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Übersicht
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Eine Fahrerin ohne gültige Fahrerlaubnis verursachte einen Unfall und entfernte sich unerlaubt vom Unfallort.
- Die Versicherung der Fahrerin verklagte sie auf Erstattung der Schadenssumme, da sie ihre Obliegenheitspflichten verletzt hatte.
- Die Beklagte bestritt die Vorwürfe und behauptete, der Unfall sei nicht durch ihre fehlende Fahrerlaubnis verursacht worden.
- Das Gericht entschied, dass die Beklagte regresspflichtig ist, weil sie ohne Fahrerlaubnis gefahren ist und sich unerlaubt vom Unfallort entfernt hat.
- Es wurde angenommen, dass der Unfall durch das Fehlen der fahrerischen Fähigkeiten verursacht wurde, die eine gültige Fahrerlaubnis nachweisen würde.
- Die Beklagte konnte nicht beweisen, dass der Unfall auch mit gültiger Fahrerlaubnis passiert wäre.
- Der sogenannte „Anscheinsbeweis“ sprach gegen die Beklagte, da typischerweise das Fehlen einer Fahrerlaubnis auf mangelnde Fahrfähigkeiten hindeutet.
- Die Versicherung musste den Schaden regulieren, weshalb sie einen Regressanspruch gegen die Beklagte hatte.
- Die Beklagte wurde zur Zahlung von Schadensersatz sowie vorgerichtlichen Mahn- und Rechtsanwaltskosten verurteilt.
- Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung der Einhaltung von Obliegenheitspflichten in Versicherungsverträgen und die strikte Haftung bei deren Verletzung.
Kein Führerschein, aber Schadenersatz trotzdem? – Gerichtsurteil zum Anscheinsbeweis
Häufig führen Verstöße im Straßenverkehr zu rechtlichen Konsequenzen. Ein Kernthema ist hierbei die Übertretung der Pflicht zum Führen einer gültigen Fahrerlaubnis. Dieses Vergehen wird vom Gesetzgeber streng geahndet, da es eine erhebliche Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Allerdings gibt es Ausnahmen, in denen der Führerscheinmangel trotzdem nicht strafbar sein kann. Ein wichtiger Aspekt ist hier der sogenannte Anscheinsbeweis, der unter bestimmten Umständen zum Tragen kommt. Im Folgenden soll ein konkreter Gerichtsfall näher beleuchtet werden, der die Komplexität dieses Themenfeldes verdeutlicht.
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✔ Der Fall vor dem AG Bad Schwalbach
Fahren ohne Fahrerlaubnis und Unfall mit geparktem Fahrzeug
Die Beklagte fuhr am 19.12.2019 gegen 13:30 Uhr in … mit einem Peugeot 306, obwohl sie nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war. Im Fahrzeug befand sich auch der Zeuge …. Beim Versuch, rückwärts in eine Parklücke hinter dem ordnungsgemäß geparkten Skoda Oktavia der Geschädigten Frau … einzuparken, stieß die Beklagte gegen dessen hintere linke Stoßstange. Anschließend stieg sie aus, begutachtete den Schaden und entfernte sich dann in das Wohnhaus …-straße 16. Der Zeuge … fuhr mit dem Peugeot 306 davon.
An dem Skoda der Geschädigten entstanden durch den Anstoß Schäden am Stoßfänger und Rückstrahler. Die Reparaturkosten beliefen sich auf brutto 2.513,01 €, hinzu kamen ein merkantiler Minderwert von 150,00 €, Gutachterkosten von 602,14 €, Mietwagenkosten von 336,77 €, Rechtsanwaltsgebühren von 334,75 € für die Schadensabwicklung sowie Akteneinsichtsgebühren von 34,28 €. Insgesamt hatte die klagende Versicherung einschließlich einer Unkostenpauschale von 25,00 € Aufwendungen in Höhe von 4.030,23 €.
Regressforderung der Versicherung gegen Beklagte
Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 28.09.2021 und 23.12.2021 erfolglos zur Zahlung des Regressbetrages auf. Sie macht geltend, dass die Beklagte wegen der Verletzung von Obliegenheitspflichten durch das Fahren ohne Fahrerlaubnis und das unerlaubte Entfernen vom Unfallort regresspflichtig sei. Zudem spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Verursachung durch die Beklagte aufgrund des Fehlens einer gültigen Fahrerlaubnis.
