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Private Unfallversicherung: verengter Rückenmarkkanal als Gebrechen im Sinne einer mitwirkenden Ursache bei einem Unfallereignis

LG Itzehoe, Az.: 1 S 59/12

Urteil vom 04.06.2013

Nicht altersgerecht

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 01.03.2012 verkündete Urteil des Amtsgerichts Elmshorn (Aktenzeichen: 52 C 67/11) wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsrechtsstreits zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Elmshorn sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.623,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Private Unfallversicherung: verengter Rückenmarkkanal als Gebrechen im Sinne einer mitwirkenden Ursache bei einem Unfallereignis
Symbolfoto: iconisa/Bigstock

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Darstellungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat der Klage, mit der der Kläger von der Beklagten aufgrund einer Unfallversicherung die Zahlung von weiteren 4.122,50 € begehrt hat, nur i. H. v. 499,50 € stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Elmshorn vom 01.03.2012 (Aktenzeichen: 52 C 67/11) zu verurteilen, über den bereits ausgestellten Betrag von 499,50 € nebst Zinsen i. H. v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.08.2011 hinaus weitere 3.623,00 € nebst Zinsen i. H. v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf 1.236,50 € seit dem 23.11.2010 und auf 2.386,50 € seit dem 04.08.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg; das Amtsgericht hat zu Recht der Klage nur in Höhe von 499,50 € stattgegeben. Ein darüber hinaus gehender Anspruch steht dem Kläger gegen die Beklagte aus der Unfallversicherung nicht zu.

1. Der Kläger macht mit der Berufung in erster Linie geltend, das Amtsgericht habe zu Unrecht eine mitwirkende Ursache im Sinn von Nr. 3 der AUB 2010 darin gesehen, dass bei ihm eine Spinalkanalstenose, also eine besondere Verengung des Rückenmarkkanals, vorgelegen habe. Dieser besondere Zustand des Rückenmarkkanals sei weder als, Krankheit noch als Gebrechen im Sinne von Nr. 3 AUB 2010 anzusehen, so dass deshalb die Annahme einer mitwirkenden Ursache nicht gerechtfertigt gewesen sei.

Dieser Einwand des Klägers greift nicht durch; das Amtsgericht hat zu Recht in der besonderen Verengung des Wirbelkanals eine mitwirkende Ursache nach Nr. 3 der AUB 2010 gesehen. Gemäß dieser Regelung führen Krankheiten oder Gebrechen, die bei einem Unfallereignis mitgewirkt haben, entsprechend ihres Anteils zu einer Minderung der Versicherungsleistungen, sofern der Mitwirkungsanteil zumindest 25 % beträgt. Unter Krankheit in diesem Sinne ist ein regelwidriger Körperzustand zu verstehen, der ärztlicher Behandlung bedarf, ein Gebrechen liegt bei einem von der Norm abweichenden Gesundheitszustand vor, der die Ausübung normaler Körperfunktionen jedenfalls teilweise mindert (Grimm, Unfallversicherung, Komm, zu Ziff. 3 AUB 2010, Rn. 2 m. w. N.). Nach Auffassung der Kammer ist in der besonderen Verengung des Rückenmarkkanals, die bei dem Kläger zum Zeitpunkt des Sturzes vorlag, ein Gebrechen zu sehen.

Dass bei dem Kläger aufgrund des verengten Rückenmarkkanals ein von der Norm negativ abweichender Gesundheitszustand vorlag, der auch ganz erheblichen Anteil daran hatte, dass der Kläger durch den Sturz die schwere Folge einer inkompletten Querschnittslähmung erlitten hat, geht nachvollziehbar und überzeugend aus dem vom Amtsgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. S hervor. Der Sachverständige hat im Rahmen dieses Gutachtens ausgeführt, dass die bei dem Kläger vorliegende Einengung des Rückenmarkkanals angesichts seines noch vergleichbar jungen Alters – der Kläger war zum Zeitpunkt des Sturzes 28 Jahre alt -als ungewöhnlich anzusehen sei. Der Grund für diese Verengung sei in einer Verkrümmung der Wirbelsäule sowie in verschleißbedingten Umformungen des Rückenmarkkanals zu sehen. Hierdurch sei es zu einer deutlich über das altersentsprechende Maß hinausgehenden Verengung des Rückenmarkkanals gekommen. Dies habe dazu geführt, dass der Schutz des Rückenmarks durch die umgebende Flüssigkeit (Liquor) nahezu aufgehoben gewesen sei. Hierin ist nach Ausführungen des Sachverständigen die maßgebliche Ursache dafür zu sehen, dass der an sich nicht gravierende Sturz des Klägers auf den Rücken zu der erheblichen Folge einer inkompletten Querschnittslähmung führte. Diese nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen sind auch von dem Kläger nicht angegriffen worden.

