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Private Krankenversicherung – Risikozuschlag bei Tarifwechsel

LG Düsseldorf – Az.: 9 S 41/15 – Urteil vom 24.03.2016

Die Berufung des Klägers gegen das am 29.07.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf – 53 C 83/15 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsrechtszugs zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus den Urteilen zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils aus den Urteilen zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger unterhält seit September 1993 bei der Beklagten einen privaten Krankenversicherungsvertrag mit den Tarifen A100-500/VSG 100/KTG 43/Z100. Während der Vertragslaufzeit entwickelten sich Krankheiten der Atmungsorgane, Schilddrüsenerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen und eine Handgelenksarthrose.

Der Kläger möchte in einen anderen von der Beklagten angebotenen Tarif, nämlich den im Sinne des § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG gleichartigen Tarif Komfort-Plus 1 wechseln. Die Bereitschaft der Beklagten dazu besteht unter der Voraussetzung der Vereinbarung eines vom Kläger für Mehrleistungen zu erbringenden Risikozuschlags von 93,15 EUR.

Die Parteien streiten darüber, ob während der Vertragslaufzeit entstandene Krankheiten dieses Verlangen der Beklagten begründen können.

Der Kläger hat dazu den Standpunkt vertreten, dass der Einstufung der Gesundheitszustand bei Abschluss des (Alt-)Vertrags im Jahr 1993 zu Grunde gelegt werden müsse. Es könne nicht auf den Zeitpunkt des Antrags auf die Tarifänderung ankommen.

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, den unter der Versicherungsscheinnummer 83.379.637/1/1 bestehenden privaten Krankenversicherungsvertrag ab dem 01.03.2015 in den Tarif „Komfort-Plus 1“ ohne die Erhebung von Risikozuschlägen umzuwandeln,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 413,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Bezahlung der oben bezeichneten außergerichtlichen Anwaltsgebühren des Prozessbevollmächtigten freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Rechtsmeinung vertreten, dass § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG ausdrücklich die Möglichkeit vorsehe, für die Mehrleistung einen Leistungsausschluss oder einen angemessenen Risikozuschlag zu verlangen. Bei dem Tarifwechsel sei eine erneute Gesundheitsprüfung bezogen auf die Mehrleistungen unter Beachtung der zu dem Zeitpunkt des Wechsels – also im Jahr 2015 – bekannten Erkrankungen zulässig und auch geboten. Im Jahre 1993 habe die Gesundheitsprüfung keinen Risikozuschlag begründet; anders habe das im Jahr 2015 aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bekannten Erkrankungen gelegen. Überdies müsse, um dem Äquivalenzprinzip gerecht zu werden, sowohl beim Neuabschluss einer privaten Versicherung als auch bei einem Tarifwechsel – bezogen auf die Mehrleistungen – eine Prüfung des objektiv zu versichernden Risikos durchgeführt werden, um zu einer angemessenen risikoadäquaten Prämie zu gelangen. Die vom Kläger vertretene Auffassung begünstige zudem Ausnutzungstendenzen und führe letztlich zu einer Risikoselektion. Ursprünglich gesunde Versicherungsnehmer würden bei zunehmenden Erkrankungen in die Hochleistungstarife wechseln. Dies führe letztendlich zu Einheitstarifen, weil Hochleistungstarife wegen des hohen Preises nicht mehr wettbewerbs- und marktfähig wären.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger zwar gemäß § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs 1 VVG grundsätzlich das Recht habe, in einen anderen Tarif mit gleichartigem Versicherungsschutz unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte zu wechseln. Der Versicherer könne aber gemäß § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HS 2 VVG, soweit die Leistungen in dem Tarif, in den der Versicherungsnehmer wechseln wolle, höher oder umfassender seien als in dem bisherigen Tarif, für die Mehrleistung einen Leistungsausschluss oder einen angemessenen Risikozuschlag und insoweit auch eine Wartezeit verlangen. Derartige Mehrleistungen beinhalte der Tarif Komfort Plus 1. Es komme auch nicht darauf an, ob durch den Tarifwechsel die Leistungen insgesamt als geringer anzusehen sind, denn im Falle von Mehr- und Minderleistungen seien diese jedenfalls nicht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu saldieren. Für die Auffassung des Klägers, dass für die Berechnung des Risikozuschlages lediglich die bereits zu Beginn des Vertrags erfolgte Risikoeinstufung anhand der zu dieser Zeit bereits bestehenden Vorerkrankungen zu beachten sei, fänden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Er meint, dass das Amtsgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sei, dass kein „gleichartiger“ Versicherungsschutz begehrt werde. Im vorliegenden Fall weise der Tarif innerhalb der einzelnen Leistungsbereiche Mehrleistungen auf. Der Zieltarif umfasse indessen nicht zusätzliche Leistungsbereiche, die im Ursprungstarif nicht enthalten gewesen sein. Der Zieltarif sei daher „gleichartig“ im Vergleich zum Ursprungstarif. Überdies dürfe, worauf es maßgeblich ankomme, die Risikoeinstufung des Versicherungsnehmers bei einem Tarifwechsel nicht zu seinen Lasten geändert werden.