Die Beklagte wurde im Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie behauptet, der Zeuge … habe sie beim Einparken eingewiesen und sei nach dem Anstoß plötzlich mit dem Peugeot weggefahren, dem sie noch kurz hinterhergelaufen sei. Sie meint, die Klägerin sei nach § 28 Abs. 3 VVG zur Leistung verpflichtet, da die Obliegenheitsverletzung nicht ursächlich für den Versicherungsfall und Leistungsumfang gewesen sei. Das Fehlen der Fahrerlaubnis habe keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen gehabt, da es sich um einen typischen Einparkfehler handele.
Landgericht bejaht Regressanspruch der Versicherung
Das Gericht gab der Klage statt. Der Klägerin steht ein Regressanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Fall BGB i.V.m. den AKB zu, da die Regulierung an die Geschädigte im Innenverhältnis ohne Rechtsgrund erfolgte. Die Klägerin ist nach ihren AKB als Kfz-Haftpflichtversicherer von der Leistungspflicht befreit, weil die Beklagte gegen die Obliegenheit verstieß, indem sie das Fahrzeug ohne Fahrerlaubnis führte.
Die Beklagte konnte nicht schlüssig darlegen, dass das Fehlen der Fahrerlaubnis nicht ursächlich für den Unfall war. Vielmehr spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Schaden beim Einparken auf einem Mangel an fahrerischen Fähigkeiten beruhte. Dass solche Unfälle auch Personen mit Fahrerlaubnis passieren, entlastet die Beklagte nicht. Die Klägerin hat daher einen Regressanspruch über 4.030,23 € nebst Zinsen und Kosten.
Fehlen der Fahrerlaubnis indiziert Verursachung des Unfalls
Das Urteil verdeutlicht die Risiken des Fahrens ohne Fahrerlaubnis im Schadensfall. Kommt es zu einem Unfall, spricht bereits der Anscheinsbeweis dafür, dass dieser auf dem Fehlen der nötigen Fahrbefähigung beruht. Der Versicherer kann sich dann im Innenverhältnis auf eine Obliegenheitspflichtverletzung berufen und Regress nehmen, selbst wenn er zunächst gegenüber Geschädigten regulieren muss.
Um eine Regresspflicht abzuwenden, müsste der Fahrer ohne Fahrerlaubnis substantiiert darlegen und beweisen, dass er ausnahmsweise doch über ausreichende Fähigkeiten zum sicheren Führen des Kfz verfügte und dies nicht unfallursächlich war. Dies dürfte in der Praxis nur selten gelingen. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort verschärft die Situation zusätzlich. Fahren ohne Fahrerlaubnis stellt damit nicht nur eine Straftat dar, sondern birgt auch erhebliche zivilrechtliche Haftungsrisiken.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Urteil unterstreicht die weitreichenden Haftungsrisiken beim Fahren ohne Fahrerlaubnis. Der Anscheinsbeweis indiziert, dass selbst einfache Fahrfehler auf mangelnde Fahrbefähigung zurückzuführen sind. Dies begründet nicht nur eine Regresspflicht gegenüber der Versicherung, sondern erschwert auch die Widerlegung der Kausalität im Zivilprozess erheblich. Fahrer ohne gültige Fahrerlaubnis haften somit in der Regel umfassend für verursachte Schäden.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Das Thema: Fahren ohne Fahrerlaubnis wirft bei vielen Lesern Fragen auf. Unsere FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Insights und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses Thema zu vertiefen. Weiterhin finden Sie in der Folge einige der Rechtsgrundlagen, die für dieses Urteil wichtig waren.
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Fahren ohne Fahrerlaubnis?
Wer ohne gültige Fahrerlaubnis ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führt, muss mit schwerwiegenden rechtlichen Konsequenzen rechnen. Das Fahren ohne Fahrerlaubnis stellt eine Straftat nach § 21 Straßenverkehrsgesetz (StVG) dar. Dem Täter droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. In besonders schweren Fällen, etwa bei Wiederholungstaten, kann das Strafmaß noch höher ausfallen.
