis aus dem Jahr 2006 nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigte.

(2.) Auch die weitere Fahrerlaubnis vom 23.09.2009 (der Führerschein ist in Kopie abgebildet auf AS 243 der Aktes 3 Cs 470 Js 32615/13 des Amtsgerichts Bruchsal) stellt den Vorsatz des Beklagten nicht in Frage.

(a.) Zum einen ergibt sich aus dem Führerschein vom 23.09.2009 in Verbindung mit der vom Beklagten im Termin vorgelegten tschechischen Urkunde vom 31.08.2009, dass sich der Beklagte erst am 31.08.2009 dort angemeldet hat. Auch war dem Beklagten bewusst, dass diese Anmeldedauer zu kurz ist, um einen Wohnsitz zu begründen.

Der Beklagte hat in seiner Anhörung durch die Kammer ausdrücklich angegeben, dass diese das Datum seiner Anmeldung in Tschechien richtig wiedergebe. Auf Vorhalt, dass das Dokument als Zeitpunkt der Wohnsitznahme den 31.08.2009 ausweist und er die Fahrerlaubnis am 23.09.2009 erworben habe, hat er nur angegeben, dass er nicht wisse, welches Datum in der Urkunde stehe (AS II, 75).

Die vom Beklagten im Termin vorgelegte Urkunde stellt – in Verbindung mit dem Ausstellungsdatum des Führerscheins – eine „vom Ausstellungsmitgliedsstaat herrührende unbestreitbare Information“ i.S.v. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV dar, dass er sich dort – wie er selbst im Termin angab – erst am 31.08.2009 angemeldet hat. Damit ist erwiesen, dass er sich zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis – am 23.09.2009 – dort noch für keine zur Begründung eines Wohnsitzes ausreichende Dauer von 185 Tagen aufgehalten hat (oder dies zumindest beabsichtigt war).

Hierbei kann die Kammer – in Übereinstimmung mit Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – davon ausgehen, dass der Beklagte sich rechtzeitig anmeldete und sich nicht bereits länger als in der Urkunde genannt in Tschechien aufhielt. Die bloße Möglichkeit eines weiteren – nicht angemeldeten – Aufenthalts genügt nicht, um die von der Meldebescheinigung ausgehende Indizwirkung in Bezug auf die Aufenthaltsdauer in Zweifel zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.05.2013 – 3 C 18/12; BeckRS 2013, 12178, Rn. 28 und 29). Jedenfalls hätte es am Beklagten gelegen – worauf er auf S. 6 des Urteils des Amtsgerichts Bruchsal hingewiesen wurde – substantiierte und verifizierbare Angaben zu seinem nur vage behaupteten längeren Aufenthalt zu machen (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, a.a.O., Rn. 30; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, § 28 FeV Rn. 30 b). Dies ist weder in der Berufungsbegründung noch in seiner Anhörung im Termin erfolgt.

Zugleich war dem Beklagten ausweislich seiner Angaben in der Anhörung durch die Kammer das Erfordernis eines Wohnsitzes und damit einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten bekannt. Er hat ausdrücklich angegeben, er habe etwa sechs Monate lang eine 1-Zimmer-Wohnung genommen, da er gewusst habe, dass er ohne einen sechs Monate dauernden Wohnsitz keinen gültigen Führerschein erwerben könne (AS II, 75 zu den Details der Einlassung).

(b.) Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich der Vorsatz des Beklagten zur Überzeugung der Kammer auch aus Folgendem ergibt:

Aus dem Führerschein vom 23.09.2009 geht klar und eindeutig hervor, dass lediglich die Klassen C, BE und CE im Jahr 2009 erworben wurden. Hinsichtlich der Klassen A und B wird weiterhin auf die alte Fahrerlaubnis vom 20.06.2006 Bezug genommen. Daher war dem Beklagten zur Überzeugung der Kammer bekannt, dass die Fahrerlaubnis aus dem Jahr 2009 auf der unwirksamen Fahrerlaubnis aus dem Jahr 2006 aufbaute, was zugleich das zentrale Argument des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg im Beschluss vom 15.11.2016 (10 S 1640/16) war, der Fahrerlaubnis aus dem Jahr 2009 keine Befugnis zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik zu entnehmen. Ein Vorsatz – jedenfalls in Form des bedingten Vorsatzes – wird daher hierdurch nicht in Frage gestellt.

