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Private Krankenversicherung – Mittel für altersbedingte erektile Dysfunktion

AG Winsen – Az.: 27 C 1402/13 – Urteil vom 05.02.2014

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120% des vollstreckten Betrages geleistet hat.

4. Der Streitwert dieses Verfahrens beträgt 2.736,79 €

Tatbestand

Der im August 1949 geborene, also im Anspruchszeitraum 60 – 64,5-jährige Kläger nimmt die Beklagte aus einem zwischen beiden bestehenden Krankenversicherungsvertrag auf Bezahlung der Aufwendungen in Anspruch, die er im Zeitraum Sommer 2009 bis Dezember 2013 wegen einer Erektilen Dysfunktion getätigt hat. Ferner begehrt er von der Beklagten vollständige Erstattung dreier Rechnungen seines behandelnden Arztes P. . Die Beklagte hat jeweils Kürzungen vorgenommen mit der Begründung, bestimmte Positionen seien medizinisch nicht notwendig gewesen. Das Gericht hat die diesbezügliche Klage nebst einer Nebenforderung Anwaltskosten von 46,41 € abgetrennt.

Der Kläger behauptet, die Erektilen Dysfunktion beruhe auf einer organischen Erkrankung und meint, sie sei eine Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsvertrages. Er sei deswegen bereits seit 2002 in ärztlicher Behandlung und erhalte seit langer Zeit dagegen entsprechende Medikamente verschrieben.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn

a) 2.736,79 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

– seit dem 21.09.2009 auf 154,27 €

– seit dem 30.04.2010 auf 154,27 €

– seit dem 29.05.2010 auf 154,27 €

– seit dem 29.09.2010 auf 154,27 €

– seit dem 27.11.2010 auf 154,27 €

– seit dem 18.09.2012 auf 143,69 €

–  seit dem 11.12.2012 auf 56,49 €

– seit dem 21. 1. 2013 auf 56,77 €

– seit dem 25.02.2013 auf 328,47 €

– seit dem 06.05.2013 auf 56,77 €

– seit dem 05.06.2013 auf 255,79 €

– seit dem 08.07.2013 auf 255,79 € und

– seit dem 27.11.2013 auf 329,39 €

sowie

b) vorgerichtliche Kosten in Höhe von 46, 41€ nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit am 19.07.2010

zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Private Krankenversicherung - Mittel für altersbedingte erektile Dysfunktion
Symbolfoto: Von BlurryMe /Shutterstock.com

Einen Betrag von 56,77 € aus Mai 2013 könne der Kläger schon deshalb nicht verlangen, weil dieser Betrag erstattet worden sei.

Im Übrigen liege beim Kläger keine Krankheit vor, vielmehr handele es sich um den Versuch, eine normale altersgerechte Erscheinung mit einem nicht erstattungspflichtigen Nähr- und Stärkungsmittel zu kompensieren.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Prof.Dr. W.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten Blatt 228 ff der Aktenbezug genommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die bis zur mündlichen Verhandlung gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

Eine bei einem 60- bis 64,5-Jährigen vorliegende Erektile Dysfunktion ist zumindest dann keine Krankheit im Sinne von § 1 Abs. 2 MB-KK, wenn nicht bewiesen ist, dass sie Folge einer anderen Erkrankung ist, sondern eine normale Alterserscheinung sein kann.

Allerdings verkennt das Amtsgericht nicht, dass das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 30. September 1999 – B 8 KN 9/98 KR R -, BSGE 85, 36-56 – zum Krankheitsbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung damals ausgeführt hatte:

