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Lebensversicherung – Auszahlung der Ablaufleistung für Erlebensfall auf ehemaliges Konto

LG Essen – Az.: 18 O 182/18 – Urteil vom 05.12.2018

Der Beklagte wird verurteilt, die Auszahlung der bei dem Amtsgericht H zur Geschäftsnummer … hinterlegten Summe von 10.268,60 EUR an die Klägerin zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar gegen eine Sicherheitsleistung i.H.v. 11.000,- EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückforderung einer Versicherungsleistung.

Herr C, Jahrgang 1950, unterhielt unter der Versicherungsnummer … eine Kapitallebensversicherung bei der B, der Rechtsvorgängerin der Klägerin, mit einer Vertragslaufzeit bis zum 01.06.2015. Der Vertrag umfasste eine Todesfall- und eine Erlebensfallversicherung.

Ende 2011 wurde das widerrufliche Bezugsrecht für den Todesfall zugunsten Dritter auf Frau L übertragen (siehe Nachtrag zum Versicherungsschein vom 10.12.2011, Anlage K15, Bl. 53 d.A.).

Herr C verstarb in der Zeit zwischen dem 21.-22. Mai 2015. Der Beklagte ist mit Beschluss des Amtsgerichts H vom 13.02.2018 als dessen Nachlasspfleger bestellt worden.

Die Klägerin rechnete zugunsten des Herrn C unter dem 20.05.2015 – zu Lebzeiten – eine Ablaufleistung der Erlebensfallversicherung in Höhe von 10.268,60 EUR ab (zu den Einzelheiten Anlage K6, Bl. 20 d.A.). Diesen Betrag überwies die Klägerin am 27.05.2015 – nach Versterben des Herrn C – auf dessen Konto bei der W (IBAN: …).

Nachdem die Klägerin Kenntnis vom Tod des Herrn C erlangte, kehrte sie mit Abrechnungsschreiben vom 14.12.2015 die Todesfallleistung aus der Versicherung in Höhe von 10.334,63 EUR an die bezugsberechtigte Frau L aus.

Die W löste das Konto des verstorbenen Herrn C schließlich auf und hinterlegte das vorhandene Guthaben mangels Kenntnis etwaiger Erben bei dem Amtsgericht H unter der Geschäftsnummer … (…-Nr. …).

Nach Bestellung des Beklagten zum Nachlasspfleger forderte die Klägerin ihn mit Schreiben vom 20.02.2018 zur Zahlung von 10.268,60 EUR aus dem Nachlass des Herrn C auf, weil dieser vor Ablauf des Versicherungsvertrages zum 01.06.2015 verstorben und der Erlebensfall daher nicht eingetreten sei.

Mit Schreiben vom 19.03.2018 wies der Beklagte sämtliche Ansprüche der Klägerin zurück. Weitere Zahlungsaufforderungen seitens der Klägerin blieben erfolglos.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die unter dem 27.05.2015 gezahlte Ablaufleistung für den Erlebensfall an Herrn C wegen Zweckverfehlung unwirksam sei. Sie habe die Versicherungsleistung unter der Annahme geleistet, dass der Erlebensfall eingetreten sei. Zudem habe sie – insoweit unstreitig – zum Leistungszeitpunkt keine positive Kenntnis gehabt, dass Herr C zwischenzeitlich verstorben sei und daher nur die Todesfallleistung hätte ausgezahlt werden dürfen.

Sie bestreitet zudem, dass die W bereits vor der Bestellung des Beklagten die streitbefangene Summe – wie vom Beklagten behauptet im Dezember 2017 – hinterlegt habe und dass der Beklagte erst durch Schreiben der Klägerin vom 20.02.2018 von der Hinterlegung erfahren habe.

