➔ Zum vorliegenden Urteil Aktenzeichen: 12 U 175/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Hilfe anfordern
Übersicht
- ✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Psychische Erkrankung schließt Unfallversicherungsschutz aus – Tragischer Suizidversuch
- ✔ Der Fall vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe
- Klägerin fordert Leistungen aus privater Unfallversicherung ihres Sohnes nach Suizidversuch
- Landgericht weist Klage ab – Versicherungsausschluss greift bei fehlender freier Willensbestimmung
- Oberlandesgericht weist Berufung der Klägerin zurück
- Kein Versicherungsschutz bei Unfällen durch psychisch bedingte Suizidversuche
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen
- Welche Arten von psychischen Erkrankungen fallen unter den Begriff „Geistes- oder Bewusstseinsstörungen“ im Kontext einer privaten Unfallversicherung?
- Was bedeutet „freie Willensbestimmung“ im Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz und wie wird diese im Falle einer psychischen Erkrankung beurteilt?
- Gibt es Ausnahmen vom Leistungsausschluss bei Unfällen durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen in der privaten Unfallversicherung?
- Welche Möglichkeiten habe ich, wenn meine private Unfallversicherung einen Anspruch aufgrund einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung ablehnt?
- Wie kann ich mich als Versicherungsnehmer mit einer psychischen Erkrankung vor einer Leistungsverweigerung der privaten Unfallversicherung schützen?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⇓ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Die Klägerin fordert Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung für ihren Sohn.
- Der Vertrag enthält einen Ausschluss für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, was die zentrale Streitfrage darstellt.
- Die Schwierigkeit liegt in der Interpretation, ob die Geistes- oder Bewusstseinsstörung tatsächlich zur Unfallursache beitrug.
- Das Landgericht und das Oberlandesgericht lehnten die Ansprüche der Klägerin ab.
- Das Gericht entschied, dass der Unfall durch die Bewusstseinsstörung verursacht wurde, daher greift der Ausschluss.
- Das Urteil begründet sich darauf, dass eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung einen direkten Einfluss auf das Unfallgeschehen hatte.
- Die Klägerin muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen, und eine Revision wurde nicht zugelassen.
- Diese Entscheidung zeigt die strikte Anwendung der Ausschlussklauseln in Versicherungsverträgen und betont die Bedeutung präziser Vertragsformulierungen.
- Versicherungsnehmer sollten sich der spezifischen Bedingungen und Ausschlüsse ihrer Policen bewusst sein.
Psychische Erkrankung schließt Unfallversicherungsschutz aus – Tragischer Suizidversuch
Eine private Unfallversicherung kann ein wichtiger Schutz sein, wenn unerwartete Ereignisse eintreten. Jedoch gibt es oft Ausschlüsse, die im Vertrag festgelegt sind. Einer dieser Ausschlüsse betrifft Unfälle, die durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen verursacht werden. Solche Störungen können vielfältige Ursachen haben – von Krankheiten bis hin zu Medikamenteneinnahme. In solchen Fällen ist es für Versicherungsnehmer oft schwierig zu beurteilen, ob der Versicherungsschutz greift oder nicht. Eine genauere Betrachtung der rechtlichen Grundlagen kann hier Klarheit bringen. Im Folgenden wird ein konkreter Gerichtsfall erörtert, der diese Thematik näher beleuchtet.
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✔ Der Fall vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe
Klägerin fordert Leistungen aus privater Unfallversicherung ihres Sohnes nach Suizidversuch
Die Klägerin verlangt von der beklagten Versicherung Leistungen aus der privaten Unfallversicherung ihres Sohnes. Dieser litt an einer generalisierten Angststörung mit depressiven Episoden und sprang am 14.01.2019 in Suizidabsicht aus dem Fenster seines Zimmers. Dabei zog er sich Frakturen an beiden Beinen sowie der Wirbelsäule zu.
Die Klägerin beantragte bei der Beklagten eine Invaliditätsleistung in Höhe von 36.180 Euro sowie Krankentagegeld und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte lehnte eine Leistung ab, da es an der Unfreiwilligkeit des Unfallereignisses fehle.
Landgericht weist Klage ab – Versicherungsausschluss greift bei fehlender freier Willensbestimmung
Das Landgericht Baden-Baden wies die Klage der Mutter ab. Es ging davon aus, dass der Sohn aufgrund seiner psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt des Suizidversuchs nicht zu einer freien Willensbestimmung fähig war. Damit greife der Leistungsausschluss nach den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2000). Danach sind Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen vom Versicherungsschutz ausgenommen.
Die Voraussetzung einer unfreiwilligen Gesundheitsschädigung sei nicht erfüllt, wenn die versicherte Person nicht in der Lage gewesen sei, ihr Verhalten an vernünftigen Erwägungen auszurichten. Eine Beweisaufnahme über die geistige Verfassung des Sohnes sei nicht erforderlich, da der Unfall zwangsläufig entweder freiwillig herbeigeführt wurde oder auf einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung beruhte.
