OLG München – Az.: 14 U 9475/21 – Beschluss vom 04.02.2022
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 01.12.2021, Az. 25 O 50/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Gründe:
I.
Der Kläger macht mit seiner Klage Ansprüche aus einer „Mietnomaden“-Versicherung geltend, durch die die Parteien vertraglich verbunden sind. Der Versicherung liegen die „Besonderen Bedingungen für die Mietnomadenversicherung“ (Anlage K3/2) zu Grunde.
Der Kläger hatte das Anwesen K. Straße 9 in … B. ab dem 01.03.2017 vermietet; dieses Mietverhältnis wurde auf Grund außerordentlicher Kündigung des Klägers zum 12.11.2019 beendet, nachdem der Mieter den vereinbarten Mietzins seit September 2019 nicht mehr bezahlt hatte. Der Mieter zog zum Kündigungszeitpunkt aus, hatte aber Sachschäden am Mietobjekt verursacht, die der Kläger in der von ihm angenommenen Höhe geltend macht. Die Parteien streiten darüber, ob eine Leistungspflicht der Beklagten auch dann besteht, wenn bei einem fristgerechten Auszug des Mieters von diesem Sachschäden verursacht wurden oder, ob die Einstandpflicht der Beklagten voraussetzt, dass es zu einem Mietausfallschaden gekommen ist, weil der Mieter nach wirksamer Kündigung im Objekt verbleiben ist.
§ 2 der zu Grunde liegenden Versicherungsbedingungen lautet auszugsweise (ergänzend Anlage K3/2):
„§ 2 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gegenstände, Ausschlüsse
1. Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung
a) für den Mietausfallschaden der im Versicherungsvertrag bezeichneten Wohnung, für die Dauer der vereinbarten Haftzeit, wenn
aa) das Mietverhältnis vom Vermieter wirksam gekündigt wurde und
bb) der Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses die Wohnung weiter in Anspruch nimmt
cc) und die Mietkaution zum Ausgleich des Ausfalls endgültig verbraucht worden ist, diese aber nicht ausreicht oder bereits anderweitig (z.B. zur Absicherung von Ansprüchen aus unterlassenen Schönheitsreparaturen und Schäden) aufgebraucht ist;
b) darüber hinaus für die Dauer von höchstens 2 Monaten für den Mietausfall auf Basis des bisherigen Mietzinses ohne Mietnebenkosten für die Zeit einer nach Räumung der Wohnung erforderlichen Renovierung bzw. Sanierung, um den Zustand der versicherten Sache vor Eintritt des Versicherungsfalles wiederherzustellen;
c) für Sachschäden in Abhängigkeit eines ersatzpflichtigen Mietausfallschadens gemäß Nr. 3.
2. Mietausfallschaden
Der Mietausfallschaden besteht aus dem Mietausfall einschließlich fortlaufender Mietnebenkosten.
a) Der Mietausfallschaden tritt ein, wenn der Mieter
aa) für zwei aufeinanderfolgende Termine keine Miete zahlt;
bb) die Miete für an zwei aufeinanderfolgenden Terminen nur anteilig zahlt und der Mietrückstand mehr als eine Monatsmiete beträgt;
cc) die Miete über einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten nur anteilig bezahlt und mindestens zwei Monatsmieten Mietrückstand besteht.
[…]
3. Sachschäden in Abhängigkeit eines ersatzpflichtigen Mietausfallschadens
Der Versicherer leistet – sofern ein ersatzpflichtiger Mietausfallschaden eingetreten ist – Entschädigung für versicherte Sachen, die durch Tun oder Unterlassen des Mieters durch
a) Mutwilligkeit,
b) Verwahrlosung oder
c) den Befall von Ungeziefer, Ratten oder Mäuse, infolge der durch die Verwahrlosung entstandenen Verunreinigung oder durch Tod des Mieters
zerstört oder beschädigt werden oder abhandenkommen.
4. Haftzeit
Die Haftzeit beginnt zum wirksamen Kündigungstermin. Mietausfall wird bis zu dem Zeitpunkt ersetzt, in dem der Mieter die Wohnung nicht mehr in Anspruch nimmt, höchstens jedoch für die vereinbarte Dauer.
