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Leistungsfreiheit – Verletzung Aufklärungspflicht durch Versicherungsnehmer

LG Essen – Az.: 13 S 101/19 – Beschluss vom 14.04.2020

Die Kammer weist darauf hin, dass sie beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 27.11.2019 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hattingen (Az.: 11 C 65/19) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme, gegebenenfalls zur Rücknahme der Berufung, binnen zwei Wochen.

Gründe

Die Kammer ist nach vorläufiger Beratung einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, Ferner hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Es ist auch keine mündliche Verhandlung geboten.

Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis, die die Klägerin als Leasingnehmerin und Halterin eines Pkw Mercedes-Benz gegen die Beklagte, mit der sie einen Vollkaskoversicherungsvertrag schloss, geltend macht.

Das Fahrzeug erlitt unstreitig im Jahr 2016 einen Vorschaden. Die Klägerin erkundigte sich bei der Bezirksdirektion der Beklagten, … ob Vorschäden an dem Fahrzeug bekannt seien. Herr G. bestätigte dem Zeugen …, der der Ehemann der Komplementärin und der Vater des Kommanditisten der Klägerin ist, dass die Beklagte bisher keine Vorschäden an dem Fahrzeug reguliert habe. Das Fahrzeug wurde bei der Fahrzeug-Werke L. AG repariert. Die Fahrzeug-Werke „L. AG stellte der-Klägerin am 30.08.2018 Reparaturkosten in Höhe von 3.621,05 EUR in Rechnung.

Am 14.10.2018 zeigte die Klägerin, vertreten durch den Zeugen . .. bei der Beklagten an, dass das Fahrzeug am 22.08.2018 einen Vandalismusschaden erlitten habe. Die Frage der Beklagten, ob seit der Erstzulassung Schäden am Pkw eingetreten seien, von denen die Klägerin Kenntnis habe, beantwortete der Zeuge …in dem seitens der Beklagten verwendeten Formular mit „nein“. Weitere Fragen zur konkreten Art der Beschädigung, Reparaturen und entsprechenden Nachweisen beantwortete der Zeuge nicht. In der von dem Zeugen M. für die Klägerin unterzeichneten Mitteilung nach § 28 Abs. 4 VVG-E zur Leistungsfreiheit heißt es: „Machen Sie entgegen der vertraglichen Vereinbarungen vorsätzlich keine oder nicht wahrheitsgemäße Angaben oder stellen Sie uns vorsätzlich die verlangten Belege nicht zur Verfügung, verlieren Sie Ihren Anspruch auf die Versicherungsleistung. “

Mit Schreiben vom 23.10.2018, später erneut am 28.11.2018, lehnte die Beklagte die Schadensregulierung ab. Die Überprüfung der Vorschadenshistorie habe ergeben, dass das Fahrzeug – anders als von der Klägerin angezeigt – einen Vorschaden erlitten habe. Das arglistige Verhalten der Klägerin führe zur Leistungsfreiheit der Beklagten.

Das bei Dipl.-Ing. L Sachverständigenbüro GmbH eingeholte Gutachten vom 30.08.2016 wurde der Beklagten über die Bezirksdirektion der Beklagten, von der Klägerin nach Nachfragen der Beklagten zu Vorschäden übergeben. Der Sachverständige stellte zu Vorschäden fest:

„1) Streifschaden hinten links (Kniestück und Tür zeigen Anstoßspuren)

2) Lackschaden linksseitig

3) Tür hinten rechts zeigt einen Lackschaden

4) Rad vorne rechts zeigt Bordsteinschäden

5) Außenspiegel links und rechts verkratzt (…).“

Ferner heißt es: „Das Fahrzeug hat einen Frontschaden. Der vordere Stoßfänger ist verformt, zerkratzt und durchgedrückt. Das darauf befindliche Kennzeichen ist verbogen. Die im Stoßfänger befindlichen Zier- und Kleinteile wurden in Mitleidenschaft gezogen. Der Kühlergrill ist in seiner Halterung gebrochen. Diese Fahrzeugteile sind schaden(s)bedingt erneuerungsbedürftig. Die Motorhaube zeigt einen Lackkratzer im vorderen Kantenbereich. Die Motorhaube bedarf einer Erneuerung (…)“

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 3.121,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.04.2019, ferner Rechtsanwaltskosten in Höhe von 347,60 EUR zu zahlen, hilfsweise sie von den Gebührenansprüchen in vorgenannter Höhe freizustellen.

