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Private Unfallversicherung – Brillenabschlag bei unfallbedingtem Augenverlust

OLG Hamm – Az.: I-6 U 145/16 – Urteil vom 29.06.2017

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15.11.2016 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der am ##.##.1969 geborene Kläger macht im Wege einer Teilklage Rentenansprüche für einen Zeitraum von 6 Monaten aus einer bei der Beklagten gem. Versicherungsschein vom 26.10.2011 (Bl. 6 ff. GA) auf Basis der AUB 2008 (Bl. 13 ff. GA) geführten Unfallversicherung wegen eines Arbeitsunfalls vom 10.01.2012 geltend.

Am Unfalltag war der Kläger, der von Beruf Kraftfahrzeugmechaniker ist, mit dem Ausbau eines Fahrersitzes eines Kundenfahrzeuges beschäftigt. Hierbei rutschte der Kläger mit einer Spitzzange ab und stieß mit dieser in sein linkes Auge. Zunächst wurde die Hornhaut des linken Auges genäht sowie das aus dem Auge ausgetretene Glaskörpermaterial entfernt. Letztlich führte die Schwere der Verletzung dazu, dass das linke Auge des Klägers am 9.11.2012 operativ entfernt werden musste.

Der Kläger meldete den Unfall bei der Beklagten und machte Ansprüche aus der Unfallversicherung geltend. Mit Schreiben vom 18.1.2012 bestätigte die Beklagte den Eingang des Schadensfalles und übersandte dem Kläger einen so genannten „persönlichen Fristenausweis“ (Bl. 58 ff. der Akten). In der Folgezeit holte die Beklagte eine Stellungnahme des behandelnden Augenarztes Dr. M vom 16.2.2012 (Bl. 82 ff. der Akten) ein, der zudem unter dem 30.11.2012 (Bl. 66 ff. der Akten) eine Zusammenstellung der Krankengeschichte des Klägers an die Beklagte übersandte. Unter dem 10.11.2012 übersandte der Arzt Professor Dr. L eine Invaliditätsbescheinigung an die Beklagte (Bl. 20 der Akte). Aufgrund eines von Professor Dr. L im Auftrag der Beklagten erstatteten Gutachtens vom 13.3.2013 (Bl. 68 ff. der Akten) leistete die Beklagte mit Schreiben vom 15.4.2013 (Bl. 83 ff. der Akten) einen Vorschuss auf die zu erwartenden Leistungen des Klägers i.H.v. 20.000 €. Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme von Dr. C vom 19.4.2013 (Bl. 84 der Akten) rechnete die Beklagte mit Schreiben vom 26.4.2013 (Bl. 21 der Akten) Invaliditätsleistungen in Höhe von insgesamt 45.500 € ab. Dieser Abrechnung legte die Beklagte eine dauernde volle Funktionsunfähigkeit des linken Auges und damit einen Invaliditätsgrad von 50 % zu Grunde. Wegen einer zuvor dem Kläger wegen Kurzsichtigkeit verordneten Brille nahm sie einen Brillenabzug von 3 % im Sinne eines Vorschadens vor. Den sich hieraus ergebenden Invaliditätsgrad von 47 % erhöhte sie unter Berücksichtigung der Progressionsstaffel auf 91 %, was zu der regulierten Invaliditätsleistung führte.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe neben dem Anspruch auf die gezahlte Invaliditätsleistung auch einen Anspruch auf Zahlung einer Unfallrente. Der hierzu erforderliche Invaliditätsgrad von mindestens 50 % werde erreicht, weil die Beklagte den Abzug wegen Vorinvalidität zu Unrecht vorgenommen habe. Zwar habe bereits vor dem Unfall eine Fehlsichtigkeit bestanden. Der Kläger habe die ihm verordnete Brille jedoch nicht getragen, weil die Beeinträchtigung gering gewesen sei. Das Maß seiner Fehlsichtigkeit vor dem Unfall habe dem Sehvermögen von 99 % seiner Altersgenossen entsprochen. Der als Voraussetzung der Rentenzahlungspflicht erforderliche Invaliditätsgrad von mindestens 50 % sei jedenfalls wegen weiterer Beeinträchtigungen wie Wundschmerzen, Kopfschmerzen sowie einer erhöhten Infektionsgefahr durch die Augenprothese erreicht. Zudem habe sich eine Depression entwickelt. Er, der Kläger, habe sämtliche Fristen beachtet.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag i.H.v. 1000 € seit dem 1.1.2012, aus einem weiteren Betrag von 1000 € seit dem 1.2.2012, aus einem weiteren Betrag von 1000 € seit dem 1.3.2012, aus einem weiteren Betrag von 1000 € seit dem 1.4.2012, aus einem weiteren Betrag i.H.v. 1000 € seit dem 1.5.2012 sowie aus einem weiteren Betrag von 1000 € seit dem 1.6.2012 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Private Unfallversicherung - Brillenabschlag bei unfallbedingtem Augenverlust
(Symbolfoto: Von Anukool Manoton/Shutterstock.com)

