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Private Krankenversicherung – Wirksamkeit einer Prämienanpassung

LG Berlin, Az.: 23 O 78/16

Urteil vom 10.01.2018

1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer 4926191077 unwirksam sind und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet ist:

a) in der Krankheitskostenversicherung im Tarif Vital 300-N die Erhöhungen zum 01.01.2012 um 41,70 EUR und zum 01.01.2016 um 121,22 EUR,

b) in der Krankheitskostenversicherung im Tarif Vital-Z-N die Erhöhung zum 01.01.2014 um 12,79 EUR, und

c) in der Krankentagegeldversicherung im Tarif TV 42 die Erhöhungen zum 01.01.2012 um 4,84 EUR und zum 01.01.2013 um 1,81 EUR.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.970,30 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.03.2016 zu zahlen.

Private Krankenversicherung – Wirksamkeit einer Prämienanpassung
Symbolfoto: Kzenon/Bigstock

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte

a) dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum 29.02.2016 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die unter 1. aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,

b) die nach 3.a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.03.2016 zu verzinsen hat.

4. Die Beklagte wird schließlich verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 1.101,94 EUR freizustellen.

5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 8.000,- EUR vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Seit Mai 2009 unterhält der Kläger bei der beklagten Krankenversicherungsgesellschaft eine private Krankheitskosten-, Krankentagegeld- und Pflegepflichtversicherung, der im Bereich der Krankheitskostenversicherung die Tarife Vital 300-N (Krankheitskostenvolltarif) und Vital Z-N (Zahntarif) sowie im Bereich der Krankentagegeldversicherung der Tarif TV 42 zu Grunde liegen. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten mit Wirkung ab Januar 2012 bis Januar 2016 vorgenommenen und auf § 203 Abs. 2 VVG gestützten einseitigen Beitragserhöhungen für die vorgenannten drei Tarife und über eine aus der etwaigen Unwirksamkeit folgende Rückerstattungsverpflichtung der Beklagten.

Als Treuhänder im Sinne von § 12 b VAG (a.F.) war für die Beklagte auf Grund der aus dem Anlagenkonvolut BLD 66 ersichtlichen Treuhändervereinbarung vom 29. Juli 1996 mit Wirkung ab dem 01. August 1996 bis Herbst 2014 der inzwischen verstorbene Diplom-Mathematiker Rainer …. tätig. In Ziffer 4 der vorgenannten Treuhändervereinbarung hieß es dabei wörtlich:

“Die Rechte und Pflichten des Treuhänders ergeben sich aus dem Gesetz und den hierzu ergangenen Verordnungen, insbesondere aus § 12 b VAG und § 178 g VVG.

Darüber hinaus wird vereinbart, daß der Treuhänder auch bei neu entwickelten, nach Art der Lebensversicherung betriebenen Tarifen die Festlegung der Rechnungsgrundlagen nach denselben Grundsätzen prüft, wenn das für Produktentwicklung zuständige Vorstandsmitglied oder der Verantwortliche Aktuar darum ersucht.”

Entsprechende Überprüfungen von Erstkalkulationen nahm Herr …. nachfolgend für die Beklagte gegen das vereinbarte Entgelt auch vor.

Nach Einstellung der Tätigkeit des Treuhänders …. aus gesundheitlichen Gründen schloss die Beklagte an dessen Stelle am 08. Oktober 2014 mit Günter …. eine Vereinbarung über die Tätigkeit als Treuhänder nach § 12 b VAG für die private Krankenversicherung. In Ziffer 3 dieser Vereinbarung, wegen deren Inhalts im übrigen auf die Anlage BLD 56 verwiesen wird, heißt es wörtlich:

“Der Treuhänder erklärt sich über seine Treuhändertätigkeit hinaus bereit, auf Wunsch der …. Krankenversicherung AG (Anm.: die Beklagte) auch die Kalkulationen von neu entwickelten Tarifen auf ihre Angemessenheit zu prüfen.”

Auf Grund der Zustimmung des Treuhänders …. vom 10. November 2011 (Anlage BLD 12) erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger im November 2011 Beitragserhöhungen ab Januar 2012 für den Tarif Vital 300-N um 41,70 EUR pro Monat und für den Tarif TV 42 um 4,84 EUR pro Monat. Wegen des Inhalts und der Begründung der entsprechenden Schreiben wird auf die Anlagen K1 bis K3 verwiesen.

Mit Schreiben vom November 2012 (Anlagen K10 bis K12) erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger auf Grund der Zustimmung des Treuhänders …. vom 06. November 2012 (Anlage BLD 21) mit Wirkung zum 01. Januar 2013 die Erhöhung des Beitrags im Tarif TV 42 um monatlich 1,81 EUR.

Mit am 15. Oktober 2013 erteilter Zustimmung des Treuhänders …. (Anlage BLD 30) nahm die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Wirkung zum Januar 2014 erstmalig eine Erhöhung des Tarifs Vital Z-N um 12,79 EUR pro Monat vor (Anlage K7 bis K9).

Schließlich erhöhte die Beklagte im November 2015 mit Wirkung zum Januar 2016, diesmal mit Zustimmung des Treuhänders …. vom 22. Oktober 2015 (Anlage K16), den Beitrag für den Tarif Vital 300-N ein weiteres Mal, diesmal um monatlich 121,22 EUR.

Die jeweils erhöhten Beiträge zog die Beklagte auf Grund erteilter Einzugsermächtigung bis einschließlich Februar 2016 vom Konto des Klägers ein.

