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Private Krankenversicherung – Kostenerstattung für physiotherapeutische Behandlungen

AG Halle – Az.: 2 C 136/17 – Urteil vom 09.06.2017

1.  Die Klage wird abgewiesen.

2.  Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.  Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten aus einem privaten Krankenversicherungsvertrag auf Erstattung von Kosten physiotherapeutischer Behandlungen in Anspruch.

Der Beklagte bietet als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit u.a. Krankheitskostenversicherungen an. Einen solchen Vertrag unterhält auch der Kläger bei dem Beklagten. Maßgeblich ist der Tarif 105, dem wiederum die allgemeinen Versicherungsbedingungen des Beklagten nebst den Tarifbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung zugrunde liegen. Auf die schriftliche Tarifübersicht und die allgemeinen Tarifbedingungen (Anlage B1, Bl. 85 ff. d.A.) wird Bezug genommen.

Unter § 4 Teil II der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gültigen allgemeinen Versicherungsbedingungen findet sich folgende Regelung:

„1. Zu § 4 (1) MB/KK

a)  Gebühren und Kosten sind im tatsächlichen Umfang bis zu den Höchstsätzen der jeweils gültigen amtlichen ärztlichen Gebührenordnung sowie den Verordnungen über Krankenhauspflegesätze in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West erstattungsfähig. Keine Leistungspflicht besteht für die Teile einer Liquidation, die diese Höchstsätze überschreiten oder nicht den Vorschriften der Gebührenordnung bzw. Verordnungen über Krankenhauspflegesätze entsprechen. Dies gilt auch, wenn durch Vereinbarung eine von diesen Verordnungen abweichende Regelung getroffen wurde. […]“

Der Kläger nimmt seit dem Jahr 1999 physiotherapeutische bzw. krankengymnastische Behandlungen in Anspruch. Nachdem er dem Beklagten im Jahr 2014 abermals eine entsprechende Behandlungsrechnung vorgelegt hatte, teilte dieser mit Schreiben vom 02.07.2014 mit, dass nach den gültigen Versicherungsbedingungen nur Kosten bis zu den Höchstsätzen der amtlichen Gebührenordnungen Berücksichtigung finden könnten. Zukünftigen Abrechnungen werde, soweit Leistungen nichtärztlicher Heilmittelerbringer betroffen seien, das Gebührenverzeichnis für die Angehörigen der Gesundheits- und Medizinalberufe zugrunde gelegt, es sei denn, die Sätze der GoÄ überstiegen die dortigen Höchstbeträge.

Der Kläger nahm in der Folgezeit weiter Behandlungen in Anspruch und legte die hieraus resultierenden Rechnungen dem Beklagten zu Regulierung vor. Dieser erstattet die Behandlungskosten nur teilweise. Mit Schreiben vom 15.07.2015 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten, dass er auf einer vollständigen Erstattung der Behandlungskosten bestehe. Mit Anwaltsschreiben vom 02.02.2016 forderte der Kläger den Beklagten auf, die zu diesem Zeitpunkt angefallenen Behandlungskosten vollständig zu erstatten.

Auch nach dem 02.02.2016 nahm der Kläger physiotherapeutische Behandlung in Anspruch. Die hieraus resultierenden Kosten erstattete der Beklagte wiederum nur teilweise. Die in der Zeit vom 03.07.2014 bis 15.03.2017 angefallenen Differenzbeträge sind Gegenstand der Klage und stellen sich im Überblick wie folgt dar:

……………….

1.052,56 EUR

Der Kläger behauptet, die in den streitgegenständlichen Rechnungen enthaltenen Entgelte entsprächen der ortsüblichen Vergütung. Er ist ferner der Ansicht, dass zwischen den Parteien keine Leistungsbeschränkung wirksam vereinbart worden sei, die dem Beklagten eine Kürzung der Versicherungsleistungen gestatte. § 4 Teil II Ziffer 1) a) der allgemeinen Versicherungsbedingungen sei nicht Vertragsbestandteil geworden, weil es sich insofern um eine überraschende Klausel handele.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.094,26 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Leistungsumfang durch § 4 Teil II Ziffer 1) a) der Versicherungsbedingungen wirksam bestimmt worden sei. Er behauptet ferner, dass die gegenüber dem Kläger abgerechneten Entgelte im Vergleich zu anderen Physiotherapeuten unüblich und unangemessen überhöht seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien und die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 09.06.2017.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 1.094,26 EUR.