Die Beklagte hat bestritten, dass die Kurzsichtigkeit und die Hornhautverkrümmung nur leicht ausgeprägt gewesen seien. Sie hat sich insoweit hilfsweise auf das Vorliegen von Vorinvalidität von 3 % und höchstvorsorglich auf Mitwirkung berufen. Sofern weitere Beeinträchtigungen beim Kläger vorhanden seien, seien diese jedenfalls durch die Gliedertaxe abgedeckt. Zudem fehle es insoweit an einer Invaliditätsbescheinigung. Ausweislich verschiedener ärztlicher Bescheinigungen liege zudem keine völlige Funktionsunfähigkeit des linken Auges vor. Bei dem früheren Zustand des Auges des Klägers handele es sich auch nicht um einen altersbedingten Normalzustand. Für das rechte Auge habe der Kläger zudem eine Rot-Grün-Schwäche angegeben.

Das Landgericht hat ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. D vom 7.7.2015 (Bl. 137 ff. d.A.) eingeholt, das der Sachverständige unter dem 13.8.2015 (Bl. 161 ff. d.A.), unter dem 3.12.2015 (Bl. 192 ff. d.A.) sowie unter dem 1.4.2016 (Bl. 255 ff. d.A.) schriftlich ergänzt und im Rahmen der öffentlichen Sitzung des Landgerichts vom 9.11.2016 (Bl. 299 ff. d.A.) mündlich erläutert hat.

Daraufhin hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Beweisaufnahme habe den Verlust des linken Auges ergeben. Dies führe zu einem Invaliditätsgrad von 50 %. Es sei kein Abzug i.H.v. 3 % wegen einer Vorinvalidität vorzunehmen.  Der Visus des linken Auges des Klägers von 0,63 und die Sehschwäche des Klägers auf diesem Auge von -0,75 -0,5 (18°) habe nicht dazu geführt, dass dieses Auge vor dem Unfall nur beschränkt gebrauchsfähig gewesen sei. Der Sachverständige habe plausibel erläutert, dass für den Kläger keine Notwendigkeit zum Tragen einer Brille bestanden habe. Er habe erklärt, dass bei der Sehschwäche des Klägers keine Beeinträchtigung im Alltagsleben vorliege. Soweit nach der Rechtsprechung des BGH ein Brillenabschlag von 3 % anerkannt sei, handle es sich um Fälle, in denen das Tragen einer Brille medizinisch erforderlich gewesen sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Das Landgericht habe aus der zitierten Entscheidung des BGH nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Der BGH sei bereits in einer früheren Entscheidung davon ausgegangen, dass bei der Beurteilung der Gebrauchsfähigkeit eines Auges grundsätzlich von der durch eine Brille korrigierten Sehkraft auszugehen sei, jedoch ein Abschlag für diejenige Minderung der Gebrauchsfähigkeit zu machen sei, die sich aus dem Tragen der Brille und den damit generell verbundenen Belastungen ergebe. Es sei nochmals darauf hinzuweisen, dass der Kläger für das Vorliegen und den Umfang der von ihm behaupteten unfallbedingten Invalidität beweispflichtig sei.

Entscheidend sei, dass der Kläger die Brille für die Korrektur seiner Sehschwäche benötige. Eine Korrektur der verminderten Sehschärfe des linken Auges von 0,63 auf den für ein gesundes Auge geltenden Wert von 1,0 habe der Kläger vor dem Unfall nur durch das Tragen einer Brille erreicht.

