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Lebensversicherung – Voraussetzungen der sog. Selbsttötungsklausel

LG Saarbrücken –  Az.: 14 O 212/13 –  Urteil vom 23.12.2013

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Klägerin zur Last.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Streitwert: 150.000,- Euro (§ 3 ZPO, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG).

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung der Todesfalleistung aus einer Risikolebensversicherung in Anspruch.

Zwischen dem am 5. Juli 2012 (Bl. 3 GA) verstorbenen Ehemann der Klägerin (im Folgenden: Versicherungsnehmer) und der Beklagten bestand eine Risiko-Lebensversicherung – sog. „Hinterbliebenen-Absicherung“ (Versicherungsschein Nr. …, Anlage K2) nach dem Tarif CRC.64 (M), der u.a. die Allgemeinen Bedingungen für die Risikoversicherung (ALB, Anlage K3) zugrunde lagen. Ausweislich des Versicherungsscheins vom 5. Juli 2010 (Anlage K2) vereinbarten die Parteien folgende Konditionen:

– (materieller) Versicherungsbeginn: 1. Dezember 2010,

– Ablauf der Versicherung und der Beitragszahlung: 1. Dezember 2025,

– Versicherungssumme im Todesfall: 150.000,- Euro.

– Bezugsberechtigte Person bei Ableben der versicherten Person: der Ehepartner der versicherten Person.

Der Versicherungsnehmer hatte den Abschluss des Vertrages am 11. Juni 2010 beantragt (Anlage K1). Die Beklagte hatte den Versicherungsnehmer darauf hingewiesen, dass dieser bereits seit dem Antragseingang vorläufigen Versicherungsschutz gemäß den hierfür geltenden Bedingungen (Allgemeine Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung, LA 808) genieße.

§ 11 ALB lautet: „(1) Bei Selbsttötung vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss des Vertrags oder seit Wiederherstellung der Versicherung besteht Versicherungsschutz nur dann, wenn Sie uns nachweisen, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist. Andernfalls sind wir von der Verpflichtung zur Leistung frei. (2) Bei Selbsttötung nach Ablauf der Dreijahresfrist bleiben wir zur Leistung verpflichtet“.

Lebensversicherung - Voraussetzungen der sog. Selbsttötungsklausel
Symbolfoto: Von Minerva Studio /Shutterstock.com

Der Versicherungsnehmer ist am 5. Juli 2012 zwischen 13h31 und 14h04 durch Strangulation verstorben (Bl. 3 GA). Er wurde am 5. Juli 2012 gegen 14h00 in seiner Wohnung erhängt aufgefunden. Gegen 13h31 hatte der Versicherungsnehmer in einer an die Klägerin gerichteten SMS Suizidabsichten geäußert. Die Polizei fand einen an die Klägerin gerichteten Abschiedsbrief des Versicherungsnehmers vor. Auch an seinen Arbeitgeber hatte der Versicherungsnehmer einen Abschiedsbrief gerichtet. Ein staatsanwaltschaftliches Todesermittlungsverfahren – 111 UJs 5025/12 StA Stuttgart – wurde mangels Anhalt für ein Fremdverschulden eingestellt. Die auf Zahlung der Versicherungsleistung in Anspruch genommene Beklagte hat mit Schreiben vom 17. September 2012 (Anlage K5) ihre Eintrittspflicht abgelehnt.

Die Klägerin stellt in Abrede, dass eine vorsätzliche Selbsttötung des Versicherungsnehmers vorliege. Aus den Akten ergebe sich nur, dass der Verstorbene stranguliert und stehend aufgefunden worden sei, ohne dass dem zu entnehmen sei, wie es zu dem Tode gekommen sei. Es sei gut möglich, dass der Verstorbene, der schon seit längerer Zeit depressiv und diesbezüglich in Behandlung gewesen sei, sich gar nicht habe selbst töten wollen, sondern gehofft habe, aufgefunden zu werden. Für diese Überlegung sprächen insbesondere seine kurz vor dem Tode verfasste SMS an die Klägerin und der an seine Firma versandte Abschiedsbrief. Auch ein Fremdverschulden sei nicht ausgeschlossen.