1. Die unter § 4 Teil II Ziffer 1) a) enthaltene Bestimmung des Leistungsumfangs, bei der es sich um eine AGB handelt, ist wirksam zwischen den Vertragsparteien einbezogen worden. Weder handelt es sich um eine überraschende Klausel, noch fällt die Inhaltskontrolle zum Nachteil des Beklagten aus.

a) Eine überraschende AGB liegt nicht vor.

physiotherapeutische Behandlung
(Symbolfoto: Von koldo_studio/Shutterstock.com)

Überraschend ist eine AGB-Klausel dann, wenn zwischen ihrem Inhalt und den Erwartungen des Kunden eine deutliche Diskrepanz besteht. Dass die Klausel unüblich ist, reicht nicht aus, ebenso wenig genügt es, wenn sie für den Kunden unerwartet kommt. Vielmehr muss der Klausel ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt innewohnen; sie muss eine Regelung enthalten, auf die der Kunde nach Lage der Umstände vernünftigerweise nicht gefasst zu sein brauchte. Maßgeblich sind dabei die Erkenntnismöglichkeiten des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden (MüKoBGB/Basedow, § 305c Rn. 10; Palandt/Grüneberg, § 305c Rn. 4, jeweils m.w.N.).

Ausgehend hiervon liegt eine überraschende Klausel nicht vor. Der einen privaten Krankenversicherungsvertrag abschließende Durchschnittskunde weiß, dass die Versicherungsleistung seines Vertragspartners nicht einfach darin besteht, sämtliche aus einer Heilbehandlung anfallenden Kosten zu erstatten. Er weiß, dass der Versicherer eine eigene Leistungsprüfung vornimmt, die auch die inhaltliche Überprüfung der vorgelegten Rechnungen umfasst. Ebenso ist ihm bekannt, dass der Versicherer diese Überprüfung nicht nach eigenem Ermessen und losgelöst von einer objektiven Grundlage vornimmt, sondern vielmehr anhand allgemeiner und abstrakt-generell abgefasster Regelwerke, wozu auch und insbesondere Gebührenordnungen gehören. Gibt es ein solches Regelwerk und erfasst dieses, wie hier die GoÄ, auch physiotherapeutische Behandlungen, dann kommt einer Leistungsbeschränkung wie der streitgegenständlichen jedenfalls dann kein überrumpelnder Charakter zu, wenn – wie hier – auf diese Gebührenordnung in dem Text der AGB ausdrücklich Bezug genommen wird. Dies gilt auch angesichts und trotz des Umstandes, dass zumindest in heutiger Zeit nicht üblich ist, das Ärzte selbst physiotherapeutischen Behandlungen vornehmen. Denn allein hieraus – bezogen auf den Durchschnittskunde – nicht abgeleitet werden, dass dieser er nicht darauf gefasst sein muss, dass auch die GoÄ Regelungen zur Vergütung physiotherapeutischer enthält.

b) Die streitgegenständliche Leistungsbeschränkung hält auch einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.

Die AGB weicht nicht von einem gesetzlichen Leitbild ab, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Auch wird eine vertragliche Leistungspflicht nicht derart eingeschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre (vgl. hierzu OLG Celle, Urteil vom 05.08.2004, Az. 8 U 169/03 – juris Tz. 31 ff.).

Eine unangemessene Benachteiligung liegt ebenfalls nicht vor. Von einer solchen kann nur dann ausgegangen werden, wenn entgegen der Grundsätze von Treu und Glauben der Verwender eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchsetzen will. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Denn der Beklagte hat als Verwender ein berechtigtes Interesse daran, dass sich die Höhe der erstattungsfähigen Kosten nur in einem kontrollierten und geordneten Rahmen entwickelt (vgl. OLG Celle a.a.O.).