Neben der strafrechtlichen Ahndung hat das Fahren ohne Fahrerlaubnis in der Regel auch empfindliche Folgen für den Versicherungsschutz. Viele Kfz-Versicherungen sehen darin eine Obliegenheitsverletzung, die zum Verlust des Versicherungsschutzes führen kann. Zwar reguliert die Haftpflichtversicherung in der Regel zunächst Fremdschäden, nimmt den Versicherungsnehmer dann aber in Regress. Das bedeutet, er muss die von der Versicherung bezahlten Beträge bis zu einer Höhe von 5.000 Euro erstatten. Verursacht der Fahrer ohne Fahrerlaubnis einen selbstverschuldeten Unfall, übernimmt eine vorhandene Kaskoversicherung die Schäden am eigenen Fahrzeug oftmals nicht.
Zusätzlich zu Strafe und Regressforderungen der Versicherung kommen auf den Täter möglicherweise Schadensersatzansprüche Geschädigter zu. Wurde durch die Fahrt ohne Fahrerlaubnis ein Unfall verursacht, bei dem Personen- oder Sachschäden entstanden sind, haftet der Fahrer dafür zivilrechtlich in voller Höhe.
Wer ohne Fahrerlaubnis fährt, riskiert zudem den dauerhaften Verlust der Fahrerlaubnis. Die Fahrerlaubnisbehörde kann eine Sperre von sechs Monaten bis zu fünf Jahren verhängen, in schweren Fällen sogar lebenslang. Während dieser Zeit darf keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden. Außerdem werden für das Delikt drei Punkte im Fahreignungsregister eingetragen.
Nicht zuletzt kann das bei der Fahrt ohne Fahrerlaubnis benutzte Kraftfahrzeug nach § 21 Abs. 3 StVG eingezogen werden. Diese Sanktion kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Tat vorsätzlich begangen wurde oder der Täter bereits einschlägig vorbestraft ist.
Was bedeutet der Anscheinsbeweis beim Fahren ohne Führerschein?
Der Anscheinsbeweis ist ein wichtiges Beweisprinzip im Zivilrecht, das bei Unfällen durch Fahren ohne Fahrerlaubnis oft eine entscheidende Rolle spielt. Wenn ein Unfall passiert und der Fahrer keine gültige Fahrerlaubnis besitzt, wird vermutet, dass der Unfall gerade wegen des Fehlens der Fahrbefähigung verursacht wurde.
Diese Vermutung beruht auf der Lebenserfahrung, dass jemand, der nicht zum Führen eines Fahrzeugs berechtigt ist, in der Regel auch nicht über die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt, um sicher am Straßenverkehr teilzunehmen. Der Anscheinsbeweis führt zu einer Umkehr der Beweislast.
Nicht der Geschädigte muss beweisen, dass der Unfall durch das Fehlen der Fahrerlaubnis verursacht wurde, sondern der Schädiger muss beweisen, dass der Unfall auch bei Vorliegen einer gültigen Fahrerlaubnis genauso passiert wäre. Gelingt ihm dieser Beweis nicht, haftet er für den entstandenen Schaden.
Für Betroffene bedeutet dies, dass allein das Fahren ohne Führerschein ausreicht, um im Falle eines Unfalls haftbar gemacht zu werden, selbst wenn der Unfall möglicherweise andere Ursachen hatte. Es ist dann sehr schwierig, sich von der Haftung zu befreien.
Der Anscheinsbeweis greift auch bei der Verletzung von Obliegenheitspflichten in der Kfz-Versicherung. Fährt ein Versicherungsnehmer ohne gültige Fahrerlaubnis und verursacht einen Unfall, kann der Versicherer in der Regel Leistungsfreiheit geltend machen, da der Versicherungsnehmer seine Pflichten verletzt hat. Auch hier wird vermutet, dass der Unfall gerade wegen des Fehlens der Fahrbefähigung geschehen ist.
Haftet man als Halter, wenn ein Dritter ohne Führerschein den Wagen fährt?
Ja, der Fahrzeughalter kann haften, wenn er sein Fahrzeug einer Person ohne gültige Fahrerlaubnis überlässt und diese einen Unfall verursacht. Dies ergibt sich aus § 21 Abs. 1 Nr. 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG). Danach macht sich strafbar, wer als Halter eines Kraftfahrzeugs anordnet oder zulässt, dass jemand das Fahrzeug führt, der nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügt.
Der Halter ist die Person, die tatsächlich über die Fahrzeugbenutzung verfügen kann und das Fahrzeug auf eigene Rechnung gebraucht. Es kommt nicht darauf an, wer im Fahrzeugregister eingetragen ist. In Unternehmen trifft die Halterhaftung die Geschäftsführer bzw. den Vorstand.