Wissenschaftliche Untersuchungen weisen nach, dass auch im Alter des Klägers (von im streitigen Zeitraum 58 bis 62 Jahren) ein erheblicher Teil der Männer sexuell aktiv ist (so werden im siebten Lebensjahrzehnt bei über einem Viertel der Männer Kohabitationsfrequenzen von ein- bis mehrmals pro Woche berichtet: I. Schroeder-Printzen/J. Schroeder-Printzen/Weidner/Ringert, Urologe <A> 33 – 1994 -, 252, 253; von Einschränkungen der erektilen Funktion haben im Rahmen der ersten deutschen Studie zum Thema „Männliche Sexualität und Alter“ nur 34 % der Befragten dieser Altersgruppe berichtet: Engelmann u.A., „Männliche Sexualität und Alter“, Ergebnisse der Kölner epidemiologischen Untersuchung an 8.000 Männern, Veröffentlichung in Vorbereitung). Selbst wenn man also „altersbedingte“ Veränderungen (generell oder nur solche, die keine lebenswichtigen Funktionen einschränken) aus dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausklammern wollte, könnte dies nicht zur Verneinung des Leistungsanspruchs des Klägers führen. Denn in diesem Sinne altersbedingt kann der Verlust solcher Körperfunktionen nicht sein, die bei der entsprechenden Altersgruppe nicht generell fehlen, vielmehr bei einem erheblichen Teil noch vorhanden und also auch nicht alterstypisch sind. Von daher wird der Kern der Problematik mit einer Argumentation verfehlt, wonach pauschal die „üblichen“ Folgen des Alters im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu Leistungsansprüchen führen (so aber Kummer in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, Krankenversicherungsrecht, 1994, S 624). Mag unter dem Gesichtspunkt, dass regelwidrig nur ein Zustand sei, „der von dem für das Lebensalter typischem abweicht“ (so wörtlich § 3 Abs. 1 Satz 2 Schwerbehindertengesetz <SchwbG>), gerechtfertigt sein, das „Nachlassen“ von Libido und Potenz als „physiologisch“ und nicht „pathologisch“ zu bezeichnen (s Rösner/Raddatz, MedSach 1996, 173, 176), so ist demgegenüber ein Verlust der Potenz auch noch im Alter des Klägers im hier maßgeblichen Zusammenhang regelwidrig.

An dem Verständnis der erektilen Dysfunktion als Krankheit i.S. der gesetzlichen Krankenversicherung ändert sich nichts dadurch, dass dieser Befund, wie die Beklagte ebenfalls vorträgt, ein Symptom mit vielfältigen denkbaren Ursachen darstelle, die durch die SKAT nicht angegangen würden. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V reicht für einen Anspruch auf Krankenbehandlung aus, dass damit Krankheitsbeschwerden gelindert werden können. Das trifft besonders auf Fälle der vorliegenden Art zu, in denen die Ursachen der Krankheit mit ihren Beschwerden nicht oder nicht in einer den Verhältnissen angemessenen und dem Patienten zumutbaren Weise geheilt werden können (s dazu Näheres weiter unten).

Unerheblich ist ferner die Argumentation der Beklagten, dass der begrenzte Versorgungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung dort ende, wo der private Lebensbereich prägend in den Vordergrund trete; die Überwindung der erektilen Dysfunktion, die für den Einzelnen subjektiv von unterschiedlichem Gewicht sei, müsse der selbstverantwortlichen Entscheidung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung überlassen werden. Die gesetzliche Regelung, insbesondere in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, lässt keinen Raum für entsprechende Erwägungen. Es handelt sich im vorliegenden Fall jedenfalls nicht um eine Verhaltensweise oder einen Zustand, der als persönliche Eigenart nicht der ärztlichen Behandlung bedarf (Senatsurteil vom 28. Februar 1980, BSGE 50, 47, 48 f) und dem Bereich der individuellen Unterschiede im Leitbild eines gesunden Menschen zuzurechnen wäre. Es geht im vorliegenden Verfahren weder darum, eine im physiologischen Bereich vorhandene sexuelle Potenz (wie auch immer) zu steigern, noch darum, ein Defizit im Vergleich mit einer Idealnorm auszugleichen (s Höfler in: Kasseler Komm, § 27 SGB V Rdnr 34, Stand: 1998), sondern darum, die nicht mehr bestehende Erektionsfähigkeit als normale Körperfunktion jedenfalls zeitweise (kasuell, situativ) wiederherzustellen.