Der Umstand, dass der Kläger bis zum Zeitpunkt des Sturzes keine Kenntnis von der besonderen Verengung des Rückenmarkkanals hatte und hierdurch gemäß seinem Vortrag bis zu dem Sturz nicht beeinträchtigt worden war, spricht nicht gegen die Annahme eines Gebrechens. Denn für die Beurteilung, ob eine Krankheit bzw. ein Gebrechen vorliegt, gilt der objektive Krankheitsbegriff; es kommt also nicht darauf an, ob ein Versicherter – wie hier der Kläger – keine Kenntnis von einem besonderen, von der Norm negativ abweichenden Gesundheitszustand hat bzw. diesen nicht bemerkt (OLG Schleswig, r+s 1995, 119; Grimm a. a. 0.). Auch der vom Kläger mit der Berufung hervorgehobene Umstand, dass ihn die Verengung des Wirbelkanals bis zu dem Zeitpunkt des Unfalls nicht in seiner Lebensführung beeinträchtigt habe, ändert nichts an der Einordnung als Gebrechen. Es mag sein, dass sich diese besondere körperliche Konstitution nicht auf die uneingeschränkte Ausübung der vom Kläger wahrgenommenen Körperfunktionen ausgewirkt hat. Aber gemäß den oben dargestellten Ausführungen des Sachverständigen hatte die Verengung des Rückenmarkkanals zur Folge, dass die Flüssigkeit im Rückenmark nicht wie im Normalfall ihre Schutzfunktion entfalten konnte. Insofern war bei dem Kläger aufgrund der Verengung des Rückenmarkkanals eine Körperfunktion, nämlich die Schutzfunktion des Flüssigkeitsmantels um das Rückenmark, ganz erheblich vermindert, so dass bei ihm ein Gebrechen vorlag.

Gegen die Annahme, dass der verengte Wirbelkanal eine mitwirkende Ursache im Sinne von Nr. 3 AUB 2010 darstellt, spricht nicht, dass der Sachverständige im Rahmen des schriftlichen Gutachtens ausgeführt hat, dass dieser Zustand bei zufälliger Entdeckung nicht operativ behoben worden wäre. Denn für die Einordnung, ob ein ungünstiger körperlicher Zustands als mitwirkende Ursache anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob dieser in jedem Fall operativ behoben würde, sondern allein, ob dieser einen maßgeblichen Anteil an einem Gesundheitsschaden hat, der im Zusammenhang mit einem Unfall entstanden ist. Dies war vorliegend – wie ausgeführt – der Fall.

Einen nicht altersgerechten degenerativen Vorschaden als mitwirkende Ursache im Sinn von Nr. 3 AUB 2010 anzusehen, entspricht auch der Rechtsprechung anderer Gerichte. So hat das OLG Schleswig (a. a. O., dort unter II. 2. b)} bei einer degenerativ vorgeschädigten Bandscheibe eine mitwirkende Ursache im Sinn der Vorgängerregelung zu Nr. 3 AUB 2010 angenommen und das Landgericht Dortmund (Beck RS 2010, 05936) hat in einer nicht altersgerechten degenerativen Vorschädigung im Knie ebenfalls ein mitwirkendes Gebrechen im Sinne von Nr. 3 AUB 2010 gesehen. Der BGH hat zwar nicht ausdrücklich zu einem solchen Fall Stellung genommen, aber ausgeführt, dass Zustände, die im Rahmen der medizinischen Norm liegen, selbst dann keine Gebrechen seien, wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten (BGH NJW-RR 2010, 39, 40 bei Rn. 14). Daraus lässt sich im Umkehrschluss folgern, dass Zustände, die sich – wie ein nicht altersgerecht verengter Rückenmarkkanal – nicht mehr im Rahmen der medizinischen Norm bewegen und zu einer Disposition für Gesundheitsstörungen führen, als Gebrechen anzusehen sind.