Bereits mit Schreiben seiner nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 17. Dezember 2015 (Anlage K14) hatte der Kläger sämtliche vorgenannten Beitragserhöhungen beanstandet und die Beklagte zur Rückzahlung der jeweiligen Differenzbeträge aufgefordert. Die Beklagte lehnte eine Rückzahlung jedoch mit Schreiben vom 08. Februar 2016 (Anlage K16) mit der Begründung ab, dass sämtliche Beitragserhöhungen wegen Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben wirksam seien.

Der Treuhänder …. hatte in einzelnen Fällen über seine vertraglichen Treuhänderaufgaben hinaus gegen das in der Treuhändervereinbarung festgelegte Honorar Eingaben von Versicherungsnehmern bearbeitet (Anlagenkonvolut BLD 67) und an die Versicherungsnehmer gerichtete Prämienanpassungsschreiben der Beklagten durchgesehen. In einem Fall hatte er sich von der Beklagten seine Tätigkeit als Zeuge in einem gerichtlichen Verfahren nach seinem üblichen Stundensatz vergüten lassen und hatte darauf lediglich die ihm vom Gericht erstattete Zeugenentschädigung zur Anrechnung gebracht. In einem weiteren Fall hatte er in einem von der Beklagten geführten Rechtsstreit einen geeigneten Sachverständigen benannt – ebenfalls gegen Honorar.

Wegen der vom Treuhänder …. an die Beklagten gestellten Rechnungen sowie wegen des Verhältnisses seiner Einkünfte aus der Tätigkeit für die Beklagte im Verhältnis zu seinen Gesamteinkünften wird auf die Anlagen BLD 50 – 52 verwiesen.

Der Kläger hält sämtliche streitgegenständlichen Prämienerhöhungen für unwirksam und fordert die Rückzahlung sämtlicher hierauf basierender und von ihm bis einschließlich Februar 2016 geleisteter Prämiendifferenzen im Gesamtumfang von 2.970,30 EUR nach Maßgabe der Aufstellung auf Seite 16 der Klageschrift (Bl. I 16 d.A.). Die Erhöhungen seinen schon deshalb unwirksam weil sie nicht im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG ordnungsgemäß begründet worden seien: es fehle nicht nur eine inhaltlich ausreichende Begründung, sondern auch an der Bezeichnung des jeweiligen Treuhänders nebst Anschrift. Fehlerhaft seien die Begründungen auch deshalb, weil in ihnen der Eindruck erweckt werde, die BaFin habe die Berechtigung der Prämienerhöhung überprüft. Außerdem scheitere die Wirksamkeit der jeweiligen Erhöhungen auch daran, dass die Treuhänder …. und …. nicht im Sinne des § 203 Abs. 2 S. 1 VVG unabhängig (gewesen) seien: Denn diese seien finanziell bzw. wirtschaftlich von der Beklagten abhängig gewesen und hätten in den Ziffern 4 bzw. 3 ihrer Treuhändervereinbarungen unzulässigerweise auch im Sinne von § 12 Abs. 3 VAG sonstige Dienstverträge mit der Beklagten unterhalten. Der Kläger behauptet in diesem Zusammenhang außerdem, dass der Treuhänder …. nebenbei auch Versicherungsverträge der Beklagten vermittelt habe, und dass der Treuhänder …. Erhöhungen tatsächlich erst zeitlich nach seiner Zustimmungserteilung geprüft habe.

Der Kläger stellt die aus dem Urteilstenor zu 1. bis 4. ersichtlichen Sachanträge.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet zunächst, dass alle materiellen gesetzlichen Voraussetzungen für die jeweiligen Beitragserhöhungen vorgelegen hätten, und vertritt die Auffassung, dass das formelle Kriterium der “Unabhängigkeit des Treuhänders” nicht Gegenstand zivilgerichtlicher Überprüfung sein könne. Jedenfalls aber seien beide vorliegend tätig gewordenen Treuhänder als unabhängig anzusehen, da unstreitig das BaFin gegen keinen von beiden Einwände erhoben habe. Vorsorglich beruft sie sich im Hinblick auf die geltend gemachten Rückzahlungsansprüche auf die Einrede der Verjährung und wendet zusätzlich Verwirkung ein mit der Begründung, dass der Kläger die erhöhten Beiträge teils über mehrere Jahre unbeanstandet bezahlt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.

A. Zulässigkeit

Die Klage ist insgesamt zulässig, was für die (Leistungs-) Anträge zu 2. und zu 4. keiner Ausführungen bedarf.

Der Feststellungsantrag zu 1. ist sowohl gemäß § 256 Abs. 1 ZPO als auch – anteilig, soweit er sich auf den Zeitraum bis Februar 2016 erstreckt – gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zulässig, weil zwischen den Parteien Streit darüber besteht, ob die streitgegenständlichen Tarife mit den erhöhten Beitragssätzen bestehen oder nicht und weil dem Kläger ein schützenswertes rechtliches Interesse an der Klärung der Höhe seiner Beitragsverpflichtung zusteht.

Der Feststellungsantrag zu 3. erweist sich trotz der grundsätzlich vorrangigen Möglichkeit der Leistungsklage als gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig, weil davon auszugehen ist, dass sich die Beklagte als Versicherer auch einem – etwa rechtskräftig werdenden – Feststellungstitel beugen und entsprechende Nutzungen an den Kläger auskehren wird, ohne dass hierzu ein weiterer Leistungsrechtsstreit erforderlich würde.

