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Private Krankenzusatzversicherung – Beginn des Versicherungsfalls bei „gedehnten Sachverhalten“

LG Hamburg –  Az.: 314 O 37/13 – Urteil vom 04.02.2014

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin nach Maßgabe des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages mit der Versicherungs-Nummer Versicherungsschutz für die Durchführung einer kieferorthopädischen Behandlung gemäß des Behandlungsplanes des Facharztes für Kieferorthopädie, Prof. Dr. A. K., vom 24. Februar 2012 zu gewähren.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von der Honorarforderung ihrer Prozessbevollmächtigten Dr. S. & P. Rechtsanwälte, J….straße, 2…. H., in Höhe von € 661,16 freizustellen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 %  des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages erbringt.

Tatbestand

Private Krankenzusatzversicherung - Beginn des Versicherungsfalls bei "gedehnten Sachverhalten"
Symbolfoto: Von Tomek_Pa /Shutterstock.com

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einem ergänzenden Krankenversicherungsvertrag über Zahn-, Zahnersatz- und Kieferregulierungsmaßnahmen in Anspruch.

Mit Antrag vom 1. Dezember 2008 (Anlage K 1) beantragte die Klägerin bei der Beklagten zum Tarif CSS.Flexi eine Krankenversicherungsergänzungs-versicherung. Die Beklagte erstellte nach Annahme dieses Antrages einen Versicherungsschein zur Vertrags-Nr. (Anlage K 2), auf den im Einzelnen Bezug genommen wird. Versicherungsbeginn war der 01.01.2009. Gemäß den allgemeinen Versicherungsbedingungen für die „Krankheitskosten und Krankenhaustagegeldversicherung als Ergänzung der gesetzlichen Krankenversicherung“ (Anlage B 1) bestand Versicherungsschutz auf Grund einer sogenannten Wartezeit von 8 Monaten im Bereich der kieferorthopädischen Regulierungsmaßnahmen jedoch erst ab 01.09.2009.

Die Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits längere Zeit in der regelmäßigen Behandlung ihrer Zahnärztin, der Zeugin M.L., welche u.a. die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen durchführte und bei der Klägerin die professionelle Zahnreinigung vornahm. Die Klägerin, die am 29.10.1970 geboren ist, hatte im jugendlichen Alter bereits eine kieferorthopädische Behandlung absolviert, welche etwa im Alter von 18 Jahren abgeschlossen war.

Anfang 2012 begab sich die Klägerin zu dem Kieferorthopäden, Prof. Dr. A.K., aus H.. Die näheren Einzelheiten, warum es zu dieser Kontaktaufnahme kam, sind zwischen den Parteien streitig. Prof. K. diagnostizierte bei der Klägerin eine medizinisch begründete Heilbehandlung gem. ICD 10, K 07.2 und K 07.3 und erstellte unter dem 24.02.2012 einen kieferorthopädischen Behandlungsplan zur Regulierung der festgestellten Fehlstellungen, welcher mit voraussichtlichen Kosten in Höhe eines Gesamtbetrages von € 7.993,68 abschließt. Auf den als Anlage K 3 vorgelegten Behandlungsplan im Einzelnen wird Bezug genommen.

Die Klägerin stellte dementsprechend unter dem 01.03.2012 bei der Beklagten einen Antrag auf Bestätigung der Kostenübernahme für diese Behandlung.

Die Beklagte legte die eingereichten Unterlagen darauf ihrem eigenen Gutachter, dem Fachzahnarzt für Kieferorthopädie Dr. P.K. aus K., vor, welcher mit Schreiben vom 03.05.2012 (Anlage K 4) dahingehend Stellung nahm, dass die diagnostizierte Fehlstellung erfahrungsgemäß seit vielen Jahren bestanden habe, sich in jüngerer Zeit allerdings ausgereift haben möge. Zum „angefragten Zeitpunkt“ sei die Anomalie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben gewesen, sie sei auch grundsätzlich nicht übersehbar gewesen. Auf die Stellungnahme im Einzelnen wird Bezug genommen.

Die Beklagte lehnte daraufhin die Kostenübernahme mit der Begründung ab, der Beginn des Versicherungsfalles läge außerhalb der versicherten Zeit, es habe eine Behandlung der Klägerin mit Befunderhebung am 07.10.2008 durch die die Klägerin betreuende Zahnärztin stattgefunden, die Behandlungsbedürftigkeit hätte der Zahnärztin jedenfalls auffallen müssen.

Die Klägerin behauptet, es habe keine derartige Untersuchung durch die Zahnärztin stattgefunden. Der behandlungsbedürftige Befund sei erstmals am 30.01.2012 durch den Kieferorthopäden, Prof. K., festgestellt und ihr mitgeteilt worden.