Auf die Frage, ob der Kläger vor dem Unfall tatsächlich eine Brille getragen habe, komme es nicht an. Es sei auf einen abstrakten Maßstab abzustellen. Es sei auch falsch, wenn der Sachverständige und das Landgericht angenommen haben, dass der Kläger mit dem Visus von 0,63 ohne Brille am Straßenverkehr habe teilnehmen können. Auch die aktuelle Fassung der Fahrerlaubnisverordnung setze eine Tagessehschärfe von mindestens 0,7 voraus.

Zudem habe das Landgericht unberücksichtigt gelassen, dass sich die Vorinvalidität nach denselben Maßstäben wie die anspruchsbegründende Invalidität bemesse. Nach den vom BGH gebilligten Bemessungsrichtlinien führe die beim Kläger auf 0,63 herabgesetzte Sehschärfe zu einer entsprechenden Minderung der Gebrauchsfähigkeit des Auges.

Diese Herabsetzung der Sehschärfe des linken Auges des Klägers habe nichts mit einer altersentsprechenden Einschränkung zu tun. Dem Kläger sei bereits im Alter von 16 Jahren eine Brille verordnet worden.

Jedenfalls sei beim Kläger aufgrund einer bestehenden Rot-Grün-Schwäche von einem Vorschaden des linken Auges auszugehen.

Schließlich habe der Kläger nicht dargelegt, woraus sich die Berechtigung des Zeitpunktes des Beginns der geltend gemachten Verzinsung ergeben solle.

Die Beklagte beantragt, das am 15.11.2016 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Arnsberg, Az. 4 O 431/14, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die landgerichtliche Entscheidung mit näheren Ausführungen. Die Zeugin I könne bestätigen, dass er über mehrere Jahre vor dem Unfall keine Brille getragen habe. Insoweit unterscheide sich der Sachverhalt auch von den durch den BGH entschiedenen Fällen. Zudem gelte nach der Fahrerlaubnisverordnung als unterste zu erreichende Tagessehschärfe ein Wert von 0,5. Der Kläger habe jedoch vor dem Unfall mit dem linken Auge eine Tagessehschärfe von 0,63 ohne Brille erreicht.

Es werde wie in erster Instanz weiterhin bestritten, dass die im Jahr 2007 zur Verordnung der Brille führenden Werte ordnungsgemäß ermittelt worden seien. Ebenso werde der Vortrag bestritten, dass sich aus einer Rot-Grün-Schwäche eine Vorinvalidität ergeben habe. Der Sachverständige habe gerade nicht festgestellt, dass die Rot-Grün-Schwäche zu einer Vorinvalidität geführt habe. Zudem sei die Beklagte mit diesem Einwand präkludiert.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angegriffenen Entscheidung sowie auf den weiteren Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und die genannten Schriftstücke Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört. Zudem hat der Sachverständige Prof. Dr. D sein Gutachten gegenüber dem Senat erläutert. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vermerk des Berichterstatters über den Senatstermin vom 29.06.2017 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg und führt unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung zur Abweisung der Klage. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die für die Monate Januar bis Juni 2012 geltend gemachte Unfallrente von monatlich 1.000,- € aus dem Versicherungsvertrag i.V.m. § 7 Ia. (1), (3) AUB 2008, weil der als Voraussetzung der Unfallrente erforderliche Invaliditätsgrad von mindestens 50 % wegen bestehender Vorinvalidität nicht erreicht ist.

1.

Unstreitig liegt ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen vor. Die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen nach § 7 Ia. (3) AUB 2008 – Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall, Geltendmachung und schriftliche Feststellung der Invalidität durch einen Arzt spätestens innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall – sind mit Ausnahme der ärztlichen Invaliditätsfeststellung hinsichtlich der Depression ebenfalls erfüllt.

Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten, denn das linke Auge des Klägers wurde am 09.11.2012 und damit ca. 10 Monate nach dem Unfall vom 10.01.2012 operativ entfernt. Soweit die Beklagte erstinstanzlich den Eintritt der Invalidität bestritten und geltend gemacht hat, dass sich aus einigen Arztberichten noch Restfunktionen ergeben, beziehen sich diese Arztberichte auf den Zustand vor der operativen Entfernung des linken Auges. Diese Restfunktionen führen auch hinsichtlich der streitgegenständlichen Rentenansprüche, die sämtlich einen Zeitraum vor der operativen Entfernung des linken Auges betreffen, nicht zu Leistungseinschränkungen. Denn gem. § 7 Ia. (7) AUB 2008 wird die Unfallrente rückwirkend ab Beginn des Monats, in dem sich der Unfall ereignet hat, geleistet.