2. Dessen ungeachtet bestünde der von dem Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch auch dann nicht, wenn die in § 4 Teil II enthaltene Leistungs-beschränkung unwirksam wäre.

a) In diesem Fall wäre die Höhe des Leistungsanspruchs des Klägers nach § 192 Abs. 1 VVG zu bemessen. Hiernach ist der Versicherer bei der Krankheitskostenversicherung verpflichtet, im vereinbarten Umfang die Aufwendungen u.a. für medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit zu erstatten. Durch die Krankheitskostenversicherung erhält der Versicherte einen Aufwendungsersatzanspruch und nicht – wie in der GKV – einen Anspruch auf medizinische Versorgung. Aufwendungen sind Entgelte, die der Versicherungsnehmer auf Grund von Verträgen zu bezahlen hat, die im Hinblick auf die Heilbehandlung geschlossen wurden (Prölss/Martin/Voit VVG § 192 Rn. 115 ff.).

Ausgehend hiervon wäre bei Unanwendbarkeit der streitgegenständlichen Leistungsbeschränkung für die Höhe des Aufwendungsersatzanspruchs dasjenige Entgelt maßgeblich, das der Behandler des Klägers von diesem verlangen könnte. Insofern gilt: Der Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer erfordert immer einen entsprechenden Vergütungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Patienten (Bach/Moser/Kalis VVG § 192 Rn. 37).

Da auch der Kläger nicht behauptet, er habe mit seinem Behandler eine Vergütungsvereinbarung getroffen, bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach § 612 BGB und damit nach der üblichen Vergütung.

Nach Auffassung des Gerichts ist zur Bestimmung dieser üblichen Vergütung aber nicht nur eine Vergleichsgruppe heranzuziehen, die sich aus Patienten zusammensetzt, die eine private Krankenversicherung unterhalten. Vielmehr ist als Grundlage der Ermittlung der Üblichkeit auf den Kreis aller Versicherten, also auch der gesetzlich Versicherten, abzustellen (ebenso LG Berlin, Urteil vom 05. Oktober 1999 – 7 S 25/99; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 25. November 2009 – 2 S 8270/09; LG Duisburg, Urteil vom 29. Februar 2016 – 3 O 426/14, alle zitiert nach Juris).

Legt man diese Vergleichsgruppe zugrunde, hat der Kläger zu dem Gesichtspunkt der Ortsüblichkeit der Vergütung schon nicht schlüssig vorgetragen. Er selbst behauptet nicht substantiiert, dass die Vergütung auch unter Berücksichtigung physiotherapeutischer Behandlungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ortsüblich ist. Eine solche Behauptung kann auch nicht ohne Weiteres unterstellt werden. Berücksichtigt man etwa die nach § 125 SGB V u.a. zwischen dem Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten und mehreren großen Ersatzkassen abgeschlossene Vergütungsvereinbarung für die Abrechnung physiotherapeutischer Leistungen und Massagen, ergeben sich aus dieser Vergütungssätze, die noch unterhalb derjenigen Sätze liegen, die von dem Beklagten in Ansatz gebracht werden.

b) Soweit der Kläger auf zwei Urteile des Landgerichts Frankfurt (Az. 23 O 71/16) und des Amtsgerichts München (158 C 513/17) abstellt und darauf hinweist, aus diesen Entscheidungen ergebe sich, dass es unzulässig sei, die Erstattungsfähigkeit auf die Höhe ortsüblicher Behandlungskosten zu beschränken, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht. Beide Urteile stützen ihre Entscheidung maßgeblich auf § 192 Abs. 2 VVG. Diese Vorschrift kommt jedoch erst dann zur Anwendung, wenn eine Leistung vom Versicherer dem Grunde nach zu erstatten ist (Prölss/Martin/Voit VVG § 192 Rn. 154). Dies setzt wiederum voraus, dass es sich überhaupt um eine Aufwendung im Sinne von § 192 Abs. 1 VVG handelt, was – wie ausgeführt – hier nicht festgestellt werden kann.

3. Da die Hauptforderung unbegründet ist, bestehen auch die geltend gemachten Nebenforderungen bereits dem Grunde nach nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 1.094,26 EUR.

 

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