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Lebensversicherung – Nachweis einer Selbsttötung – Suizid

LG Hamm – Az.: I-20 U 27/16 – Urteil vom 27.09.2017

Die Berufung der Klägerin gegen das am 19.01.2016 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts … wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 199.000,00 EUR aus einer Lebensversicherung ihres verstorbenen Ehemannes.

Der Versicherungsnehmer schloss bei der Beklagten u.a. eine Risikolebensversicherung ab. Ausweislich des Versicherungsscheins vom 10.11.2010 begann die Versicherung zum 01.12.2010. Der Versicherungsnehmer und die Beklagte vereinbarten für den Todesfall eine Versicherungsleistung in Höhe von 199.000,00 EUR; sie bezogen zudem die Allgemeinen Bedingungen für die Risikoversicherung (im Folgenden: ALB) in den Vertrag ein. Begünstigter des Versicherungsvertrages war der zum Zeitpunkt des Todes mit dem Versicherungsnehmer in gültiger Ehe lebende Ehepartner. Nach § 6 Abs. 2 ALB besteht bei vorsätzlicher Selbsttötung des Versicherungsnehmers vor Ablauf der Dreijahresfrist seit Abschluss des Versicherungsvertrages nur dann Versicherungsschutz, wenn nachgewiesen wird, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Versicherungsscheine vom 10.11.2010 und vom 10.11.2012 einschließlich der Versicherungsbedingungen Bezug genommen.

Am 03.07.2013 verwies die Polizei den Versicherungsnehmer aus der ehelichen Wohnung, nachdem er eine gefüllte PET-Wasserflasche in Richtung der Klägerin geworfen und diese am Hals getroffen hatte. Am 06.07.2013 fuhr der Versicherungsnehmer in betrunkenen Zustand mit seinem Fahrzeug und geriet in eine Polizeikontrolle. Mit am 12.02.2013 erlassenen Beschluss wies das Amtsgericht – Familiengericht – C der Klägerin die eheliche Wohnung für die Dauer des Getrenntlebens zu. Es gab dem Versicherungsnehmer auf, die Wohnung zu verlassen und untersagte ihm, diese ohne Zustimmung der Klägerin zu betreten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Familiengerichts Bezug genommen (Aktenzeichen: AG C, 7 F 285/13). In der Folgezeit bezog der Versicherungsnehmer eine eigene Wohnung.

Der Versicherungsnehmer verstarb am 09.09.2013. Die von der Klägerin benachrichtigten Polizeibeamten fanden den Versicherungsnehmer tot auf. Bei Eintreffen der Polizei hing der Versicherungsnehmer, stranguliert mittels eines geflochtenen Seils, an einem Deckenhaken des Balkons im 1. Obergeschoss seiner Wohnung. Den Tod des Versicherungsnehmers stellte die Zeugin Dr. F als Notärztin fest. Die Ermittlungen vor Ort leitete der Zeuge D.

Mit ihrer Klageschrift vom 02.12.2014 hat die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von 199.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.09.2013 begehrt. Sie hat bestritten, dass sich der Versicherungsnehmer vorsätzlich selbst getötet hat. Sie hat ferner die Ansicht vertreten, dass die von der Polizei und der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Ermittlungen nicht ausgereicht hätten, um mit hinreichender Sicherheit eine vorsätzliche Selbsttötung des Versicherungsnehmers zu belegen. Sie hat ferner behauptet, dass der Versicherungsnehmer an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit gelitten habe. Wegen der erheblichen Alkoholisierung des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt der Tat und wegen einer schweren Depression sei die freie Willensbestimmung zur Zeit der Tat ausgeschlossen gewesen.

Die Beklagte hat behauptet, dass sich der Versicherungsnehmer vorsätzlich selbst getötet habe; es gebe keinen Anhaltspunkt für ein Fremdverschulden. Sie bestreitet, dass sich der Versicherungsnehmer bei der Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden habe.

