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Pflegetagegeldversicherung – Kündigung bei Betreuung

OLG Nürnberg – Az.: 8 U 1230/21 – Beschluss vom 29.07.2021

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.03.2021, Az. 8 O 6345/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über den Fortbestand einer Pflegetagegeldversicherung sowie über hieraus sich ergebende Ansprüche des Klägers.

Der Vertrag sieht im Tarif „Pflege PREMIUM“ die Zahlung von 33 € pro Tag zu 90 % für den Pflegegrad 4 vor. Nachdem bei dem Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen des Pflegegrades 4 seit dem 01.03.2019 festgestellt worden ist und er sich seit dem 23.04.2019 vollstationär in einer Pflegeeinrichtung befindet, erkannte die Beklagte ihre Leistungspflicht mit Schreiben vom 25.09.2019 an (Anlage K 6) und erbrachte bedingungsgemäße Leistungen bis einschließlich Dezember 2019.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers, die auch dessen Betreuerin ist (Anlage K 3), erklärte mit Schreiben vom 08.07.2019 gegenüber der Beklagten die ordentliche Kündigung des Versicherungsvertrages (Anlage K 4). Eine Genehmigung des Betreuungsgerichts lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor und wurde auch später nicht erteilt (Anlage K 8). Der Bitte der Betreuerin, die Kündigung rückgängig zu machen (Anlage B 1), kam die Beklagte nicht nach und berief sich auf eine Vertragsbeendigung zum 31.12.2019 (Anlage B 3).

Das Landgericht hat der auf Zahlung von 7.525,53 € sowie auf weitere Zahlung des bedingungsgemäßen Krankentagegeldes ab 01.10.2020 gerichteten Klage vollständig stattgegeben. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass das Versicherungsvertragsverhältnis der Parteien nicht beendet worden sei. Die durch die Betreuerin erklärte Kündigung sei gemäß §§ 1908i Abs. 1, 1812 Abs. 1 und 3, 1831 BGB unwirksam, denn ihr habe die erforderliche Zustimmung des Betreuungsgerichts gefehlt. Die Zustimmung sei nicht entbehrlich gewesen und es komme auch nicht darauf an, ob der Betreuerin die Höhe der Versicherungsleistung bekannt gewesen sein müsse.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

II.

Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus § 192 Abs. 6 Satz 1 VVG bejaht und der Klage demzufolge stattgegeben. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.

1.

Der Klageantrag zu Ziffer II., dem das Landgericht unter Ziffer 2. der Urteilsformel stattgegeben hat, ist zulässig gemäß § 258 ZPO. Diese Sichtweise ist schon deshalb geboten, weil es dem Kläger unter den Gesichtspunkten von effektivem Rechtsschutz und Prozessökonomie bei einem bereits begonnenen Versicherungsfall ermöglicht werden muss, seine Rechte frühzeitig zu wahren, ohne auf die – insoweit nachrangige – Feststellungsklage oder wiederholte Leistungsklagen angewiesen zu sein.

Pflegetagegeldversicherung - Kündigung bei Betreuung
(Symbolfoto: Von wavebreakmedia/Shutterstock.com)

