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Private Krankenversicherung – Selbstbehalt auf den tatsächlichen Anfall der Kosten

LG Wuppertal, Az.: 9 S 29/15, Urteil vom 10.12.2015

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 29.01.2015 (Az. 391 C 177/14) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Abrechnung eines Selbstbehaltes in einer privaten Krankenversicherung.

Der Kläger ist bei der Beklagten im Tarif „easyflex clinicPlus“ privat krankenversichert. Laut Ziffer 1.9 der ihm übergebenen „Kurzübersicht“ wird „von den tariflichen Leistungen ( … ) ein Jahresselbstbehalt abgezogen“ und zwar in Höhe von 200,- EUR entsprechend der Leistungsstufe des Klägers. In den Musterbedingungen 2009 des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (MB/KK 09), auf die in der „Kurzübersicht“ verwiesen wird, ist unter § 6 Nr. 1.1 geregelt, dass Aufwendungen jeweils dem Kalenderjahr zugerechnet werden, in dem die Behandlung erfolgte bzw. die Mittel bezogen wurden.

Im Jahr 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten zunächst die Erstattung von ihm gezahlter Honorare für ärztliche Behandlungen aus dem Jahr 2013. Die Beklagte behielt von dem erstattungsfähigen Betrag einen Selbstbehalt von 200,- EUR ein. Noch im Jahr 2014 beantragte der Kläger erneut die Erstattung von ihm gezahlter Honorare für ärztliche Behandlungen aus den Jahren 2013 und 2014. Die Beklagte behielt von dem erstattungsfähigen Betrag wiederum einen Selbstbehalt von 200,- EUR ein.

Der Kläger ist der Ansicht, die Vertragsbedingungen seien dahingehend auszulegen, dass der Selbstbehalt nur für die Kalenderjahre in Abzug gebracht werden könne, in denen die Beklagte Leistungen erbringe, also Erstattungen erfolgten.

Wegen der Einzelheiten wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht die auf Zahlung von 200,- EUR nebst Anwaltskosten sowie auf Feststellung, dass der Selbstbehalt des Klägers in der Weise berechnet werde, dass die Leistungen der Beklagten nur in den Jahren gekürzt würden, in denen die Beklagte Leistungen erbringt, abgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass schon aus dem Wort „Jahresselbstbehalt“ zu schließen sei, dass sich dieser auf das Behandlungsjahr beziehe. Dies ergebe sich erst recht aus § 6 Nr. 1.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Denn wenn die Aufwendungen dem Kalenderjahr zugeordnet würden, in dem die Behandlung erfolgte, dann sei auch der Selbstbehalt in Bezug auf das Behandlungsjahr zu sehen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehren unter Aufrechterhaltung seiner rechtlichen Argumentation weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Wuppertal vom 29.01.2015 zu Az. 391 C 177/14,

1. a) die Beklagte zu verurteilen, an ihn 200,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Mahnbescheides (01.08.2014) und

b) Nebenkosten i. H. v. 83,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Mahnbescheides (01.08.2014) zu zahlen;

Private Krankenversicherung – Selbstbehalt auf den tatsächlichen Anfall der Kosten
Symbolfoto: Elnur/Bigstock

2. festzustellen, dass der in dem zwischen den Parteien seit dem 01.01.2011 bestehende Krankenversicherungsvertrag im Tarif easyflex clinicPlus enthaltene Selbstbehalt nach Ziff. 1.9 der Besonderen Vertragsbedingungen „easyflex clinicPlus“ in der Weise Anwendung findet, dass die Leistungen der Beklagten nur in den Jahren um den Selbstbehalt gekürzt werden, in denen die Beklagte Leistungen für den Kläger erbringt.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird auf die wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig. Die Beschwerdesumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist erreicht. Neben dem Zahlungsantrag zu 1) (200,- EUR) ist der Feststellungsantrag zu 2) nach § 9 ZPO mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag, also mit 700,- EUR, zu bemessen. Ein Abzug wegen des Vorliegens eines Feststellungsantrages ist nicht vorzunehmen, da der Kläger hier in der Sache eine negative Feststellungsklage erhoben hat (darauf gerichtet, dass die Beklagte keine Abzüge vornehmen darf), die ebenso hoch zu bewerten ist, wie der Anspruch, dessen sich der Gegner berühmt (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 30. Aufl., § 3, Rn. 16 „Feststellungsklage“).