Das Landgericht hat die Klage nach der Vernehmung der Zeugen Dr. F und D abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus der Risikolebensversicherung, weil die Leistungspflicht der Beklagten nach §§ 6 Abs. 2 ALB, 161 Abs. 1 S. 1 VVG ausgeschlossen sei. Der Tod des Versicherungsnehmers sei vor Ablauf von drei Jahren seit dem Vertragsschluss eingetreten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass sich der Versicherungsnehmer vorsätzlich selbst getötet habe. Andere Möglichkeiten als eine Selbsttötung seien rein theoretischer Natur. Es fehle auch an einem Motiv für das Vortäuschen eines Suizids. Etwaige Fehler bei der Leichenschau und ggfls. unterlassene Ermittlungen seien für die Einschätzung als Suizid unbedeutend. Eine etwaige Alkoholisierung des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt der Tat schließe eine vorsätzliche Selbsttötung nicht aus. Eine erhebliche Störung der Willensbestimmung des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt des Suizids habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Dies gelte sowohl für den Missbrauch von Alkohol als auch für das Vorliegen eines depressiven Zustands zum Sterbezeitpunkt. Von der Einholung eines Sachverständigengutachtens könne abgesehen werden. Dieses Beweismittel sei ungeeignet, nachträglich die Alkoholmenge oder den Erkrankungszustand des Versicherungsnehmers zu klären.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz einschließlich der erstinstanzlichen Anträge sowie der Einzelheiten des Tenors und der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie macht insbesondere geltend:

Einen Suizid des Versicherungsnehmers habe die Beklagte nicht ausreichend dargelegt und bewiesen. Das Landgericht stelle lediglich auf die Auffindesituation ab.

Die von dem Landgericht angenommenen Fehler bei der Leichenschau, die unstreitig unterlassenen Ermittlungsmöglichkeiten und die Fehler bei der Dokumentation hätten bei dem Landgericht Zweifel am Suizid wecken können. Dabei habe das Landgericht nicht einmal sämtliche von der Klägerin aufgeworfenen Fragen und Ungereimtheiten zu der vorgefundenen Situation in der Wohnung berücksichtigt. Die von ihr, der Klägerin, aufgeworfenen Fragen sprächen eher für eine Fremdeinwirkung als für eine Selbsttötung. Die von der Zeugin Dr. F vorgenommene Leichenschau sei nicht lege artis durchgeführt worden sei, insbesondere oberflächlich erfolgt und weise zudem Widersprüche und Ungereimtheiten auf. Dies habe auch die Vernehmung der Zeugin Dr. F ergeben. Auch nach den Bekundungen des Zeugen D sei ein Suizid nicht bewiesen. Auch dieser habe die Leiche nur oberflächlich und offensichtlich nur von vorne untersucht. Beide Zeugen hätten die exakte Bestimmung des Todeszeitpunkts unterlassen. Dies gelte auch für die Bestimmung des Alkoholgehalts im Körper des Versicherungsnehmers. Weder die Ermittlungen der aufnehmenden Polizeibeamten noch die Leichenschau seien daher geeignet, einen sicheren Schluss auf den Suizid des Versicherungsnehmers ziehen zu können. Es seien auch andere Todesarten denkbar wie der Tod durch die Einwirkung von Gift.

Jedenfalls könne von einem vorsätzlichen Suizid nicht ausgegangen werden. Es sei davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer eine Flasche Wacholder und eine Dose Bitburger Pils getrunken habe und sein Alkoholisierungsgrad so gewesen sei, dass er eine Selbsttötung durch Erhängen nicht mehr habe ausführen können. Der Versicherungsnehmer habe sich alkoholbedingt in einem den Vorsatz ausschließenden Zustand befunden. Den Beweisantritten – Einholung eines Sachverständigengutachtens – sei das Landgericht nicht nachgegangen, obwohl auch die Zeugin Dr. F in der Todesbescheinigung „Alkoholkonsum“ angegeben habe.