Oberlandesgericht weist Berufung der Klägerin zurück
Die Klägerin legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein. Sie vertrat die Auffassung, ihr Sohn habe seine Umwelt zutreffend wahrgenommen. Eine den Anspruch ausschließende Geistes- oder Bewusstseinsstörung setze nach der Rechtsprechung ein Wahrnehmungsdefizit voraus. Das Landgericht habe den Inhalt der Klausel unzutreffend erfasst und es versäumt, den beantragten Sachverständigenbeweis zu erheben.
Doch auch das Oberlandesgericht Karlsruhe folgte der Argumentation der Klägerin nicht und wies die Berufung zurück. Es stellte klar, dass die depressive Episode, welche die freie Willensbestimmung im Hinblick auf den Suizid ausschloss, als Geistes- oder Bewusstseinsstörung im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen ist.
Auf ein Wahrnehmungsdefizit komme es nicht an. Entscheidend sei, dass die dem Versicherten bei normaler Verfassung innewohnende Fähigkeit, Sinneseindrücke geistig zu verarbeiten und angemessen zu reagieren, ernstlich beeinträchtigt war. Zwischen der Unfreiwilligkeit und dem Leistungsausschluss bleibe kein Raum für eine Leistungspflicht des Unfallversicherers im Fall eines Suizidversuchs aufgrund einer psychischen Erkrankung.
Kein Versicherungsschutz bei Unfällen durch psychisch bedingte Suizidversuche
Das Urteil des OLG Karlsruhe macht deutlich, dass die private Unfallversicherung in der Regel nicht für Unfälle aufkommt, die durch einen psychisch bedingten Suizidversuch verursacht werden. Ist die freie Willensbestimmung krankheitsbedingt aufgehoben, greift der Leistungsausschluss für Geistes- und Bewusstseinsstörungen.
Betroffene Versicherte und ihre Angehörigen sollten sich in solchen Fällen frühzeitig rechtlich beraten lassen, um die Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs realistisch einschätzen zu können. Eine individuelle Prüfung der Versicherungsbedingungen und der konkreten Umstände ist dabei unerlässlich.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Der Leistungsausschluss für Geistes- oder Bewusstseinsstörungen in der privaten Unfallversicherung greift auch dann, wenn die freie Willensbestimmung des Versicherten aufgrund einer psychischen Erkrankung aufgehoben ist. Ein Wahrnehmungsdefizit ist nicht erforderlich, entscheidend ist die krankheitsbedingte Unfähigkeit, Sinneseindrücke angemessen zu verarbeiten und zu steuern. Für Unfälle durch psychisch bedingte Suizidversuche besteht daher regelmäßig kein Versicherungsschutz.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Das Thema: Versicherungsausschluss bei Geistes- oder Bewusstseinsstörungen wirft bei vielen Lesern Fragen auf. Unsere FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Insights und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses Thema zu vertiefen. Weiterhin finden Sie in der Folge einige der Rechtsgrundlagen, die für dieses Urteil wichtig waren.
- Welche Arten von psychischen Erkrankungen fallen unter den Begriff „Geistes- oder Bewusstseinsstörungen“ im Kontext einer privaten Unfallversicherung?
- Was bedeutet „freie Willensbestimmung“ im Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz und wie wird diese im Falle einer psychischen Erkrankung beurteilt?
- Gibt es Ausnahmen vom Leistungsausschluss bei Unfällen durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen in der privaten Unfallversicherung?
- Welche Möglichkeiten habe ich, wenn meine private Unfallversicherung einen Anspruch aufgrund einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung ablehnt?
- Wie kann ich mich als Versicherungsnehmer mit einer psychischen Erkrankung vor einer Leistungsverweigerung der privaten Unfallversicherung schützen?
Welche Arten von psychischen Erkrankungen fallen unter den Begriff „Geistes- oder Bewusstseinsstörungen“ im Kontext einer privaten Unfallversicherung?
Im Kontext der privaten Unfallversicherung fallen unter den Begriff „Geistes- oder Bewusstseinsstörungen“ verschiedene psychische und neurologische Erkrankungen, die die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit einer Person erheblich beeinträchtigen. Diese Störungen können dazu führen, dass die betroffene Person nicht mehr in der Lage ist, angemessen auf Gefahren zu reagieren, was das Unfallrisiko erhöht.
Zu den Geistesstörungen zählen unter anderem schwere psychische Erkrankungen wie Schizophrenie, schwere Depressionen und Angststörungen. Diese Erkrankungen können die Fähigkeit zur rationalen Steuerung von Handlungen und zur angemessenen Reaktion auf Umweltreize erheblich beeinträchtigen. Beispielsweise kann eine depressive Episode, die die freie Willensbestimmung ausschließt, als Geistesstörung angesehen werden, die einen Leistungsausschluss nach den Versicherungsbedingungen rechtfertigt.