Die fristgerechte ärztliche Invaliditätsfeststellung, bei der es sich ebenso wie bei der Invaliditätseintrittsfrist um eine objektive Anspruchsvoraussetzung handelt, die nach allgemeiner Ansicht wirksam ist (Kloth/Tschersich r+s 2015, 321, m.w.N.), liegt hinsichtlich der geltend gemachten Unfallfolgen mit Ausnahme der Depression vor. Gemessen am Zweck der fristgebundenen ärztlichen Feststellung genügt es, wenn diese Feststellung die Schädigung sowie den Bereich, auf den sich diese auswirkt, ferner die Ursachen, auf denen der Dauerschaden beruht, so umreißt, dass der Versicherer bei einer Leistungsprüfung den medizinischen Bereich erkennen kann, auf den sich die Prüfung seiner Leistungspflicht erstrecken muss und vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invaliditätsursachen geschützt wird (exemplarisch BGH, Urteil vom 01.04.2015, Az. IV ZR 104/13, NJW-RR 2015, 1442, Tz. 22). Die vorgelegte Invaliditätsbescheinigung von Prof. Dr. L vom 10.11.2012 genügt diesen Anforderungen hinsichtlich der eingetretenen Blindheit aufgrund der Entfernung des Auges.

Hinsichtlich der pauschal behaupteten Depression liegt demgegenüber keine ärztliche Invaliditätsfeststellung vor. Eine Depression wird in der Bescheinigung von Prof. Dr. L vom 10.11.2012 nicht erwähnt. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich eine hierauf bezogene Invaliditätsfeststellung auch nicht aus dem Bericht von Dr. M vom 30.11.2012. Dr. M hat lediglich ausgeführt, dass der Kläger durch das Abweichen des linken Auges nach außen psychisch alteriert gewesen sei. Diesen Ausführungen lässt sich jedoch kein psychischer Dauerschaden entnehmen. Daneben hat Dr. M den postoperativen Heilungsverlauf als regelrecht bezeichnet, was einer über den Verlust des Auges und den damit unmittelbar zusammenhängenden körperlichen Beeinträchtigungen hinausgehenden Invaliditätsfeststellung ebenfalls entgegensteht.

Die Beklagte kann sich auch auf die Nichteinhaltung der fristgerechten Invaliditätsfeststellung hinsichtlich der pauschal behaupteten Depression berufen. Denn sie ist ihrer Hinweispflicht nach § 186 S. 1 VVG durch die Übersendung des „persönlichen Fristenausweises“ sowie durch die Belehrungen des Klägers in diversen weiteren Schreiben nachgekommen.

2.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Invaliditätsrente nach § 7 Ia. (1) AUB 2008, weil sowohl im Zusammenhang mit der dem Kläger wegen einer Einschränkung seines Sehvermögens verschriebenen Brille als auch aufgrund der beim Kläger vorhandenen Rot-Grün-Schwäche in Gestalt einer Grünblindheit Abzüge wegen Vorinvalidität vorzunehmen sind, die jeweils für sich genommen dazu führen, dass der Kläger den als Voraussetzung des Rentenzahlungsanspruchs erforderlichen unfallbedingten Invaliditätsgrad von 50 % unterschreitet. Angesichts des Umstandes, dass der Verlust bzw. die Funktionsunfähigkeit eines Auges nach  der Gliedertaxe des § 7 I (2) a) AUB 2008 einen Invaliditätsgrad von 50 % begründet, führt jede nach § 7 I (3) AUB 2008 zu beachtende Vorinvalidität dazu, dass der für die Unfallrente maßgebliche Invaliditätsgrad von 50 % unterschritten wird, zumal nach § 7 Ia. (5) AUB 2008 besonders vereinbarte Gliedertaxen bei Bemessung des für die Unfallrente erforderlichen Invaliditätsgrades keine Anwendung finden.

a)