Tatsächlich sei der Versicherungsnehmer auch in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit gewesen. Zum einen sei angesichts der leeren Wacholderflasche sowie der leeren Bierdose von einer Blutalkoholkonzentration von ca. drei Promille auszugehen. Zum anderen habe sich bei dem Versicherungsnehmer spätestens ab dem Beginn des Jahres 2013 eine Verhaltens- und Wesensänderung eingestellt. Bis dahin sei der Versicherungsnehmer ein positiver und lebensbejahender Mensch gewesen. In der Folgezeit habe der Versicherungsnehmer an der Familie und seinen Freunden immer weniger Interesse gezeigt. Häufig sei er grübelnd und abwesend angetroffen worden. Der Versicherungsnehmer sei zudem grundlos immer aggressiver geworden. Seine Aggressivität habe sich nicht nur gegen seine Familie, sondern im Laufe der Zeit auch gegen seine Freunde gerichtet. Er sei zum Teil ausfallend und beleidigend geworden. Dabei habe es auch Stimmungsschwankungen gegeben. Er habe zudem vermehrt Alkohol getrunken. Zuletzt sei es auch zu körperlichen Übergriffen gegenüber der Klägerin gekommen.

Allerdings habe die Familie den Versicherungsnehmer noch nicht aufgegeben gehabt; umso verwunderter sei man von seinem dem plötzlichen Tod gewesen.

Mit Schriftsatz vom 12.03.2017 hat die Klägerin ergänzend bestritten, dass sich der Versicherungsnehmer habe töten wollen. Möglicherweise habe der Versicherungsnehmer nur auf sich aufmerksam machen wollen. Dann handele sich bei dem Eintritt des Todes letztlich um einen Unfall.

Die Klägerin beantragt, in Abänderung des am 19.01.2016 verkündeten Urteils des Landgerichts … die Beklagte zu verurteilen, an sie 199.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.09.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor:

Die Zeugen Dr. F und D hätten in erster Instanz bestätigt, dass eine Fremdeinwirkung für den Tod des Versicherungsnehmers nicht erkennbar gewesen sei. Der Zeuge D habe überdies bestätigt, dass es bei der Leichenschau keinerlei Anhaltspunkte für Verletzungen gegeben habe. Die Klägerin ihrerseits habe über eine andere Todesursache lediglich spekuliert. Zu den von der Klägerin angeführten Ermittlungsfehlern und offenen Fragen fehle der Vortrag, welche Erkenntnisse man im Falle von korrekten Ermittlungen oder bei Klärung der Fragen hätte gewinnen können. Letztlich habe es an dem Suizid des Versicherungsnehmers vor Ort keinen Zweifel gegeben.

Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Klägerin eine Versöhnung mit dem Versicherungsnehmer angestrebt habe. Mit diesem Vortrag sei die Klägerin ohnedies präkludiert. Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass sich der Versicherungsnehmer am 09.09.2013 in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in dieser Instanz wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akte der Staatsanwaltschaft Y (Aktenzeichen: 446 UJs 1578/13 A) ist beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, durch die mündliche Erläuterung des schriftlichen Gutachtens im Senatstermin vom 27.09.2017 und durch die Vernehmung der Zeugen Z1 und Dr. Z2. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. SV vom 26.01.2017, auf das Protokoll des Senatstermins vom 27.09.2017 und auf den Berichterstattervermerk vom 27.09.2017 Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der Versicherungsleistung nebst Zinsen hat. Denn ein Anspruch der Klägerin ist nach § 6 Abs. 1, 2 ALB ausgeschlossen.

1. Nach § 6 Abs. 1 ALB hat der Versicherer bei einer vorsätzlichen Selbsttötung der versicherten Person nur dann zu leisten, wenn seit dem Abschluss des Versicherungsvertrages drei Jahre vergangen sind. Bei vorsätzlicher Selbsttötung vor Ablauf der Dreijahresfrist besteht Versicherungsschutz gemäß § 6 Abs. 2 ALB nur dann, wenn dem Versicherer nachgewiesen wird, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist.

Die vorstehende Bestimmung enthält einen objektiven Risikoausschluss, der sich an § 161 VVG orientiert und dessen Wirksamkeit außer Zweifel steht (vgl. BGH, Urteil vom 09. Dezember 1990 – IV ZR 13/90 -, VersR 1991, 289 ff., bei juris Langtext Rn. 20, 24; BGH, Urteil vom 19. November 1985 – IVa ZR 40/84 -, VersR 1986, 231 f., bei juris Langtext Rn. 22).