Die Klägerin beantragt, der Beklagte wird verurteilt, an sie 10.268,60 EUR nebst 5 % Zinsen hieraus ab Klagezustellung zu zahlen, hilfsweise beantragt sie, den Beklagten zu verurteilen, die Auszahlung der bei dem AG H zur Geschäftsnummer … hinterlegten Summe von 10.268,60 EUR an sie zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er behauptet, die Hinterlegung bei dem Amtsgericht H sei im Dezember 2017 erfolgt. Durch die Hinterlegung des Kontoguthabens des Herrn C durch die W gehöre der streitgegenständliche Betrag von 10.268,60 EUR nicht mehr zu dessen Nachlassvermögen.

Der Nachlass des Herrn C müsse ferner auch nicht verschärft haften, weil der Beklagte als Nachlasspfleger erst mit Schreiben der Klägerin vom 20.02.2018 von der Zahlung erfahren habe.

Hilfsweise beruft er sich auf § 814 BGB, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Leistung am 27.05.2015 positiv gewusst habe, dass die Fälligkeit der Leistung erst mit Ablauf der Versicherung zum 01.06.2015 eintreten würde, diese aber dennoch vorab zur Auszahlung gebracht habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist hinsichtlich des Hilfsantrags begründet, im Übrigen unbegründet.

I.

Der Hauptantrag ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Herausgabe bzw. Zahlung von 10.268,60 EUR. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB.

Hierfür fehlt es bereits an einer erforderlichen Leistungshandlung der Klägerin, durch die das Vermögen bzw. der durch den Beklagten gemäß § 1960 Abs. 2 BGB verwaltete Nachlass des Herrn C vermehrt wurde. Denn aufgrund der Hinterlegung des streitgegenständlichen Geldbetrags gemäß §§ 372 ff. BGB durch die W beim Amtsgericht H besteht nunmehr lediglich ein öffentlich-rechtlicher Herausgabeanspruch zugunsten des wahren Berechtigten auf Auszahlung des Betrages gegen die Hinterlegungsstelle, dessen Einzelheiten sich nach dem Hinterlegungsgesetz NRW (HintG NRW) bestimmen (vgl. Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, Einf. v. § 372 Rn. 8). Dieser Herausgabeanspruch kann im Wege der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung – unabhängig vom Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur durch eine Einwilligung des Beklagten zur Auszahlung des Geldes verwirklicht werden (vgl.  BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 – IX ZR 267/16). Denn der Beklagte hat durch die Hinterlegung des Geldes die Rechtsstellung eines Hinterlegungsbeteiligten i.S.d. HintG NRW erlangt (hierzu näher unter II.). Ein Anspruch auf Herausgabe bzw. Zahlung des streitgegenständlichen Geldbetrages folgt daraus indes nicht.

Vor diesem Hintergrund brauchte das Gericht deshalb auch nicht über die Frage einer verschärften Haftung des Beklagten gemäß §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB zu entscheiden.

II.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten aber einen Anspruch auf die hilfsweise beantragte Bewilligung der Auszahlung des bei dem Amtsgericht H zur Geschäftsnummer … hinterlegten Geldbetrags in Höhe von 10.268,60 EUR gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB.

Besteht – wie vorliegend – zwischen zwei Forderungsprätendenten, zu deren Gunsten ein Geldbetrag bei einer öffentlichen Hinterlegungsstelle hinterlegt ist, Streit darüber, an wen von ihnen der hinterlegte Geldbetrag auszuzahlen ist, steht dem wirklichen Rechtsinhaber gegen den anderen Prätendenten ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Einwilligung in die Auszahlung an ihn zu. Denn Letzterer hat durch das vom Schuldner gewählte Vorgehen, die Hinterlegung des Geldes auf Kosten des wahren Gläubigers, rechtsgrundlos die Stellung eines Hinterlegungsbeteiligten erlangt (BGH Urteil vom 15. Oktober 1999 – V ZR 141/98 Rz. 24 m.w.N.). Der Prätendent, dem der hinterlegte Geldbetrag materiell-rechtlich nicht zusteht, ist auf Kosten des wirklich Berechtigten bereichert und deshalb gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB zu der für die Auszahlung des Geldes an den wahren Berechtigten erforderlichen Zustimmung verpflichtet (OLG Zweibrücken, Urteil vom 22. Mai 2015 – 2 U 31/14).