Sie hat hierzu im Wesentlichen vorgetragen, dass das Fahrzeug am 02.08.2018 einen Vandalismusschaden erlitten habe. Die mit dem Gutachten aus dem Jahr 2016 belegten Vorschäden seien durch eine Fachwerkstatt, einen kleinen, heute nicht mehr existierenden Betrieb, vollständig und sach- und fachgerecht behoben worden. Die Reparatur sei als Gegenleistung zur Ausrichtung einer Geburtstagsfeier in der Gaststätte seitens der Klägerin erfolgt. Der Zeuge … habe die Frage bezüglich der Vorschäden versehentlich falsch beantwortet. Er sei davon ausgegangen, dass sich die Frage nach Vorschäden lediglich auf von der Beklagten bereits regulierte Schäden bezogen habe. Ferner hätten die Vorschäden keinen Einfluss auf die Regulierung: Es seien zwar dieselben Schadensbereiche betroffen, es handele sich aber um ganz unterschiedliche Schadensarten.

Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat hierzu vorgetragen, die Versicherungsleistung sei nicht fällig. Die Klägerin habe die zu der Vorschadenproblematik, insbesondere zu deren sach- und fachgerechter Reparatur notwendigen Angaben nicht gemacht. Ferner sei die Beklagte aufgrund einer arglistigen Obliegenheitsverletzung der Klägerin leistungsfrei geworden. Wenn ein Fahrzeug in einem unfallvorgeschädigten Bereich durch einen Unfall erneut betroffen worden sei, müsse der Versicherungsnehmer darlegen und ggf. beweisen, welche Vorschäden an dem Fahrzeug vorhanden gewesen und durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen diese Vorschäden sach- und fachgerecht beseitigt worden seien. Denn die Leistungspflicht erstrecke sich allein auf die Kosten, die zu der Wiederherstellung des Zustandes erforderlich gewesen seien. Die Schadensbereiche von Vorschäden und derzeit geltend gemachten Schäden würden sich überschneiden. So habe der Pkw bereits zuvor einen Lackschaden linksseitig und einen Frontschaden erlitten, bei dem der Kühlergrill und die Motorhaube in Mitleidenschaft gezogen worden seien. Der Lack sei sowohl linksseitig als auch auf der Motorhaube betroffen. Auf der linken Fahrzeugseite gehe es ferner um die Beseitigung von Kratzern. Zudem habe die Klägerin zur sach- und fachgerechten Beseitigung der Vorschäden nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz und wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil, BI. 110 ff. d.A., Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen …

Es hat sodann die Klage als derzeit nicht begründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin gegen die Beklagte kein Zahlungsanspruch aus § 1 VVG i.V.m. dem Versicherungsvertrag zustehe. Es könne gegenwärtig dahinstehen, ob ein Versicherungsfall eingetreten sei, da ein etwaiger Leistungsanspruch der Klägerin jedenfalls gegenwärtig nicht fällig sei im Sinne von § 14 Abs. 1 VVG.

Hinsichtlich der weiteren Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe des am 27.11.2019 verkündeten Urteils, BI. 110 ff. d. A., verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, mit welcher sie unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils ihre Klageanträge erster Instanz weiter verfolgt.

Zur Begründung führt sie – unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen – im Wesentlichen aus, das Amtsgericht habe in seiner Entscheidung eine fehlerhafte Beweiswürdigung vorgenommen. So habe es unzutreffend eine Überlagerung der Schadensbereiche festgestellt. Ferner habe es die Darlegungslast der Klägerin bezüglich der Beseitigung der Vorschäden überspannt. Die Klägerin könne für die vollständige Beseitigung der Vorschäden durch Benennung des Zeugen … der die Reparaturen vorgenommen habe, wirksam Beweis antreten. Es dürfte ferner feststehen, dass der Schadensfall eingetreten sei, es fehle ein hinreichend substantiierter, den Eintritt bestreitender Vortrag seitens der Beklagten. Der Vortrag beziehe sich allein auf den Umfang des Schadens. Ferner sei der Vorwurf der Arglist schon deshalb nicht tragfähig, weil das Gericht gerade diesen Umstand abgelehnt und im Weiteren nicht thematisiert habe.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie tritt im Wesentlichen der Argumentation des Amtsgerichts bei und weist ferner darauf hin, dass es schon an einem schlüssigen Vortrag hinsichtlich einer einschlägigen Anspruchsgrundlage fehle. Zudem seien die Schadensbereiche durchaus deckungsgleich, es seien nach der Rechnung vom 30.08.2018 auch weitergehende Reparaturarbeiten getätigt worden (Kotflügel, Außenspiegel). Der Eintritt eines Versicherungsfalls sei indes streitig, die Beklagte nimmt auf ihren erstinstanzlichen Vortrag in Klageerwiderung und Duplik Bezug. Den Eintritt habe die Klägerin auch nicht durch den Zeugen … beweisen können, da er nicht glaubwürdig sei. Es sei widersprüchlich, dass alle Vorschäden nach Klägervortrag repariert worden seien, nun aber angefallene Reparaturkosten in Höhe von 4.700,00 EUR und 450,00 EUR geltend gemacht würden. Dieser Vortrag stehe ferner im Widerspruch zu den in der Schadensanzeige getätigten Angaben. Hier habe die Klägerin die Vorschäden arglistig verschwiegen. Hinsichtlich der Nachfragen der Beklagten in der Schadensanzeige treffe die Klägerseite eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht entsprochen habe. Im Bereich des Kühlergrills gehe es nicht um Lackierarbeiten, sodass der nunmehr – und damit als zu spät gerügt – benannte Zeuge und Lackiermeister B. die Reparaturarbeiten nicht vollständig habe ausführen können.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Schriftsätze vom 02.03.2020, BI. 136 ff. d. A., und vom 05.04.2020, BI. 177 ff. d. A., Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 511 Abs. 1 ZPO statthafte und gemäß §§ 511 Abs. 2, 517, 519, 520 ZPO zulässige Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das Amtsgericht nach vorläufiger Prüfung durch die Kammer zu Recht die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen hat.