2. Die Voraussetzungen des Risikoausschlusses liegen hier vor. Aufgrund der unstreitigen Tatsachen und aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme in erster (und zweiter) Instanz steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass sich der Versicherungsnehmer – innerhalb der Frist von drei Jahren nach Vertragsschluss – vorsätzlich selbst getötet hat. Es ist ferner nicht bewiesen, dass der Versicherungsnehmer die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat.

a) Der Versicherungsnehmer hat sich am 09.09.2013 innerhalb der Frist von 3 Jahren nach dem Abschluss des Versicherungsvertrages vorsätzlich selbst getötet.

aa) Der Versicherungsnehmer wurde am 09.09.2013 in seiner Wohnung tot aufgefunden. Der Todeszeitpunkt liegt innerhalb der Frist des § 6 Abs. 1 ALB von drei Jahren nach dem Vertragsschluss. Denn der Versicherungsvertrag ist mit Versicherungsbeginn zum 01.12.2010 mit der Übersendung des Versicherungsscheins vom 10.11.2010 zustande gekommen.

bb) Der Versicherungsnehmer hat sich auch vorsätzlich getötet.

(1) Vorsätzliche Selbsttötung im Sinne der § 6 Abs. 1 ALB, § 161 VVG ist jede Handlung des zivilrechtlich verantwortlichen Versicherungsnehmers, die in der Absicht ausgeführt wird, sich den Tod zu geben (vgl. Schneider, in: Prölss/Martin, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 29. Aufl. 2015, § 161 VVG Rn. 3 m.w.N.).

Erforderlich ist ein vorsätzliches, auf die Herbeiführung des Todes gerichtetes Handeln (§ 6 Abs. 2 ALB; vgl. auch: BGH, Urteil vom 09. Dezember 1990 – IV ZR 13/90 -, VersR 1991, 289 ff., bei juris Langtext Rn. 20). Grobe Fahrlässigkeit genügt nicht. Will jemand nicht sterben, sondern von Dritten an der Ausführung gehindert oder gerettet werden, so liegt nur bewusst fahrlässiges Handeln vor (vgl. Senat, Urteil vom 09. Dezember 1988 – 20 U 89/88 -, VersR 1989, 690, bei juris Langtext Rn. 31). Gleiches gilt bei einer bloßen Selbsttötungsdemonstration (vgl. Senat, Urteil vom 15. September 1999 – 20 U 64/99 -, NJW-RR 2000, 405 f., bei juris Langtext Rn. 9 f.).

Da die Bestimmung einen Risikoausschluss enthält, weil ein an sich versichertes Handeln vom Versicherungsschutz ausgenommen ist, sind deren Voraussetzungen nach den allgemeinen Grundsätzen vom Versicherer zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 06. Mai 1992 – IV ZR 99/91, VersR 1992, 861 f., bei juris Langtext Rn. 9 m.w.N.; LG Saarbrücken, Urteil vom 23. Dezember 2013 – 14 O 212/13 -, bei juris Langtext Rn. 22). Für diesen Beweis gilt der Maßstab des § 286 ZPO; danach muss das Gericht von dem Vorliegen einer freiwilligen Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer überzeugt sein. Erforderlich hierfür ist keine unumstößliche Gewissheit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. zum Beweismaß: BGH, Urteil vom 01. Dezember 2016 – I ZR 128/15 -, MDR 2017, 582 ff., bei juris Langtext Rn. 27; BGH, Urteil vom 18. Juni 1998 – IX ZR 311/95 -, NJW 1998, 2969 ff., bei juris Langtext Rn. 29; Senat, Urteil vom 12. Mai 2017 – 20 U 197/16 -, bei juris Langtext Rn. 36; Foerste, in: Musielak/Voit, Kommentar zur ZPO, 12. Auflage 2015, § 286 ZPO Rn. 19). Das Gericht hat deshalb unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob die Behauptung des Versicherers für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Der Nachweis kann, da ein direkter Beweis für den (inneren) Willen des Versicherungsnehmers regelmäßig nicht vorliegen wird, auch durch Indizien erfolgen, die auf eine entsprechende Gesinnung schließen lassen (vgl. zum Vorstehenden: BGH, Urteil vom 18. Februar 1987 – IVa ZR 196/85, VersR 1987, 1007, bei juris Langtext Rn. 6 ff.; OLG Saarbrücken, Urteil vom 30. Mai 2007 – 5 U 704/06 -, VersR 2008, 57 ff., bei juris Langtext Rn. 37 ff.; Schneider, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 161 Rn. 17).