B. Begründetheit

Die Klage hat in vollem Umfang auch in der Sache Erfolg.

I. Antrag zu 1.

Dieser Antrag ist begründet, weil sämtliche streitgegenständlichen Beitragserhöhungen zum 01. Januar 2012, zum 01. Januar 2013, zum 01. Januar 2014 und zum 01. Januar 2016 unwirksam waren, weshalb eine Verpflichtung des Klägers zur Zahlung der erhöhten Beiträge weder bestand noch besteht.

1.

a) Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Erhöhungen scheitert allerdings entgegen der Auffassung des Klägers und Klimkes (“Anforderungen an die Begründung von Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung”, VersR 2016, 22, 23-24) nicht daran, dass die Beklagte dem Kläger in ihren Erhöhungsmitteilungen nicht jeweils Namen und Anschrift des zustimmenden Treuhänders mitgeteilt hat. Denn § 203 Abs. 5 VVG verlangt lediglich die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung bzw. Änderung. Gründe für die Änderung sind gemäß § 203 Abs. 2 VVG aber nur die nicht nur als vorübergehend anzusehenden Änderungen der Rechnungsgrundlagen (Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten). In § 203 Abs. 5 VVG wird also lediglich das Erfordernis der Mitteilung der materiellen Gründe für die Prämienanpassung aufgestellt, zu denen die Person des Treuhänders nicht gehört.

b) Mehr als zweifelhaft ist allerdings, ob die Beklagte in ihren Erhöhungsmitteilungen die materiellen Gründe für die jeweiligen Neufestsetzungen im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG in ausreichender Weise mitgeteilt hat. Denn eine nur formelhafte Begründung oder eine bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlautes sind nicht geeignet, das in § 203 Abs. 5 VVG ausdrücklich aufgestellte Begründungserfordernis zu erfüllen, weil dem betroffenen Versicherungsnehmer hierdurch noch nicht einmal eine überschlägige Plausibilitätskontrolle der Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassung ermöglicht wird (ebenso: Klimke, a.a.O., S. 23). Die Frage, ob die hier streitgegenständlichen Erhöhungsmitteilungen wegen unzureichender Begründung unwirksam sind, und ob etwaige Begründungsmängel durch die inhaltlichen Ausführungen in der Klageerwiderung (ex nunc) geheilt wurden, muss jedoch nicht entschieden werden, weil sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, dass die Beitragserhöhungen aus anderen Gründen unwirksam waren.

2.

Sämtliche streitgegenständlichen Beitragserhöhungen waren deshalb unwirksam, weil ihnen keine Zustimmungen eines im Sinne der §§ 203 Abs. 2 S. 1 VVG, 12 b Abs. 3 S. 1 VAG a.F. (bzw. § 157 Abs. 1 S. 1 VAG n.F.) von der Beklagten unabhängigen Treuhänders zu Grunde lagen. Die Frage der Unabhängigkeit des Treuhänders stellt dabei eine im Zivilrechtsstreit ohne jede Einschränkung voll zu überprüfende Voraussetzung für die Wirksamkeit der Beitragsanpassung dar (dazu unter a)) und im vorliegenden Fall steht bereits nach dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien fest, dass weder der Treuhänder …. noch der Treuhänder …. von der Beklagten unabhängig gewesen sind (dazu unter b)).

a) Gemäß § 203 Abs. 2 S. 1 VVG ist der Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat.

Bei der Unabhängigkeit des Treuhänders handelt es sich um eine tatbestandliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Beitragsanpassung, die im Zivilrechtsstreit in vollem Umfang zu überprüfen ist, soweit der Sachvortrag der Parteien hierzu Anlass bietet (so zutreffend die ganz herrschende Meinung: LG Potsdam, Urt. v. 27.09.2017 – 6 S 80/16 – Rn. 30-33, “juris”; AG Potsdam, Urt. v. 18.10.2016 – 29 C 122/16 – Rn. 19 ff, “juris”; inzident auch: LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 16.02.2009 – 11 O 4343/04 – UA S. 6 ff, Anlage BLD 54; Boetius, in: MüKo-VVG, Bd. 2, 2. Aufl. 2017, Rn. 553-554 zu § 203 VVG; Marko, in: Rüffer / Halbach / Schimikowski, VVG-Handkommentar, 2. Aufl. 2011, Rn. 18 zu § 203 VVG; Renger, “Über den Treuhänder in der Krankenversicherung”, VersR 1994, 1257, 1259 l.Sp.; Voit, in: Prölss / Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, Rn. 25, 30, 42 zu § 203 VVG; Wandt, in: Beckmann / Matusche-Beckmann, VersR-Hdb., 3. Aufl. 2015, § 11 Rn. 66-67).

Auch der Bundesgerichtshof ist, worauf schon das LG Potsdam (a.a.O., Rn. 32) zutreffend hinweist, ganz offenkundig derselben Auffassung, da er in dem mit Urteil vom 12. Oktober 2015 (IV ZR 162/03 – Rn. 34, “juris”) entschiedenen Rechtsstreit nähere Ausführungen zur Unabhängigkeit des Treuhänders lediglich deshalb nicht vorgenommen hat, weil der dortige Kläger “insoweit keine konkreten, auf die Person des Treuhänders bezogenen Bedenken erhoben” hatte. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wären Bedenken erhoben worden, hätte auch eine Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders stattfinden müssen.