Um eine Haftung zu vermeiden, muss sich der Halter vor Überlassung des Fahrzeugs vom Vorliegen der Fahrerlaubnis überzeugen. Dazu muss er sich in der Regel den Führerschein im Original vorlegen lassen. Bei EU-Führerscheinen besteht keine Pflicht zu weiteren Nachprüfungen. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Fahrerlaubnis begründen, muss der Halter weitere Erkundigungen einholen.
Dem Halter drohen bei Verstößen Geld- oder Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr. Zudem kann das Tatfahrzeug eingezogen werden. Bei Unfällen haftet der Halter zivilrechtlich und riskiert den Verlust des Versicherungsschutzes.
Als Beispiel Peter leiht seinem Freund Frank sein Auto. Er weiß, dass Frank keinen Führerschein hat. Frank baut einen Unfall. Hier haftet Peter als Halter, weil er Frank sein Auto überlassen hat, obwohl dieser nicht zum Führen eines Kfz berechtigt war.
Kann die Kfz-Versicherung Regress nehmen, wenn man ohne Führerschein fährt?
Wenn man in Deutschland ohne gültige Fahrerlaubnis ein Kraftfahrzeug führt und dabei einen Unfall verursacht, kann dies schwerwiegende Konsequenzen haben. Die Kfz-Haftpflichtversicherung ist in solchen Fällen grundsätzlich berechtigt, Regress zu nehmen und sich die geleisteten Schadenersatzzahlungen vom Versicherungsnehmer zurückzuholen.
Der Versicherungsschutz in der Kfz-Haftpflichtversicherung ist an bestimmte Obliegenheiten geknüpft. Eine wesentliche Obliegenheit besteht darin, dass der Fahrer im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis für das versicherte Fahrzeug sein muss. Wird gegen diese Obliegenheit verstoßen, indem jemand ohne Führerschein fährt, stellt dies eine Verletzung der vertraglichen Pflichten dar. Die Versicherung ist dann berechtigt, Regress zu nehmen.
Das bedeutet konkret Folgendes. Verursacht der Fahrer ohne Führerschein einen Unfall, bei dem Dritte geschädigt werden, muss die Kfz-Haftpflichtversicherung zwar zunächst den Schaden regulieren. Sie kann sich aber anschließend in voller Höhe beim Versicherungsnehmer schadlos halten, der seine Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verletzt hat. Der Versicherungsnehmer bleibt also trotz bestehender Haftpflichtversicherung auf den oft hohen Unfallkosten sitzen.
Hinzu kommt, dass das Fahren ohne Fahrerlaubnis eine Straftat darstellt, die mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden kann. Bei Wiederholungstätern oder wenn durch die Fahrt Leib oder Leben anderer gefährdet wurden, drohen noch höhere Strafen. Neben den strafrechtlichen Sanktionen und dem Regress der Versicherung kommen also weitere finanzielle Belastungen auf den Fahrer ohne Führerschein zu.
Wer sein Fahrzeug einer anderen Person überlässt, sollte sich vergewissern, dass diese im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist. Denn auch der Fahrzeughalter macht sich strafbar, wenn er zulässt, dass jemand ohne Führerschein sein Auto fährt. Als Fahrzeughalter ist man daher gut beraten, sich den Führerschein zeigen zu lassen, bevor man anderen sein Fahrzeug anvertraut.
Das unerlaubte Führen eines Kraftfahrzeugs ohne gültige Fahrerlaubnis birgt also ein enormes finanzielles Risiko. Kommt es dabei zu einem Unfall, droht neben strafrechtlicher Verfolgung der Verlust des Versicherungsschutzes. Die Kfz-Haftpflichtversicherung wird sich die Schadenssumme vom Verursacher zurückholen und ihn damit oft in den finanziellen Ruin treiben. Jeder Fahrzeugführer und -halter sollte sich dieser Gefahr bewusst sein und unbedingt darauf achten, dass nur Personen mit gültiger Fahrerlaubnis am Steuer sitzen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 28 Abs. 3 VVG: Regelt die Leistungsfreiheit des Versicherers bei Verletzung einer Obliegenheit. Im Fall wird diskutiert, ob die Verletzung der Obliegenheit (Fahren ohne Fahrerlaubnis) ursächlich für den Versicherungsfall ist. Die Beklagte argumentiert, dass die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf den Versicherungsfall hatte, was das Gericht nicht anerkennt.
- § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Fall BGB: Begründet den Anspruch auf Rückzahlung bei ungerechtfertigter Bereicherung. Hier wird argumentiert, dass die Zahlung der Versicherung an die Geschädigte ohne Rechtsgrund erfolgt ist, da die Beklagte ihre Obliegenheitspflichten verletzt hat.
- Anscheinsbeweis: Ein Beweis, der vom typischen Geschehensablauf ausgeht. Im Fall wird angenommen, dass das Fahren ohne Fahrerlaubnis auf mangelnde Fahrfähigkeit hinweist, was den Unfall verursacht haben soll. Dies ist ein zentraler Punkt des Urteils.
- §§ 280, 286 Abs. 1, 288 BGB: Regelt den Schadensersatz bei Verzug. Die Klägerin hat Anspruch auf Verzugszinsen und Mahnkosten, da die Beklagte ihre Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllt hat.
- AKB (Allgemeine Kraftfahrtbedingungen): Enthalten spezielle Regelungen der Kfz-Haftpflichtversicherung. Im Fall wird auf Regelungen verwiesen, die die Leistungspflicht des Versicherers bei Fahren ohne Fahrerlaubnis einschränken.
- Obliegenheitspflichten: Pflichten, die Versicherte erfüllen müssen, um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden. Hier ist das Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis eine Verletzung dieser Pflichten, was zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt.
- § 91 Abs. 1 ZPO: Begründet die Kostenentscheidung zu Lasten der unterliegenden Partei. Die Beklagte muss die Kosten des Rechtsstreits tragen, da sie den Prozess verloren hat.
- Strafbefehl: Ein rechtskräftiges Urteil, das die Beklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort verurteilt. Dieser Strafbefehl untermauert die Pflichtverletzung der Beklagten und unterstützt den Regressanspruch der Klägerin.
⇓ Das vorliegende Urteil vom AG Bad Schwalbach
AG Bad Schwalbach – Az.: 3 C 120/22 – Urteil vom 07.03.2023
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.030,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.589,24 € seit dem 24.11.2021 und aus 1.440,99 seit dem 26.01.2022 sowie 6,00 € vorgerichtliche Mahnkosten und 334,75 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Regressansprüche aufgrund eines Kfz- Haftpflichtversicherungsschadens geltend.
Die Klägerin war am 19.12.2019 Haftpflichtversicherer des Pkw Peugeot 306 mit dem amtlichen Kennzeichen: …. Versicherungsnehmer war der Zeuge …. Mitversichert waren nach den Vertragsbedingungen ebenfalls die berechtigten Fahrer des Fahrzeuges.
Am 19.12.2019 befuhr die Beklagte gegen 13:30 Uhr in … die …-straße, ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein. In ihrem Fahrzeug befand sich ebenfalls der Zeuge …. In Höhe des Hauses Nr. 16 hatte die Geschädigte Frau … ihr Fahrzeug Skoda Oktavia mit dem amtlichen Kennzeichen: … ordnungsgemäß am rechten Fahrbahnrand geparkt. Bei dem Versuch, in eine Parklücke hinter dem Fahrzeug der Geschädigten … rückwärts einzuparken ist die Beklagte mit dem von ihr geführten Fahrzeugs Peugeot 306 gegen die hintere linke Stoßstange des geparkten Skoda gestoßen. Die Beklagte stieg sodann aus ihrem Fahrzeug aus und entfernte sich anschließend in das Wohnhaus …-straße 16. Der Zeuge … ist mit dem Peugeot 306 davongefahren. Über die näheren Umstände des Geschehens und insbesondere den zeitlichen Ablauf besteht zwischen den Parteien Streit. Der gesamte Unfallhergang wurde durch die Zeugin … beobachtet. Gegenüber den unmittelbar nach dem Unfall herbeigerufenen Polizeibeamten erklärte die Beklagte, dass sie das von ihr geführte Fahrzeug und das Kennzeichen noch nie gesehen habe, dass ihr vermutlich jemand etwas anhängen möchte und dass sie das auf gar keinen Fall gewesen sein könne, da sie ja noch keinen Führerschein habe.
