AG Hamburg-Barmbek – Az.: 814 C 78/11 – Urteil vom 12.01.2012
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Krankenversicherungsvertrag Nr. … Versicherungsschutz wegen aller Zahnbehandlungen aufgrund des Heil- und Kostenplans des Zahnarztes … vom 22.12.2010 zu gewähren hat.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.871,87 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin leidet an genetisch bedingter Oligodontie. Im August 2008 ließ sie einen Kostenvoranschlag zum Zwecke der Einreichung bei der gesetzlichen Krankenversicherung erstellen auf Grundlage der hypothetischen Annahme, dass alle sieben im Oberkiefer nicht veranlagten Zähne gleichzeitig durch Implantate ersetzt werden müssten. Das betraf auch den Zahn 25. Tatsächlich waren zu jenem Zeitpunkt alle von dem Kostenvoranschlag erfassten Zähne vorhanden und nicht behandlungsbedürftig.
Kurz darauf schloss die Klägerin mit der Beklagten die Zahnzusatzversicherung ab.
Im Dezember 2010 stellt sich sodann heraus, dass nunmehr der Zahn 25 nicht mehr erhaltungsfähig war und durch ein Implantat ersetzt werden muss. Der Heil- und Kostenplan des behandelnden Zahnarztes beläuft sich dafür auf 1.871,87 Euro.
Die Beklagte hat die Übernahme dieser Kosten abgelehnt.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei zur Übernahme dieser Kosten verpflichtet.
Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Versicherungsfall habe bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrages vorgelegen, so dass die Beklagte leistungsfrei sei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte ist zur Übernahme der Kosten für die Zahnbehandlung verpflichtet, denn der Versicherungsfall ist erst nach Abschluss der Versicherung eingetreten.
Der Versicherungsfall ist gemäß § 1 Absatz 2, Satz 1 der Versicherungsbedingungen definiert als „die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit…“. Entscheidendes Kriterium ist danach die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit, nicht die Krankheit selbst.
Die Krankheit der genetisch bedingten Oligodontie lag bei der Klägerin von Geburt an vor. Sie ist aber nicht heilbar, so dass ihretwegen keine Heilbehandlung medizinisch notwendig oder möglich war. Es gibt kein medizinisches Heilverfahren, das darauf gerichtet ist, den genetischen Defekt der generalisierten Nichtanlage der bleibenden Zähne zu beseitigen.
Eine medizinische Heilbehandlung (der Folgen dieser Krankheit) wurde erst in dem Zeitpunkt notwendig, da der hier in Rede stehende (Milch-)Zahn 25 nicht mehr erhaltungsfähig war. Dieser Fall ist aber erst nach Vertragsabschluss eingetreten.
Das Gericht verkennt nicht, dass dieses rechtliche Ergebnis mit dem Kern des Versicherungsgedankens als Absicherung gegen unvorhersehbare Risiken schwer vereinbar ist. Es folgt je-doch aus den Versicherungsbedingungen (Abstellen auf notwendige Heilbehandlung statt auf vorhandene Erkrankung) und den Fragen der Beklagten anlässlich des Vertragsabschlusses zum Gesundheitszustand, die Fälle wie den vorliegenden nicht erfassen (vergl. Anlage K 2).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711, 3 ZPO.