Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Komplexe Versicherungsklauseln: Urteil zu Selbsttötung und psychischen Erkrankungen
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was sind die typischen Ausschlussklauseln bei Restschuldversicherungen im Fall eines Suizids?
- Welche Nachweise benötigt die Versicherung bei psychischen Erkrankungen des Verstorbenen?
- Wie läuft das Verfahren zur Geltendmachung von Ansprüchen aus der Restschuldversicherung ab?
- Welche Rolle spielt die Bank als Versicherungsnehmerin bei der Durchsetzung von Ansprüchen?
- Ab wann gilt eine Störung der Geistestätigkeit als krankhaft im Sinne der Versicherungsbedingungen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Schleswig-Holstein
- Datum: 30.09.2024
- Aktenzeichen: 16 U 126/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Versicherungsrecht, Vertragsrecht
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Ehefrau des Verstorbenen, verlangt die Auszahlung der Versicherungsleistung aus einer Restschuldversicherung nach dem Suizid ihres Ehemannes. Sie argumentiert, dass ihr Ehemann aufgrund einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht imstande war, seinen Selbstmord frei zu entscheiden.
- Beklagte: Versicherungsgesellschaft der Restschuldversicherung, die die Auszahlung verweigert. Sie argumentiert, der Verstorbene habe seinen Selbstmord geplant und sei bei klarem Verstand gewesen, wodurch ein Ausschluss der freien Willensbestimmung nicht nachgewiesen sei.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin und ihr Ehemann hatten eine Restschuldversicherung abgeschlossen. Nach dem Suizid des Ehemannes forderte die Klägerin die Auszahlung der vollen Versicherungssumme. Der Ehemann litt unter Angstzuständen und hatte irrational Angst vor einer Leberzirrhose, obwohl medizinisch keine ernste Erkrankung festgestellt worden war.
- Kern des Rechtsstreits: Ob die Versicherung verpflichtet ist, die Leistung aufgrund eines Ausschlusses der freien Willensbestimmung des verstorbenen Ehemannes zu erbringen.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Beklagte muss 17.565,68 € nebst Zinsen an die Bank als Versicherungsnehmerin zahlen.
- Begründung: Der verstorbene Ehemann der Klägerin befand sich aufgrund einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit in einem die Freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand, was durch die irrtümlichen und angstgesteuerten Handlungen im Vorfeld des Suizids belegt ist. Es bedurfte keiner weiteren Gutachten, da die Diagnose aufgrund der Faktenlage offen ersichtlich ist.
- Folgen: Die Beklagte ist zur Leistung verpflichtet. Die Klägerin erhält die Versicherungsleistung zur Begleichung des Darlehenssalden. Zukünftig könnten ähnliche Fälle verstärkt die Frage der freien Willensbestimmung bei Suizid im Zusammenhang mit psychischen Problemen in den Fokus rücken.
Komplexe Versicherungsklauseln: Urteil zu Selbsttötung und psychischen Erkrankungen
Die Rechtsprechung bei Versicherungsansprüchen rund um Selbsttötung ist komplex und von zahlreichen ethischen sowie juristischen Aspekten geprägt. Psychische Erkrankungen und deren Einfluss auf Lebens- und Haftpflichtversicherungen werfen vielschichtige Fragen auf, die sorgfältig und differenziert bewertet werden müssen.
Besonders bedeutsam sind rechtliche Zusammenhänge, die den Versicherungsschutz bei einer Selbsttötung im Zustand einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit betreffen. Die Abgrenzung zwischen individueller Schuldfähigkeit, psychiatrischen Gutachten und Leistungsansprüchen stellt Gerichte und Versicherungen regelmäßig vor anspruchsvolle Herausforderungen. Der folgende Beitrag beleuchtet einen aktuellen Gerichtsfall, der diese komplexen Fragestellungen exemplarisch verdeutlicht.