Durch den Anstoß sind der Stoßfänger und der hintere linke Rückstrahler gebrochen und der Stoßfänger wurde erheblich verkratzt und verformt. Für die Reparatur des Fahrzeuges der Geschädigten entstanden Reparaturkosten von brutto 2.513,01 € sowie ein merkantiler Minderwert von 150,00 €. Für die Einholung des Schadensgutachtens entstanden Kosten von brutto 602,14 €. Für die Bereitstellung eines Mietwagens entstanden Kosten von 336,77 €. Für die Beauftragung der Rechtsanwälte … zur Schadensabwicklung entstandene Rechtsanwaltsgebühren von 334,75 €. Für die Einholung der nötigen Akteneinsicht zur Regressverfolgung entstanden Gebühren in Höhe von 34,28 €. Insgesamt hatte die Klägerin einschließlich eine Unkostenpauschale von 25,00 € Aufwendungen in Höhe von 4.030,23 €.
Mit Schreiben vom 28.09.2021 hat die Klägerin die Beklagte zur Zahlung des bis dahin bezifferbaren Regressbetrages in Höhe von 2.589,24 € unter Fristsetzung bis zum 30.10.2021 aufgefordert. Nachdem die Beklagte von ihr telefonisch zugesagten Ratenzahlungen nicht erbracht hat, hat die Klägerin die Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung der Regressforderung beauftragt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 23.12.2021 wurde die Beklagte unter Fristsetzung zum 14.01.2022 erneut zur Zahlung von nunmehr 4.030,23 € aufgefordert. Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.01.2022 wurde der Beklagte eine weitere Zahlungsfrist bis zum 05.02.2022 gesetzt.
Für die vorgerichtliche Geltendmachung der Forderung durch die Klägervertreter macht die Klägerin unter Zugrundelegung des Gegenstandswertes von 2.589,24 € gemäß §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300, 7002, 7008 VV RVG Kosten in Höhe von 334,75 € (1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 261,30 €, Postpauschale in Höhe von 20,00 € und Mehrwertsteuer in Höhe von 53,45 €) geltend.
Im Rahmen des gegen die Beklagte eingeleiteten Strafverfahrens wurde die Beklagte durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts …, Az: … wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe nach dem Aussteigen aus dem Peugeot 306 den verursachten Schaden begutachtet und sich dann entfernt. Erst dann sei der Zeuge … mit dem Fahrzeug davongefahren.
Die Klägerin meint, wegen der Verletzung von Obliegenheitsverpflichtungen sei die Beklagte regresspflichtig, weil sie das Unfallfahrzeug ohne die erforderliche Fahrerlaubnis geführt und sich unerlaubt vom Unfallort entfernt habe. Aufgrund des Fehlens einer gültigen Fahrerlaubnis spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Verursachung des Zusammenstoßes durch die Beklagte.
Die Klägerin beantragt, die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 4.030,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.589,24 € seit dem 24.11.2021 und aus 1.440,99 seit dem 26.01.2022 sowie 10,00 € vorgerichtliche Mahnkosten und 334,75 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Zeuge … habe sie bei ihrem Einparkversuch eingewiesen. Nach dem Anstoß gegen das Fahrzeug der Geschädigten sei sie aus dem Peugeot 306 ausgestiegen und vollkommen in Panik gewesen. Der Zeuge … sei dann plötzlich mit dem Peugeot 306 weggefahren. Die Beklagte sei dem wegfahrenden Fahrzeug noch kurz (etwa 100 m) hinterhergelaufen, woraufhin der Zeuge … nochmals angehalten und ihr mitgeteilt habe, dass der Schaden ja nicht so schlimm sei. Dann sei die Beklagte zurückgelaufen und in die Wohnung gegangen, in der sie später von den Polizeibeamten angetroffen wurde.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin nach § 28 Abs. 3 VVG zur Leistung verpflichtet sei, weil die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls, noch für die Feststellung und den Umfang der Leistungspflicht der Klägerin ursächlich gewesen sei. Denn der Unfall sei durch die Zeugin … beobachtet worden, die die Geschädigte über den Unfallhergang und die Unfallverursacherin aufklären konnte. Die Beklagte sei bei dem Unfall auch nicht alkoholisiert gewesen, was die unmittelbar nach dem Unfall bei ihr vorsprechenden Polizeibeamten ansonsten festgestellt hätten.