Entgegen der Ansicht des Klägers führen die weitergehenden, mit der Entfernung des Auges verbundenen körperlichen Beeinträchtigungen nicht zu einer Erhöhung des in der Gliederstaffel (§ 7 Ia. (4) i.V.m. § 7 I (2) a) AUB 2008) geregelten Invaliditätsgrades von 50 % für den Verlust eines Auges. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (exemplarisch BGH, Urteil vom 14.12.2016, Az. IV ZR 527/15, BeckRS 2016, 109928, Tz. 25). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird die Regelung, dass der Invaliditätsgrad von 50 % den „Verlust oder völlige Funktionsunfähigkeit“ des Auges umfasst, dahin verstehen, dass jedenfalls sämtliche unmittelbar mit der Entfernung des Auges verbundenen körperlichen Beeinträchtigungen abgegolten sind. Da der Wortlaut nicht nur die Funktionsunfähigkeit, sondern auch den Verlust des Auges benennt, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennen, dass der Invaliditätsgrad mehr erfasst, als den Verlust des Sehvermögens. Er wird bei aufmerksamer Durchsicht erkennen, dass auch die unmittelbar mit dem Verlust des Auges verbundenen körperlichen Beeinträchtigungen erfasst werden. Dies wird er neben dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang auch einem Vergleich mit den Regelungen der Klausel für andere Sinnesorgane entnehmen. Denn hinsichtlich des Ohres stellt die Gliedertaxe nur auf den Verlust des Gehörs ab (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 12.06.2017, Az. 6 U 139/15), hinsichtlich des Geschmacks ebenfalls nur auf den Verlust dieses Sinnes.

Der Kläger hat bereits nicht schlüssig behauptet, dass es bei ihm zu weitergehenden Unfallfolgen gekommen ist. Im Rahmen der Klageschrift hat der Kläger lediglich ganz allgemein darauf hingewiesen, dass Beeinträchtigungen in Form von Wundschmerzen, Kopfschmerzen sowie erhöhter Empfindlichkeit und Infektionsgefahr durch das Erfordernis einer Augen-Prothese auftreten können. Diese Beschwerden sind jedoch beim Kläger tatsächlich nicht aufgetreten. Im Gegenteil:  Der Kläger hat ausweislich des augenärztlichen Gutachtens des ihn behandelnden Prof. Dr. L vom 13.03.2013 (dort S. 4, Bl. 70 d.A.) an keinen Beschwerden gelitten. Nach Vorlage dieses Gutachtens durch die Beklagte als Anlage zur Klageerwiderung vom 08.12.2014 hat der Kläger nicht geltend gemacht, dass der Inhalt des Gutachtens seines behandelnden Arztes unzutreffend sei und hat seinen Vortrag auch im Übrigen nicht ergänzt. Deswegen braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob weitergehende Beschwerden von der Invaliditätsbescheinigung vom 10.11.2012 überhaupt erfasst sind.

b)

Wegen der bereits vor dem Unfall vorhandenen Beeinträchtigung des Sehvermögens des Klägers ist gem. § 7 Ia. (4) S. 1, I. (3) AUB 2008 ein Abzug wegen Vorinvalidität vorzunehmen. Denn die Beklagte hat bewiesen, dass die Funktion des linken Auges des Klägers bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt war.

Dabei legt der Senat zu Grunde, dass die zentrale Sehschärfe auf dem linken Auge ohne Brille vor dem Unfall 0,63 betragen hat. Hinsichtlich der Hornhautverkrümmung des linken Auges legt der Senat die Werte -0,75 -0,5 18° zu Grunde. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Kläger bestreitet, dass sein Augenarzt diese Werte zutreffend ermittelt habe. Denn das Landgericht hat diese Werte mit Tatbestandswirkung (§ 314 ZPO) festgestellt. Die Unrichtigkeit dieser Feststellung kann grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren (§ 320 ZPO) geltend gemacht werden (BGH, Beschluss vom 25.03.2014, Az. VI ZR 271/13, NJW-RR 2014, 830, Tz. 4). Einen entsprechenden Antrag hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers innerhalb der – abgelaufenen – Frist des § 320 Abs. 1 ZPO nicht gestellt. Überdies besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die vom eigenen Augenarzt des Klägers über Jahre hinweg ermittelten und von diesem stets hingenommenen Werte unrichtig sein könnten. Solche Gesichtspunkte sind auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht aufgezeigt worden.