Dieses Ergebnis folgt bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des § 203 Abs. 2 S. 1 VVG, der die Wirksamkeit der Beitragsanpassung nicht etwa von der Zustimmung eines nur “formal bestellten” Treuhänders, sondern ausdrücklich von der Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders abhängig macht.

Es entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, das Erfordernis der Unabhängigkeit als voll prüffähige Voraussetzung für die Wirksamkeit der Beitragsanpassung anzusehen. Denn der Treuhänder ist im Zuge der Deregulierung als Ersatz für den Wegfall der zuvor vorgesehenen aufsichtsbehördlichen Genehmigung von Tarifänderungen eingeführt worden. Seine Einschaltung sollte einen Ausgleich dafür schaffen, dass das Gesetz dem Versicherer ein einseitiges Vertragsänderungsrecht einräumt (BGH, a.a.O., Rn. 35). Hiermit wäre es unvereinbar, wenn den einzelnen betroffenen Versicherungsnehmern die Möglichkeit entzogen würde, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob derjenige, der vorgeblich in ihrem Interesse die gesetzlich vorgesehene Zustimmung zu Beitragsanpassungen erklärt, tatsächlich vom Versicherungsunternehmen unabhängig ist. Eine derartige Überprüfung ist nicht zuletzt auch wegen des verfassungsrechtlichen Gebots des effektiven Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.12.1999 – 1 BvR 2203/98 – Rn. 11 ff, “juris”) zwingend (ebenso: LG Potsdam, a.a.O., Rn. 31).

Die hiergegen vorgebrachten Gegenargumente vermögen schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie an die Stelle der klaren Vorgabe des Gesetzgebers in § 203 Abs. 2 S. 1 VVG willkürlich eine eigene abweichende Wertung setzen. Die Gerichte sind aber nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden, weshalb es nicht angeht, ein eindeutig geschriebenes Tatbestandsmerkmal eines förmlichen Gesetzes (“…sofern ein unabhängiger Treuhänder…zugestimmt hat.”) zu ignorieren. Das Merkmal der Zustimmung durch einen tatsächlich unabhängigen Treuhänder ist angesichts der klaren und zu akzeptierenden Entscheidung des Gesetzgebers als ein zum materiellen Vorliegen der Anpassungsvoraussetzungen hinzutretendes Merkmal für die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung anzusehen, also als eines, das kumulativ neben den materiellen Erhöhungsvoraussetzungen vorliegen muss. Schon im Ansatz verfehlt ist deshalb die Kritik von Wiemer / Richter (r+s 2017, 404-406, 404) an der Entscheidung des AG Potsdam (a.a.O.) mit dem Argument, das Amtsgericht hätte prüfen müssen, ob die “Vermutung der fehlenden Unabhängigkeit im Einzelfall dadurch widerlegt werden kann, dass die Prämienanpassung im Übrigen entsprechend den gesetzlichen Vorschriften erfolgt ist und damit der Treuhänder hätte zustimmen müssen”. Denn das Fehlen einer gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzung für die Wirksamkeit der Beitragsanpassung lässt sich nicht durch die Erfüllung der weiteren, kumulativ erforderlichen Voraussetzung “ausgleichen”. Auch der nicht zu leugnende Umstand, dass es bei der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der “Unabhängigkeit” zu Auffassungsdivergenzen in der Rechtsprechung kommen kann, kann nicht ernstlich als Argument gegen eine zivilgerichtliche Überprüfbarkeit angeführt werden (so aber gleichwohl: Wiemer / Richter, a.a.O., S. 405 r.Sp.): Denn mit der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe sind die Gerichte nicht erst seit Einführung des § 203 Abs. 2 VVG n.F. befasst und rechtliche Schwierigkeiten bei der Auslegung dieser Begriffe dürfen vor dem Hintergrund des Art. 20 Abs. 3 GG nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre Anwendung verweigern. Auch das Argument, es bestehe angesichts der feststehenden materiellen Voraussetzungen für die Erhöhung ein hinreichender Schutz der Versicherungsnehmer schon allein durch die inhaltliche Überprüfbarkeit der Anpassungsentscheidung, weshalb eine Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders nicht erforderlich sei (so Voit, “Der Treuhänder bei Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung”, VersR 2017, 727, 732 r.Sp.- 733, in einer vom Verband der privaten Krankenversicherung beauftragten Stellungnahme in stillschweigender Abkehr von seiner in Prölss / Martin, a.a.O., vertretenen gegenteiligen Ansicht), geht auch deshalb fehl, weil sich mit diesem Argument nicht nur das Merkmal der “Unabhängigkeit” des Treuhänders gewissermaßen weginterpretieren ließe, sondern die Zustimmung des Treuhänders insgesamt. Dass es dem Gesetzgeber allerdings bei der Frage der Wirksamkeit der Erhöhung keineswegs nur um materielle Voraussetzungen ging, sondern sehr wohl auch um formelle Kriterien, lässt sich unschwer dem Absatz 5 des § 203 VVG entnehmen: Denn dort ist eindeutig angeordnet, dass die Änderung erst mit Wirkung zu Beginn des zweiten Monats wirksam wird, der auf die Mitteilung der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt. Daraus folgt: Ohne Begründung gegenüber dem Versicherungsnehmer keine wirksame Beitragsanpassung, mag sie inhaltlich auch noch so sehr geboten gewesen sein.