Der Fall vor Gericht
Versicherung muss nach Suizid zahlen: Gericht sieht krankhafte Störung der Geistestätigkeit
Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat die Beklagte zur Zahlung von 17.565,68 Euro aus einer Restschuldversicherung verurteilt. Die Summe ist an die Bank zu zahlen, bei der die verstorbene versicherte Person und seine Ehefrau einen Kredit aufgenommen hatten.
Wahnhafte Vorstellungen führten zum Suizid
Ein 1969 geborener Mann hatte sich im Februar 2022 durch Kohlenmonoxidvergiftung das Leben genommen. Der Verstorbene litt unter der wahnhaften Vorstellung, an einer Leberzirrhose zu leiden, die ihm einen qualvollen Tod bescheren würde. Tatsächlich zeigten die medizinischen Befunde lediglich leicht erhöhte Leberwerte aufgrund früheren Alkoholkonsums. Seine Hausärztin hatte ihm sogar mitgeteilt, dass bei fortdauernder Abstinenz eine Regeneration der Leber zu erwarten sei.
Versicherungsschutz trotz Suizid bestätigt
Die Versicherungsbedingungen sahen vor, dass bei einem Suizid innerhalb der ersten drei Jahre nach Vertragsschluss nur dann geleistet wird, wenn die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen wurde. Das Gericht sah diese Voraussetzung als erfüllt an. Der Mann sei aufgrund seiner wahnhaften Vorstellungen nicht in der Lage gewesen, eine vernünftige Abwägung des Für und Wider zu treffen.
Internetrecherchen bestätigten krankhafte Fixierung
Der Suchverlauf auf dem Handy des Verstorbenen zeigte seit Dezember 2021 fast ausschließlich Suchanfragen zu Krankheiten, insbesondere zur Leberzirrhose. Später kamen Suchen nach Testamentsformularen und verschiedenen Suizidmethoden hinzu. Diese intensive Beschäftigung mit der vermeintlichen Erkrankung bestätigte nach Ansicht des Gerichts die krankhafte Fixierung des Mannes.
Bank ermächtigte Witwe zur Klage
Die Witwe des Verstorbenen konnte als versicherte Person die Zahlung an die Bank verlangen, nachdem diese sie zur Geltendmachung der Ansprüche ermächtigt hatte. Die Bank als Versicherungsnehmerin hatte einen Anspruch auf die Versicherungsleistung, da die Voraussetzungen für eine Auszahlung trotz des Suizids innerhalb der Dreijahresfrist vorlagen. Das Gericht stellte fest, dass kein psychiatrisches Gutachten erforderlich war, da die wahnhafte Störung der Geistestätigkeit aufgrund der Gesamtumstände offensichtlich war.
Zahlungsumfang festgelegt
Das Gericht sprach der Klägerin einen Betrag von 17.565,68 Euro zu, der sich aus dem Darlehensstand zum Todeszeitpunkt abzüglich einer bereits geleisteten Zahlung ergab. Zusätzlich wurden Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage zugesprochen. Die Versicherung trägt 95 Prozent der Prozesskosten.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil stärkt die Position von Hinterbliebenen bei Suizid-bedingten Versicherungsfällen, wenn eine Krankhafte Störung der Geistestätigkeit nachgewiesen werden kann. Es verdeutlicht, dass auch ohne psychiatrische Diagnose eine schwere Angststörung mit depressiven Anteilen als ausreichender Nachweis für einen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand gelten kann. Dabei reichen dokumentierte Behandlungsverläufe und objektive Verhaltensänderungen als Beweis aus, wenn sie ein schlüssiges Gesamtbild ergeben.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Als Hinterbliebener eines durch Suizid verstorbenen Versicherten haben Sie auch vor Ablauf der üblichen 3-Jahres-Frist Anspruch auf die volle Versicherungsleistung, wenn Sie nachweisen können, dass psychische Erkrankungen vorlagen. Dabei müssen Sie keine eindeutige psychiatrische Diagnose vorlegen – auch dokumentierte Verhaltensänderungen, Arztbesuche und andere Nachweise können ausreichen. Besonders wichtig ist es, alle verfügbaren Belege zu sammeln, die auf eine psychische Erkrankung hindeuten, wie Arztberichte, Behandlungsverläufe oder Zeugenaussagen. Die Versicherung muss zahlen, wenn diese Nachweise in ihrer Gesamtheit eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit belegen.