Maßgeblich für das Maß der Vorinvalidität ist grundsätzlich die durch eine Brille korrigierte Sehkraft des Auges. Sofern der Versicherungsnehmer durch das Tragen der Brille die volle Sehkraft des betroffenen Auges erreicht, liegt die Minderung der Gebrauchsfähigkeit des Auges in der Notwendigkeit, diese Brille zu tragen. Das Ausmaß der Minderung der Gebrauchsfähigkeit bedarf tatsächlicher Feststellungen im Einzelfall, allerdings ohne Berücksichtigung individueller Besonderheiten etwa des Berufs oder der Tätigkeit gerade dieses Versicherungsnehmers (BGH, Urteil vom 27.04.1983, Az. IV a ZR 193/81; BGH, Beschluss vom 30.09.2009, Az. IV ZR 301/06, BeckRS 2009, 29118).

Hinsichtlich der Sehschärfe liegt die Beeinträchtigung des Klägers, bei dem durch die verordnete Brille die volle Sehschärfe erreicht werden konnte, in dem Tragen dieser Brille. Entgegen dem Vortrag des Klägers hat er die ihm verordnete Brille tatsächlich getragen. Daneben war das Tragen dieser Brille notwendig.

aa)

Die persönliche Anhörung des Klägers hat ergeben, dass der Kläger sowohl erstinstanzlich als auch zunächst gegenüber dem Senat unwahr vorgetragen hat, die Brille tatsächlich nicht getragen zu haben.

Zu Beginn seiner Anhörung durch den Senat hat der Kläger wiederholt erklärt, die ihm verordnete Brille auch beim Fahren von Kraftfahrzeugen nicht getragen zu haben. Er hat zwar eingeräumt, dass die Notwendigkeit des Tragens einer Brille in seinem Führerschein eingetragen sei und gegen ihn wegen Nichttragens dieser Brille bereits ein Bußgeld verhängt worden sei. Der Kläger hat jedoch zunächst daran festgehalten, die Brille tatsächlich nicht getragen, sondern im Handschuhfach seines Pkw aufbewahrt zu haben. Erst aufgrund des Widerspruchs zwischen der Erklärung, die Brille nicht genutzt, sondern im Handschuhfach aufbewahrt zu haben und der weiteren Erklärungen des Klägers, er habe sich auch mal eine neue Brille verordnen lassen, weil auch eine Brille kaputtgegangen sei, hat der Kläger eingeräumt, die Brille bei längeren Autobahnfahrten getragen zu haben.

bb)

Der Kläger hatte auf dem maßgeblichen (OLG Düsseldorf vom 30.03.2004, r+s 2006, 163) linken Auge vor dem Unfall eine geringgradige, nicht altersgemäße Kurzsichtigkeit, bei der er zum Erzielen der vollen Sehkraft eine schwache Fernbrille benötigte. Der Kläger persönlich hat bestätigt, dass die Notwendigkeit des Tragens der Brille in seinem Führerschein vermerkt ist. Der Sachverständige Prof. Dr. D hat diese Notwendigkeit im Rahmen der Erläuterung seines Gutachtens gegenüber dem Senat nach Vorgabe der maßgeblichen rechtlichen Grundlagen ebenfalls bestätigt.

Der Sachverständige hat bestätigt, dass die vor dem Unfall auf dem linken Auge des Klägers vorhandene zentrale Sehfähigkeit von 0,63 zum Bestehen des Sehtests nicht ausreicht (Ziffer 1.1 der Anlage 6 FeV). Soweit der Sachverständige zuvor darauf abgestellt hat, dass es Fälle gäbe, in denen mit einer zentralen Sehschärfe von 0,5 das Fahren ohne Brille zulässig sein könne, kommt es auf solche Ausnahmefälle nicht an. Denn Fehlsichtigkeiten müssen – soweit möglich und verträglich – korrigiert werden (vgl. u.a. Ziffer 1.2.1 der Anlage 6 FeV). Dies ist beim Kläger tatsächlich geschehen mit der Konsequenz, dass der Führerschein mit einem Brillenvermerk versehen worden ist und das Fahren ohne Brille mithin eine Ordnungswidrigkeit darstellt (§§ 23 Abs. 2, 75 FeV, Ziffer 169 BKat). Der Kläger hat insoweit eingeräumt, dass gegen ihn bereits ein Bußgeld verhängt worden ist. Auch vor diesem Hintergrund wird der maßgebliche durchschnittliche Versicherungsnehmer die beim Kläger vor dem Unfall vorhandene Kurzsichtigkeit dahin verstehen, dass die Funktion seines linken Auges bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt war (§ 7 I (3) AUB 2008). Das Maß der – nicht korrigierten – Beeinträchtigung hat der Sachverständige entsprechend der Tabelle von Gramberg-Danielsen (VersR 1988, 789) mit 2/25 bewertet. Auch dies zeigt, dass es sich nicht um eine unerhebliche Beeinträchtigung handelt.