Nicht nachvollziehbar erscheint auch, weshalb sich aus dem Zusammenspiel von § 155 VAG und § 157 VAG n.F. (entsprechend § 12 b Abs. 1 und Abs. 3 VAG a.F.) ein Argument gegen die gerichtliche Überprüfbarkeit der Unabhängigkeit ergeben soll. Denn der Begriff der “Unabhängigkeit” wird sowohl in § 203 Abs. 2 S. 1 VVG vom Gesetzgeber als Merkmal verwandt als auch in § 12 b Abs. 1 VAG a.F. (bzw. § 155 VAG n.F.) und in § 203 Abs. 2 S. 4 VVG ausdrücklich in Bezug genommen. Dass sich die fragmentarische Definition der Unabhängigkeit lediglich in § 12 b Abs. 3 VAG a.F. (bzw. § 157 VAG n.F.) findet, lässt dabei entgegen Voit (a.a.O., S. 731; wie neuerdings Voit auch Werber, “Rechtsfragen zur Unabhängigkeit des Prämientreuhänders in der privaten Krankenversicherung”, VersR 2017, 1115, 1116, der sich sogar zu der unhaltbaren These versteigt, es sei überwiegende Ansicht, dass die Unabhängigkeit des Treuhänders lediglich eine gerichtlich nicht überprüfbare Voraussetzung der Bestellung unter Mitwirkung des Aufsichtsamts darstelle) gerade nicht darauf schließen, dass dem Begriff der Unabhängigkeit in §§ 203 Abs. 2 VVG, 12 b Abs. 1 VAG a.F. (bzw. § 155 VAG n.F.) einerseits und in § 12 b Abs. 3 S. 1 VAG a.F. (bzw. § 157 VAG) andererseits eine unterschiedliche Bedeutung zukommen solle. Vielmehr wird durch die Inbezugnahme in § 203 Abs. 2 S. 4 VVG hinreichend klargestellt, dass es sich um ein sowohl im Aufsichtsrecht als auch im Zivilrecht einheitlich zu bestimmendes Tatbestandsmerkmal handelt, dessen Nichtvorliegen neben aufsichtsrechtlichen Konsequenzen zusätzlich auch zivilrechtliche Auswirkungen hat.

Schließlich kann auch der Umstand, dass gemäß § 12 b Abs. 4 VAG a.F. (= § 157 Abs. 2 VAG n.F.) die BaFin in den Vorgang der Bestellung des jeweiligen Treuhänders eingebunden und ggfs. sogar berechtigt ist, die Bestellung eines anderen Treuhänders zu verlangen, nicht als Argument gegen die gerichtliche Überprüfbarkeit der Voraussetzung der Unabhängigkeit herhalten. Denn wenn mit dem Bundesverfassungsgericht (a.a.O., Rn. 13) bereits eine nach altem Recht vorgenommene aufsichtsbehördliche Genehmigung einer Beitragserhöhung (nach voller eigener Prüfung) wegen des verfassungsrechtlichen Erfordernisses des effektiven Rechtsschutzes nichts daran zu ändern vermochte, dass die einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen von den Zivilgerichten überprüft werden konnten und mussten, so hat das erst recht zu gelten, wenn nach neuem Recht der Aufsichtsbehörde bei der Bestellung des Treuhänders lediglich eine Beanstandungsmöglichkeit zusteht.

b) Weder der Treuhänder …. noch der Treuhänder …. waren im Sinne der §§ 203 Abs. 2 S. 1 VVG, 12 b Abs. 1, Abs. 3 S. 1 VAG a.F. von der Beklagten unabhängig. Die von ihnen erklärten Zustimmungen zu den Beitragsanpassungen sind deshalb ebenso unwirksam wie die Beitragserhöhungen selbst. Dabei spricht in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landgerichts Potsdam (a.a.O., Rn. 39 ff) viel dafür, diejenigen Beitragserhöhungen, denen der Treuhänder …. zugestimmt hat, schon deshalb für unwirksam zu halten, weil sich die Abhängigkeit dieses Treuhänders bereits aus der Gesamtschau der Höhe der von ihm aus dieser Tätigkeit erzielten Einkünfte und aus der mit Exklusivität verbundenen Dauerhaftigkeit seiner Tätigkeit als Treuhänder für die Beklagte ableiten lässt. Darauf muss aber entscheidend nicht abgestellt werden. Denn sowohl der Treuhänder …. als auch der Treuhänder …. sind jedenfalls deshalb als nicht von der Beklagten unabhängig zu bewerten, weil sie sich in den Ziffern 4 bzw. 3 ihrer jeweiligen Treuhändervereinbarungen gegenüber der Beklagten dazu verpflichtet hatten, über die eigentliche Treuhändertätigkeit hinaus auch die Prüfung der Rechnungsgrundlagen bzw. Kalkulationen für neu entwickelte Tarife zu übernehmen.

Denn nach § 12 b Abs. 3 S. 1 VAG a.F. (= § 157 Abs. 1 VAG n.F.) kann ein Treuhänder nur dann als unabhängig angesehen werden, wenn er “keinen Anstellungsvertrag oder sonstigen Dienstvertrag mit dem Versicherungsunternehmen oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen abgeschlossen hat oder aus einem solchen Vertrag noch Ansprüche gegen das Unternehmen besitzt.”

Mit dieser Regelung werden Ausschlusskriterien formuliert, die nicht nur von aufsichtsrechtlicher Bedeutung sind, sondern im Wege einheitlicher Auslegung des Begriffs der Unabhängigkeit in §§ 12 b Abs. 3 und Abs. 1 VAG a.F. (bzw. 157 und 155 VAG n.F.) und 203 Abs. 2 S. 1 VVG auch für die zivilrechtliche Frage der Wirksamkeit der Beitragsanpassung Geltung beanspruchen.