Die Klägerin, die ihre Klage zunächst zum Landgericht in Stuttgart erhoben hatte, welches sodann den Rechtsstreit gemäß § 281 ZPO an das Landgericht Saarbrücken verwiesen hat, beantragt (Bl. 1,38 GA):

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 150.000,- Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. September 2012 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt (Bl. 10, 38 GA), die Klage abzuweisen.

Sie hält sich für leistungsfrei, da der Versicherungsnehmer sich binnen der in § 11 Abs. 1 ALB vereinbarten Drei-Jahres-Frist vorsätzlich selbst getötet habe, was sich aus den Umständen des vorliegenden Falles zwanglos erschließe.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Akten der Staatsanwaltschaft Stuttgart – Az. 111 UJs 5025/12 – waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Saarbrücken nunmehr zur Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit berufen. Zwar hatte die Klägerin als Bezugsberechtigte aus dem Versicherungsvertrag zu Recht unter Hinweis auf § 215 Abs. 1 VVG das Landgericht Stuttgart als örtlich zuständiges Gericht angerufen (OLG Köln, Beschl. v. 1. Juli 2011 – 8 AR 25/11, juris; OLG Oldenburg, NJW 2012, 2894; s. im Übrigen auch LG Stuttgart, VuR 2013, 310). Die Entscheidungsbefugnis des Landgerichts Saarbrücken folgt vorliegend aber aus dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Stuttgart vom 8. August 2013 (Bl. 24ff. GA), der sich nach seiner Begründung nicht als schlechthin willkürlich erweist und daher gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO Bindungswirkung entfaltet.

II.

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Die Klägerin, die die Beklagte als Bezugsberechtigte aus dem Versicherungsvertrag aus eigenem Recht in Anspruch nimmt, kann die Auszahlung der begehrten Versicherungsleistung nicht verlangen, weil die Beklagte gemäß § 11 Abs. 1 ALB wegen vorsätzlicher Selbsttötung des Versicherten vor Ablauf von drei Jahren seit Abschluss des Versicherungsvertrages leistungsfrei ist.

1.

§ 11 Abs. 1 ALB bestimmt, dass bei Selbsttötung vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss des Vertrages Versicherungsschutz nur dann besteht, wenn nachgewiesen ist, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist. Die Bestimmung enthält einen objektiven Risikoausschluss, der sich an § 161 VVG orientiert und dessen Wirksamkeit nach Maßgabe dieser Bestimmung außer Zweifel steht (vgl. BGH, Urt. v. 19. November 1985 – IVa ZR 40/84, VersR 1986, 231; Urt. v. 9. Dezember 1990 – IV ZR 13/09, VersR 1991, 289). Erkennbarer Sinn und Zweck der Regelung ist, den Versicherer davor zu schützen, dass ein Versicherter auf seine Kosten mit seinem Leben spekuliert (BGH, Urt. v. 8. Mai 1954 – II ZR 20/53, BGHZ 13, 226; Saarl. OLG, Urt. v. 30. Mai 2007 – 5 U 704/06-89, VersR 2008, 57; Schneider, in: Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., § 161 Rn. 1). Dabei macht die Bestimmung von dem Grundsatz, dass die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles nicht unter das versicherte Risiko fällt, für den Bereich der Lebensversicherung eine Ausnahme zugunsten des Versicherungsnehmers: Sie greift nur ein, wenn die vorsätzliche Selbsttötung binnen drei Jahren seit dem Abschuss des Versicherungsvertrages erfolgt ist.

2.

Die Voraussetzungen dieses Risikoausschlusses sind im Streitfalle gegeben. Die versicherte Person – hier: der Versicherungsnehmer – hat sich vorsätzlich selbst getötet, und die Selbsttötung ist auch innerhalb des in § 11 Abs. 1 ALB genannten Drei-Jahres-Zeitraumes seit Zahlung des Einlösungsbeitrages erfolgt.

a)

Der Versicherungsnehmer ist – unstreitig – am 5. Juli 2012, zwei Jahre nach Abschluss des Vertrages und damit binnen der in § 11 Abs. 1 ALB genannten Frist zu Tode gekommen.

b)

Dem lag auch eine vorsätzliche Selbsttötung des Versicherungsnehmers zugrunde:

aa)