Bewusstseinsstörungen umfassen Zustände, die das normale Bewusstsein verändern oder beeinträchtigen. Dazu gehören quantitative Bewusstseinsstörungen wie Benommenheit, Somnolenz (anhaltende Schläfrigkeit), Sopor (schlafähnlicher Zustand) und Koma. Diese Zustände beeinflussen den Wachheitsgrad und die Reaktionsfähigkeit der betroffenen Person erheblich. Auch qualitative Bewusstseinsstörungen wie Delir (akute Verwirrtheit), Halluzinationen und Bewusstseinseinengungen (Fixierung auf einen bestimmten Gedanken oder ein Erlebnis) fallen darunter.
Ein Beispiel für eine Bewusstseinsstörung im Sinne der Versicherungsbedingungen ist ein epileptischer Anfall, der die gesamte Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt und somit das Unfallrisiko erhöht. Auch Zustände, die durch den Konsum von Alkohol oder Drogen verursacht werden und die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen, werden als Bewusstseinsstörungen betrachtet.
Die Rechtsprechung und die Versicherungsbedingungen legen fest, dass Unfälle, die durch solche Geistes- oder Bewusstseinsstörungen verursacht werden, in der Regel vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind. Dies gilt insbesondere, wenn die Störung bereits vor dem Unfall bestand und das Unfallrisiko dadurch erhöht wurde.
Was bedeutet „freie Willensbestimmung“ im Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz und wie wird diese im Falle einer psychischen Erkrankung beurteilt?
Freie Willensbestimmung im Zusammenhang mit dem Versicherungsschutz bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person, Entscheidungen ohne äußeren Zwang oder innere Beeinträchtigungen zu treffen. Diese Fähigkeit ist entscheidend, um zu bestimmen, ob ein Ereignis als Unfall oder als vorsätzliche Handlung eingestuft wird, was wiederum Auswirkungen auf den Versicherungsschutz hat.
Im Falle einer psychischen Erkrankung wird die freie Willensbestimmung besonders sorgfältig geprüft. Psychische Störungen können die Entscheidungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen, was dazu führen kann, dass Handlungen nicht als Ausdruck eines freien Willens betrachtet werden. Dies ist relevant, wenn es um die Frage geht, ob ein Suizid als vorsätzliche Selbsttötung oder als Folge einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit gewertet wird.
Die rechtliche Beurteilung der freien Willensbestimmung bei psychischen Erkrankungen erfolgt anhand mehrerer Kriterien:
- Krankheitsbild und Schwere der Störung: Psychische Erkrankungen wie schwere Depressionen, Schizophrenie oder akute Psychosen können die Willensfreiheit erheblich einschränken. Bei der Beurteilung wird untersucht, ob die Erkrankung so schwerwiegend ist, dass sie die Fähigkeit zur freien Willensbildung ausschließt.
- Gutachten von Sachverständigen: In Rechtsstreitigkeiten werden häufig psychiatrische Gutachten eingeholt, um festzustellen, ob die betroffene Person zum Zeitpunkt der Handlung in der Lage war, frei zu entscheiden. Diese Gutachten berücksichtigen die medizinische Vorgeschichte, die Schwere der Symptome und die Umstände der Handlung.
- Beweislast: Der Versicherer trägt die Beweislast dafür, dass eine vorsätzliche Selbsttötung vorliegt. Dies bedeutet, dass der Versicherer nachweisen muss, dass die Handlung bewusst und absichtlich erfolgte. Bei psychischen Erkrankungen kann dies schwierig sein, da die Grenze zwischen vorsätzlichem Handeln und Handeln unter krankhafter Beeinflussung oft fließend ist.
- Rechtsprechung: Gerichte haben in verschiedenen Fällen entschieden, dass bei Vorliegen einer schweren psychischen Störung, die die freie Willensbestimmung ausschließt, der Versicherungsschutz nicht entfällt. Beispielsweise wurde bei endogenen Depressionen oder schweren affektiven Störungen oft zugunsten der Versicherten entschieden, wenn nachgewiesen werden konnte, dass die Erkrankung die Entscheidungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt hat.
In Deutschland regelt § 161 VVG, dass der Versicherungsschutz bei Suizid entfällt, wenn die Tat innerhalb von drei Jahren nach Vertragsabschluss erfolgt und vorsätzlich begangen wurde. Allerdings bleibt der Versicherungsschutz bestehen, wenn der Suizid in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen wurde, der die freie Willensbestimmung ausschließt. Die Beurteilung dieser Zustände erfordert eine sorgfältige Abwägung medizinischer und rechtlicher Aspekte, um sicherzustellen, dass die Entscheidung im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben und der individuellen Situation der betroffenen Person steht.