Zu dem Besuch bei dem Kieferorthopäden sei es wie folgt gekommen:

Eine Arbeitskollegin von ihr habe sich im Jahr 2011 im erwachsenen Alter eine Zahnfehlstellung richten lassen, darüber sei sie mit dieser ins Gespräch gekommen. Ihr Ehemann, welcher bei der Zahnärztin Dr. H.M. in ständiger Behandlung war, habe ihr empfohlen, diese aufzusuchen, weil dort auch ästhetische Zahnkorrekturen, u.a. durch sog. Veneers durchgeführt würden. Frau Dr. M. habe nach einer Untersuchung dann entsprechende Alternativen aufgezeigt, die ihr allerdings nicht zugesagt hätten, und habe dann Prof. Dr. K. als Kieferorthopäden empfohlen, welchen sie schließlich im Januar 2012 aufgesucht habe.

Die Klägerin ist der Ansicht, eine Behandlungsbedürftigkeit habe es zu einem früheren Zeitpunkt nicht gegeben. Sie selbst sei insofern beschwerdefrei gewesen, lediglich das Verhalten der Arbeitskollegin habe den Anstoß für die Überlegungen zur Korrektur der Zähne gegeben. Eine Behandlung, die auf die Erkennung des jetzt festgestellten Leidens abgezielt habe, habe es durch ihre behandelnde Zahnärztin zu keinem Zeitpunkt gegeben. Diese hätte auch eine entsprechende medizinische Notwendigkeit zur Korrektur einer Fehlstellung nicht erkennen und diagnostizieren müssen.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben dieser auf einen Gegenstandswert von € 7.993,68 eine 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer, insgesamt € 661,16 in Rechnung gestellt, welche die Klägerin bislang nicht beglichen hat. Sie nimmt die Beklagte aufgrund  ihres Verzuges auf Freistellung in Anspruch.

Die Klägerin beantragt, – wie tenoriert -.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, bei der Klägerin habe bereits bei Antragstellung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Kieferfehlstellung in Gestalt eines „Deckbisses“ bestanden. Damit sei auch vor Beginn des Versicherungsschutzes bereits eine objektive Behandlungsbedürftigkeit vorhanden gewesen. Sie gehe davon aus, dass eine Diagnose der nunmehr zu behandelnden Zahn-/Kieferfehlstellung bereits durch die Zahnärztin M.L. vor Antragstellung vorgelegen habe. Für das Vorliegen einer objektiven Behandlungsbedürftigkeit vor Antragstellung bezieht sich die Beklagte (unter Verwahrung gegen die Beweislast) auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Die Beklagte hat außerdem in der mündlichen Verhandlung vom 07.01.2014 nunmehr erstmals die medizinische Notwendigkeit der avisierten kieferorthopädischen Behandlung bestritten.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 24.09.2013 zunächst die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Frage angeordnet, ob bei der Klägerin vor dem 01.09.2009 die streitgegenständliche kieferorthopädische Behandlung nicht objektiv medizinisch notwendig  gewesen sei. Das Gericht hat hiervon jedoch im weiteren Verlauf Abstand genommen.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist hinsichtlich beider Anträge begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Kostenübernahme gegenüber der Beklagten sowie auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gegenüber der Beklagten zu.

1. Feststellungsantrag

Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse daran, dass die Kostenübernahmeverpflichtung der Beklagten gerichtlich festgestellt wird.  Angesichts der Höhe der Kosten, welche die Klägerin nicht vorzuschießen verpflichtet ist, besteht auch ein entsprechendes Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 ZPO.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die streitgegenständliche kieferorthopädische Behandlung aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag Nr. zu. Der vorliegend – insoweit zwischen den Parteien unstreitig – bestehende Versicherungsfall in Form der kieferorthopädischen Behandlung einer Kieferfehlstellung der Klägerin datiert auch nicht bereits aus einer Zeit vor Beginn des Versicherungsschutzes am 01.09.2009, mit der Folge, dass die Beklagte nicht ersatzpflichtig wäre.

Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 der AVB beginnt in solchen „gedehnten Versicherungsfällen“ der Versicherungsfall mit dem Beginn der Heilbehandlung, d.h. dem Zeitpunkt der erstmaligen Inanspruchnahme ärztlicher Tätigkeit, die auf die Erkennung oder Behandlung des Leidens abzielt (vgl. hierzu LG Dortmund NJW-RR 2008, 118 m.w.N.). Der Beklagten ist es nicht gelungen, einen entsprechenden Zeitpunkt, welcher vor dem 01.09.2009 liegt, darzulegen und nachzuweisen.