Durch die vorbezeichneten Klauseln in ihren jeweiligen Treuhändervereinbarungen haben die beiden Treuhänder jedoch mit der Beklagten jeweils einen “sonstigen Dienstvertrag” abgeschlossen, wodurch sie nach der zu befolgenden (Art. 20 Abs. 3 GG) gesetzlichen Regelung als von der Beklagten abhängig anzusehen und damit von der Treuhändertätigkeit ausgeschlossen waren.

Dass es sich bei den in den Ziffern 4 bzw. 3 der jeweiligen Treuhändervereinbarungen getroffenen Abreden um Dienstverträge im Sinne der §§ 611 ff BGB handelte, kann nicht ernstlich zweifelhaft sein, da die Treuhänder gegen Honorar die Verpflichtung übernommen hatten, auch die Angemessenheit bzw. die Rechnungsgrundlagen von neu einzuführenden Tarifen zu überprüfen.

Bei den entsprechenden Prüfungspflichten im Rahmen neuer Tarife handelte es sich auch nicht etwa lediglich um Bestandteile der eigentlichen Treuhändertätigkeit, sondern um “sonstige Dienstverträge”. Dieser Bewertung steht der Umstand, dass die entsprechenden Vereinbarungen in dieselbe Urkunde aufgenommen wurden, wie auch die Vereinbarungen über die eigentliche Treuhändertätigkeit, nicht entgegen. Denn wenn bereits die Abfassung in einer einheitlichen Vertragsurkunde das Vorliegen eines “sonstigen” Dienstvertrages ausschließen würde, hätten es Versicherungsunternehmen und Treuhänder in der Hand, selbst handfeste zusätzliche Arbeitsverträge in eine – ansonsten nicht zu beanstandende entgeltliche – Treuhändervereinbarung aufzunehmen und so die gesetzgeberische Intention zu umgehen.

Es trifft entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht zu, dass die im Rahmen der Neueinführung von Tarifen in den Ziffern 4 bzw. 3 der Treuhändervereinbarungen festgelegten Dienstverpflichtungen ohnehin Bestandteil der originären Treuhändertätigkeit seien, weshalb sie nicht als “sonstige” Dienstverhältnisse angesehen werden könnten. Das folgt bereits aus der Formulierung der Treuhändervereinbarungen selbst (“Darüber hinaus wird vereinbart, …”, bzw. “…erklärt sich über seine Treuhändertätigkeit hinaus bereit,…”), durch deren Wortlaut die Beklagte und die Treuhänder sehr deutlich zum Ausdruck bringen, dass es sich um Leistungen handelt, die nicht mehr von der eigentlichen Treuhändertätigkeit umfasst sind, sondern hierüber hinaus gehen und zusätzliche Dienstverpflichtungen begründen.

Auch inhaltlich geht das Argument fehl: Denn die Erarbeitung der Kalkulation für neue Tarife ist Sache des Versicherers und des Verantwortlichen Aktuars, nicht dagegen Sache des Treuhänders. Sie wird auch nicht etwa dadurch zu einer originären Aufgabe des Treuhänders, dass gemäß § 12 b Abs. 2 S. 4 VAG a.F. eine Prämienanpassung bei bestehenden Tarifen insoweit nicht erfolgen durfte und darf, als die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt der Erstkalkulation unzureichend kalkuliert waren und ein ordentlicher und gewissenhafter Aktuar dies hätte erkennen müssen. Zwar muss der Treuhänder im Rahmen der ihm zugewiesenen Überprüfung von vorgesehenen Beitragserhöhungen selbstverständlich auch prüfen, ob die ursprüngliche Kalkulation in diesem Sinne zutreffend war. Daraus folgt aber entgegen der Ansicht der Beklagten (und auch entgegen der Ansicht von Boetius, a.a.O., Rn. 569) nicht, dass er dienstvertraglich bereits in die Erarbeitung der Erstkalkulation eingebunden werden dürfte (oder gar müsste), wie es jedoch vorliegend gerade der Fall war. Denn ganz gleich, ob der Treuhänder nun an seine Einschätzung im Rahmen der Erstprüfung gebunden ist (so die Beklagte) oder nicht (so der Kläger), ist offenkundig, dass ihn die Beklagte in dem Moment, in dem sie ihm die Prüfung einer beabsichtigten Beitragserhöhung für einen Tarif anträgt, dessen Erstkalkulation er bereits geprüft und gebilligt hat, jedenfalls teilweise zum Richter in eigener Sache macht: Denn wenn ihm beispielsweise im Rahmen der von ihm gegen Honorar (!) übernommenen Überprüfung der Erstkalkulation ein Fehler unterlaufen sein sollte, besteht in dieser Konstellation objektiv die Besorgnis, dass er trotz nachträglichen Bemerkens dieses Fehlers die Beitragserhöhung “durchwinkt”, nur um sich keinem Schadenersatzanspruch der Beklagten auszusetzen. Noch gravierender wäre es in diesem Fall, wenn der Treuhänder tatsächlich, wie die Beklagte meint, bei der Anpassungsprüfung an das Ergebnis seiner – unter Umständen fehlerhaften – Prüfung im Rahmen der Erstkalkulation gebunden sein sollte. Denn dann wäre er – entgegen der klaren Anordnung des § 12 b Abs. 2 S. 4 VAG a.F. – sogar verpflichtet, eine Zustimmung in rechtswidriger Weise zu erteilen, obwohl er zwischenzeitlich die Fehlerhaftigkeit der Erstprüfung erkannt hat. Ein solcher potentieller Interessenkonflikt aber ist mit der Aufgabe der unabhängigen Überprüfung im Interesse der Versicherungsnehmer vollkommen unvereinbar.