Auf die Frage einer rückwirkenden Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 9 FeV kommt es hierbei nicht an. Ausweislich der S. 5 des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 15.11.2016 (10 S 1640/16) hat dieser nur klarstellende Bedeutung. Es sei – so der VGH – „offensichtlich, dass der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis bei Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B auch die später erteilte, auf dieser Klasse aufbauende Fahrerlaubnis der Klasse C infiziert“.

(3.) Auch die Umstände des Erwerbs der Fahrerlaubnis aus dem Jahr 2009 stellen nach Auffassung der Kammer den Vorsatz des Beklagten nicht in Frage.

Zwar mögen besondere Einzelfälle denkbar sein, in denen eine Person weitere Fahrzeugklassen erwirbt und die Umstände des Erwerbs so gestaltet sind, dass er in einer den Vorsatz infrage stellenden Weise davon ausgeht, nunmehr eine von der ursprünglichen – im Bundesgebiet als unwirksam erkannten – Fahrerlaubnis losgelöste Fahrerlaubnis erhalten zu haben. Solche Umstände liegen jedoch zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der informatorischen Befragung des Beklagten nicht vor.

Der Beklagte hat im Rahmen seiner informatorischen Befragung angegeben, er habe wegen der Kosten und hohen Hürden keinen deutschen Führerschein mehr erwerben wollen. Bei dem Führerschein aus dem Jahr 2006 habe er einen drei Wochenenden umfassenden Kurs besucht und hierbei im Hotel gewohnt. Im Jahr 2009 habe er etwa sechs Monate vor der angepeilten Prüfung alleine eine 1-Zimmer-Wohnung genommen. Der Kurs selbst habe am Ende dieses halben Jahres über einen Zeitraum von ca. drei Wochen stattgefunden. Er habe deshalb so früh eine Wohnung in Tschechien genommen, da er gewusst habe, dass er ohne einen sechs Monate dauernden Wohnsitz keinen gültigen Führerschein erwerben konnte. Er habe damals nur ab und an am Wochenende in Deutschland gearbeitet und seine Ehefrau in Deutschland besucht.

Als der Beklagte im Termin das Original der in der beigezogenen Akte des Landratsamtes auf AS 353, 355 in Kopie enthaltenen Bestätigung vorlegte, hat er jedoch – und insoweit in Widerspruch zu seiner vorherigen Einlassung – angegeben, dass diese das Datum seiner Anmeldung in Tschechien richtig wiedergebe. Auf Vorhalt, dass das Dokument als Zeitpunkt der Wohnsitznahme den 31.08.2009 ausweist und er die Fahrerlaubnis am 23.09.2009 erworben habe, hat er nur angegeben, dass er nicht wisse, welches Datum in der Urkunde stehe (AS II, 75 zu den Details der Einlassung).

Bei dieser Sachlage ist die Kammer erstens davon überzeugt, dass der Beklagte bei der Fahrerlaubnis aus dem Jahr 2009 wusste, dass er eigentlich für die Dauer von 6 Monaten (bzw. 185 Tagen) einen Wohnsitz in Tschechien haben musste.

Darüber hinaus ist die Kammer davon überzeugt, das er diese Voraussetzung bewusst nicht eingehalten hat, sondern sich erst am 31.08.2009 – dem Datum der im Termin vorgelegten Bestätigung – dort angemeldet hat. Daher war ihm – hiervon ist die Kammer überzeugt – bewusst, dass auch die im Jahr 2009 erworbene Fahrerlaubnis unter Umgehung der notwendigen Voraussetzungen erworben wurde, sodass – zumindest nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre und ohne dass es auf die Kenntnis der exakten verwaltungsrechtlichen Zusammenhänge ankommt – auch aus den Umständen ihrer Erlangung kein den Vorsatz in Frage stellendes Vertrauen erwachsen ist.

(4.) Auch die weiteren bei der Würdigung gem. § 286 ZPO zu berücksichtigenden Umstände stellen einen Vorsatz nicht in Frage.

(a.) Hierbei hat das Gericht durchaus gesehen, dass der Beklagte ausweislich der Fahrerlaubnisakte etwa am 05.10.2010 und damit zwischen dem Erlangen der weiteren Fahrerlaubnis und dem streitgegenständlichen Unfall einen Geschwindigkeitsverstoß begangen hat, der lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet wurde (vgl. den Auszug aus dem Verkehrszentralregister AS 113 der Akte 3 Cs 470 Js 32615/13). Allerdings hat sich zum einen der Beklagte zur Untermauerung seines Vortags zum fehlenden Vorsatz nicht hierauf berufen. Zum anderen ist es fernliegend, dass der Beklagte gedacht habe, dass bei jedem Geschwindigkeitsverstoß zugleich immer eine Überprüfung der Fahrerlaubnis des Fahrers und ggf. auch diesbezüglich eine eine Ahndung erfolgt.