Gibt es Ausnahmen vom Leistungsausschluss bei Unfällen durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen in der privaten Unfallversicherung?
In der privaten Unfallversicherung gibt es grundsätzlich Leistungsausschlüsse für Unfälle, die durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen verursacht wurden. Diese Ausschlüsse sind in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) festgelegt und umfassen auch Unfälle, die durch Trunkenheit, Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle verursacht wurden.
Ausnahmen von diesen Ausschlüssen können jedoch in bestimmten Fällen bestehen. Eine wichtige Ausnahme ist, wenn die Geistes- oder Bewusstseinsstörung selbst durch ein versichertes Unfallereignis verursacht wurde. Das bedeutet, dass wenn ein Unfall, der unter den Versicherungsschutz fällt, eine solche Störung auslöst, die Versicherung dennoch leisten muss. Dies ist in den Versicherungsbedingungen explizit geregelt und stellt sicher, dass der Versicherungsschutz nicht vollständig ausgeschlossen wird, wenn die Störung eine direkte Folge eines versicherten Unfalls ist.
Ein weiteres Beispiel betrifft psychische Störungen nach einem Unfall. Das Oberlandesgericht Celle hat entschieden, dass nicht alle psychischen Störungen nach einem Unfall vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind. Insbesondere wenn die psychische Störung eine organische Ursache hat, die direkt mit dem Unfall in Verbindung steht, kann der Versicherungsschutz greifen. Dies gilt auch, wenn die psychische Reaktion eine unvermeidbare Begleiterscheinung des Unfalls ist und nicht lediglich eine spätere psychische Fehlverarbeitung darstellt.
Ein Fall, der dies verdeutlicht, ist der eines Versicherten, der nach einem schweren Unfall mit lebensbedrohlichen Folgen bis zum Beginn des operativen Eingriffs bei vollem Bewusstsein war. Hier entschied das Gericht, dass die psychische Störung, die direkt an die organischen Unfallfolgen anknüpft, nicht vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist.
Diese Ausnahmen zeigen, dass trotz der grundsätzlichen Ausschlüsse in den Versicherungsbedingungen, der Versicherungsschutz in bestimmten Fällen dennoch bestehen kann. Versicherungsnehmer sollten daher die genauen Bedingungen ihrer Police prüfen und im Zweifel rechtlichen Rat einholen, um ihre Ansprüche vollständig zu verstehen.
Welche Möglichkeiten habe ich, wenn meine private Unfallversicherung einen Anspruch aufgrund einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung ablehnt?
Wenn eine private Unfallversicherung einen Anspruch aufgrund einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung ablehnt, gibt es mehrere Handlungsoptionen, die Versicherungsnehmer in Betracht ziehen können.
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass viele Unfallversicherungen Klauseln enthalten, die Unfälle aufgrund von Geistes- oder Bewusstseinsstörungen ausschließen. Diese Ausschlüsse sind in der Regel wirksam und rechtlich zulässig, wie verschiedene Urteile bestätigen. Beispielsweise hat das Oberlandesgericht München entschieden, dass eine solche Ausschlussklausel nicht den Vertragszweck aushöhlt, da der Versicherungsschutz für normale Unfälle ohne erhöhtes Risiko weiterhin besteht.
Trotzdem gibt es Möglichkeiten, gegen eine Ablehnung vorzugehen. Ein erster Schritt kann der Widerspruch gegen die Entscheidung der Versicherung sein. Hierbei sollte der Versicherungsnehmer alle relevanten medizinischen Unterlagen und Gutachten einreichen, die belegen, dass der Unfall nicht durch eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung verursacht wurde oder dass diese Störung durch ein versichertes Unfallereignis ausgelöst wurde.
Sollte der Widerspruch erfolglos bleiben, kann der Versicherungsnehmer rechtliche Schritte einleiten. Eine Klage vor dem zuständigen Gericht ist eine Möglichkeit, um die Ansprüche durchzusetzen. In diesem Zusammenhang ist es ratsam, einen Fachanwalt für Versicherungsrecht zu konsultieren. Ein Anwalt kann die Erfolgsaussichten einer Klage einschätzen und den Versicherungsnehmer während des gesamten Verfahrens unterstützen. Die Bedeutung einer anwaltlichen Beratung wird durch die Komplexität der Materie und die oft strittigen medizinischen und rechtlichen Fragen unterstrichen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Beweispflicht. Der Versicherungsnehmer muss nachweisen, dass der Unfall und die daraus resultierende Invalidität nicht durch eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung verursacht wurden. Dies kann durch medizinische Gutachten und Zeugenaussagen geschehen. Es ist auch möglich, dass das Gericht einen unabhängigen Sachverständigen beauftragt, um die Ursache des Unfalls zu klären.