(2) Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass sich der Versicherungsnehmer vorsätzlich getötet hat. Das Landgericht hat zutreffend und mit überzeugender Begründung ausgeführt, dass hier keine durchgreifenden Zweifel daran bestehen, dass der Versicherungsnehmer seinen Tod vorsätzlich herbeigeführt hat. Die von dem Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung ist in sich schlüssig, nachvollziehbar, frei von Denkfehlern und überzeugend. Die gegen die Feststellung des Landgerichts gerichteten Angriffe der Berufung greifen nicht durch.

Die objektiven Umstände des Todes sprechen eindeutig für eine Selbsttötung. Der Versicherungsnehmer wurde ausweislich der Ermittlungsakten auf dem Balkon seiner verschlossenen Wohnung erhängt aufgefunden. Anhaltspunkte, die auf ein Fremdverschulden hindeuten, liegen nicht vor. Nach den Bekundungen der Zeugen D und Dr. F im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung vor dem Landgericht gab es weder Anzeichen für ein Eindringen dritter Personen in die Wohnung noch – ausweislich der Leichenbeschreibung – Anzeichen für eine wie auch immer geartete Einwirkung auf den Versicherungsnehmer. Für die Zeugen Dr. F und D war der Suizid so eindeutig, dass sowohl auf eine Obduktion als auch auf weitere umfangreiche polizeiliche Ermittlungen verzichtet worden ist.

Die Auffindesituation des Versicherungsnehmers in fast stehender Weise ist für einen Suizid durch Erhängen typisch. Dies ergibt sich aus den von der Klägerin mit Schriftsatz vom 20.09.2017 vorgelegten Kopien aus dem Fachbuch „Grassberger/Schmidt, Todesermittlung, Befundaufnahme und Spurensicherung, 2. Auflage 2014“. Danach ist eine Strangulation auch bei Kontakt der Füße mit dem Boden möglich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die mit dem genannten Schriftsatz überreichten Anlagen, insbesondere auf die Ausführungen auf S. 127 f. des Fachbuchs (Bl. 474 f. der Gerichtsakten) verwiesen.

Etwaige Nachlässigkeiten bei der Untersuchung des Toten oder bei der Aufklärung des gesamten Sachverhalts sind nicht geeignet, eine andere Todesursache ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Vielmehr sprechen die von der Klägerin im Senatstermin nochmals dargelegten Probleme in ihrer Ehe mit dem Versicherungsnehmer und die persönliche Entwicklung des Versicherungsnehmers ab dem Frühjahr 2013 zusätzlich für eine Selbsttötung.

Der Versicherungsnehmer war wegen häuslicher Gewalt der Ehewohnung verwiesen worden und lebte seit Juli 2013 von der Klägerin getrennt. Das Familiengericht in C hatte die Ehewohnung der Klägerin für die Zeit des Getrenntlebens zugewiesen. Der Beschluss des Familiengerichts lag am Tattag in der Wohnung des Versicherungsnehmers auf seinem Schreibtisch. Nach den Angaben des Zeugen Dr. Z2 war der Versicherungsnehmer beruflich stark eingespannt, weil er nicht nur in seiner Praxis gearbeitet, sondern zusätzlich noch häufige Bereitschaftsdienste im Krankenhaus nach 16:00 Uhr und an den Wochenenden geleistet hat. Nach den Bekundungen des Zeugen will der Versicherungsnehmer dies aus finanziellen Gründen gemacht haben. Der Versicherungsnehmer hat nach der Darstellung der Klägerin im Senatstermin unter der Trennung gelitten und teilweise depressive Phasen durchgemacht. Sie hatte das Gefühl, dass dem Versicherungsnehmer die Verantwortung für das Haus, für die Familie, für die Kinder und für die Praxis zu viel geworden sein könnte. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass der Versicherungsnehmer am 06.07.2013 in alkoholisiertem Zustand Auto gefahren und von der Polizei kontrolliert worden ist. Insgesamt musste sich der Versicherungsnehmer damit neben dem Scheitern seiner Ehe auf weitere Schwierigkeiten einstellen. Der publik gewordene erhebliche Alkoholkonsum hätte auch Auswirkungen auf seine Berufstätigkeit als Arzt haben können.