Bestätigt wird die rechtliche Beurteilung des Senats durch die sozialmedizinische Praxis. Die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“, 1996, S 111, bewerten die „Impotentia coeundi bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung und nicht altersbedingt“ mit einem Grad der Behinderung/MdE-Grad von immerhin 20 (s auch Izbicki/Neumann/Spohr, Unfallbegutachtung, 9. Aufl. 1992, S 280 f für die Unfallversicherung und das vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger herausgegebene Werk „Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung“, 5. Aufl. 1995, S 563 zur erektilen Dysfunktion). Dementsprechend haben die Spitzenverbände der Krankenkassen mit dem Beschluss vom 7. März 1994 (BAnz Nr. 84 vom 4. Mai 1994, S 4730) Hilfsmittel zur Anwendung bei erektiler Dysfunktion in das Hilfsmittelverzeichnis (§ 128 SGB V) aufgenommen. Auch die Unfallversicherungsträger fassen die erektile Dysfunktion – jedenfalls bei organischer Schädigung der Potenz – bei Arbeitsunfallverletzten als „durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden“ i.S. des § 26 Abs. 2 Nr. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) auf und übernehmen die Behandlung u.A. mit dem Präparat V. (HVBG-Rundschreiben VB 12/99 vom 21. Januar 1999).

Die so beschriebene Krankheit ist auch behandlungsbedürftig. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn ein regelwidriger Körperzustand mit ärztlicher Hilfe und Aussicht auf Erfolg behoben, mindestens aber gebessert oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern (BSG vom 20. Oktober 1972, BSGE 35, 10, 12 m.w.N – Kiefer- oder Zahnstellungsanomalie). Im vorliegenden Fall wird jedenfalls die Voraussetzung der Linderung der Krankheitsäußerungen (Beschwerden) durch ärztliche Behandlung (hier: in Form der SKAT) erfüllt, selbst wenn die erektile Dysfunktion durch diese Therapie nicht gänzlich und auf Dauer beseitigt werden kann. Damit ist auch gleichzeitig die entsprechende Voraussetzung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfüllt: Die erektile Dysfunktion ist nach geltendem Recht eine behandlungsbedürftige Krankheit, die jedenfalls dann (symptomatisch) behandelt werden muss, wenn die Ursache (Grundkrankheit) nicht angegangen werden kann. Dies ist nicht nur der Fall bei einer erektilen Potenzstörung z.B. als Folge einer ausgedehnten Operation im kleinen Becken (etwa der Operation eines Rektumkarzinoms mit Anus praeter, hierzu Jonas, Deutsche Medizinische Wochenschrift 109 – 1984 -, 1662) oder nach Querschnittslähmung (hierzu Madersbacher, Rehabilitation 31 – 1992 -, 147, 149); nichts anderes kann bei den ebenfalls denkbaren Ursachen gelten, etwa bei den sog Zivilisationskrankheiten Arteriosklerose und Diabetes mellitus vom Typ 2 oder bei psychischen Störungen von Krankheitswert (s te Breuil/Harland, V.: Hilfe bei Potenzproblemen, 1998, S 13 ff).

Diese Rechtsansicht hat sich allerdings, soweit eine Krankheit auch bei altersbedingter Erektiler Dysfunktion angenommen wird, in den letzten 15 Jahren nicht durchgesetzt. Ihr wird in der außersozialgerichtlichen Rechtsprechung – zu Recht – weitgehend nicht gefolgt. Wieso es eine zu Lasten der Versichertengemeinschaft behandlungsbedürftige Krankheit sein soll, obwohl – altersbedingt – nicht nur eine vereinzelte Anzahl von Männern an einer Erektilen Dysfunktion leidet, sondern in einer bestimmten Altersgruppe bereits mehr als 1/3 der Männer deutliche altersbedingte Leistungseinschränkungen haben (siehe BSG vom 30.09.1999 aaO), ist nicht schlüssig begründet.