Das Amtsgericht ist nach Ansicht der Kammer rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin den Anspruch nicht erfolgreich geltend machen kann. Die Klägerin kann unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Zahlung von 3.121,05 EUR beanspruchen, insbesondere nicht aus § 1 S. 1 VVG in Verbindung mit dem Kaskovertrag.

Das Amtsgericht ist nach vorläufiger Beratung der Kammer rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, dass der insoweit geltend gemachte Anspruch derzeit nicht fällig ist. Die Frage, ob der Anspruch überhaupt begründet ist, kann nach § 308 Abs. 1 ZPO wegen der Bindung auf die Antragstellung der Klägerin, dahinstehen. Auf die zutreffenden Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung wird Bezug genommen. Auch das Vorbringen in der Berufungsbegründung vermag eine abweichende Bewertung oder Beurteilung nicht zu rechtfertigen.

Das Berufungsgericht hat bei seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legen. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne der §§ 520 Abs. 3 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen, sind nicht ersichtlich. Konkrete Anhaltspunkte, die die Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem erstinstanzlichen Gericht bei der Feststellung des Sachverhaltes unterlaufen sind. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind, was der Fall ist, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, wenn sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, oder wenn das erstinstanzliche Gericht Tatsachenvortrag der Parteien übergangen bzw. von den Parteien nicht vorgetragene Tatsachen verwertet hat (BGH, Urteil vom 21.06.2016, Az. VI ZR 403/14 m.w.N.). Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben, jedoch ist das Berufungsgericht zu einer erneuten Tatsachenfeststellung nur verpflichtet, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird (BGH, Urteil vom 11.10.2016, Az. VIII ZR 300/15 m.w.N.).

Anhaltspunkte für entsprechende Fehler in der Beweiswürdigung des Amtsgerichts sind ebenso wenig ersichtlich, wie Rechtsfehler, die zu einer abweichenden Entscheidung führen würden.

Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch schon deshalb nicht erfolgreich geltend machen, da sie, vertreten durch den Zeugen …, gegenüber der Beklagten in der Schadensanzeige erhebliche Vorschäden nicht mitgeteilt hat. Auf die Frage, ob seit der Erstzulassung Schäden am PKW eingetreten seien, von denen die Klägerin Kenntnis gehabt habe, hat der Zeuge …für sie diese Frage verneint.

Daher ist die Beklagte nach vorläufiger Beratung der Kammer wegen vorsätzlicher und arglistiger Verletzung der vertraglichen Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers im Schadensfall nach Buchstabe E.2.1 S. 1 AKB i.V.m. E.1.1.3 AKB von ihrer Leistungspflicht gemäß §28 Abs. 2 S. 1 VVG in vollem Umfang frei geworden.

Der Versicherungsnehmer verliert nach § 28 Abs. 2 S. 1 VVG seinen Versicherungsschutz, wenn er eine von ihm zu erfüllende vertragliche Obliegenheit vorsätzlich verletzt. Wenn er die Obliegenheit arglistig verletzt, kommt es auf eine – in anderen Fällen sonst nach § 28 Abs. 3 S. 1 VVG maßgebliche – Ursächlichkeit der Obliegenheitsverletzung für den Versicherungsfall gemäß § 28 Abs. 3 S. 2 VVG nicht mehr an. Ein derartiger arglistiger Verstoß ist der Klägerin nach vorläufiger Beratung der Kammer vorliegend vorzuhalten. Nach E.1.1.3 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, die Fragen des Versicherers zu den Umständen des Schadenereignisses, zum Umfang des Schadens und zu der Leistungspflicht wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten.