Die Klägerin hat bestätigt, dass der Versicherungsnehmer unter der Trennung sehr gelitten und insbesondere seine Töchter vermisst hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat ist auch nicht zweifelhaft, dass der Versicherungsnehmer jedenfalls eine depressive Phase durchgemacht hat. Die erheblichen persönlichen Probleme des Versicherungsnehmers lassen danach nur den Schluss zu, dass dieser seinem Leben bewusst ein Ende gesetzt hat. Es ist nachvollziehbar, dass die Ermittlungsbehörden, denen die persönliche Situation des Versicherungsnehmers durch die Klägerin geschildert worden war, die Ermittlungen eingestellt haben, nachdem kein Anhaltspunkt für ein Fremdverschulden ersichtlich war.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Tötung durch einen Dritten vorliegt, sind nicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht aufgezeigt.

Am Tattag hat sich die Klägerin Sorgen um das Wohlergehen des Versicherungsnehmers gemacht, nachdem sie ihn telefonisch nicht erreichen konnte und ihr die Wohnungstür nicht geöffnet wurde. Zu keinem Zeitpunkt hat die Klägerin am Tattag oder kurz danach Hinweise gegeben, dass der Versicherungsnehmer einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sein könnte. Auch sie ging offensichtlich davon aus, dass der Versicherungsnehmer den Freitod gewählt hatte.

Zwar trägt die Klägerin – auch im Rahmen der Berufung – vor, es sei nicht ausreichend ermittelt worden, es gebe Anhaltspunkte, die eine weitere Untersuchung des Todes des Versicherungsnehmers erforderlich gemacht hätten. Konkrete Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung hat die Klägerin jedoch nicht benannt. Dafür reicht nicht aus, dass die Wohnungstür nicht abgeschlossen war und der Schlüssel auf dem Fußboden der Wohnung gelegen hat. Es wurden keinerlei Aufbruchspuren an der Wohnungstür festgestellt. Auch die Leiche wies keine Hinweise auf eine Fremdeinwirkung auf.

Allein das Fehlen eines Abschiedsbriefs lässt nicht auf eine andere Todesursache schließen (vgl. dazu auch: OLG Koblenz, Beschluss vom 31. August 2006 – 10 U 1763/05 -, VersR 2008, 67, bei juris Langtext Rn. 8).

Die Behauptung der Klägerin, der Versicherungsnehmer sei alkoholbedingt nicht in der Lage gewesen, die Tathandlungen auszuführen, ist durch nichts belegt. Vielmehr ist der Senat überzeugt, dass der Versicherungsnehmer selbst handelte. Nichts Belastbares spricht insbesondere auch für die Behauptung der Klägerin, der Versicherungsnehmer müsse einen Blutalkoholgehalt von über drei Promille aufgewiesen haben. Dafür reicht nicht aus, dass auf dem Wohnzimmertisch der Wohnung des Versicherungsnehmers eine leere Flasche Wodka und eine leere Dose Bier gefunden worden ist. Zu Recht hat bereits das Landgericht darauf hingewiesen, dass heute nicht mehr festgestellt werden kann, ob und in welchem Umfang der Versicherungsnehmer vor dem Suizid Alkohol getrunken hat. Es kann insbesondere nicht unterstellt werden, dass der Versicherungsnehmer den Alkohol kurz vor der Tat getrunken hat.

Dass – wie die Klägerin nunmehr mutmaßt – der Versicherungsnehmer sich nicht habe umbringen wollen, sondern nur auf sich aufmerksam machen wollte, und der Eintritt des Todes daher letztlich ein Unfall darstellt, ist nach der Überzeugung des Senats mit dem für das praktische Leben notwendigen Grad von Gewissheit auszuschließen.