[…]“
Der Kläger ist der Ansicht, dass es sich bei der Beschränkung der Versicherung von Sachschäden auf die Fälle, in denen auch ein Mietausfallschaden entstanden ist und der Mieter nach dem Kündigungszeitpunkt in der Wohnung verbleibt, um eine überraschende und damit nach § 305 c BGB unwirksame Klausel handele.
Ergänzend wird auf den Tatbestand des Ersturteils verwiesen.
Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen, da es den Schaden mangels Mietausfalls als nicht vom Versicherungsschutz gedeckt angesehen hat und überdies dem Klägervortrag keine schlüssige Darlegung der Schadenshöhe entnehmen konnte.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung und beantragt:
Unter Aufhebung des am 01.12.2021 verkündeten und am 02.12.2021 zugestellten Urteils des Landgerichts Memmingen, Az.: 25 O 50/21, wird der Klage vom 27.05.2021 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 34.205,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 zu zahlen.
II.
Das sorgfältig begründete Ersturteil entspricht der Sach- und Rechtslage (§ 513 ZPO).
Zu den Berufungsangriffen im Einzelnen:
Zu 1. bis 3.:
Das Erstgericht hat insbesondere im Rahmen einer umfassenden und zutreffenden Auslegung des Versicherungsvertrags herausgearbeitet, dass die Vereinbarung im Versicherungsvertrag eindeutig die Einstandspflicht der Beklagten für Sachschäden auf Fälle beschränkt, in denen es zugleich zu einem Mietausfall unter den weiteren Bedingungen des § 2 Nr. 1 der Versicherungsbedingungen gekommen ist.
Zu Recht hat das Erstgericht eine Einstandspflicht der Beklagten auf Grundlage der Versicherungsbedingungen abgelehnt und den relevanten § 2 der Versicherungsbedingungen als wirksam erachtet, da es keine Unwirksamkeit nach den §§ 305 ff. BGB angenommen hat.
Ausgehend vom diesbezüglichen Prüfungsumfang bei Hauptleistungspflichten (vgl. § 307 Abs. 3 BGB) hat das Erstgericht insbesondere zu Recht das Vorliegen einer überraschenden Klausel (§ 305 c BGB) geprüft und zutreffend verneint.
Hierbei hat das Erstgericht eine zutreffende und lebensnahe Definition des „Mietnomaden“ und die diesbezügliche Vorstellung eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers hiervon herausgearbeitet.
Die Klausel ist hiervon ausgehend weder hinsichtlich ihrer Verortung in den Versicherungsbedingungen noch hinsichtlich ihres Inhalts als überraschend (oder intransparent) einzuordnen:
Denn zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Koppelung der Haftung für Sachschäden an einen Mietausfall unmittelbar in der Klausel (und zwar in der Überschrift und im Fließtext) enthalten ist, die die Einstandspflicht für Sachschäden überhaupt erst begründet. Die in Bezug genommenen Haftungsfälle und der Versicherungsumfang sind unter demselben § in den beiden Ziffern zuvor geregelt.
Auch inhaltlich ist nichts überraschend:
(1) Dass die vorliegend geschlossene Versicherung sämtliche mutwillig oder durch Verwahrlosung entstandenen Sachschäden, die nach Beendigung eines Mietverhältnisses vorhanden sind, abdecken soll, liegt fern. Denn dann wären auch Schäden versichert, die nach einem langjährigen Mietverhältnis, dessen Miete stets bedient wurde, auftreten. Beispielsweise ein Streit darüber, ob es „mutwillig“ war, dass der nach 20 Jahren ausziehende Mieter in den letzten Jahren zu wenig gelüftet hat und dadurch Schimmelschäden entstanden sind, hat erkennbar nichts mehr mit „Mietnomadentum“ zu tun. Insofern wird ein Bedürfnis, die Einstandspflicht zu begrenzen, unmittelbar greifbar und auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar. Dass diesem im vorliegenden Vertrag durch eine Koppelung an den Mietausfall Rechnung getragen wurde, erscheint – auch weil die Beschränkung in der Ziffer der Versicherungsbedingungen, die die Einstandspflicht überhaupt erst regelt, unmittelbar enthalten ist – nicht überraschend.