So hat die Beklagte keinen konkreten Vortrag dazu erbracht, wann eine derartige Untersuchung und durch wen stattgefunden haben soll. Sofern die Beklagte darauf verweist, dass eine letzte Behandlung der Klägerin „mit Befunderhebung“ bei der behandelnden Zahnärztin am 07.10.2008 erfolgt sein soll, so findet dies bereits keine Stütze in den bei der Zahnärztin durch die Beklagte abgeforderten Karteiunterlagen (Anlage K 5). Hieraus ergeben sich lediglich regelmäßige „PZR“-Termine, sowie Untersuchungen der einzelnen Zähne, welche durch einen entsprechenden Stempelaufdruck befundet wurden. Soweit sich in dieser Aufstellung der Hinweis auf eine „Röntgenaufnahme der Bissflügel“ findet, erklärt sich dies bereits aus dem beigefügten Klammerzusatz als Maßnahme im Rahmen einer Kariesdiagnostik. Dass die behandelnde Zahnärztin am 07.10.2008 eine Untersuchung hinsichtlich der Zahn-/Kieferfehlstellung bei der Klägerin vorgenommen hat, ergibt sich hieraus in keiner Weise und kann von der Beklagten nur ohne weitere Anhaltspunkte behauptet werden.

Der bloße Umstand, dass eine derartige Fehlstellung bei der Klägerin seinerzeit u.U. bereits vorgelegen hat und diese möglicherweise für einen Kieferorthopäden, u.U. auch für eine Zahnärztin, erkennbar gewesen sein kann, reicht für die Frage der Annahme des Beginns einer Heilbehandlung nicht aus. Hiernach würde dem Patienten je nach der Befähigung des behandelnden Arztes im konkreten Fall das Risiko dahingehend aufgebürdet, dass bei Abschluss eines Versicherungsvertrages aus diesem Grunde nicht erkannte Krankheiten keinen Versicherungsschutz genießen würden. Aus diesem Grunde ist es erforderlich, sowie auch die Definition des Beginns der Heilbehandlung dies voraussetzt, eine konkrete, zielgerichtete Untersuchung diesbezüglich zu verlangen. Eine solche hat die Beklagte im vorliegenden Fall jedoch nicht substantiiert dargelegt.

Die Beklagte trifft auch insofern die Darlegungs- und Beweislast. Zwar ist grundsätzlich der Versicherungsnehmer selbst für den Eintritt eines Versicherungsfalles darlegungs- und beweispflichtig. Diesen Anforderungen hat die Klägerin allerdings mit der jetzt vorliegenden Behandlungsbedürftigkeit der Zahn- bzw. Kieferfehlstellung ausreichend genüge getan, welche im Übrigen im Wesentlichen zwischen den Parteien unstreitig ist. Will der Versicherer dann einwenden, dass der Beginn dieses Versicherungsfalles vor Beginn des versicherten Zeitraumes gelegen hat, so ist er hierfür darlegungs- und beweispflichtig (vgl. u.a.  Bach/Moser Private Krankenversicherung, 4. Aufl. 2009 § 2 MB/KK Rdrn. 37, OLG Hamm, VersR 1977, 953 m.w.N.)  Dieser Beweis ist auch für den Versicherer grundsätzlich nicht unmöglich zu führen, da er – wie auch im vorliegenden Fall geschehen – die Möglichkeit hat, entsprechende detaillierte Unterlagen von den behandelnden Ärzten abzufordern.

Soweit die Beklagte nunmehr in der mündlichen Verhandlung eingewandt hat, dass Zweifel an der medizinischen Notwendigkeit der beantragten Maßnahme bestehen, erachtet das Gericht dies für widersprüchlich zum bisherigen Vortrag, zu wenig substantiiert und letztlich verspätet. Die Beklagte hat während des gesamten Schriftverkehrs über den geltend gemachten Anspruch zu keinem Zeitpunkt die medizinische Notwendigkeit dieser Maßnahme beanstandet. Im Übrigen hat selbst der von der Beklagten beauftragte Gutachter, Dr. P.K., die medizinische Notwendigkeit in keiner Weise in Frage gestellt.

Einwendungen hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Kosten hat die Beklagte nicht vorgebracht.

2. Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten

Spätestens seit ihrem Ablehnungsschreiben vom 22.8.2012 befindet sich die Beklagte auf Grund ihrer ernsthaften und dauerhaften Erfüllungsverweigerung im Verzug gemäß § 286 BGB. Sie hat dementsprechend die Kosten für die vorgerichtliche Einschaltung der Prozessbevollmächtigten als Verzugsschaden gem. § 288 Abs. 3 BGB zu ersetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die sofortige Vollstreckbarkeit auf §§ 708Nr. 11, 711 ZPO.

 

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