Demgegenüber haben das Oberlandesgericht Hamm (NJW-RR 2010, 264 f.) und das Oberlandesgericht Düsseldorf (r+s 2005, 300, 301) bei einem nicht altersgerechten degenerativen Vorschaden eines Versicherten im Kniebereich die Annahme einer mitwirkenden Ursache mit dem Argument abgelehnt, eine solche degenerative Erscheinung lasse sich weder als Krankheit noch als Gebrechen einordnen. Dies ist aus Sicht der Kammer aber unabhängig von der Frage, ob man einen nicht alterstypische degenerative Veränderung als Gebrechen oder Krankheit bewertet, schon deshalb nicht zutreffend, weil dies nicht dem auch für einen Versicherten ersichtlichen Sinn und Zweck der Regelung von Nr. 3 AUB 2010 entspricht. Denn dieser Versicherungsbedingung lässt sich aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers entnehmen, dass Versicherungsschutz aus einer Unfallversicherung nur für Unfälle und deren Folgen geboten wird, nicht aber für unfallfremde Ursachen von Gesundheitsschädigungen wie Krankheiten oder konstitutionell bedingten gesundheitlichen Anomalien (BGH aaO., bei Rn. 19). Gerade Letzteres lag hier aber vor. Der bei dem Kläger von dem Sachverständigen festgestellte nicht altersgerecht verengte Rückenmarkkanal ist als eine konstitutionell bedingte gesundheitliche Anomalie anzusehen, die sich – dies ist der Sache nach unstreitig – bei dem Unfallereignis ganz erheblich ausgewirkt hat und deshalb dazu führt, dass eine Kürzung der Versicherungsleistung gerechtfertigt ist.

2. Auch der von dem Kläger des Weiteren mit der Berufung geltend gemachte Einwand, das Amtsgericht habe selbst bei Zugrundelegung einer mitwirkenden Ursache in einem Umfang von 50 %, den ihm aus der Unfallversicherung zustehenden Betrag falsch berechnet, greift nicht durch. Der Kläger hat darauf abgestellt, von dem unstreitig bei einer 100 %-igen Regulierung zu zahlenden Betrag von 7.326,00 € sei zunächst der vorgerichtlich von der Beklagten bereits gezahlte Betrag von 3.163,50 € abzuziehen und danach sei der Restbetrag von 4.162,50 € bei Annahme einer Mitwirkung in einem Umfang von 50 % zu halbieren. Diese Berechnung ist aber nicht zutreffend, weil sich die mitwirkende Ursache dann nur auf einen Teil, nämlich den von der Beklagten noch nicht geleisteten Betrag, auswirken würde. Tatsächlich ist der bei einer 100 %-igen Regulierung unstreitig zu zahlende Betrag von 7.326,00 € wegen einer mitwirkenden Ursache von 50 % zu halbieren, so dass sich ein Anspruch auf Zahlung von 3.663,00 € ergibt. Hiervon sind die unstreitig von der Beklagten bereits vorgerichtlich gezahlten 3.163,50 € abzuziehen, so dass der vom Amtsgericht zutreffend ausgeurteilte Betrag von 499,50 € verbleibt.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZO.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Denn der vorliegende Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des BGH als Revisionsgericht nicht erforderlich. Vielmehr hat der BGH bereits durch die oben erwähnte Entscheidung klargestellt, dass nicht altersgerechte gesundheitliche Anomalien als mitwirkende Ursachen einzuordnen sind.

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