(2) Dass nicht jeder Mietrückstand bereits einen Versicherungsfall auslöst, ist ebenfalls nicht überraschend, da auch hier diverse Fallgestaltungen erfasst würden, die ebenfalls nicht als „Mietnomadentum“ einzuordnen wären – der langjährige Mieter gerät in Zahlungsschwierigkeiten und kann eine Monatsmiete nicht fristgerecht bezahlen.
Beiden – für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren – Bedürfnissen Rechnung tragend, enthalten die Versicherungsbedingungen eine begrenzende Definition des Leistungsversprechens in dem aus § 2 Ziff. 1-3 ersichtlichen Umfang, die klar geregelt ist und für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dem eine Lektüre der Versicherungsbedingungen, gerade des zentralen Bereichs des Leistungsumfangs zuzumuten ist, nachvollziehbar sind. Auch führt die gewählte Einschränkung nicht zur Gefahr einer Aushöhlung des Versicherungsschutzes; der Kernbereich einer Absicherung gegen „Mietnomaden“, die nach Kündigung in der Wohnung verbleiben und dort Schäden anrichten, ist gewährleistet. Greift man in der rechtswissenschaftlichen Diskussion diskutierte Begriffsdefinitionen des Mietnomadentums auf, so bestätigt sich dieser Befund. So zum Beispiel die von Fischer, DGVZ 2013, 195 referierte und für zutreffend erachtete Begriffsbestimmung von Brunner in dessen Dissertation „Das Phänomen des Mietnomaden in der Rechtspraxis“:
„Als Mietnomaden werden gemeinhin Personen bezeichnet, die in der Absicht eine Mietwohnung anmieten und beziehen, die vereinbarte Miete nicht zu entrichten. Nachdem der Vermieter einen rechtskräftigen Räumungstitel erstritten und eventuell auch die Zwangsvollstreckung eingeleitet hat, verlassen sie schließlich die Wohnung (wobei sie stets erhebliche Mietschulden und nicht selten auch eine abgewohnte bis verwüstete Wohnung hinterlassen) und mieten und beziehen anschließend die nächste Wohnung, wo sich die Ereignisse wiederholen.“
Hiervon ausgehend würde es fast mehr überraschen, wenn die hiesige Konstellation eines Mieters, der zunächst den Mietzins über einen Zeitraum von über 2 Jahren bedient und nach außerordentlicher Kündigung auf Grund eines Zahlungsrückstandes von 2 Monaten die Wohnung unmittelbar räumt, von einer „Mietnomadenversicherung“ erfasst wäre, als dass sie es vorliegend nicht ist.
Damit bestehen im Ergebnis keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der relevanten Versicherungsbedingungen.
Zu 4.:
Hier zitiert die Berufungsbegründung selbst eine Passage, aus der sich unmittelbar ergibt, dass „Sachschäden in Abhängigkeit eines ersatzpflichtigen Mietausfallschadens“ zu ersetzen sind. Warum der Berufungskläger meint, dass hieraus abzuleiten sein könnte, dass diese Abhängigkeit nicht besteht, erschließt sich dem Senat nicht.
Zu 5.:
Dass die Beklagte zur Abklärung eines (etwaigen) Schadensfalls nach einer entsprechenden Schadensmeldung eine Beweissicherung unternommen hat, führt nicht dazu, dass eine Einstandspflicht begründet würde. Insbesondere ist in einem solchen (vorsorglichen) Verhalten kein Anerkenntnis hinsichtlich einer Haftung dem Grunde nach zu sehen.
Zu 6. und 7.:
Anders als der Berufungsführer meint, ist eine Revidierung einer zunächst geäußerten Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts nicht ausgeschlossen. Entscheidender Zeitpunkt ist letztlich derjenige der Urteilsfällung. Da das Erstgericht auf seine geänderte Rechtsauffassung mit Beschluss vom 26.07.2021 hingewiesen hat, ist offensichtlich auch keine Überraschungsentscheidung gegeben.
Zu 8.:
Auf die Frage, ob die Schadenshöhe schlüssig dargelegt wurde, kommt es nach den vorstehenden Erwägungen nicht an.
III.
Der Senat rät dem Kläger daher, die Berufung zurückzunehmen, da dies zu einer Ermäßigung der Berufungsgebühren führt.
IV.
Hierzu und zum Streitwert des Berufungsverfahrens besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 23.02.2022.