Der Klageantrag hat noch nicht fällige wiederkehrende vertragliche Geldzahlungsansprüche zum Gegenstand. Das Pflegetagegeld ist nicht von einer Gegenleistung abhängig, da mit Eintritt des Versicherungsfalls eine Beitragsfreistellung einsetzt (Anlage K 6). Die Grundlage der Leistungspflicht der Beklagten kann darüber hinaus nach Grund und Höhe mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2006 – V ZR 71/06 Rn. 9 m.w.N.). Denn bei dem 81-jährigen, unter Betreuung stehenden Kläger ist die Pflegebedürftigkeit aufgrund schwerer Erkrankung ärztlich festgestellt worden, derzeit nach Pflegegrad 4 (nach § 61b Abs. 1 SGB XII bedeutet dies schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten). Er befindet sich seit mehr als zwei Jahren ununterbrochen in einer Einrichtung zur vollstationären Pflege. Dass diese Voraussetzungen des Versicherungsfalls zu Lebzeiten des Klägers wegfallen könnten, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. In diesen Umständen liegt ein wesentlicher Unterschied zu Ansprüchen aus einer Krankentagegeld- oder Restschuldversicherung, bei der eine Klage auf zukünftige Leistung weithin für unzulässig gehalten wird, weil sich der Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit nur schwer verlässlich prognostizieren lasse (vgl. OLG Koblenz, VersR 2009, 104, 105 und VersR 2012, 1516; OLG Stuttgart, VersR 2008, 1343; OLG Saarbrücken, VersR 2014, 232 f.; LG Berlin, r+s 2005, 338, 339; zur Feststellungsklage: OLG Hamm, VersR 2013, 309). Demgegenüber stellt die Pflegebedürftigkeit einer krankheitsbedingt schwerst beeinträchtigten Person in der Regel keinen lediglich vorübergehenden Zustand dar.

Im Übrigen ist es im Rahmen der Zulässigkeit einer Klage nach § 258 ZPO nicht erforderlich, dass die Leistung unter allen Umständen mit Sicherheit geschuldet wird. Die Abhängigkeit der Leistung von vollstationärer Pflege, vom jeweiligen Pflegegrad und vom Erleben des Klägers sind dementsprechend als Bedingung in den Klageantrag und in die Urteilsformel aufgenommen worden. Damit ist etwaigen Aspekten des Schuldnerschutzes genüge getan.

Das von der Berufungsbegründung zitierte Urteil des LG Freiburg vom 04.11.2016 (14 O 33/16, BeckRS 2016, 134887) vermengt Fragen der Zulässigkeit und der Begründetheit einer Klage auf künftige Erbringung wiederkehrender Leistungen. Es hielt eine solche Klage im Bereich der Pflegetagegeldversicherung für zulässig (aaO. Rn. 32), aber derzeit unbegründet, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Pflegebedürftigkeit des Versicherungsnehmers wieder entfalle (aaO. Rn. 54). Für letzteres gibt es im hier vorliegenden Einzelfall jedoch keine Anhaltspunkte.

2.

Bei dem streitgegenständlichen Vertrag handelt es sich unstreitig um eine die gesetzliche Pflegeversicherung ergänzende private Zusatzversicherung, die der Absicherung gegen Leistungslücken und Restrisiken dient. Der Vertrag unterfällt daher nicht der Versicherungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB XI und konnte grundsätzlich durch den Versicherungsnehmer ordentlich gekündigt werden (§ 205 Abs. 1 Satz 1 VVG).

a)

Zutreffend hat das Landgericht jedoch festgestellt, dass die namens des Klägers durch die Betreuerin am 08.07.2019 erklärte Kündigung unwirksam war. Zwar bestand im Außenverhältnis zur Beklagten eine die Kündigungserklärung umfassende Vertretungsmacht (§§ 164 Abs. 1 Satz 1, 1902 BGB; vgl. auch Anlage K 3). Allerdings bedurfte die Kündigung darüber hinaus der Genehmigung des Betreuungsgerichts (§§ 1812 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine solche Genehmigung i.S.v. § 184 Abs. 1 BGB ist unzweifelhaft nicht erteilt worden.