Erlangtes „Etwas“ ist hier die gegenüber der Klägerin günstige Rechtsstellung des Beklagten, weil er durch die Hinterlegung der streitgegenständlichen 10.268,60 EUR Hinterlegungsbeteiligter gemäß § 22 HintG NRW geworden ist (vgl. Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 812 Rn. 93). Danach hängt der öffentlich-rechtliche Herausgabeanspruch gegen die Hinterlegungsstelle auf Auszahlung dieses Betrages nach § 22 Abs. 3 Nr. 1 HintG von seiner Bewilligung ab. Diese Rechtsstellung fällt im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gemäß §§ 1922 Abs. 1, 1967 BGB in den Nachlass des Herrn C und wird von dem Beklagten ausgeübt. Als Nachlasspfleger gemäß § 1960 Abs. 2 BGB ist er nämlich gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben des Herrn C und als solcher zur Sicherung und Erhaltung des Nachlasses verpflichtet, hat aber auch für die Nachlassverbindlichkeiten Sorge zu tragen und kann schon vor Annahme der Erbschaft von Nachlassgläubigern – wie hier der Klägerin – verklagt werden (vgl.  §§ 1958, 1960 Abs. 3 BGB).

Die Stellung eines Hinterlegungsbeteiligten hat der Beklagte in sonstiger Weise erlangt, weil diese nicht durch eine Leistung der Klägerin, sondern erst aufgrund der Hinterlegung des Kontoguthabens gemäß §§ 372 ff. BGB durch die W entstanden ist.

Dadurch ist der Beklagte auf Kosten der Klägerin bereichert, weil die Auszahlung des hinterlegten Betrages an sie – als wirkliche Rechtsinhaberin – formell von seiner Bewilligung gemäß § 22 HintG NRW abhängig ist.

Der Beklagte hat diese Rechtsstellung schließlich auch rechtsgrundlos erlangt, weil der hinterlegte Betrag materiell-rechtlich der Klägerin zusteht. Herr C hatte nach dem Versicherungsvertrag nämlich keinen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme für den Erlebensfall, weil er zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kapitallebensversicherung (Stichtag: 01.06.2015) bereits verstorben war. Die von der Klägerin tatsächlich geschuldete Versicherungsleistung auf den Todesfall i.H.v. 10.334,63 EUR kehrte diese bereits mit Abrechnungsschreiben vom 14.12.2015 ordnungsgemäß an die bezugsberechtigte Frau L aus.

Der Herausgabeanspruch der Klägerin gegen den Beklagten ist schließlich auch nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen, weil die Klägerin die Zahlung der 10.268,60 EUR in Kenntnis ihrer Nichtschuld erbracht hätte. Hierfür fehlt es bereits an einem schutzwürdigen Vertrauen auf Beklagtenseite. Denn aus Sicht eines objektiven Empfängers rechnete die Klägerin am 20.05.2017 erkennbar die Ablaufleistung im Erlebensfall ab und überwies den entsprechenden Auszahlungsbetrag am 27.05.2015 an Herrn C zur fristgerechten Erfüllung ihrer vertraglichen Leistungspflicht nach Ablauf der Kapitallebensversicherung zum 01.06.2015. Der Wille zu einem vertragsgerechten Verhalten kann der Klägerin insofern nicht entgegengehalten werden, zumal keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis vom Tod des Herrn C hatte und daher wusste, dass die Ablaufleistung im Erlebensfall gar nicht hätte zur Auszahlung gelangen dürfen.

Nach § 818 Abs. 1 BGB ist der Beklagte als Hinterlegungsbeteiligter gemäß § 22 Abs. 3 Nr. 1 HintG NRW verpflichtet, die Auszahlung der streitgegenständlichen Ablaufleistung durch das Amtsgericht H an die Klägerin zu bewilligen. Hierdurch wird der Nachweis der Empfangsberechtigung der Klägerin erbracht und die Herausgabe des streitgegenständlichen Betrags ist auf Antrag gemäß §§ 21, 22 HintG NRW anzuordnen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils richtet sich nach § 709 S. 1 ZPO.

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