Der Kläger beantragt, das amtsgerichtliche Urteil abzuändern und die Beklagte nach den in erster Instanz gestellten Anträgen zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens verteidigt sie das erstinstanzliche Urteil. Insbesondere meint sie, dass die Regelung in § 204 Abs. 1 Nr. 1 Hs 2 VVG bei Zugrundelegung der klägerischen Ansicht überflüssig wäre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst den diesen beigefügten Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist zwar zulässig, in der Sache aber unbegründet.

Einen Anspruch auf einen Tarifwechsel ohne Vereinbarung eines Risikozuschlags bezüglich der Mehrleistung hat der Kläger nur unter der Voraussetzung, dass er die Vereinbarung eines Leistungsausschlusses für die Mehrleistung verlangt (§ 204 Abs. 1 Satz 1 Hs 3 VVG). Das erstrebt der Kläger aber nicht, denn sein Begehren ist auf einen Tarifwechsel ohne Einschränkung und ohne Vereinbarung eines Risikozuschlags gerichtet.

Davon ausgehend hat das Amtsgericht sowohl im Ergebnis als auch in den wesentlichen Punkten der Begründung zutreffend die Klage abgewiesen.

§ 204 Abs. 1 S. 1 VVG bestimmt unter anderen das Folgende:

„Bei bestehendem Versicherungsverhältnis kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer verlangen, dass dieser Anträge auf Wechsel in andere Tarife mit gleichartigem Versicherungsschutz unter Anrechnung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrückstellung annimmt; soweit die Leistungen in dem Tarif, in den der Versicherungsnehmer wechseln will, höher oder umfassender sind als in dem bisherigen Tarif, kann der Versicherer für die Mehrleistung einen Leistungsausschluss oder einen angemessenen Risikozuschlag und insoweit auch eine Wartezeit verlangen; der Versicherungsnehmer kann die Vereinbarung eines Risikozuschlages und einer Wartezeit dadurch abwenden, dass er hinsichtlich der Mehrleistung einen Leistungsausschluss vereinbart; bei einem Wechsel aus dem Basistarif in einen anderen Tarif kann der Versicherer auch den bei Vertragsschluss ermittelten Risikozuschlag verlangen … “

Für den hier vorliegenden Fall besteht Einigkeit der Parteien darin, dass Ausgangs- und Zieltarif gleichartigen Versicherungsschutz bieten. Einigkeit besteht zudem darin, dass der Zieltarif Mehrleistungen vorsieht. Streitig ist die Rechtsfrage, ob für die Bemessung eines angemessenen Risikozuschlags bezüglich der Mehrleistung auf den Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Krankenversicherungsvertrags, als beim Kläger noch kein relevantes Risiko gegeben war, abzustellen ist oder aber auf den Zeitpunkt des Tarifwechsels, nachdem sich die Risikolage während der Vertragslaufzeit verändert hat.

Höchstrichterlich ist diese Frage bislang nicht geklärt. In seiner Entscheidung vom 15.07.2015 (NJW-RR 2015, 1309) befasst sich der Bundesgerichtshof zwar mit einem Risikozuschlag im Zusammenhang mit einem Tarifwechsel nach § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Allerdings betrifft diese Entscheidung ein bereits bei dem Abschluss des ursprünglichen Krankenversicherungsvertrags gegebenes Risiko. Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart in seinem Urteil vom 16.07.2015 – 7 U 28/15 – (Anlage … 24) hat die „Mehrleistung“ des neuen Tarifs den Charakter einer Zusatzversicherung, an welcher dem Versicherungsnehmer durch den Abschluss im Herkunftstarif noch keine zu berücksichtigenden „erworbenen Rechte“ im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 1 1. Hs VVG zustehen können: Der Versicherungsnehmer genieße hinsichtlich dieser Mehrleistung keine bevorzugte Rechtsstellung und der Versicherer unterliege dementsprechend auch keinen Einschränkungen bei der Entscheidung über die Gewährung dieser Leistungen, die über den Kontrahierungszwang, wie er in § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG abschließend geregelt sei, hinaus gingen.