Ferner kann die sozialgerichtliche Rechtsprechung des BSG nicht mehr als aktuell bezeichnet werden, weil der Gesetzgeber (ebenso wie die Beihilfevorschriften zumindest vieler Länder) eine Leistungseinschränkung vorgenommen haben. So hat das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 12. Dezember 2012 – B 6 KA 50/11 R – darauf hingewiesen, … dass der 1. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 10.5.2005 zu dem Arzneimittel Viagra ausgeführt hat, dass durch Art 1 Nr. 22 GMG mit Wirkung ab dem 1.1.2004 sämtliche Arzneimittel, die der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, von der Verordnung zu Lasten der GKV ausgeschlossen worden seien (BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr. 2, Rdnrn. 23 f; vgl. Auch BSG SozR 4-1100 Art 3 Nr. 69 Rdnrn 32: „Der gesetzliche Leistungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB V …“).

Zum anderen ist nachfolgende sozialgerichtliche Rechtsprechung regelmäßig zu Fällen ergangen, in denen die Erektile Dysfunktion Folge einer organischen Erkrankung war.

Die spätere zivil- und verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ist der eingangs dargestellten früheren Linie des BSG weitgehend nicht gefolgt. Zwar kann sie nicht als völlig einheitlich bezeichnet werden. Darüber hinaus ist sie häufig zu Fällen ergangen, in denen die Erektile Dysfunktion Sekundärfolge einer anderen Krankheit war. Auch wurde in den Entscheidungen häufig nicht problematisiert, ob überhaupt ein altersuntypischer Zustand vorliegt, sondern es wurde recht pauschal auf die Funktion abgestellt, die man bei einem Menschen „in der Blüte seines Lebens“ erwarten dürfe.

Das überrascht insofern, als man bei fast allen anderen Arten der Rechtsstreite das Alter des Betrachtungsobjektes selbstverständlich mit berücksichtigt.

Niemand würde bei einem 12 Jahre alten Auto dieselben Fehlermaßstäbe anlegen, wie bei einem 2 Jahre alten Fahrzeug. Natürlich würde man bei einem 12 Jahre alten Fahrzeug einen anderen Erwartungshorizont zugrunde legen als bei einem jungen Fahrzeug.

Auch würde man wohl bei einer 48-jährigen Frau, bei der die Menopause bereits eingesetzt hat, nicht von einem zu Lasten der Versichertengemeinschaft zu behandelnden krankhaften Zustand sprechen, nur weil die Menopause gewöhnlicherweise zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr eintritt (so Wikipedia unter Hinweis auf viele Veröffentlichungen), sie deshalb noch nicht bei allen Frauen oder noch nicht bei der überwiegenden Anzahl der 48-jährigen Frauen eingetreten ist, auch wenn in einer Gesellschaft, bei der die Kinder immer später geboren werden, ein Kinderwunsch „in diesem fortgeschrittenen Alter“ durchaus noch bestehen kann.  Sicherlich würde man einer solchen Frau entgegnen, dass jedes Alter seine schönen Seiten hat und hier kein „unnatürlicher (also krankhafter) Gesundheitszustand“ vorliegt.