Suizid und Versicherung: Ihr Recht auf Leistungen
Der Verlust eines geliebten Menschen ist eine schwere Belastung. Kommen dann noch Streitigkeiten mit der Versicherung hinzu, wird die Situation oft unerträglich. Gerade bei Suizidfällen innerhalb der ersten drei Versicherungsjahre ist die Rechtslage komplex. Um Ihre Ansprüche erfolgreich durchzusetzen, ist es entscheidend, die relevanten Beweise zu kennen und richtig einzusetzen. Wir helfen Ihnen, Klarheit zu gewinnen und Ihre Rechte als Hinterbliebener wahrzunehmen.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was sind die typischen Ausschlussklauseln bei Restschuldversicherungen im Fall eines Suizids?
Bei Restschuldversicherungen gilt für Suizidfälle grundsätzlich die gesetzliche Karenzzeit von drei Jahren nach Vertragsabschluss. Wenn sich die versicherte Person innerhalb dieser Dreijahresfrist das Leben nimmt, ist der Versicherer von der Leistungspflicht befreit.
Ausnahmen von der Karenzzeit
Eine wichtige Ausnahme besteht, wenn die Selbsttötung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen wurde. In diesem Fall muss die Versicherung auch innerhalb der Dreijahresfrist leisten. Der Nachweis für das Vorliegen einer solchen Störung muss von den Anspruchstellern erbracht werden.
Besonderheiten bei der Beweisführung
In der Praxis ist die Feststellung eines Suizids oft nicht eindeutig möglich. Wenn Sie beispielsweise einen Autounfall oder eine Handlung unter Alkohol- oder Drogeneinfluss als Todesursache haben, muss der Versicherer nachweisen, dass tatsächlich ein Suizid vorlag.
Finanzielle Folgen
Selbst wenn die Versicherung wegen eines Suizids innerhalb der Karenzzeit nicht leistet, haben die Bezugsberechtigten einen Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswerts einschließlich der Überschussanteile.
Bei einer nachträglichen Erweiterung der Restschuldversicherung, etwa durch eine Erhöhung der Deckungssumme, beginnt die dreijährige Karenzzeit für den erweiterten Teil erneut. Die bisherige Wartezeit für den ursprünglichen Versicherungsschutz spielt dabei keine Rolle.
Welche Nachweise benötigt die Versicherung bei psychischen Erkrankungen des Verstorbenen?
Bei einem Todesfall durch Suizid müssen die Hinterbliebenen nachweisen, dass der Verstorbene zum Zeitpunkt der Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit gehandelt hat.
Erforderliche medizinische Dokumentation
Die wichtigsten Nachweise sind ärztliche Behandlungsunterlagen aus der Zeit vor dem Tod:
- Dokumentierte Behandlungen durch Psychiater oder Psychotherapeuten
- Krankenhausaufenthalte wegen psychischer Erkrankungen
- Verschreibungen von Psychopharmaka
- Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgrund psychischer Erkrankungen
Gutachterliche Stellungnahmen
Ein psychiatrisches Fachgutachten kann auch im Nachhinein erstellt werden. Dieses muss schlüssig darlegen, dass der Verstorbene zum Todeszeitpunkt nicht mehr zu einer freien Willensbildung in der Lage war.
Zusätzliche Beweismittel
Weitere wichtige Nachweise können sein:
- Zeugenaussagen von Angehörigen über Verhaltensänderungen
- Dokumentierte Wesensveränderungen wie zunehmende Isolation oder Aggressivität
- Aufzeichnungen des Verstorbenen, die seinen psychischen Zustand belegen
Beweislastverteilung
Die Beweislast für das Vorliegen einer die freie Willensbestimmung ausschließenden Geistesstörung liegt bei den Angehörigen als Begünstigte der Versicherung. Die Versicherung muss dagegen nachweisen, dass eine vorsätzliche Selbsttötung vorliegt.