Zusammengefasst gibt es mehrere Wege, um gegen die Ablehnung eines Anspruchs aufgrund einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung vorzugehen. Ein Widerspruch bei der Versicherung, die Einleitung rechtlicher Schritte und die Unterstützung durch einen Fachanwalt sind wesentliche Schritte, um die eigenen Ansprüche durchzusetzen.
Wie kann ich mich als Versicherungsnehmer mit einer psychischen Erkrankung vor einer Leistungsverweigerung der privaten Unfallversicherung schützen?
Versicherungsnehmer mit einer psychischen Erkrankung sollten einige wichtige Maßnahmen ergreifen, um sich vor einer Leistungsverweigerung der privaten Unfallversicherung zu schützen.
Zunächst ist es entscheidend, die Versicherungsbedingungen sorgfältig zu prüfen. Viele Versicherer schließen Leistungen für psychische Folgen eines Unfalls aus, es sei denn, diese sind durch eine hirnorganische Schädigung bedingt. Daher sollte der Vertrag genau auf solche Ausschlussklauseln hin untersucht werden. Beispielsweise schließen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) oft krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen aus, selbst wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden.
Eine transparente Kommunikation mit dem Versicherer ist ebenfalls wichtig. Bereits bei Vertragsabschluss sollten alle relevanten Informationen über bestehende psychische Erkrankungen offengelegt werden. Dies verhindert spätere Streitigkeiten über vorvertragliche Anzeigepflichten, die zu einer Leistungsverweigerung führen könnten.
Es kann sinnvoll sein, den Versicherungsschutz anzupassen. Einige Versicherer bieten spezielle Tarife oder Zusatzversicherungen an, die auch psychische Erkrankungen abdecken. Hierbei ist es ratsam, verschiedene Angebote zu vergleichen und sich gegebenenfalls von einem unabhängigen Versicherungsberater unterstützen zu lassen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Dokumentation. Nach einem Unfall sollten alle medizinischen Befunde und Gutachten sorgfältig dokumentiert werden. Dies umfasst sowohl körperliche als auch psychische Beeinträchtigungen. Eine umfassende Dokumentation kann im Streitfall helfen, den Zusammenhang zwischen Unfall und psychischer Erkrankung nachzuweisen.
Schließlich kann es hilfreich sein, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Diese deckt nicht nur unfallbedingte, sondern auch krankheitsbedingte Invalidität ab und bietet somit einen umfassenderen Schutz als eine reine Unfallversicherung.
Durch diese Maßnahmen können Versicherungsnehmer ihre Rechte im Vorfeld sichern und ihre Chancen auf eine Leistung im Falle eines Unfalls verbessern.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG): Bestimmt die allgemeinen Pflichten und Rechte der Vertragsparteien, besonders relevant für die Auslegung der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB).
- § 8 VVG – Belehrungspflicht des Versicherers: Versicherung muss den Versicherungsnehmer über wichtige Vertragsinhalte und Leistungsausschlüsse, wie bei Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, informieren.
- § 19 VVG – Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers: Regelung über die Pflicht des Versicherungsnehmers, relevante Gesundheitszustände bei Vertragsschluss offenzulegen. Relevant bei psychischen Vorerkrankungen.
- § 213 VVG – Obliegenheiten im Versicherungsfall: Versicherte Person muss Unfälle und deren gesundheitliche Folgen fristgerecht melden und entsprechende Nachweise erbringen. Wichtig für die Einhaltung von Fristen im Fall von Invaliditätsleistungen.
- § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – Haftung für unerlaubte Handlungen: Möglichkeit der zivilrechtlichen Haftung bei Schäden durch Dritte, wenn Versicherungsleistungen ausgeschlossen sind.
- § 86 VVG – Rechte des Versicherers bei Ersatzansprüchen des Versicherten: Regress des Versicherers gegen verantwortliche Dritte, falls die Versicherung Leistungen erbringt.
- OLG Karlsruhe, Az.: 12 U 175/23: Spezifisches Urteil, das den Leistungsausschluss für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen in der privaten Unfallversicherung bestätigt und konkrete Rechtsfragen hierzu behandelt.
- AUB 2000 – Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen: Bestandteil des Versicherungsvertrags, reguliert Leistungsumfang und Ausschlüsse, einschließlich spezifischer Ausschlussgründe für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen.
⇓ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe
OLG Karlsruhe – Az.: 12 U 175/23 – Urteil vom 16.05.2024
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 11.09.2023, Az. 1 O 6/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin macht Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung geltend.
Die Klägerin unterhält unter der Versicherungsnummer … eine private Unfallversicherung bei der Beklagten. Versicherte Person ist ihr Sohn. Die Versicherungssumme belief sich bis April 2019 auf einen Betrag von 108.000,- EUR. Bei Vertragsschluss wurden unter anderem die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen 2000 (i.F. AUB 2000) einbezogen. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
1. Was ist versichert?
1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrags zustoßen.
[…]
1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
2.1 Invaliditätsleistung
2.1.1. Voraussetzungen für die Leistung
2.1.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).
Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.
[…]
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle:
5.1.1 Unfälle der versicherten Person durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen.
Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen oder Anfälle durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren.
Der am 26.11.2003 geborene Sohn der Klägerin litt an einer generalisierten Angststörung mit depressiven Episoden. Am 14.01.2019 sprang er in Suizidabsicht aus dem Fenster seines Zimmers. Hierbei zog er sich Frakturen an beiden Beinen sowie der Wirbelsäule zu. Der Umfang der Verletzungen steht zwischen den Parteien im Streit.
Auf die Schadensmeldung der Klägerin hin, lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 12.03.2019 ihre Einstandspflicht ab, da es an der Unfreiwilligkeit des Unfallereignisses fehle. Mit ihrer Klage hat die Klägerin auf Grundlage eines angenommenen Invaliditätsgrads von 33,5 % eine Invaliditätsleistung von 36.180,- EUR sowie Krankentagegeld und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten geltend gemacht.
Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Zwar stehe einem Anspruch der Klägerin nicht entgegen, dass es bislang an einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung fehle. Die Klage sei aber im Hinblick auf den Vortrag zum Unfallgeschehen bereits unschlüssig. Den Vortrag der Klägerin unterstellt, dass ihr Sohn nicht zu einer freien Willensbestimmung fähig gewesen sei, sondern auf Grund seiner psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt des Suizidversuchs einem Zwang unterlegen habe, greife der Leistungsausschluss nach 5.1.1 AUB 2000; es sei dann von einer Schädigung in Folge einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung i.S.d. Versicherungsbedingungen auszugehen. Ein Wahrnehmungsdefizit sei insofern nicht zwingend erforderlich, ausreichend sei vielmehr, dass die versicherte Person nicht in der Lage gewesen sei, ihr Verhalten an vernünftigen Erwägungen auszurichten und (gefahrabwehrend) richtig zu handeln. Da der Unfall zwangsläufig entweder freiwillig herbeigeführt worden sei oder auf einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung beruhte, sei eine Beweisaufnahme über die geistige Verfasstheit des Sohnes der Klägerin nicht erforderlich gewesen.
Wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen und der Anträge wird auf das angefochtene Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag im Hinblick auf das Vorliegen eines bedingungsgemäßen Unfallgeschehens. Indem das Landgericht sich auf den Standpunkt gestellt habe, dass bei einem unfreiwilligen Unfallgeschehen zwangsläufig eine Herbeiführung des Unfalls durch eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung nach 5.1.1 AUB 2000 vorgelegen habe, habe es den Inhalt dieser Klausel unzutreffend erfasst. Eine den Anspruch ausschließende Geistes- oder Bewusstseinsstörung setze nach der Rechtsprechung ein Wahrnehmungsdefizit voraus. Der Sohn der Klägerin habe seine Umwelt aber zutreffend wahrgenommen und nur im Rahmen der Willensbildung durch seine Erkrankung bedingt auf Grund tatsächlich vorhandener negativer Umwelteinflüsse den Suizid als einzig gangbare und vernünftige Lösung angesehen. Erforderlich sei insofern eine fallbezogene Betrachtung, an der es das Landgericht habe fehlen lassen. Weiter habe das Landgericht es unterlassen, den beantragten Sachverständigenbeweis hinsichtlich der Tatsache zu erheben, dass sich der Sohn der Klägerin weder freiwillig verletzt habe, noch sich in einem bedingungsgemäßen Zustand der Geistes- oder Bewusstseinsstörung befand.
Die Klägerin beantragt:
Das Urteil des LG Baden-Baden vom 11.9.2023, Aktenzeichen 1 O 6/23, wird aufgehoben und
1. die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 36.180,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.2.2020 zu bezahlen.
2. die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 1.458,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.2.2020 zu bezahlen.
3. die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 1.751,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Das Landgericht habe den Klägervortrag zutreffend dahingehend gewürdigt, dass die suizidale Neigung, welche es dem Sohn der Klägerin nicht erlaubt habe, sich gegen den Suizidversuch zu entscheiden, sich als Geistes- oder Bewusstseinsstörung im Sinne der Versicherungsbedingungen darstelle. Dass der Sohn der Klägerin seine Umwelt zutreffend wahrgenommen habe, werde in Abrede gestellt, sei aber ohnehin nicht entscheidungserheblich.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird, soweit der Senat keine abweichenden Feststellungen getroffen hat, auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
1. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung nach 1.1, 1.3 AUB 2000 i.V.m. § 178 VVG nicht zu.
a) Insofern kann dahinstehen, ob ein Anspruch bereits auf Grund der Tatsache ausgeschlossen ist, dass eine eventuelle Invalidität nicht binnen 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden war, 2.1.1.1 AUB 2000. Ob die Nachholung einer entsprechenden Feststellung im Rahmen des Rechtsstreits möglich ist, bedarf vorliegend entsprechend keiner Entscheidung (in diesem Sinne etwa Langheid/Rixecker/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 186 Rn. 11 m.w.N.).