Es trifft – ebenfalls entgegen der Ansicht der Beklagten – auch nicht zu, dass mit einem “sonstigen Dienstvertrag” im Sinne von § 12 b Abs. 3 S. 1 VAG a.F. nur besonders exponierte Dienstverträge gemeint seien, im Rahmen derer der Versicherer Weisungen erteilen könne. Das folgt schon daraus, dass nach § 12 b Abs. 3 S. 1 VAG a.F. nur derjenige als unabhängig angesehen werden kann, der aus einem Anstellungs- oder Dienstvertrag keinerlei Ansprüche mehr gegen das Unternehmen besitzt. Das heißt: Der Gesetzgeber schließt auch diejenigen Personen aus, die trotz eines bereits beendeten Anstellungsverhältnisses noch Versorgungsansprüche gegenüber dem Versicherer haben (vgl. Renger, a.a.O.) und schon allein deshalb keinerlei Weisungen mehr unterliegen können. Angesichts dieser gesetzlichen Regelung ist offenkundig, dass eine Weisungsgebundenheit keine Voraussetzung für die Bejahung eines “sonstigen Dienstvertrages” darstellt.

Unerheblich ist in Anbetracht des durch die zusätzlichen Dienstverpflichtungen entstandenen offenkundigen potentiellen Interessenkonflikts auch, ob es sich bei den hier streitgegenständlichen Tarifen um solche handelt, deren Erstkalkulation die Treuhänder …. bzw. …. bereits überprüft haben oder nicht. Denn maßgeblich für die Verneinung der erforderlichen Unabhängigkeit ist allein der Umstand, dass die beiden Treuhänder überhaupt die hier beanstandeten sonstigen Dienstverträge mit der Beklagten abgeschlossen haben. Denn schon hierdurch wird die generelle Abhängigkeit der beiden Treuhänder dokumentiert und wurden sie gemäß § 12 b Abs. 3 S. 1 VAG a.F. von ihrem Amt ausgeschlossen. Auf das Vorliegen und die Feststellung eines im konkreten Erhöhungsfall nachzuweisenden Interessenkonflikts kommt es demgegenüber gerade nicht an.

Ohne dass es hierauf noch ankäme, hat der Treuhänder …. seine fehlende Unabhängigkeit von der Beklagten auch dadurch dokumentiert, dass er es sich nach dem eigenen Vortrag der Beklagten (Schriftsatz vom 29.11.2017, dort S. 2, Bl. II 136 d.A.) gegen ein von dieser zu zahlendes Honorar vorbehalten hatte, die von ihr an ihre Versicherungsnehmer gerichteten Prämienanpassungsschreiben zu überprüfen. Auch hierdurch kommt klar zum Ausdruck, dass der Treuhänder …. sich nicht als von der Beklagten unabhängiger Wahrer der Interessen der Versicherungsnehmer verstand, sondern im Gegenteil als Interessenvertreter der Beklagten, wobei er sich seine diesbezügliche Tätigkeit mehr als angemessen vergüten ließ.

II. Antrag zu 2.

Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB im Wege der Leistungskondiktion die Rückzahlung der von ihm auf Grund der durch die streitgegenständlichen Erhöhungen bis einschließlich Februar 2016 entrichteten Prämiendifferenzen in unstreitiger Höhe von 2.970,30 EUR nebst anteiligen Verzugszinsen gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 BGB verlangen. Denn infolge der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen (s.o. unter I.) hat der Kläger die entsprechenden Prämiendifferenzen ohne rechtlichen Grund geleistet mit der Folge, dass die Beklagte die Rückerstattung schuldet. Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten greifen nicht durch. Im Einzelnen:

1.

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte im Rahmen des § 812 Abs. 1 BGB auf den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens bzw. darauf, dass die materiellen Anpassungsvoraussetzungen vorgelegen hätten und dass sie deshalb trotz etwa bestehender Abhängigkeit des Treuhänders materiellrechtlich zur Beitragserhöhung verpflichtet gewesen sei (in diesem Sinne auch Werber, a.a.O., S. 1118).

Denn erstens stellt der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens eine Kategorie des Schadenersatzrechts dar, die sich keinesfalls im Wege freier Rechtsfortbildung auf das Bereicherungsrecht übertragen lässt, und zweitens verfehlt dieser Einwand die klare Vorgabe des Gesetzgebers: Es sei an dieser Stelle wiederholt auf den Wortlaut des Gesetzes verwiesen: “…ist der Versicherer berechtigt, die Prämie (…) neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder (…) der Prämienanpassung zugestimmt hat.” Daraus folgt: Ohne Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders ist der Versicherer selbst dann nicht zur Prämienerhöhung berechtigt, wenn die materiellen Erhöhungsvoraussetzungen eindeutig vorliegen. Ohne diese Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders kann er deshalb auch keine erhöhten Beiträge beanspruchen. Etwa trotz fehlender Zustimmung des unabhängigen Treuhänders oder bei Vorliegen einer Zustimmung lediglich eines abhängigen Treuhänders geleistete Erhöhungsbeiträge darf die Beklagte nicht behalten, sondern muss sie zurückzahlen. Wäre der Gesetzgeber dagegen der Auffassung gewesen, dass es lediglich darauf ankommt, ob die materiellen Anpassungsvoraussetzungen vorliegen, so hätte er sich die Treuhänderzustimmung insgesamt ersparen können.