Auch wenn zentrale altersbedingte Gesundheitseinschränkungen (wie z.B. eine altersbedingte Herz- oder Sehschwäche) als Krankheit anzusehen sind, so würde doch niemand auf den Gedanken kommen, einem 60-jährigen, der nicht so schnell und ausdauernd wie ein 30-Jähriger rennen kann, eine behandlungsbedürftige Krankheit zu attestieren. Wenn er gleichwohl mit sich und der Welt hadern sollte, weil der 30-Jährige körperlich mehr leisten kann als er, dann müsste man ihm anraten, sich mit seinem Alter abzufinden und die (andersartigen) Schönheiten seines Alters zu genießen. Ein 60-Jähriger, der sich darüber grämt, nicht mehr so sexy und verführerisch wie ein 30-Jähriger zu sein, würde man gleiches raten und ihm nicht etwa (Schönheits-)Operationen zu Lasten der Versichertengemeinschaft bezahlen. Ein 60 bis 64-Jähriger ist kein kranker 30-Jähriger, sondern er ist eine im Alter fortgeschrittene Person und Persönlichkeit mit anderen Leistungsmerkmalen und anderen Fähigkeiten, aber deswegen noch lange nicht krank. Wer gleichwohl meint, körperlich mit einem 30-Jährigen mithalten zu müssen, der hat kein körperliches Problem, sondern ein psychisches. Natürlich gibt es noch Personen, die mit 80 Jahren weiterhin am Marathon teilnehmen, die im hohen Alter noch Bergsteiger sind oder sonstige für das Alter ungewöhnliche Leistungen erbringen und damit hier und da in die Schlagzeilen kommen. Das ist aber nicht der Maßstab, an dem Gleichaltrige sich messen oder aufgrund dessen sie sich krank fühlen dürfen. Gesund ist man auch dann, wenn man in der ersten Hälfte des 7. Lebensjahrzehntes Jahren keinen Marathon mehr laufen kann oder wenn man mangels körperlicher Leistungsfähigkeit eine 40-jährige Frau nicht mehr beim ausgedehnten Joggen begleiten kann.

All das gilt in gleicher Weise auch für die sexuelle Leistungsfähigkeit, die altersgemäß ganz natürlich nachlässt. Auch hier ist es nicht Ausdruck einer Krankheit, wenn man altersgerechte Leistungseinschränkungen hat und nicht mit dem mithalten kann, was Jüngere leisten können oder was manche Personen dem gemeinen Publikum in den einschlägigen Gazetten als ihre (natürliche??) Leistungsfähigkeit weismachen wollen oder darzustellen müssen glauben müssen. Auch hier ist die Leistungsfähigkeit Jüngerer nicht der anzulegende Maßstab.

Völlig zutreffend führt deswegen das Landgericht Köln in seinem Urteil vom 20. August 2003 – 23 S 57/02 – aus (die Hervorhebung erfolgte durch den Unterzeichner):

Nach §§ 1, 49,178 b VVG, 3 Abs. 1 und 2 AVB (= § 1 Abs. 2 MB-KK) setzt der Anspruch eine medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen einer Krankheit voraus. Unter Krankheit ist ein anormaler Körper- oder Geisteszustand zu verstehen, der eine nicht nur ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen bewirkt ( vgl. Prölls-Martin, VVG, 26. Aufl. 1998, § 1 MB-KK Rn 4; BGH, VersR 78, 278, 279; OLG Hamm, VersR 97, 1342; OLG Köln, VersR 94, 208). Schon das kann bei der erektilen Dysfunktion beim Kläger nicht mit Sicherheit angenommen werden. Nicht jeder im Alter eintretende Zustand nachlassender Körperfunktionen kann schon als Krankheit in diesem Sinne verstanden werden; sonst gäbe es keinen „altersgerechten“ Gesundheitszustand. Zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die eingeschränkte Möglichkeit sexueller Betätigung, die aus dieser Dysfunktion resultieren kann, von unterschiedlichen Faktoren abhängen kann. Dabei spielt insbesondere das Alter und die persönliche Disposition im Zeitpunkt der beabsichtigten sexuellen Betätigung eine entscheidende Rolle. Damit wird deutlich, dass eine Abgrenzung von den privaten Lebensbereichen nicht möglich ist. Die Rechtsprechung hat deshalb der erektilen Dysfunktion keinen Krankheitswert beigemessen ( vgl. LG München, r+s 99, 427; AG München, NVersZ 00, 83; AG Dortmund, NJW-RR 01, 1609; a.A. OLG München, VersR 01, 577 für den Fall einer Dysfunktion bei Diabetes; OLG Karlsruhe, Urteil vom 3.7.2003 – 12 U 32/03).

und führt nachfolgend in einem anderen Verfahren (Beschluss vom 03.09.2003 – 23 S 66/03) aus: Es bleibt vorliegend dahingestellt, ob es sich bei einer erektilen Dysfunktion (bei einem 72-jährigen Versicherungsnehmer) um eine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne der privaten Krankenversicherung handelt. Jedenfalls hat der Versicherer Kosten für das Medikament „Caverject“ zur Überwindung dieser Funktionsstörung nicht zu übernehmen, denn dieses Arzneimittel dient nicht zur Heilung eines krankhaften Zustandes, sondern es ist als Stärkungsmittel anzusehen. Nach seiner Wirkungsweise wird die Dysfunktion nämlich nur kurzzeitig überwunden, ohne dass eine langfristige Besserung oder Heilung herbeigeführt wird.