b) Die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch sind nach dem Klägervortrag jedenfalls nicht erfüllt. Die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
aa) So setzt ein Unfallereignis nach 1.3 AUB 2000 voraus, dass die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Bei einem Suizidversuch gilt insofern, dass, falls die Entscheidung zum Suizid in einem Zustand erfolgt ist, in dem der versicherten Person eine freie Willensbestimmung noch möglich war, auch die hierbei erlittenen Verletzungen als freiwillig verursacht anzusehen sind (Langheid/Rixecker/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 178 Rn. 12; Langheid/Wandt/Dörner, VVG, 3. Aufl., § 178 Rn. 92; vgl. auch Senat, Urteil vom 23.02.2018 – 12 U 111/17, juris Rn. 58). Eine solche freiwillige Verursachung des Versicherungsfalls i.S.d. § 178 Abs. 2 VVG setzt jedoch die Möglichkeit einer freien Willensbildung bei der versicherten Person voraus (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 31. Aufl., § 178 Rn. 21b m.w.N.). Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass auf Grundlage des Klägervortrags ein Unfallereignis nach 1.3 AUB 2000 entsprechend zu bejahen wäre. Sollte der Sohn der Klägerin sich auf Grund der bei ihm bestehenden psychischen Erkrankung in einem Zustand befunden haben, in welchem eine freie Willensbildung ausgeschlossen war, wäre die Voraussetzung einer unfreiwillig erlittenen Gesundheitsschädigung erfüllt.
bb) Allerdings würde im Fall einer solchen unfreiwilligen Verursachung des Unfalls, entsprechend der Ausführungen des Landgerichts, einem Anspruch der Klägerin der Ausschlusstatbestand des 5.1.1 AUB 2000 entgegenstehen.
(1) Im Ausgangspunkt gilt, dass allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sind, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 06.03.2019 – IV ZR 72/18, juris Rn. 15 m.w.N.). Dieser Maßstab gilt auch bei der Auslegung von Risikoausschlussklauseln wie dem hier streitgegenständlichen 5.1.1 AUB 2000 (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.2000 – IV ZR 113/99, juris Rn. 16).
Nach dieser Maßgabe liegt der Sinn der Ausschlussklausel ersichtlich darin, vom Versicherungsschutz solche Unfälle auszunehmen, die sich als Folge einer schon vor dem Unfall vorhandenen – gefahrerhöhenden – gesundheitlichen Beeinträchtigung beim Versicherten darstellen. Dabei muss diese Beeinträchtigung so beschaffen sein, dass sie eine den Unfall vermeidende Reaktion des Versicherten nicht zulässt (BGH aaO juris Rn. 19). Eine Bewusstseinsstörung im Sinne der Klausel setzt danach nicht den Eintritt völliger Bewusstlosigkeit voraus, es genügen vielmehr solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Versicherten, die die gebotene und erforderliche Reaktion auf die vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen, die also den Versicherten außerstande setzen, den Sicherheitsanforderungen seiner Umwelt zu genügen (BGH aaO; Beschluss vom 24.09.2008 – IV ZR 219/07, juris Rn. 3; Urteile vom 27.02.1985 – IVa ZR 96/83, juris Rn. 11; vom 07.06.1989 – IVa ZR 137/88, juris Rn. 15). Eine solche Störung liegt mithin dann vor, wenn die dem Versicherten bei normaler Verfassung innewohnende Fähigkeit, Sinneseindrücke schnell und genau zu erfassen, sie geistig zu verarbeiten und auf sie angemessen zu reagieren, ernstlich beeinträchtigt ist; sie muss einen Grad erreicht haben, bei dem die Gefahrenlage nicht mehr beherrscht werden kann (BGH, Urteil vom 17.05.2000 aaO).
(2) Wie vom Landgericht zutreffend dargelegt, ist eine depressive Episode, welche die freie Willensbestimmung im Hinblick auf den Suizid ausschließt, nach diesem Maßstab als eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung im Sinne von 5.1.1 AUB 2000 anzusehen (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 31. Aufl., § 178 Rn. 21b; Senat, Beschluss vom 30.04.1993 – 12 W 21/93, r+s 1994, 440; in diesem Sinne auch Senat, Urteil vom 23.02.2018 – 12 U 111/17, juris Rn. 59; Kloth, Private Unfallversicherung, E. Rn. 56). Die diesbezüglichen Angriffe der Berufung bleiben ohne Erfolg.