Die Kurzsichtigkeit auf dem linken Auge des Klägers stellt auch unter Berücksichtigung seines Alters eine Vorinvalidität dar. Dabei ist auf die Leistungsfähigkeit einer gesunden Person aus der Altersgruppe des Versicherungsnehmers abzustellen, weil der durchschnittliche Versicherungsnehmer es nicht als „Vorinvalidität“ empfinden wird, wenn seine körperliche Funktion derjenigen einer gesunden Person seiner Altersgruppe entspricht (Lücke, VK 2006, 93; zur entsprechenden Frage hinsichtlich der Mitwirkung OLG Schleswig, Urteil vom 06.03.2014, Az. 16 U 95/13, zitiert nach juris, Tz. 36 ff.). Der Sachverständige Prof. Dr. D hat im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens bestätigt, dass die beim Kläger auf dem linken Auge vorhandene Kurzsichtigkeit nicht altersgemäß war.

c)

Schließlich führt auch die beim Kläger vorhandene Rot-Grün-Schwäche in Form einer betonten Grünblindheit (starke Deuteranopie) zu einer Vorinvalidität, die unabhängig von ihrer konkreten Bemessung den Invaliditätsgrad von 50 % wegen des Verlustes des Auges reduziert und daher dazu führt, dass der für einen Anspruch auf Zahlung einer Unfallrente erforderliche Invaliditätsgrad von 50 % nicht erreicht wird.

Entgegen der Rechtsmeinung des Klägers ist der Vortrag der Beklagten nicht als neuer Vortrag i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO verspätet. Das Vorhandensein der Rot-Grün-Schwäche ergibt sich bereits aus dem von der Beklagten mit der Klageerwiderung vorgelegten und in Bezug genommenen Gutachten Prof. Dr. L vom 13.03.2013 (dort Bl. 72 GA), in dem auf eine deutliche Rot-Grün-Schwäche in Form einer betonten Grünblindheit hingewiesen wird.

Der Sachverständige Prof. Dr. D hat erläutert, dass von der durch das Gutachten Prof. Dr. L für das rechte Auge festgestellten Rot-Grün-Schwäche auf das linke Auge geschlossen werden kann, weil diese Beeinträchtigung im Regelfall genetisch erworben wird. Der Sachverständige hat zudem bestätigt, dass die Rot-Grün-Schwäche nicht altersspezifisch sei und eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Funktion darstelle. Er hat zum einen – entsprechend den Regelungen der FeV – erläutert, dass eine Rot-Grün-Schwäche für bestimmte Führerscheinklassen zu Einschränkungen führen kann. Er hat darüber hinaus erläutert, dass der Betroffene je nach Ausprägung beispielsweise an einer grünen Ampel lediglich helles Licht sehe und diese Schwäche beruflich nachteilig sein könne, beispielsweise durch Farbkodierungen im Elektrotechnikbereich. Auch hierin liegt eine dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung, denn der Kläger kann wegen seiner Grünblindheit diese Farbe nicht unmittelbar erkennen, sondern muss mit gedanklichen Schlüssen arbeiten, die mit einem gewissen zusätzlichen Zeitbedarf verbunden sind. Diese eingeschränkte Fähigkeit des Farbsehens stellt ebenfalls eines Beeinträchtigung des Sehvermögens dar (OLG Brandenburg, Urteil vom 08.11.2006, Az. 4 U 33/06, zitiert nach juris, Tz. 53; Grimm, Unfallversicherung, 5. Auflage 2013, Teil 2. A. AUB 2010, Rn. 34; Leverenz in Bruck/Möller, VVG, 9. Auflage 2010, AUB Ziff 2.1 Rn. 213).

Danach hat die Berufung der Beklagten Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.

III.

Da der Kläger keinen Anspruch auf die geltend gemachte Hauptforderung hat, ist die Klage auch hinsichtlich der Nebenforderungen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

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