Die Berufung ist aber unbegründet. Zu Recht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien so zu verstehen sind, dass in jedem Jahr, in denen erstattungspflichtige Behandlungen und Maßnahmen anfallen, von dieser Erstattungspflicht ein Selbstbehalt von 200,- EUR abzuziehen ist.

Nach Ansicht der Kammer kann die den Selbstbehalt anordnende Klausel unter Ziff. 1.9 der „Kurzübersicht“ nur in diesem Sinne verstanden werden, also dass der Selbstbehalt „behandlungsbezogen“ immer dann anfällt, wenn die Beklagte aufgrund der Durchführung von Behandlungen und Maßnahmen zu deren Erstattung verpflichtet ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung von § 305 c Abs. 2 BGB. Denn eine Unklarheit der Klausel unter Ziff. 1.9 der „Kurzübersicht“ liegt nicht vor. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gemäß ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden. Nur wenn nach Ausschöpfung aller in Betracht kommender Auslegungsmethoden Zweifel verbleiben und mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar sind, so kommt die Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2 BGB zur Anwendung (st. Rsp., vgl. BGH, NJW 2007, 504). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Ein „(Jahres-) Selbstbehalt“ wird nach seinem objektiven Inhalt und typischen Sinn so verstanden, dass von den vom Vertragspartner zu erbringenden Leistung ein Abzug gemacht wird. Die Leistung einer privaten Krankenversicherung liegt aber nach dem typischen Verständnis nicht erst darin, dass sie (nach Geltendmachung von Ansprüchen durch Einreichung der Rechnungen) tatsächlich Zahlungen leistet, sondern schon darin, dass sie in dem Moment, wo erstattungspflichtige Behandlungen und sonstige Maßnahmen erbracht werden, zu dieser Zahlung verpflichtet ist. Dies ist der Zweck einer privaten Krankenversicherung, nämlich dass die Behandlungskosten von der Versicherung getragen werden müssen. Demnach bezieht sich auch der Selbstbehalt auf diese Behandlungskosten und fällt nach verständiger Würdigung in dem Moment an, in dem die Kosten entstehen. Mithin geht der Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung davon aus, dass er Behandlungskosten von bis zu 200,- EUR selbst tragen muss, sofern nicht in dem Jahr, in dem die Behandlungskosten anfallen, der Selbstbehalt bereits verwirkt ist.

Dem entspricht § 6 Nr. 1.1 der MB/KK 09, der insofern nur das übliche Verständnis der Leistung der Beklagten wiedergibt.

Der vom Kläger herangezogene Vergleich mit den Beihilferegelungen des Landes Berlin zum dort festgelegten Selbstbehalt (der sogenannten „Kostendämpfungspauschale“) trägt nicht, da dort ausdrücklich geregelt ist, dass die Beihilfe „je Kalenderjahr, in dem ein Beihilfeantrag gestellt wird“ gekürzt wird (§ 76 LBG Berlin). Hierdurch wurde gerade eine ausdrückliche Regelung statuiert, die vom üblichen Verständnis eines Selbstbehalts abweicht.

Die von der Beklagten vorgegebene Regelung hätte zwar eindeutiger erfolgen können. Sie ist jedoch noch hinreichend eindeutig, dass nach Ausschöpfung aller in Betracht kommender Auslegungsmethoden keine Zweifel mehr verbleiben.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war zuzulassen, da die Frage, wie die Vereinbarung eines Jahresselbstbehalts durch AGB zu verstehen ist, wenn eine konkrete Festlegung, worauf sich dieser bezieht, fehlt, bislang – soweit ersichtlich – nicht höchstrichterlich geklärt ist und ihr Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Klärungsbedürftig ist die Frage deshalb, weil der Kläger mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten eine andere Auslegung vertritt, auch wenn die Kammer diese letztlich für nicht vertretbar hält.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 900,00 EUR

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