Der Einwand, dass Voraussetzung für einen Leistungsausschluss nach 5.1.1 AUB 2000 ein Wahrnehmungsdefizit bei der versicherten Person sei, ist zurückzuweisen. Entgegen der Auffassung der Klagepartei lässt sich ein solches Erfordernis der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.05.2000 nicht entnehmen. Der Bundesgerichtshof stellt zwar unter anderem auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit ab; dies geschieht jedoch im Kontext der näheren Bestimmung der Anforderungen an eine bedingungsgemäße Bewusstseinsstörung unterhalb des Eintritts völliger Bewusstlosigkeit, wie sie im dort zu entscheidenden Fall vorgetragen worden war. Die weiteren Ausführungen bringen aber durch die Formulierung, dass – neben der Unfähigkeit Sinneseindrücke schnell und genau zu erfassen – eine solche Störung insbesondere dann vorliegt, wenn die dem Versicherten bei normaler Verfassung innewohnende Fähigkeit sie geistig zu verarbeiten und auf sie angemessen zu reagieren, ernstlich beeinträchtigt ist (BGH aaO) zum Ausdruck, dass auch eine Beeinträchtigung der Willensbildung ohne Störung der Wahrnehmung, auf welche die Klägerin sich bezüglich ihres Sohnes beruft, von einem entsprechenden Ausschlusstatbestand erfasst wird. Mit den zitierten Merkmalen knüpft der Bundesgerichtshof letztlich an die allgemeinen Kriterien der Zurechnungsfähigkeit an, namentlich Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Entsprechend bleibt festzuhalten, dass zwischen der Voraussetzung der Unfreiwilligkeit und dem Leistungsausschluss nach 5.1.1 AUB 2000 kein Raum bleibt für eine Leistungspflicht des Unfallversicherers im Fall eines Suizidversuchs in Folge einer psychischen Erkrankung.
Dafür, dass auch die von der Klägerin geltend gemachte krankheitsbedingte Aufhebung der freien Willensbildung vom Ausschlusstatbestand erfasst wird, spricht im Übrigen auch, dass 5.1.1 AUB 2000 nach seinem Wortlaut neben der Störung des Bewusstseins gerade auch Unfälle auf Grund einer Geistesstörung der versicherten Person erfassen soll. Ob eine trennscharfe Unterscheidung dieser Begriffe möglich ist, sei dahingestellt. Jedenfalls erfasst der Ausdruck der Geistesstörung aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers gerade Zustände wie Geisteskrankheit, seelische Störung oder Psychose und bezieht damit Fälle ein, in denen die versicherte Person nicht in ihrer Aufnahme- oder Reaktionsfähigkeit gestört ist, sondern in denen sie nicht in der Lage ist, ihre Handlungen rational zu steuern (Leverenz in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., Ziff. 5.1.1 AUB 2008, Rn. 10, vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 15.01.2003 – 20 U 118/02, juris Rn. 13 ff.). Auch der für den Versicherungsnehmer ersichtliche Zweck der Klausel, vom Versicherungsschutz solche Unfälle auszunehmen, die sich als Folge einer bereits vor dem Unfall bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung beim Versicherten darstellen (BGH aaO), spricht dafür, auch Fälle einer psychischen Erkrankung, welche die Wahrnehmungsfähigkeit selbst unangetastet lässt, unter die Ausschlusswirkung einzubeziehen. Für eine Differenzierung zwischen einer solchen Erkrankung und einem mit Wahnvorstellungen einhergehendem Leiden, bei dem auch nach der Rechtsauffassung der Klägerin ein Anspruch auf Versicherungsleistung ausgeschlossen wäre, fehlt es an einem sachlichen Grund.
Entsprechend ist auch der Angriff der Berufung, dass das Landgericht es hinsichtlich der Bewusstseinsstörung an einer fallbezogenen Betrachtung habe fehlen lassen, zurückzuweisen (zu dieser Anforderung vgl. BGH, Urteil vom 10.10.1990 – IV ZR 231/89, juris Rn. 15). Wie dargelegt, waren weitere Feststellungen zum Ausmaß der beim Sohn der Klägerin bestehenden Geistes- bzw. Bewusstseinsstörung nicht veranlasst, da ein Versicherungsfall unabhängig vom Umfang der konkreten Beschwerden in jedem Fall ausgeschlossen war.
c) Aus den genannten Gründen ist auch die Entscheidung des Landgerichts von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abzusehen nicht zu beanstanden. Die von der Klägerin insofern formulierte Beweisfrage, dass ihr Sohn sich weder freiwillig, noch in einem den Versicherungsfall ausschließenden Zustand der Geistes- oder Bewusstseinsstörung verletzt habe, ist nicht auf die Ermittlung von Tatsachen gerichtet. Ihr liegt vielmehr die Rechtsfrage zu Grunde, inwiefern die Ausschlussklausel nach 5.1.1 AUB 2000 eine auf Grund einer psychischen Erkrankung als unfreiwillig anzusehenden Selbstschädigung erfasst. Als solche ist sie dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich.
2. Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Erstattung ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Anlass zur Zulassung der Revision bestand nicht.