Noch weiter geht das VG Ansbach (Urteil vom 14. Dezember 2011 – AN 15 K 11.01568) wenn es darlegt:

Die erektile Dysfunktion wirkt sich unabhängig davon aus, ob sie als Folge einer behandlungsbedürftigen Erkrankung, etwa eines Prostatakarzinoms, oder als Folge des natürlichen Alterungsprozesses entstanden ist. Die Behandlungsbedürftigkeit ergibt sich, anders als etwa bei Diabetes oder Bluthochdruck, deren Auswirkungen der willentlichen Steuerung des Menschen nicht unterliegen und die ohne Behandlung unzumutbare Beschwerden und weitere körperliche Krankheitserscheinungen bewirken können, nicht aus biologisch-medizinischen Erfordernissen, sondern vorwiegend aus sexuellen Bedürfnissen. Die Behandlung als solche und die Häufigkeit der Anwendung medizinischer Mittel unterliegen bei der erektilen Dysfunktion der freien Entscheidung des von der Krankheit Betroffenen. Ohne Gefahr weitergehender gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder Schädigungen kann der Betroffene auf die Behandlung je nach seinen individuellen Bedürfnissen teilweise, überwiegend oder auch ganz verzichten. Daher dienen die bei Behandlung der erektilen Dysfunktion zur Anwendung kommenden Medikamente trotz des medizinischen Hintergrunds des Leidens letztlich der Steigerung der Lebensqualität (vgl. BVerwG a.a.O.).

In gleicher Weise hat das Landgericht München (Urteil vom 05.07.1999 – 30 O 8962/99) geurteilt, die Erstattungsfähigkeit des Medikaments „Viagra“ falle unter den Ausschluss für Nähr-, Stärkungs- und kosmetische Mittel und ähnliches nach TB/KK 1994 § 5 Abs. 2 Buchst.  b, da die Zweckbestimmung von „Viagra“ ähnlich sei wie die eines Stärkungsmittels. Dem hat das Oberlandesgericht München bei einem zum Verschreibungszeitpunkt 53-jährigen Kläger mit der Begründung widersprochen, bei der Erektile Dysfunktion dieses Klägers handele es sich um eine Folgeerkrankung des Diabetes mellitus Typ II. Damit hat es Viagra (bzw. gleichartige Medikamente) aber nicht generell als erstattungspflichtiges Medikament bezeichnet, sondern das nur deshalb im vorliegenden Fall angenommen, weil seine Erektile Dysfunktion keine natürlich Alterserscheinung, sondern Folge einer anderen Krankheit gewesen ist.

In gleicher Weise wertet das Amtsgericht Mannheim (Urteil vom 21.03.2003 – 11 C 574/02) die Erektile Dysfunktion nur dann als Krankheit, wenn die Erektionsfähigkeit NICHT auf natürlichem Wege ausgefallen ist.

Nicht anders hat das Sozialgericht Lüneburg (Urteil vom 28.02.2000 – S 9 KR 97/99) entschieden, als es ausführte, die Erektile Dysfunktion sei nur dann als Krankheit anzuerkennen, wenn sie nicht alterstypisch sei. Das zieht sich auch durch andere sozialgerichtliche Entscheidungen, siehe z.B. Sozialgericht Dortmund (Urteil vom 26.07.2002, S 24 KN 81/01 KR), Sozialgericht Aachen (Urteil vom 10.09.2002 – S 13 KR 20/02) und Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 16.07.2003 – L 4 KR 162/01).