Wie läuft das Verfahren zur Geltendmachung von Ansprüchen aus der Restschuldversicherung ab?
Erforderliche Unterlagen
Bei einem Todesfall müssen Sie als Angehöriger folgende Pflichtdokumente bei der Versicherung einreichen:
- Eine amtliche Sterbeurkunde mit Angaben zu Alter und Geburtsort
- Eine ausführliche ärztliche oder amtliche Bescheinigung über die Todesursache, aus der Beginn und Verlauf der zum Tod führenden Krankheit hervorgehen
- Einen Nachweis über den zum Todeszeitpunkt bestehenden Kreditvertrag
Prüfung durch die Versicherung
Die Versicherung prüft nach Eingang der Unterlagen zunächst die grundsätzliche Leistungspflicht. Bei einem Suizid wird besonders geprüft, ob die Dreijahresfrist seit Vertragsabschluss bereits abgelaufen war. Ist dies nicht der Fall, muss nachgewiesen werden, dass die Selbsttötung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit erfolgte.
Besonderheiten bei Selbsttötung
Die Beweislast für das Vorliegen eines Suizids liegt bei der Versicherung. Für den Nachweis einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit ist nicht zwingend ein medizinisches Sachverständigengutachten erforderlich. Es reicht aus, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die Möglichkeit nachvollziehbarer Motive für eine Selbsttötung offensichtlich ausgeschlossen ist.
Auszahlung der Versicherungsleistung
Nach positiver Prüfung erfolgt die Auszahlung direkt an die Bank als Versicherungsnehmerin. Die Versicherung übernimmt dabei die noch ausstehende Kreditsumme zum Zeitpunkt des Todesfalls. Die Auszahlung wird fällig, sobald die Versicherung alle notwendigen Erhebungen zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Leistungsumfangs abgeschlossen hat.
Welche Rolle spielt die Bank als Versicherungsnehmerin bei der Durchsetzung von Ansprüchen?
Bei einer Restschuldversicherung liegt ein besonderes Dreiecksverhältnis vor: Die Bank ist Versicherungsnehmerin, der Kreditnehmer ist die versicherte Person, und die Versicherung ist der Leistungserbringer.
Rechtliche Stellung der Bank
Die Bank schließt als Versicherungsnehmerin mit dem Versicherer einen einheitlichen Restschuld-Gruppenversicherungsvertrag ab. Als Kreditnehmer treten Sie diesem Vertrag lediglich als versicherte Person bei. Die Bank hat dabei eine doppelte Funktion: Sie ist nicht nur Versicherungsnehmerin, sondern agiert auch als Versicherungsvermittlerin.
Anspruchsdurchsetzung
Wenn Sie als versicherte Person Ansprüche aus der Restschuldversicherung geltend machen möchten, benötigen Sie grundsätzlich die Zustimmung der Bank. Nach § 44 Abs. 2 VVG können Sie ohne diese Zustimmung Ihre Rechte nicht gerichtlich geltend machen. Es gibt jedoch zwei wichtige Ausnahmen:
- Die Bank erteilt Ihnen eine ausdrückliche Ermächtigung zur Verfolgung der Ansprüche.
- Sie haben als versicherte Person nach § 7d VVG die Rechte eines Versicherungsnehmers, insbesondere das Widerrufsrecht.
Leistungserbringung
Bei Eintritt des Versicherungsfalls steht die Versicherungsleistung grundsätzlich der Bank als Kreditgeberin zu. Diese Regelung dient dazu, die Restschulden des Kredits direkt abzutragen. Überschüssige Beträge, die nicht mehr zur Kredittilgung benötigt werden, überweist der Versicherer an Sie als versicherte Person oder Ihre Hinterbliebenen.