Auf die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit wurde die Klägerin nach § 28 Abs. 4 VVG auch in der Mitteilung der Beklagten, unterzeichnet klägerseits am 14.10.2018, hingewiesen. Dagegen wurde durch die Klägerin in ihrer Schadensanzeige vom 14.10.2018 in objektiver Hinsicht verstoßen. Die Frage nach Vorschäden am Fahrzeug wurde dort umfassend gestellt: „Sind seit der Erstzulassung Schäden am Pkw eingetreten, von denen Sie Kenntnis haben?“ Der Zeuge … hat diese eindeutige und ersichtlich nicht auf bestimmte Vorschäden beschränkte Frage verneint. Diese Antwort war nach den tatsächlichen Umständen eindeutig unzutreffend. Das war dem Zeugen … als Wissensvertreter der Klägerin auch bekannt. Das Fahrzeug hatte erst ca. zwei Jahre vor dem streitigen Geschehen am 02.08.2018 im Jahr 2016 Vorschäden erlitten. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Dabei handelte es sich um einen erheblichen Vorschaden, der nach den gutachterlichen Feststellungen vom 30.08.2016 Reparaturkosten in Höhe von 3.560,61 EUR erforderte.

Soweit die Klägerin hierzu vorträgt, der Zeuge sei davon ausgegangen, die Frage habe sich nur auf von der Beklagten regulierte Vorschäden bezogen, für die die Klägerin bei der Bezirksdirektion der Beklagten Erkundigungen eingeholt habe, gibt es für diese Auslegung im vorgenannten Wortlaut der Frage auch unter Berücksichtigung der Wertung in der Laiensphäre keinen Anhaltspunkt. Der Wortlaut beschränkt die Vorschäden in keiner Weise auf regulierte oder nicht bei der Beklagten regulierte. Nach dem Zweck der Frage erscheint es – wollte man überhaupt eine hier nicht angelegte Beschränkung vornehmen – naheliegender, die Frage auf die nicht bei der Beklagten regulierten Vorschäden zu richten. Von den regulierten hat die Beklagte ohnehin im Regelfall Kenntnis.

Hinsichtlich der Vorschäden und ihrer Reparatur führte der Zeuge … in der mündlichen Verhandlung nach dem Protokoll vom 13.11.2019 hierzu aus: „Das Auto ist auch sach- und fachgerecht repariert worden. Die Reparatur hat ein guter Bekannter für uns erledigt. Als Gegenleistung durfte er damals seinen Geburtstag in unserer Gaststätte ausrichten.“ Angesichts der verhältnismäßig kurzen Zeitspanne von Vorschädigung bis zum aktuellen Schadensfall, der vorgenannten erheblichen, gutachterlich festgestellten Reparaturkosten und schließlich dem besonderen Umstand, dass als Gegenleistung für die Reparatur die Ausrichtung eines Geburtstags vereinbart worden sei, ist die sichere Kenntnis des Zeugen zum Zeitpunkt der Anzeige zu bejahen.

Wenn also der Zeuge … als Vertreter der Klägerin die Beklagte wider besseren Wissens nicht über die unstreitigen Vorschäden mit der Schadensanzeige in Kenntnis gesetzt hat, dann war dieses Verhalten auch arglistig im Sinne von § 28 Abs. 3 S. 2 VVG.

Arglist beinhaltet eine qualifizierte Form des Vorsatzes und erfordert zum einen zumindest bedingten Vorsatz bezüglich der Obliegenheitsverletzung und zudem mindestens Vorsatz bezüglich einer für den Versicherer nachteiligen Auswirkung dieser Verletzung, Langheid/Wandt/Wandt VVG § 28 Rn. 302. Voraussetzung ist, dass der Versicherungsnehmer „einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck“ verfolgt, BGH VersR 2013, 175, 176. Arglistiges Handeln setzt also über das bewusste Verletzen einer Obliegenheit hinaus voraus, dass der Versicherungsnehmer auf das Regulierungsverhalten des Versicherers zu seinen Gunsten Einfluss nehmen will, wobei hierfür genügt, Beweisschwierigkeiten vermeiden oder die Regulierung beschleunigen oder allgemein auf die Entscheidung des Versicherers Einfluss nehmen zu wollen, Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 30. AufL, 2018, § 28 Rn. 198; LG Essen, Urt. v. 19.03.2018 – 18 O 199/17, juris. Zwar besteht für diese innere Tatsache kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Falschangaben des Versicherungsnehmers in einem Fragebogen regelmäßig vorsätzlich oder arglistig erfolgen. Den Versicherer trifft insofern die Beweislast. Er wird den Beweis als Indizienbeweis antreten können. Für ein arglistiges Verhalten kann indiziell angeführt werden, wenn bei einem Fragebogen unzutreffende Angaben zu erheblichen Vorschäden gemacht werden (LG Essen, a.a.O).