Das Sozialgericht Berlin (Urteil vom 21.10.2002 – S 87 KR 1606/00) führt in ähnlicher Weise aus:

Ob die mangelnde Erektionsfähigkeit des Penis des heute knapp 69jährigen Klägers einen derartigen regelwidrigen Körperzustand darstellt, erscheint angesichts einer Prävalenz der erektilen Dysfunktion von 67 % bei 70jährigen Männern (Massachusetts Male Aging Study, zitiert bei: Berliner Ärzteblatt 2001, S. 347) fraglich.

Folglich sieht die Rechtsprechung die Erektile Dysfunktion regelmäßig dann nicht als versicherungsrechtliche Krankheit an, wenn sie keine organische Ursache hat, also Ausdruck und Folge des natürlichen Alterungsprozesses ist.

Der Sachverständige Prof.Dr. W.  konnte beim Kläger keine organische Krankheit feststellen. Er führt aus, dass eine organische Grunderkrankung für die Erektile Dysfunktion beim Kläger nicht festgestellt werden konnte. Vielmehr hat er als fast sichere Ursache dafür altersbedingte Veränderungen benannt, nämlich einen altersbedingte reduzierten Testosteronspiegel, eine cavernöse Insuffizienz („mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine Folge altersbedingter degenerativer Prozesse“) und eine benigne Prostatahyperplasie (Wikipedia: Eine gutartige Vergrößerung der Prostata durch Vermehrung ansonsten unauffälliger Zellen, zu der es gewöhnlich bei Männern im mittleren bis höheren Lebensalter kommt). Zutreffend führte er deshalb aus, dass das Alter eines Menschen und die damit zusammenhängenden Folgeerscheinungen nicht per se als behandlungsbedürftige Krankheit zu definieren seien und keiner entsprechenden Behandlung bedürften. Altersbedingte Folgeerscheinungen seien immer (erst) dann als behandlungsbedürftige Krankheit zu definieren, wenn sie Beschwerden verursachten oder konsekutive Risiken hervorriefen. Dann empfehle sich auch eine entsprechende Behandlung. Hier setze die Problematik der Erektile Dysfunktion an, denn anders als bei anderen krankheitsbedingten Risiken gebe es diese als unmittelbare Folge einer Erektile Dysfunktion nicht, bzw. „nur“ auf psychischem Gebiet.

Der Sachverständige unterstellt in seinem Gutachten, dass der Kläger unter seiner Erektilen Dysfunktion psychisch leide. Einen substanziierten Sachvortrag dazu hat der Kläger jedoch nicht gehalten. Dabei könnte sogar als wahr unterstellt werden, dass der Kläger 2002 eine neue Partnerin hatte und mit ihr keinen Geschlechtsverkehr durchführen konnte (der Ursachen dafür gibt es sicherlich sehr viele). Das allerdings sagt nichts über den hier relevanten Zeitraum 2009 – 2013 aus. Insbesondere sagt dieses nichts darüber aus – wenn es darauf überhaupt ankäme -, wie die Leidenslage des Klägers in diesem Zeitraum war und ist. Auch aus dem beim Sachverständigen durchscheinenden Rückschluss, wer sich einer solchen Behandlung unterziehe, der müsse schon leiden, ergibt sich nichts anderes. Es ist eine gerichtsbekannte Tatsache, dass eine nicht geringe Anzahl von Nutzern solcher Mittel nicht notwendigerweise einen hohen Leidensdruck haben, sondern von sich und ihrem Körper Leistungen verlangen, den er unter natürlichen regelrechten Umständen nicht (bzw. nicht mehr) zu leisten vermag, so dass diese Medikamente zu Recht auch als Lifestyleprodukt bezeichnet werden, die nicht selten auch Gesunde nehmen (siehe nachfolgend VG Hannover).

