Das Kürzen der Leistung bei Obliegenheitsverletzungen
Jeder Versicherungsnehmer muss im Rahmen seines Versicherungsvertrages bestimmte Verhaltensnormen beachten. Bei diesen vertraglichen Verhaltensnormen handelt es sich um Regeln und Pflichten, die jeder Versicherungsnehmer zwingend zu beachten hat. Werden diese sogenannten Obliegenheiten missachtet, kann der Versicherer im Fall der Fälle zur teilweisen oder gar vollständigen Kürzung des Versicherungsanspruchs berechtigt sein. Bis zum Jahr 2008 galt hierbei das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“. Wurde der Versicherungsfall durch den Betroffenen grob fahrlässig herbeigeführt, galt demnach kraft Gesetzes eine eine vollständige Leistungsfreiheit des Versicherungsgebers. Seitdem findet sich in § 28 Versicherungsvertragsgesetz (VGG) ein abgestuftes Leistungskürzungsrecht des Versicherers.
Einfache Fahrlässigkeit und Vorsatz
Die Kürzung der Leistung durch die Versicherung ist nicht möglich, wenn die Obliegenheitsverletzung durch einfache Fahrlässigkeit begangen worden ist. Einfache Fahrlässigkeit bedeutet, dass der Versicherungsnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zwar nicht beachtet hat, sein vorwerfbares Handeln dennoch als verständlich erscheint. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, falls der Versicherte den Eintritt des Versicherungsfalls nur mündlich gemeldet hat, obwohl er laut Vertrag zur schriftlichen Meldung verpflichtet war. Im Gegensatz zur Regelung vor 2008 ist der Versicherer hier nicht mehr zur Leistungskürzung berechtigt. Dagegen droht dem Versicherungsnehmer bei einer vorsätzlichen oder arglistigen Obliegenheitsverletzung die vollständige Kürzung des Leistungsanspruches. Eine vorsätzliche Verletzung liegt vor, wenn der Betroffene bewusst und willentlich gegen einzelne Obliegenheiten verstößt. Legt der Versicherungsnehmer darüber hinaus betrügerische Absichten an den Tag, spricht man von arglistigen Obliegenheitsverletzungen. Dies kommt allerdings lediglich in Ausnahmefällen vor.
Die grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung
Seit der Novellierung des VGG im Jahre 2008 muss ein grob fahrlässig verursachter Schaden zumindest anteilig ersetzt werden. Ob und in welcher Höhe eine Leistungskürzung durch den Versicherer vorgenommen werden kann, hängt von der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers ab. Somit gilt gewissermaßen ein abgestuftes Erstattungsmodell, das den Grad des Verschuldens bei der Kürzung der Leistung durch die Versicherung berücksichtigt. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich und in hohem Maße außer Acht lässt. Bei einer groben Fahrlässigkeit werden naheliegende Überlegungen, die jedem einleuchten müssten, vernachlässigt und nicht beachtet. Gefahrabwendende Maßnahmen müssten für den Versicherungsnehmer möglich, geeignet und zumutbar gewesen sein. Wie hoch die Kürzungsquoten im Einzelnen ausfallen muss anhand der Umstände des konkreten Versicherungsfalles ermittelt werden. Gesetzliche Kürzungsquoten, die für typische Sachverhalte aus einschlägigen Tabellen abgelesen werden können, existieren nicht. Auf diese Weise sollte nach dem Willen des Gesetzgebers eine größere Einzelfallgerechtigkeit als zuvor geschaffen werden. Eine wie auch immer geartete Quotenvorgabe würde dem nicht gerecht.
Vollständige Leistungskürzung bei grober Fahrlässigkeit?
Es war lange Zeit umstritten, ob auch bei einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles eine vollständige Kürzung der Versicherungsleistung möglich ist. Vielfach wurde die Meinung vertreten, dass aufgrund der Quotenregelung der Schaden zumindest anteilig zu ersetzen wäre. In seinem Urteil vom 22.6.2011, Az.: IV ZR 225/10 hat der BGH allerdings klargestellt, dass der Versicherer in Ausnahmefällen die Leistung komplett verweigern darf. In der Entscheidung des BGH war der Versicherungsnehmer im Zustand alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit von der Straße abgekommen, woraufhin das Fahrzeug beschädigt wurde. Daraufhin verlangte der Versicherte von seinem Versicherer Leistung aus einer Kfz-Vollversicherung. Der BGH urteilte, dass auch bei einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung eine Leistungskürzung auf Null möglich sei. Dies ergab sich laut BGH aus einer Gesetzesauslegung des § 81 II VGG, dessen Entstehungsgeschichte einer Kürzung der Leistung auf Null nicht entgegenstehe.
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