Wie auch bei der Todesursache handelt es sich bei dem Vorbringen der Klägerin zum Willen des Versicherungsnehmers eher um reine Spekulationen. Die Motive und die daraus folgende scheinbar aussichtslose Lage für den Versicherungsnehmer hat die Klägerin, die am 09.09.2013 offensichtlich selbst davon ausgegangen ist, der Versicherungsnehmer könne sich etwas antun, nicht entkräftet.

Zudem spricht der Ort des Selbstmordes des Versicherungsnehmers gerade nicht dafür, dass er erwarten konnte, von Dritten an der Ausführung gehindert oder gerettet zu werden. Der Versicherungsnehmer hat für seinen Selbstmord keinen öffentlich zugänglichen Bereich gewählt. Der Balkon, auf dem der Versicherungsnehmer aufgefunden worden ist, kann von der Straße nicht unmittelbar eingesehen werden. Die Tür zur Wohnung des Versicherungsnehmers war geschlossen. Offensichtlich gab es vor der Tat auch keine versteckten Hinweise des Versicherungsnehmers auf sein Vorhaben. Das Vorgehen des Versicherungsnehmers spricht vielmehr dafür, dass er den Ort bewusst ausgewählt hat, um seinen Selbstmord ungestört durchführen zu können. Die vorstehenden Erwägungen gelten entsprechend für die Andeutung der Klägerin, es habe sich lediglich um eine bloße Selbsttötungsdemonstration gehandelt.

Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Versicherungsnehmer tötete zu einem Zeitpunkt, als mit dem sofortigen Eintreten eines Dritten zu rechnen war.

Es ist daher anhand der vorliegenden Indizien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer sich selbst vorsätzlich durch Erhängen getötet hat und nicht davon, dass eine unbekannte Person ohne erkennbares Motiv und ohne äußere Spuren zu hinterlassen in die Wohnung des Versicherungsnehmers eingedrungen sein könnte, um dort einen Suizid des Versicherungsnehmers vorzutäuschen.

b) Es ist nicht bewiesen, dass der Versicherungsnehmer seinen Tod im Zustand einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit herbeigeführt hat. Die Behauptung der Klägerin, dass der Versicherungsnehmer infolge des Genusses von erheblichen Mengen Alkohol nicht mehr in der Lage gewesen sei, seinen Willen frei zu bestimmen, ist nicht substantiiert.

aa) Die Sachverständige Prof. Dr. SV hat in ihrem Gutachten vom 26.01.2017 nicht feststellen können, dass der Versicherungsnehmer seinen Tod im Zustand einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit herbeigeführt hat. Belastbare Hinweise dafür konnte die – ohne Zweifel sach- und fachkundige – Sachverständige, die die Behauptungen der Klägerin zu den Verhaltens- und Wesensänderungen des Versicherungsnehmers ab Januar 2013 als wahr unterstellt hatte, nicht feststellen. Zum Zeitpunkt des Suizids habe der Versicherungsnehmer wahrscheinlich unter einer psychischen Erkrankung mit ausgeprägten Stimmungsschwankungen und aggressiven Verhaltensweisen gelitten, die sich am ehesten durch den zunehmenden Alkoholkonsum erklären lassen. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit sei nicht festzustellen.

Auch die Bekundungen der Zeugin Z1 und Dr. Z2 sind nicht ergiebig. Zwar haben beide Zeugen Verhaltensauffälligkeiten des Versicherungsnehmers im Jahr 2013 festgestellt und beschrieben. In Ergänzung ihres schriftlichen Gutachtens ergab sich jedoch für die Sachverständige im Senatstermin auch nach der Zeugenvernehmung kein Anhalt für eine erhebliche Störung der Willensbestimmung bei dem Versicherungsnehmer. Auch der Zeuge Dr. Z2 hat dies ausgeschlossen, nachdem der Versicherungsnehmer bis auf wenige Ausnahmen durchgehend in der Lage gewesen sei, die anstrengenden Bereitschaftsdienste in der Klinik abzuleisten.

bb) Aus den bereits genannten Gründen steht auch nicht fest, dass der Versicherungsnehmer auch nicht alkoholbedingt in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand gewesen wäre.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift; eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die streitentscheidenden Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinreichend geklärt oder solche des Einzelfalls.

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