Mit dem Verschweigen der gutachterlich festgestellten und unstreitigen erheblichen Vorschäden, bei denen zudem streitig ist, ob sie umfassend und sachgerecht behoben worden sind, hat der Zeuge… als Vertreter der Klägerin die Beklagte über den Wert der zu entschädigenden Sache zu täuschen versucht. Es musste ihm klar sein, dass die Beklagte ein offenkundiges und nachhaltiges Interesse daran hatte, über die erheblichen Vorschäden informiert zu werden. Diese beeinflussen die Höhe des Wiederbeschaffungswertes und damit den Entschädigungsanspruch gegenüber der Beklagten unmittelbar, OLG Naumburg, Urteil vom 16.02.2012, 4 U 32/11.

Soweit die Klägerin vorträgt, das Amtsgericht habe sie auf diese Wertung nach § 139 ZPO durch richterlichen Hinweis zwecks Vermeidung einer Überraschungsentscheidung hinweisen müssen, so ist dies nur dann erforderlich, wenn der Aspekt weder vom Gericht noch von den Parteien bisher angesprochen und damit Prozessstoff geworden ist. Die Beklagte hatte hingegen schon erstinstanzlich auf diesen Umstand ausdrücklich aufmerksam gemacht.

Die Beklagte ist aus diesem Grund nach vorläufiger Beratung der Kammer gegenüber der Klägerin leistungsfrei.

Es kann somit offenbleiben, ob der Versicherungsfall eingetreten ist. Es ist daher auch unerheblich, ob es sich diesbezüglich, wie in der Berufungsbegründung vorgetragen, um unstreitigen oder – wie nach vorläufiger Beratung der Kammer – streitigen Vortrag handelt.

Die Frage, ob der Zeuge … eine umfassende Reparatur vorgenommen hat und eine solche als Lackiermeister überhaupt vornehmen konnte, kann ferner ebenso dahinstehen wie die Frage, ob eine Deckungsgleichheit der Schäden besteht,-da eine Kausalität bei Arglist zwischen verschwiegenen Vorschäden und Entschädigungsanspruch nicht erforderlich ist.

Ferner sind keine berücksichtigungsfähige neuen Tatsachen im Sinne von Noven nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO ersichtlich, die eine neue Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht erfordern würden, BGH NJW 2007, 2414.

Zudem ist eine Verletzung des Anspruchs auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz nach Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG, der eine neue Sachverhaltsfeststellung erfordern würde, unter keinem Gesichtspunkt erkennbar, hierzu BVerfG NJW 2005, 657.

Schließlich ist auch kein Rechtsfehler des Amtsgerichts, der zu einer abweichenden Entscheidung führen würde, ersichtlich. Anhaltspunkte, dass das Amtsgericht die Tatsachengrundlage rechtsfehlerhaft erfasst habe, bestehen nicht. Das Berufungsgericht darf das Rechtsmittel darüber hinaus auch dann gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen, wenn es gegenüber der Vorinstanz zu einer anderen rechtlichen Beurteilung kommt, aber anhand der festgestellten Tatsachen bei eigener rechtlicher Würdigung die Überzeugung gewinnt, dass der Rechtsstreit in erster Instanz im Ergebnis zutreffend entschieden worden ist (vgl. OLG Hamm, NJW 2006, 71). Anhaltspunkte für eine abweichende Entscheidung bestehen nicht.

Das Urteil des Amtsgerichts ist folglich nicht zu beanstanden, so dass die Berufung nach Auffassung der Kammer keine Aussicht auf Erfolg hat. Es wird anheimgestellt, die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen. Die Kammer weist abschließend darauf hin, dass die Berufungsrücknahme vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß GKG KV 1222 S. 1 und 2 kostenrechtlich privilegiert ist; statt vier fallen nur zwei Gerichtsgebühren an (vgl. OLG Brandenburg, MDR 2009, 1363).

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