Eine vom Kläger für sich in Anspruch genommene Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 27.02.2014 – 25 U #####/#### – (VersR 2014, 1447) betrifft nicht die vorliegende Konstellation der Gesundheitsverschlechterung nach Abschluss des Altvertrags, sondern die Relevanz von bei Abschluss dieses Vertrages bereits vorliegenden Erkrankungen für die Berechnung des Zieltarifs im Fall des Tarifwechsels nach § 204 Abs. 1 S. 1 VVG.

Im Schrifttum werden zu der hier interessierenden Frage unterschiedliche Auffassungen vertreten:

So heißt es zum einen, dass § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs. 2 und 3 VVG klarstelle, dass erworbene Rechte nur im Deckungsbereich von Ausgangs- und Zieltarif anzurechnen seien. Das bedeute insbesondere, dass insoweit keine erneute Gesundheitsprüfung mit der Folge gegebenenfalls von Risikozuschlägen vorgenommen werden dürfe. Für die Mehrleistungen außerhalb des Deckungsbereichs dürfe der Versicherer eine neue Gesundheitsprüfung vornehmen (Lehmann, Zum Tarifwechsel in der privaten L, VersR 2010, 992).

Andererseits wird ausgeführt, dass der Versicherungsnehmer beim Tarifwechsel die beim Abschluss des Vertrags oder im Laufe der Vertragszeit erworbenen Rechtspositionen, zu welchen auch die Risikoeinstufung zähle, nicht verlieren dürfe (Römer/Langheid § 204 VVG, Rn. 8, 11,13). Das könnte dahin zu verstehen sein, dass es darauf ankommt, ob der Gesundheitszustand beim Abschluss des Altvertrags einen Risikozuschlag hinsichtlich der Mehrleistung rechtfertigte. So kann im jeweiligen Einzelfall in Betracht kommen, dass nur eine bestimmte, beim Abschluss des Altvertrags nicht vorgesehene Leistung für sich genommen seinerzeit einen Risikozuschlag gerechtfertigt hätte und diese Leistung nunmehr im Rahmen des Tarifwechsels eingeschlossen werden soll.

Gegen das zuletzt aufgezeigte Verständnis spricht allerdings die systematische Auslegung des § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs. 2 VVG, obgleich die Vorschrift den für die Risikobewertung maßgeblichen Zeitpunkt nicht ausdrücklich benennt. Bezöge sich die erworbene Rechtsposition auch auf die in der Vorschrift genannte Mehrleistung, so bedürfte es dieser Vorschrift nicht. Im Zusammenhang mit § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs 1 VVG stellt sich die genannte Vorschrift als Einschränkung dar, deren Zweck darin besteht, den Bereich dessen, was von den Wirkungen der erworbenen Rechtspositionen betroffen ist, zu begrenzen.

Eine andere Auslegung wäre auch nicht interessengerecht. Sie führte dazu, dass junge, gesunde Versicherungsnehmer im Rahmen des erstmaligen Abschlusses eines Krankenversicherungsvertrags einen möglichst günstigen Tarif mit vergleichsweise geringen Leistungen in den einzelnen Bereichen wählten, um sodann im weiteren Verlauf des Versicherungsverhältnisses nach dem Auftreten von Erkrankungen in Tarife zu wechseln, welche für die jeweilige Erkrankung die jeweils besten Leistungen erbringen. Das widerspricht allerdings dem Charakter einer Versicherung, die gerade auf die Absicherung eines noch nicht eingetretenen Risikos ausgerichtet ist.

Danach hat das Amtsgericht zu Recht nicht nach dem Klageantrag erkannt.

Im Ergebnis der Erfolglosigkeit der Hauptforderung erweist sich auch die geltend gemachte Nebenforderung als unbegründet.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtsfrage, ob nach Abschluss des Altvertrags aufgetretene Erkrankungen im Fall des Tarifwechsels nach § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG einen Anspruch des Versicherers auf Vereinbarung eines Risikozuschlags begründen können, bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist, dies im Schrifttum nur unklar beantwortet wird und die Frage, weil sie sich in einer Vielzahl von Fällen stellt, auch von grundsätzlicher Bedeutung ist. Zudem hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Revision gegen sein oben erwähntes Urteil zugelassen und ist dem Kläger zur Vermeidung eines Rechtsnachteils auch deshalb die Möglichkeit zur Revision zu geben.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.912,30 EUR festgesetzt.

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