Selbst wenn der Kläger auch im relevanten Zeitraum wegen der Erektilen Dysfunktion in seinem psychischem Wohlbefinden eingeschränkt gewesen sein sollte, so bedeutet das nicht, dass ein Versicherungsnehmer, der sich mit einschränkenden Veränderungen seines Alters nicht abfinden kann oder will, der insbesondere meint, dass er bei einer neuen Partnerin eine altersbedingte sexuelle Leistungseinschränkungen nicht hinnehmen möchte, dieses als „Krankheit“ zulasten der privaten Versicherungsgemeinschaft kompensieren darf. Solange nur – zumindest auf diesem Gebiet – die altersbedingten Einschränkungen im Rahmen der altersbedingt zu erwartenden Bandbreite liegen, ist es nicht Aufgabe der Versicherungsgemeinschaft, ihm zu körperlichen Fähigkeit zu verhelfen, die er (ohne medikamentöse Hilfe) altersbedingt nicht mehr hat. Vielmehr ist vom Versicherungsnehmer zu erwarten, dass er sich auch psychisch auf sein Alter einstellt und altersbedingte Einschränkungen seiner Lebensgestaltung akzeptiert. Gelingt ihm dieses – mit Krankheitswert – nicht, so wäre ihm allenfalls zu helfen, diese psychischen Probleme zu bewältigen. Wenn er aber meint, durch finanziellen Aufwand mit ärztlicher Hilfe die Zeichen des Alters zu verdrängen zu sollen, dann ist das seine private Entscheidung, die nicht zu Lasten der Versicherungsgemeinschaft gehen darf. Ein derartiger medizinischer Aufwand fällt dann unter den versicherungsrechtlichen Begriff der Nähr- und (hier im wahrsten Sinne des Wortes) Stärkungsmittel.

Zutreffend führt das Verwaltungsgericht Hannover deshalb in seinem Urteil vom 24.05.2011 [13 A 916/11] (selbst für den Fall einer aufgrund einer Prostatakrebsoperation eingetretenen Erektilen Dysfunktion, dem man insoweit nicht notwendigerweise folgen muss) aus,

dass diese Mittel ungeachtet der krankheitsbedingten Ursache der behandelten Leiden nicht erforderliche sind, um einen vom Willen und vom Verhalten des Patienten unabhängigen Lebenszustand zu beseitigen oder zu lindern und deshalb zu den Arzneimitteln zu rechnen sind, die in ihrer Wirkung nicht von sogenannten Lifestyle-Produkten abzugrenzen sind, von denen auch Gesunde Gebrauch machen (VG Hannover, a.a.O, BVerwG, Entscheidungen vom 28.05.2008 – BVerwG 2 C 24/07 und 2 C 108/07 -).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Kläger bereits zu früherer Zeit, nämlich im Alter von 53 Jahren, unter einer Erektilen Dysfunktion litt. Wie der Fall für einen damaligen Medikamentenaufwand zu beurteilen gewesen wäre, hat für den vorliegenden Fall keine Bedeutung (im Übrigen ist insoweit ja schon einmal eine negative gerichtliche Entscheidung ergangen), denn es kann nicht argumentiert werden (überspitzt ausgedrückt), wer im Alter von 40 Jahren ein versicherungsrechtliches Anrecht auf Behandlung einer Erektilen Dysfunktion hatte, der hat das auch noch im Alter von 100 Jahren.

Folglich ist ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der Medikamentenaufwendungen zur Behandlung einer Erektilen Dysfunktion nicht gegeben.

Da der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung hat, befand die Beklagte sie schon deshalb nicht in Verzug, so dass aus dem Schreiben vom 13.04.2010 sich kein Kostenerstattungsanspruch des Klägers ergibt. Im Übrigen stellt die Ablehnung einer Leistungspflicht regelmäßig auch keine ernsthafte und endgültige Zahlungsverweigerung dar, insbesondere wenn – wie hier – jemand „lediglich“ meint, die Anspruchsvoraussetzungen seien nicht dargetan. Schließlich ist auf Seiten des Klägers auch kein Schaden festzustellen, weil er nicht behauptet, dass er  aufgrund der Beauftragung seiner Anwältin bereits eine Vermögenseinbuße erlitten hätte.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge gemäß § 91 ZPO und der Vollstreckungsfolge gemäß § 708Nr. 11, 711 ZPO abzuweisen.

 

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