Ab dem 1. Mai 2025 tritt zudem das Zukunftsfinanzierungsgesetz in Kraft, das Ihnen als Verbraucher eine Bedenkzeit von sieben Tagen nach Kreditvertragsabschluss für den Abschluss einer Restschuldversicherung einräumt.
Ab wann gilt eine Störung der Geistestätigkeit als krankhaft im Sinne der Versicherungsbedingungen?
Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit liegt vor, wenn die freie Willensbestimmung durch eine psychische Erkrankung oder Beeinträchtigung ausgeschlossen ist und dieser Zustand nicht nur vorübergehend besteht.
Medizinische Voraussetzungen
Geisteskrankheiten und Geistesschwäche fallen unter den Begriff der krankhaften Störung. Dabei kommt es nicht auf die medizinische Bezeichnung der Störung an, sondern auf deren Auswirkungen auf die Willensbildung.
Typische Beispiele für krankhafte Störungen sind:
- Manische Depressionen, wenn sie die freie Willensbestimmung ausschließen
- Schwere Intelligenzminderungen, etwa bei frühkindlichen Hirnschädigungen
- Anhaltende wahnhafte Störungen mit paranoidem Erleben
Ausschluss der freien Willensbestimmung
Eine krankhafte Störung liegt nur dann vor, wenn die Person keine freie Entscheidung mehr auf Grundlage einer sachlichen Prüfung und Abwägung treffen kann. Dies ist der Fall, wenn:
- Die Person fremden Willenseinflüssen unterliegt
- Unkontrollierte Triebe das Handeln bestimmen
- Eine sachliche Prüfung der Situation nicht mehr möglich ist
Dauerhaftigkeit der Störung
Der Zustand muss von gewisser Dauer sein. Vorübergehende Zustände wie Alkohol- oder Drogenrausch begründen keine krankhafte Störung. Auch wenn eine Störung heilbar ist, kann sie als dauerhaft eingestuft werden, wenn die Heilung längere Zeit benötigt.
Eine partielle Störung kann ausreichen, wenn sie sich auf bestimmte Lebensbereiche beschränkt. In diesen Fällen ist die Person nur für den betroffenen Bereich als geschäftsunfähig anzusehen.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Restschuldversicherung
Eine spezielle Versicherung, die bei Tod, Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit die noch ausstehenden Raten eines Kredits übernimmt. Sie wird meist beim Abschluss eines Kredits vereinbart und schützt sowohl die Hinterbliebenen als auch die Bank vor offenen Kreditforderungen. Geregelt ist dies im Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Beispiel: Ein Ehepaar nimmt einen Kredit auf und schließt eine Restschuldversicherung ab. Verstirbt einer der Partner, übernimmt die Versicherung die Rückzahlung der verbleibenden Kreditsumme.
Krankhafte Störung der Geistestätigkeit
Ein Zustand, in dem die normale psychische Funktionsfähigkeit einer Person erheblich beeinträchtigt ist, sodass sie die Realität verzerrt wahrnimmt und nicht mehr vernünftig abwägen kann. Im Versicherungsrecht relevant nach § 827 BGB als Ausschluss der Verantwortlichkeit. Bei wahnhaften Vorstellungen oder schweren Depressionen kann die freie Willensbestimmung ausgeschlossen sein. Dies hat Auswirkungen auf Versicherungsleistungen, besonders bei Suizidfällen.
Schuldfähigkeit
Die rechtliche Fähigkeit einer Person, das Unrecht einer Handlung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Geregelt in §§ 20, 21 StGB. Bei einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit kann die Schuldfähigkeit aufgehoben sein. Im Versicherungsrecht wichtig für die Beurteilung von Leistungsansprüchen, etwa wenn jemand im Zustand verminderter Schuldfähigkeit einen Schaden verursacht oder sich selbst schädigt.