Vorsätzliche Selbsttötung im Sinne der § 11 Abs. 1 ALB, § 161 Abs. 1 VVG ist jede Handlung des zivilrechtlich verantwortlichen Versicherten, die in der Absicht ausgeführt wird, sich den Tod zu geben (vgl. BGH, Urt. v. 5. Dezember 1990 – IV ZR 13/09, VersR 1991, 289; Schneider, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 161 Rn. 3). Da die Bestimmung einen Risikoausschluss enthält, nämlich ein an sich versichertes Handeln vom Versicherungsschutz ausnimmt, sind deren Voraussetzungen nach allgemeinen Grundsätzen vom Versicherer zu beweisen (BGH, Urt. v. 18. März 1987 – IVa ZR 205/85, BGHZ 100, 214 = VersR 1987, 503; Urt. v. 6. Mai 1992 – IV ZR 99/91, VersR 1992, 861). Für diesen Beweis gilt der Maßstab des § 286 ZPO; danach muss das Gericht vom Vorliegen einer freiwilligen Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer überzeugt sein. Das erfordert keine unumstößliche Gewissheit, vielmehr genügt hierzu ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urt. v. 18. März 1987 – IVa ZR 205/85, BGHZ 100, 214). Das Gericht hat deshalb unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob die Behauptung des Versicherers für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Der Nachweis kann, da ein direkter Beweis für den (inneren) Willen des Versicherungsnehmers regelmäßig nicht vorliegen wird, auch durch Indizien erfolgen, die auf eine entsprechende Gesinnung schließen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 1987 – IVa ZR 196/85, VersR 1987, 1007; Saarl. OLG, Urt. v. 30. Mai 2007 – 5 U 704/06-89, VersR 2008, 57; Schneider, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 161 Rn. 17). Hiervon wird man im Allgemeinen dann ausgehen können, wenn sich nachvollziehbare Erklärungen für einen unfreiwilligen Hergang des Geschehens nicht finden lassen (vgl. OLG Oldenburg, VersR 1991, 985; Römer, in: Römer/Langheid, VVG 3. Aufl., § 161 Rn. 17; s. auch OLG Koblenz, VersR 2008, 67; OLG Hamm, VersR 2012, 1549, jew. zur Unfallversicherung). Dagegen kommt ein Rückgriff auf den sog. Anscheinsbeweis nicht in Betracht. Dieser ist nur dann möglich, wenn im Einzelfall ein typischer Geschehensablauf vorliegt, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und so sehr das Gepräge des gewöhnlichen und Üblichen trägt, dass die besonderen individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktreten, woran es bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles durch Selbsttötung jedoch im Allgemeinen fehlen wird (vgl. BGH, Urt. v. 18. März 1987 – IVa ZR 205/85, BGHZ 100, 214).

bb)

Im vorliegenden Fall bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Versicherungsnehmer seinen Tod bewusst vorsätzlich herbeigeführt hat. Unter Berücksichtigung aller maßgebliche Umstände (§ 286 ZPO) besteht für diese Annahme ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, während die Behauptung der Klägerin, ihr Ehemann sei nicht durch vorsätzliche Selbsttötung ums Leben gekommen, eine rein theoretische Möglichkeit darstellt, für die der Fall keine Anhaltspunkte bietet:

(1)

Wesentliches Indiz für die Annahme, der Versicherungsnehmer habe Selbstmord begangen, ist zunächst das Vorliegen entsprechender Bekundungen. Der Versicherungsnehmer hat seine Absicht, sich selbst zu töten, unmittelbar vor der Tat angekündigt. Um 13h31 hatte er an seine Ehefrau eine SMS-Nachrichte gerichtet, in der er entsprechende Suizidabsichten geäußert hat; bereits um 14h04 wurde er von der Polizei tot in seiner Wohnung aufgefunden (polizeilicher Ermittlungsbericht, Bl. 1ff. EA). Außerdem aber hat der Versicherungsnehmer mehrere Abschiedsbriefe hinterlassen, so insbesondere an seine Ehefrau und an seinen Arbeitgeber. Auch dies streitet ganz erheblich für die Annahme eines auf Selbsttötung gerichteten Willens (vgl. OLG Köln, VersR 1992, 562; OLG Stuttgart, VersR 2000, 170; OLG Hamm, NJW-RR 2000, 405). Der Versicherungsnehmer hat dadurch nämlich zum Ausdruck gebracht, dass er seine Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, sorgfältig reflektiert und bewusst getroffen hat (OLG Hamm, a.a.O.). Sein Bedürfnis, sich gegenüber einzelnen, ihm nahe stehenden oder sonst bedeutenden Personen letztmalig schriftlich zu äußern, hat er überdies dadurch bekräftigt, dass er in der an seine Ehefrau gerichteten SMS ausdrücklich auf den in ihrer Wohnung hinterlegten Abschiedsbrief hingewiesen hat. Schon vor diesem Hintergrund kann an dem Willen, sich selbst töten zu wollen, hier kein durchgreifender Zweifel bestehen.