(b.) Auch der Umstand, dass der streitgegenständliche Unfall lediglich als fahrlässige Körperverletzung geahndet wurde, stellt einen Vorsatz nicht in Frage.

Bereits im Ausgangspunkt hat ein nach dem Unfall vom … .2011 liegendes Geschehen keine Auswirkung auf die Frage des Vorsatzes zum Zeitpunkt des Unfalles. Darüber hinaus ergibt sich aus der beigezogenen Akte des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt, dass der Beklagte – entgegen seinem Vortag im hiesigen Verfahren – nicht vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen wurde. Es wurde vielmehr lediglich das Verfahren gemäß §§ 154, 154a StPO auf die im Strafbefehl genannte fahrlässige Körperverletzung beschränkt (AS 80 der beigezogenen Akte des Amtsgerichts Stuttgart Bad Cannstatt 61 Js 89111/11).

(c.) Auch aus dem im Jahr 2013 erfolgten Freispruch im Verfahren 3 Cs 470 Js 32615/13 wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums folgt nach Auffassung der Kammer nicht, dass der Beklagte im vorliegenden Verfahren zum Zeitpunkt des Unfalls vom … .2011 keinen Vorsatz hinsichtlich des Obliegenheitsverstoßes hatte. Zum einen liegt auch dieser Freispruch zeitlich nach dem Unfall vom … .2011. Zum anderen stellt das Urteil maßgeblich darauf ab, dass dem Beklagten am 01.09.2011 der im Zusammenhang mit der Aufnahme des vorliegenden Unfalls vom … .2011 beschlagnahmte Führerschein wieder ausgehändigt worden war (S. 2 des Urteils; AS 249 der Akte 3 Cs 470 Js 32615/13 der Akte des AG Bruchsal). Dieses Verhalten nach dem streitgegenständlichen Unfall hat keine Auswirkung auf die Feststellungen zum Unfallzeitpunkt.

3. Die Zinsen waren unabhängig von der Frage der Zustellung des Mahnbescheids (vgl. AS I, 107) aus §§ 280, 286, 288 BGB zu ersetzten, da jedenfalls das Schreiben vom 24.05.2012 Verzug des Beklagten begründete.

C. Soweit in der Ziff.2 des angefochtenen Urteils vorgerichtliche Anwaltskosten zugesprochen wurden, war das Urteil abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen.

Nach dem – auch in der Verhandlung trotz des erfolgten Hinweises nicht weiter vertieften – Vortrags der Klägerin beruhen die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten darauf, dass die Klägerin durch ihre anwaltlichen Vertreter den Beklagten zunächst außergerichtlich zur Zahlung aufforderte, was mit Schreiben vom 24.05.2012 – das nicht vorliegt – auch erfolgte.

Ein Verzug zum Zeitpunkt der Beauftragung des Anwalts mit dem ersten Schreiben ist weder dargetan, noch ersichtlich, sodass die Anwaltskosten keinen Verzugsschaden gem. §§ 280, 286 BGB darstellen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich aufgrund des gem. § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB angeordneten Anspruchsübergangs bei dem geltend gemachten Anspruch um einen Schadensersatzanspruch handelt, sodass im Rahmen des ersatzfähigen Schadens auch Anwaltskosten ohne vorherige Inverzugsetzung zu ersetzen sein können. Dies setzt nämlich jedenfalls voraus, dass die Einschaltung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig war (Palandt-Grüneberg, 77. Auflage, § 249 Rn. 57). Nach Auffassung der Kammer kann die Klägerin als Versicherung ein einfaches und auf ihre eigenen Vertragsbedingungen gestütztes Schreiben selbst entwerfen, ohne einen Rechtsanwalt hiermit zu beauftragen.

D. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91, 281 ZPO.

Hiernach ist von einem vollständigen Unterliegen des Beklagten auszugehen, da die Nebenforderung für die Bemessung des Unterliegens außer Betracht bleibt. Die Korrektur des zweiten Zahlungstitels über 5.000 EURO war ebenfalls nicht zu berücksichtigen, da dies nur zur Klarstellung erfolgte. Die Klägerin hat – nicht zuletzt durch ihre Antragstellung im Termin – zum Ausdruck gebracht, dass sie den geltend gemachten Betrag nur einmal fordert.

Der Ausspruch vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht, da es sich um die Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze auf einen konkreten Einzelfall handelt.

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