Der streitgegenständliche Versicherungsvertrag begründet für den Kläger ein Recht, kraft dessen er eine Leistung verlangen kann (§ 1 Satz 1 VVG). Bei einer Kündigungserklärung handelt es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl., Überbl v § 104 Rn. 11). Sie kann daher eine Verfügung darstellen, durch die unmittelbar auf ein Recht eingewirkt wird (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 05.11.2009 – III ZR 6/09, NJW 2010, 1456 Rn. 15 m.w.N.). Demgemäß unterfällt die Aufhebung eines gesamten Vertragsverhältnisses durch Kündigung dem Anwendungsbereich der §§ 1812 Abs. 1 Satz 1, 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn der Betreute dadurch Leistungsrechte verliert, die der andere Vertragsteil noch nicht erfüllt hat (vgl. OLG Hamm, OLGZ 1991, 131, 132; BeckOGK/Fröschle, BGB, § 1812 Rn. 48 [Stand: 01.07.2021]; Staudinger/Veit, BGB, Neubarb. 2020, § 1812 Rn. 46). Dies gilt auch für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen, die im Zeitpunkt der Kündigungserklärung noch nicht fällig sind (vgl. MüKo-BGB/Kroll-Ludwigs, 8. Aufl., § 1812 Rn. 20). Durch die hier gegenständliche Beendigung eines Versicherungsvertrages würde der Betreute den Versicherungsschutz und damit die bei einem Versicherungsfall eintretenden Ansprüche verlieren (vgl. Senatsurteil vom 24.03.2016 – 8 U 1092/15, NJW-RR 2016, 1047 Rn. 25). Erst recht ist diese Sichtweise geboten, wenn der Versicherungsfall – hier die ärztliche Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Klägers nach Pflegegrad 4 – bereits eingetreten ist und zu laufenden Leistungsansprüchen gegen den Versicherer führt. Solche nach Wirksamwerden der Kündigung dem Kläger zustehenden Ansprüche waren zwar noch nicht fällig, jedoch aufgrund des anhaltenden Zustandes des Klägers bereits angelegt.

b)

Zu Unrecht reklamiert die Berufung den Normzweck des § 1812 Abs. 1 BGB für ihre Rechtsansicht. Dieser Zweck besteht im Schutz des Vermögens des Betreuten, insbesondere vor möglichen Untreuehandlungen des Betreuers (vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2009 – III ZR 6/09, NJW 2010, 1456 Rn. 20 m.w.N.). Dass der Verzicht auf greifbare zukünftige Ansprüche aus einer bestehenden und bis dato eintrittspflichtigen Pflegetagegeldversicherung einen Eingriff in geldwerte Vermögensrechte des erheblich pflegebedürftigen Betreuten darstellt, leuchtet unmittelbar ein und bedarf keiner weiteren Begründung. Dabei spielt es keine Rolle, ob die von der Betreuerin erklärte Kündigung aus böswilliger Absicht oder versehentlich erfolgt ist. Da es sich um eine Summenversicherung handelt, kann es auch nicht entscheidend darauf ankommen, dass die Leistungen der stationären Pflege im Streitfall durch den Bezirk Mittelfranken und den gesetzlichen Pflegeversicherer getragen werden. Bereits der Verlust von Geldzahlungsansprüchen, die im Wesentlichen nur von der anhaltenden Pflegebedürftigkeit der versicherten Person abhängig sind, bedeutet eine erhebliche Beeinträchtigung des Vermögens des Klägers und entspräche nicht dessen Wohl (§ 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dergleichen wäre mit einer ordnungsgemäßen Vermögenssorge – und im Übrigen auch mit pflichtgemäßer Gesundheitssorge (vgl. OLG Hamm, BeckRS 2009, 87058) – durch die Betreuerin nicht vereinbar.

c)

Die Vorinstanz hat schließlich zutreffend festgestellt, dass keine Ausnahme von der Genehmigungsbedürftigkeit entsprechend § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB besteht. Dies greift die Berufung nicht an.

3.

Der vorliegende Fall wirft keine Fragen auf, die der höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Mit seiner Rechtsauffassung weicht der Senat auch nicht von obergerichtlichen Entscheidungen zu vergleichbaren Sachverhalten ab. Es handelt sich um die Würdigung spezifischer Umstände des Einzelfalls, die keiner Zulassung der Revision bedarf und einem Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO daher nicht entgegensteht.

III.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).

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