Die Obliegenheitsverletzung der Beklagten habe deshalb keinen Einfluss auf die Frage gehabt, ob die Klägerin Regulierungsleistungen gegenüber der Geschädigten zu erbringen hat und in welcher Höhe. Die Beklagte ist weiter der Auffassung, dass der Umstand, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls nicht über eine gültige Fahrerlaubnis verfügt hat, keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen gehabt habe, weil es sich um einen typischen Fahrfehler beim Rangieren bzw. Einparken gehandelt habe und vergleichbare Fahrfehler im Straßenverkehr täglich tausendfach vorkämen und auch von Personen verursacht würden, die über eine gültige Fahrerlaubnis verfügen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Parteien in den von diesen eingereichten Schriftsätzen sowie auf die dortigen Anlagen und Beweisangebote Bezug genommen. Die Strafakte des Amtsgerichts …, Az: … war beigezogen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Fall BGB in Verbindung mit den Regelungen in den AKB’s der Klägerin D.1 Nr.3), D.4 Nr. 1) ein Anspruch auf Regress in Höhe von 4.030,23 € zu.
Die durch die Klägerin erfolgte Zahlung an die Geschädigte … von 4.030,23 € und die damit erfolgte Erfüllung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten ist im Innenverhältnis der Parteien ohne Rechtsgrund im Sinne des § 812 BGB erfolgt. Die Klägerin ist nach den Regelungen in D.1 Nr. 3), D.4 Nr. 1) ihrer AKB‘s als Kfz-Haftpflichtversicherer im Innenverhältnis zu der Beklagten als mitversicherte Fahrerin von ihrer Leistungspflicht befreit, weil die Beklagte gegen die versicherungsvertragliche Verpflichtung in D.1 Nr. 3) der AKB’s verstoßen hat. Denn unstreitig hat sie das bei der Klägerin haftpflichtversicherte Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt geführt, ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein.
Die Beklagte kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass die Klägerin nach § 28 Abs. 3 VVG zur Leistung verpflichtet sei, weil die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls, noch für die Feststellung und den Umfang der Leistungspflicht der Klägerin ursächlich gewesen sei. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat trotz des gerichtlichen Hinweises im Beschluss vom 21.11.2022, Ziffer I.2. nicht schlüssig dargelegt und unter Beweis gestellt, warum das Fehlen der erforderlichen Fahrerlaubnis seitens der Beklagten für die Entstehung des streitgegenständlichen Unfalls nicht ursächlich gewesen sei. Insoweit ist weder vorgetragen, noch bekannt, dass die Beklagte trotz Fehlens einer Fahrerlaubnis über die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges im öffentlichen Straßenverkehr verfügt habe.
Vielmehr spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der beim rückwärts einparken verursachte Schaden an dem stehenden Fahrzeug der Geschädigten auf einem Fehlen der fahrerischen Fähigkeiten und Fertigkeiten für das Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr beruhte. Dass derartige Unfälle häufig im Straßenverkehr vorkommen und auch durch Personen verursacht werden, die über eine Fahrerlaubnis verfügen, entlastet die Beklagte insoweit nicht.
Die Regulierung der Ansprüche der Geschädigten durch die Klägerin ist deshalb ohne Rechtsgrund erfolgt, so dass der Klägerin ein Regressanspruch gegen die Beklagten zusteht. Die Klage ist deshalb begründet.
Die Forderung der Klägerin ist gemäß §§ 280, 286 Abs. 1, 288 BGB aufgrund des durch Mahnschreiben vom 23.11.2021 und 23.12.2021 begründeten Verzuges ab den titulierten Zeitpunkten in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes zu verzinsen.
Der Klägerin steht ferner aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 280, 286 BGB ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Mahnkosten in Höhe von 6,00 € zu. Denn nach dem klägerischen Vortrag wurde der Beklagte nach Verzugseintritt zweimal angemahnt. Das Gericht sieht insoweit in ständiger Rechtsprechung einen pauschalen Schadensersatzbetrag von 3,00 € pro Mahnschreiben als angemessen an.
Der Klägerin steht weiterhin aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 280, 286 BGB ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 € zu. Denn die Beklagte hat die nach Verzugseintritt für die Beauftragung eines Rechtsanwaltes entstandenen Kosten der vorgerichtlichen Forderungsgeltendmachung mit Schreiben vom 23.12.2021 gemäß RVG in dieser Höhe zu erstatten. Es handelt sich dabei um die Geschäftsgebühr nach RVG VV Nr. 2300, die Auslagenpauschale nach RVG VV Nr. 7002 und die darauf anfallende Mehrwertsteuer von 19 % nach RVG VV Nr. 7008. Daraus ergibt sich ein Schaden von jedenfalls 334,75 €.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den § 709 S. 1 ZPO.