Freie Willensbestimmung
Die Fähigkeit, Entscheidungen rational und ohne krankhafte Beeinflussung zu treffen. Im Versicherungsrecht nach § 161 VVG relevant für die Beurteilung von Suizidfällen. Eine Person muss in der Lage sein, die Tragweite ihrer Handlungen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Beispiel: Wer unter wahnhaften Vorstellungen handelt, kann die Konsequenzen seiner Entscheidungen oft nicht mehr realistisch einschätzen.
Rechtshängigkeit
Der Zeitpunkt, ab dem ein Rechtsstreit vor Gericht anhängig ist, meist durch Zustellung der Klageschrift an den Beklagten. Ab diesem Moment können Verzugszinsen anfallen und bestimmte Fristen beginnen zu laufen. Geregelt in § 261 ZPO. Beispiel: Wird eine Versicherung verklagt und der Fall ist rechtshängig, muss sie bei Niederlage oft Zinsen ab diesem Zeitpunkt zahlen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Versicherungsvertragsgesetz (VVG) § 1 – Anwendungsbereich: Das VVG regelt die Rechte und Pflichten aus Versicherungsverträgen zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer. Es legt fest, welche Versicherungen unter das Gesetz fallen und welche Grundprinzipien bei der Vertragsgestaltung zu beachten sind. Insbesondere werden Leistungsansprüche und Ausschlüsse detailliert beschrieben.
Im vorliegenden Fall betrifft die Restschuldversicherung die Absicherung eines Verbraucherdarlehens. Die Klägerin beruft sich auf die Versicherungsleistungen gemäß den Bedingungen des VVG, um die Restschuld nach dem Tod ihres Ehemanns abzudecken.
- Versicherungsvertragsgesetz (VVG) § 48 – Leistung bei Tod der versicherten Person: Dieser Paragraph beschreibt die Bedingungen, unter denen die Versicherungsleistung im Todesfall ausgezahlt wird. Er regelt, ob und wie die Versicherung bei Tod der versicherten Person leistet, insbesondere bei Selbstmord oder anderen Ausschlussfällen.
Die Beklagte verweigert die Leistung aufgrund des Suizids des Ehemanns der Klägerin. Die Auslegung von § 48 VVG ist entscheidend, um festzustellen, ob der Versicherungsschutz unter den gegebenen Umständen greift.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 1937 – Allgemeinen Geschäftsgrundlagen: Dieser Paragraph behandelt die allgemeinen Bedingungen, die für Vertragsparteien bindend sind, sofern diese nicht ausdrücklich ausgeschlossen werden. Er stellt sicher, dass Vertragsklauseln den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen.
Die Versicherungsbedingungen der Beklagten werden im Kontext des BGB geprüft, um festzustellen, ob die Klauseln zu Selbsttötung und den daraus resultierenden Leistungsausschlüssen rechtlich wirksam sind.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 31 – Auslegung von Verträgen: § 31 BGB legt fest, wie Verträge auszulegen sind, um den Willen der Parteien zu ermitteln. Dabei sind sowohl der Wortlaut als auch der Zweck der Vertragsklauseln zu berücksichtigen.
Die Interpretation der Versicherungsbedingungen bezüglich der Selbsttötung des Ehemanns ist entscheidend für die Bewertung der Leistungsansprüche der Klägerin. § 31 BGB dient als Grundlage für die rechtliche Auslegung dieser Klauseln.
- Strafgesetzbuch (StGB) § 212 – Totschlag: Obwohl Selbstmord selbst nicht strafbar ist, beeinflussen strafrechtliche Bewertungen des Todes die zivilrechtlichen Ansprüche. § 212 StGB definiert Totschlag und kann indirekt relevant sein, wenn die Umstände des Todes näher betrachtet werden.
Im vorliegenden Fall wurde der Tod des Ehemanns als Selbstmord eingestuft. Die medizinischen und polizeilichen Ermittlungen zur Ursache des Todes sind wichtig, um den rechtlichen Status des Todes zu klären und die entsprechenden Versicherungsansprüche zu bewerten.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 16 U 126/23 – Urteil vom 30.09.2024
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