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Privathaftpflichtversicherung: Abgrenzung zwischen Leihe und Gefälligkeitsverhältnis

OLG München, Az.: 18 U 4746/91, Urteil vom 03.12.1991

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 06. Juni 1991 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 13.500,– abwenden, sofern die Klagepartei nicht vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Dem Beklagten wird gestattet, die Sicherheitsleistung durch Vorlage einer unbedingten, unwiderruflichen, unbefristeten, selbstschuldnerischen, schriftlichen Bürgschaftserklärung der … zu bewirken.

IV. Der Wert der Beschwer wird auf über DM 60.000,– festgesetzt.

Tatbestand

Privathaftpflichtversicherung: Abgrenzung zwischen Leihe und Gefälligkeitsverhältnis
Symbolfoto: NiroDesign/ Bigstock

Die mit einer Deckungssumme von DM 2.000.000,– für Sach- und Personenschäden bei dem Beklagten privathaftpflichtversicherte Klägerin verlangt die Feststellung, daß der Beklagte für einen von ihr verschuldeten Brandschaden Versicherungsschutz zu gewähren habe.

Der Zeuge … hatte im Jahre 1989 seinem Sohn sowie dessen damaliger Verlobten, der Klägerin, und den Zeuginnen … und … gestattet, im Zeitraum vom 25.12.1989 bis 02.01.1990 die von ihm in … gepachtete Hütte zu nutzen. Für den Unterhalt und die Verpflegung mußten die Beteiligten selbst aufkommen. Der Zeuge … Sohn des Pächters, mußte die Hütte aus beruflichen Gründen am 26.12.1989 wieder verlassen. Er händigte der Klägerin die Schlüssel aus und übertrug ihr die Alleinverantwortung für die Einhaltung der Hüttenordnung und die Beheizung der Hütte, da der Klägerin dies aus früheren Hüttenaufenthalten bereits vertraut war.

Am 28.12.1989 verursachte die Klägerin einen Brand, als sie am Morgen versuchte, das nur noch glimmende Ofenfeuer wieder anzufachen, und die Flammen dabei einen Benzinkanister entzündeten. Die Hütte brannte vollständig ab. Der Gesamtschaden beträgt ca. DM 184.000,–. Die Gebäude- und Brandversicherung sowie der Pächter nehmen die Klägerin als Schadensersatzpflichtige in Anspruch.

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Deckungsschutz.

Sie trägt vor, die Gebrauchsüberlassung der Hütte sei eine Gefälligkeit des Pächters, bedingt durch die damaligen familiären, freundschaftlichen Beziehungen zu ihr und seinem Sohn, ihrem Verlobten, gewesen; ein Ausschlußtatbestand, aufgrund dessen der Beklagte den Versicherungsschutz verweigern könne, liege daher nicht vor.

Der Beklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, die Gebrauchsüberlassung sei als Leihe zu qualifizieren, so daß er berechtigt sei, gemäß § 4 I Nr. 6 a AHB den Versicherungsschutz zu versagen.

Das Landgericht hat nach Einvernahme mehrerer Zeugen und Verwertung von Urkunden aus dem Strafverfahren gegen die Klägerin der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der zur Begründung seines Rechtsmittels seine in erster Instanz dargelegte Rechtsauffassung wiederholt, die Gebrauchsüberlassung stelle eine Leihe dar. Da der Klägerin der unmittelbare Besitz übertragen worden sei, führe die teleologische Auslegung des § 4 I Nr. 1 a AHB zur Bejahung dieses Ausschlußtatbestandes.

Der Beklagte beantragt:

1) Das Endurteil des Landgerichts München I — 12 O 20760/90 — vom 06.06.1991 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.

3) Das Urteil ist in Ziffer 2 vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht ist zutreffend zu der Auffassung gelangt, daß die Klägerin von dem Beklagten Versicherungsschutz verlangen kann, da die Klausel des § 4 I Nr. 6 a AHB nicht anwendbar ist.

Die Gebrauchsüberlassung der Hütte durch den Zeugen … an seinen Sohn bzw. die Klägerin ist nicht aufgrund eines Leih- oder Gefälligkeitsvertrages erfolgt, sondern stellt eine keine Rechtswirkung erzeugende Gefälligkeit dar. Die — vorliegende — Unentgeltlichkeit und Uneigennützigkeit der gewährten Leistung reichen zwar für sich allein zur Verneinung rechtsgeschäftlicher Beziehungen noch nicht aus; aus zugesagten oder erwiesenen Gefälligkeiten können vielmehr Rechtsverpflichtungen für den Leistenden entstehen, und zwar selbst dann, wenn er sich zu der übernommenen Leistung nicht mit rechtlicher Wirkung verpflichtet hatte (BGHZ 21, 102, 106 = NJW 56, 1313). Entscheidend kommt es darauf an, ob derjenige, der eine nur gefälligkeitshalber zugesagte unentgeltliche Leistung bewirkt, eine Rechtsbindung herbeiführen wollte; dies ist, wie der BGH ausgeführt hat, „nicht nach dem nicht in Erscheinung getretenen Willen des Leistenden zu beurteilen, sondern danach, ob der Leistungsempfänger aus dem Handeln des Leistenden unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solche Willen schließen mußte … Die Art der Gefälligkeit, ihr Grund und Zweck, ihre wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, insbesondere für den Empfänger, die Umstände, unter denen sie erwiesen wird, und die dabei bestehende Interessenlage der Parteien können die Gefälligkeit über den Bereich rein tatsächlicher Vorgänge hinausheben und sind daher für die Beurteilung des Bindungswillens und der Natur des etwa in Betracht kommenden Rechtsgeschäfts heranzuziehen“ (BGH, aaO S. 106 f.).

Nach diesen Rechtsgrundsätzen rechtfertigt der hier gegebene Sachverhalt nicht die Annahme eines Rechtsbindungswillens des Zeugen …, insbesondere nicht die Bejahung der Frage, ob der Leistungsempfänger (Klägerin) aus dem Handeln des Leistenden (Zeuge …) unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen mußte. Das Motiv des Zeugen … für die Gebrauchsüberlassung waren eindeutig die familiären, freundschaftlichen Beziehungen zu seinem Sohn bzw. zur Klägerin als seiner zukünftigen Schwiegertochter. Der Zeuge hatte auch kein irgendwie geartetes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der der Klägerin gewährten Leistung, das für einen Rechtsbindungswillen sprechen könnte. Die von den Hüttenbewohnern, u.a. der Klägerin, vorgesehene — aber letztlich nicht verwirklichte — und dem Zeugen unbekannte geringe Gegenleistung für den Zeugen ist unbeachtlich, da hierdurch lediglich die dem Zeugen entstandenen Unkosten beglichen werden sollten.

Ob die Klägerin unmittelbare Besitzerin der Hütte geworden war oder lediglich Besitzdienerin kann dahinstehen; denn eine Ausdehnung der Ausschlußklausel auf die Fälle der Besitzüberlassung im Rahmen von Gefälligkeitsverhältnissen ist im Hinblick auf die eindeutige, den Ausschlußrahmen der Klausel abgrenzende Formulierung nicht gerechtfertigt (s. Prölss/Martin, VVG, 24. Aufl., Anm. 6 a zu § 4 AHB) und würde den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligen.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711; § 546 Abs. 2 Satz 1, § 4 ZPO.

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