(2)

Auch die objektiven Umstände des Todes deuten auf eine Freitötung des Versicherungsnehmers hin. Der Versicherungsnehmer wurde ausweislich der Ermittlungsakten von der Polizei in seiner verschlossenen Wohnung in stehender Weise erhängt aufgefunden. Er ist damit in einer für Selbsttötungshandlungen typischen Art und Weise zu Tode gekommen (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2003, 1388; OLG Hamm, NJW-RR 2000, 405). Anhaltspunkte, die auf ein Fremdverschulden hindeuten, wurden von den ermittelnden Beamten nicht festgestellt. Das Todesermittlungsverfahren – 111 UJs 5025/12 StA Stuttgart – wurde dementsprechend mangels jeglichen Anhaltes für ein Fremdverschulden eingestellt. Bei einer solchen Sachlage – Erhängen ohne Fremdeinwirkung – liegen so eindeutige Todesumstände vor, dass sich in aller Regel der Schluss auf eine Selbsttötung aufdrängt (OLG Hamm, RuS 1993, 75; vgl. BGH, Urt. v. 18. März 1987 – IVa ZR 205/85, BGHZ 100, 214). Anhaltspunkte dafür, dass dies hier ausnahmsweise anders gewesen sein könnte, sind nicht ersichtlich. Sie werden im Übrigen auch von der Klägerin nicht aufgezeigt.

(3)

Darüber hinaus ist auch ein nachvollziehbares Motiv für die Selbsttötung vorhanden. Der Versicherungsnehmer lebte seit Januar 2012 von der Klägerin getrennt. Aus der Klageschrift und den Angaben der Klägerin sowie des Zeugen … im Ermittlungsverfahren (Bl. 5, 14 EA) folgt weiter, dass die beiden Kinder des Versicherungsnehmers seit der Trennung bei ihrer Mutter leben und dass der Versicherungsnehmer seitdem psychisch angeschlagen und aufgrund dieser Probleme in psychiatrischer Behandlung war. Auch hat die Klägerin gegenüber dem ermittelnden Beamten angegeben, dass sich ein Bruder des Versicherungsnehmers bereits fünf Jahre zuvor erhängt habe (Bl. 5 EA). Bei dieser Sachlage bestand für den Versicherungsnehmer ein sehr starkes, nachfühlbares Motiv, sich nunmehr ebenfalls selbst zu töten.

(4)