2.

Der Rückzahlungsanspruch ist auch weder ganz noch teilweise verjährt. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis hätte erlangen müssen.

Zwar waren die Rückzahlungsansprüche aus § 812 Abs. 1 BGB jeweils bereits mit der an die Beklagte bewirkten Beitragszahlung entstanden (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Allerdings hatte der Kläger zu keinem Zeitpunkt vor dem Jahr 2016 Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis in Bezug auf diejenigen tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Unabhängigkeit der Treuhänder …. und …. entnehmen ließ. Verjährung scheidet damit aus.

3.

Der Rückzahlungsanspruch ist auch nicht durch die teils mehrjährige unbeanstandete Beitragszahlung verwirkt. Denn jedenfalls fehlt das für die Bejahung der Verwirkung unerlässliche Umstandsmoment.

Denn aus dem Zahlungsverhalten des Klägers konnte die Beklagte nicht das Vertrauen gewinnen, der Kläger werde die Erhöhungen nicht mehr angreifen; dies schon deshalb, weil der Laie – was die Beklagte weiß – überhaupt nicht erkennen kann, dass die Erhöhungen möglicherweise nicht rechtskonform waren.

Dabei kommt hinzu, dass die Bejahung einer Verwirkung von Ansprüchen, die der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist unterliegen, vor Ablauf dieser Verjährungsfrist einer ganz besonderen Begründung bedürften (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2012 – VII ZR 10/11 – Rn. 19 ff, “juris”), an der es vorliegend fehlt. Frühester Verjährungseintritt für die im Jahr 2012 entstandenen Rückzahlungsansprüche wäre aber der Ablauf des 31. Dezember 2015 gewesen. Noch zuvor, nämlich mit Schreiben vom 17. Dezember 2015, hat sich allerdings der Kläger bereits auf die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Erhöhungen berufen und Rückzahlung der Erhöhungsbeträge begehrt. All dies geschah noch innerhalb des Laufs der frühestmöglichen Verjährung. Verwirkung scheidet schon deshalb aus.

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte schließlich auch auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Energielieferungsverträgen (BGH, Urt. v. 14.03.2012 – VIII ZR 113/11). Hiernach soll sich ein Kunde treuwidrig verhalten, wenn er einer Preisänderung, die auf einer unwirksamen Vertragsklausel (Preisänderungsklausel) beruht, nicht innerhalb von drei Jahren ab Zugang der jeweiligen Jahresrechnung widerspricht. Diese Erwägungen lassen sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen. Denn der BGH begründet die vorgenannte Auffassung mit einer ergänzenden Vertragsauslegung zur Füllung einer durch die Klauselunwirksamkeit herbeigeführten Vertragslücke. Das indes ist eine Gestaltung, die sich von der vorliegenden wesentlich unterscheidet: Denn hier gibt es keine unwirksamen Vertragsklauseln, deren Fehlen ergänzend ausgefüllt werden müsste. Vielmehr hat es lediglich die Beklagte versäumt, die gesetzlich wirksam bestimmten Anforderungen an eine Prämienanpassung zu erfüllen; eine Lücke ist nicht zu füllen. Die gesetzliche Folge dieses Fehlers ist die Fortgeltung des alten Beitrags.

Hinzu kommt, worauf das Landgericht Potsdam (a.a.O., Rn. 61) zutreffend hinweist, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Energielieferungsverträgen auch deshalb nicht auf Krankenversicherungsverträge übertragen werden kann, weil es bei letzteren im Gegensatz zu ersteren keinen ständigen vollwertigen Austausch von Leistungen gibt: Die Höhe des Versicherungsbeitrags richtet sich nicht danach, ob und in welchem Umfang der konkrete Versicherungsnehmer Leistungen in Anspruch nimmt.

III. Antrag zu 3.

Gemäß § 818 Abs. 1 BGB schuldet die Beklagte zusätzlich zur Rückzahlung der Beitragsdifferenzen auch die von ihr tatsächlich aus diesen Differenzen gezogenen Zinsnutzungen nebst Verzugszinsen. Damit erweist sich auch der Antrag zu 3. als begründet.

IV. Antrag zu 4.

Auch der auf Befreiung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Antrag hat gemäß §§ 280 Abs. 1, 257 BGB Erfolg: Denn durch die Einschaltung nicht unabhängiger Treuhänder und die gleichwohl erfolgten Prämienerhöhungen hat die Beklagte gegenüber dem Kläger Vertragsverletzungen begangen, zu deren Abwehr sich der Kläger anwaltlicher Hilfe bedienen durfte. Auch gegen die Höhe der geltend gemachten Anwaltskosten, die auf Seite 19 der Klageschrift (Bl. I 19 d.A.) berechnet sind, bestehen keine Einwände: Insbesondere ist der Ansatz einer 1,5 fachen Geschäftsgebühr angesichts der Bedeutung des Streitfalls für den Kläger, der Mehrzahl der hier angegriffenen Erhöhungen und der Tatsache, dass es sich um eine versicherungsrechtliche Spezialmaterie handelt, nicht zu beanstanden.

V.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

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