Plausible Umstände, die eine vorsätzliche Selbsttötung durch den Versicherungsnehmer in Frage stellen könnten, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Dass sich aus den Ermittlungsakten, von der objektiven Auffindesituation der Leiche abgesehen, nichts zu möglichen anderen Todesursachen ergibt, spricht – entgegen der Klägerin – nicht gegen die Annahme des Freitodes sondern zeigt vielmehr, dass die in Todesermittlungen erfahrenen Behörden keine Anhaltspunkte für ein unfreiwilliges Ausscheiden des Versicherungsnehmers aus dem Leben hatten. Soweit die Klägerin anführt, ein Fremdverschulden sei „nicht ausgeschlossen“, handelt es sich hier in Ermangelung konkreter Anhaltspunkte um eine bloße, durch nichts belegte Spekulation. Schließlich spricht insbesondere vor dem Hintergrund der vom Versicherungsnehmer hinterlassenen SMS und Abschiedsbriefe auch nichts für die Annahme, der Versicherungsnehmer habe sich nicht habe selbst töten wollen, sondern gehofft, rechtzeitig aufgefunden zu werden (so die Klägerin Bl. 4f. GA). Bereits der zeitliche Ablauf – die SMS an die Klägerin wurde um 13h31 versandt, bei Auffinden um 14h04 hatte der Versicherungsnehmer bereits Selbstmord begangen – zeigt, dass der Versicherungsnehmer seine Absicht erst in letzter Minute kundgetan hat, mithin ersichtlich davon ausging, von seinem Vorhaben nicht mehr abgebracht werden zu können; entsprechendes gilt für das Hinterlegen des erst später aufgefundenen Abschiedsbriefes. Indem der Versicherungsnehmer sich unmittelbar nach dem Absetzen der SMS erhängte und strangulierte, hatte er in der Absicht, eine tödliche Gesundheitsschädigung zu erleiden, eine Kausalkette in Lauf gesetzt, die für seinen Tod ursächlich war und der er auch unter Absetzen eines „Hilferufes“ per Brief oder SMS unter gewöhnlichen Umständen nicht mehr entkommen konnte. In einem solchen Fall erscheint der gemäß § 11 Abs. 1 ALB, § 161 Abs. 1 VVG erforderliche Tötungsvorsatz nicht zweifelhaft, zumal vorliegend auch nicht ersichtlich ist, dass der Versicherungsnehmer – unter Umständen vergeblich – Anstalten gemacht hätte, der von ihm gesetzten Todesursache auszuweichen (vgl. KG, VersR 2001, 1416).

cc)

Anhaltspunkte dafür, dass der Versicherungsnehmer die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen deshalb nicht vorsätzlich gehandelt haben könnte, werden von der Klägerin nicht aufgezeigt und sind auch nicht ersichtlich. Dafür genügt insbesondere nicht, dass der Versicherungsnehmer seit der Trennung psychiatrisch angeschlagen und deshalb in ärztlicher Behandlung war. Da die freie Willensbestimmung der Regelfall und ihr Fehlen die Ausnahme ist, erfordert der vom Anspruchssteller zu erbringende Nachweis einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB; vgl. BGH, Urt. v. 13. Oktober 1993 – IV ZR 220/92, VersR 1994, 162) vorab die Darlegung eines Mindestmaßes an Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die Voraussetzungen des § 161 Abs. 1 Satz 2 VVG im Zeitpunkt der Tat bei dem Versicherten vorlagen (BGH, Urt. v. 5. Februar 1997 – IV ZR 79/96, VersR 1997, 687; Saarl. OLG, Urt. v. 18. April 2012 – 5 U 293/11-41, ZfS 2013, 100; OLG Koblenz, VersR 2001, 445; s. ferner BGH, Urt. v. 18. November 2008 – XI ZR 157/07, juris). Daran fehlt es hier schon im Ansatz. Überdies ist der nach § 286 ZPO zu führende Nachweis einer fehlenden freien Willensbestimmung solange nicht geführt, wie noch ein nachfühlbares Motiv, insbes. ein sog. „Bilanzselbstmord“, nicht auszuschließen ist (vgl. Saarl. OLG, a.a.O.; ferner OLG Nürnberg, VersR 1994, 295; OLG Stuttgart VersR 1989, 794; VersR 2000, 170; OLG Karlsruhe, VersR 2003, 977). Für ein solches rationales Handeln spricht vorliegend jedoch bereits der Umstand, dass der Versicherungsnehmer durch das gezielte Absenden einer seine Absichten ankündigenden SMS sowie das Hinterlassen mehrerer Abschiedsbriefe für sein Umfeld erkennbar dokumentiert hat, dass er nach reiflicher Überlegung bewusst aus dem Leben zu scheiden beabsichtigte (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2000, 405; Saarl. OLG, a.a.O.).

3.

Steht nach alldem jedoch fest, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Risikoausschlusses aus § 11 Abs. 1 ALB im Streitfalle vorliegen, weil der Versicherungsnehmer sich vorsätzlich selbst getötet hat, so kommt eine Leistungspflicht der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag nicht in Betracht und war die darauf gerichtete Klage insgesamt abzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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