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Kündigung Krankenversicherung: Leistungserschleichung durch Rechnungsfälschung

LG Essen – Az.: 18 O 285/20 – Urteil vom 16.06.2021

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten einen privaten Krankenversicherungsvertrag.

Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Beklagten zugrunde. (Anlage zum Ss. v. 21.05.2021, Bl. 53 ff d. A.)

Dort heißt es u.a.:

„§ 5 Einschränkung der Leistungspflicht

(1) Keine Leistungspflicht besteht

[…]

f) für Behandlungen durch Ehegatten, Eltern oder Kinder.

Nachgewiesene Sachkosten werden tarifgemäß erstattet.

[…]“ (Bl. 57 d. A.)

Die Klägerin und ihr Ehemann sind Zahnärzte. Die Klägerin reichte bei der Beklagten in der Vergangenheit folgende Rechnungen zur Erstattung von Zahnarztbehandlungen ein: (Anlagen B1 bis B3)

Frau M, Rechnung vom 16.04.2008 über 516,19 Euro

T, Rechnung vom 27.12.2013 über 1.523,10 Euro

T, Rechnung vom 07.01.2014 über 375,84 Euro

Ende November 2017 fielen bei der Beklagten Unregelmäßigkeiten bei diesen eingereichten Rechnungen auf. Die Beklagte kontaktierte daraufhin die auf der Rechnung genannten Ärztinnen am 07.12.2017. Beide Ärztinnen hatten diese Rechnungen nicht ausgestellt und nicht gestempelt oder unterzeichnet. Nach Abschluss der Gespräche erklärte die Beklagte am selben Tag ohne vorherige Abmahnung die außerordentliche Kündigung der Versicherung. (Vgl. Anlage B 11)

Die Klägerin behauptet, in der Vergangenheit seien zahnärztliche Behandlungen bei ihr zum Teil durch ihren Ehemann durchgeführt worden und diese auf dem Briefkopf und mit Stempel einer anderen Zahnärztin, T, mit deren Wissen und Wollen bei der Beklagten abgerechnet worden. Sie sei auch von T behandelt worden.

Die oben genannten Rechnungen habe die Klägerin beglichen.

Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass der Krankenversicherungsvertrag zwischen den Parteien mit der Klägerin als Versicherungsnehmerin und der Beklagten als Versicherungsgeberin zur dortigen Versicherungsscheinnummer: … nicht gemäß Kündigung vom 07.12.2017 beendet ist, sondern fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Versicherungsvertrag besteht nicht mehr, da die Beklagte ihn wirksam fristlos gekündigt hat.

1.

Die fristlose außerordentliche Kündigung eines Versicherungsvertrages richtet sich nach § 314 BGB. Auch bei Versicherungszweigen, denen wegen ihrer sozialen Funktion eine Vertragsauflösung seitens des Versicherers an sich fremd ist (z. B. Krankenversicherung), kommt eine Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht. Das gilt auch für die Krankenversicherung als Pflichtversicherung, obwohl der seit 1.1.2009 geltende § 206 VVG in Abs. 1 S. 1 „jede“ Kündigung des Versicherers ausschließt. Diese Regelung betrifft nicht die außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB, deren Möglichkeit ein wichtiger Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben ist. (BGH, Urteile vom 18.07.2007 – IV ZR 129/06, 7. 12. 2011 – IV ZR 50/11; Prölss/Martin, VVG vor § 11 Rn. 8 m.w.N.)

Daher ist § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG teleologisch dahin zu reduzieren, dass er ausnahmslos eine außerordentliche Kündigung wegen Prämienverzugs verbietet, während eine Kündigung wegen sonstiger schwerer Vertragsverletzungen unter den Voraussetzungen des § 314 BGB möglich ist.

Dies ist auch deshalb vertretbar, weil weiterhin die Möglichkeit zur Versicherung im Basistarif besteht, sodass der Versicherungsnehmer ausreichend geschützt ist.

Voraussetzung für ein Kündigungsrecht des Versicherers ist zunächst, dass versicherungsrechtliche Bestimmungen keine abschließende Regelung des Pflichtverstoßes vorsehen. (Prölss/Martin, VVG vor § 11 Rn. 7) Eine solche abschließende Regelung besteht vorliegend nicht, sodass grundsätzlich die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung gegeben ist.

2.

Es lag ein Kündigungsgrund vor.

Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung setzt voraus, dass Tatsachen vorliegen, die dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertrags unzumutbar machen, § 314 Abs. 1 BGB.

Für die private Krankenversicherung ist dabei im Hinblick auf ihre soziale Funktion anerkannt, dass ein wichtiger Grund zur Kündigung erst dann gegeben ist, wenn der Versicherungsnehmer in besonders schwerwiegender Weise die Belange des Versicherers seinem Eigennutz hintanstellt. Das ist vor allem der Fall, wenn er sich Versicherungsleistungen erschleicht oder zu erschleichen versucht. (BGH NJW-RR 2007, 1624)

Dazu zählt die Vorlage gefälschter Bescheinigungen, Rezepte oder Rechnungen und zwar auch dann, wenn diese ordnungsgemäß hätten verschafft werden können. (Prölss/Martin, VVG vor § 11 Rn. 11)

Das ist vorliegend geschehen und zwar sowohl nach dem unstreitigen Beklagtenvortrag als auch nach dem streitigen Klägervortrag.

Indem die Klägerin der Beklagten bewusst drei Rechnungen vorgelegt hat, die die dort bezeichneten Ärztinnen nicht ausgestellt haben, liegt ein Kündigungsgrund vor.

Aber auch schon aus dem Vortrag der Klägerin, dass Behandlungen durch ihren Ehemann auf dem Briefkopf und auf Rechnung einer anderen Zahnärztin abgerechnet wurden und diese bei der Beklagten eingereicht wurden, ergibt sich eine Fälschung der Rechnung.

Denn es wurde eine Behandlung im Namen einer nicht behandelnden Person geltend gemacht. Dabei ist es unerheblich, ob diese Behandlung tatsächlich teilweise, wie die Klägerin behauptet, von ihrem Ehemann vorgenommen wurde.

Nach den Versicherungsbedingungen sind die Leistungen von Ehegatten nicht erstattungsfähig.

Durch das Erstellen einer Rechnung, die die Leistung als von einem Dritten erbracht darstellt, hat die Klägerin die Beklagte getäuscht. Denn diese konnte nicht erkennen, dass tatsächlich der Ehemann tätig geworden ist und somit kein Anspruch bestand.

Es ist auch unerheblich, ob die auf der Rechnung genannte Zahnärztin bei der Erstellung mitgewirkt hat. Schon das Einreichen der falschen Rechnung stellt eine Täuschungshandlung zur Erschleichung von Versicherungsleistungen dar.

Die Klägerin wusste zu jeder Zeit, dass die Behandlung (jedenfalls zum Teil) von ihrem Ehemann ausgeführt wurde. Sie handelte damit auch vorsätzlich.

Das Interesse der Versicherung am Schutz ihres Vermögens und des Vermögens der Gemeinschaft der Versicherten überwiegt aufgrund der vorsätzlichen Täuschungshandlung gegenüber dem Interesse der Klägerin auf Fortführung ihrer privaten Krankenversicherung erheblich. In diesem Fall genügt sogar die einmalige Pflichtverletzung als Kündigungsgrund. Die Pflichtverletzung ist erheblich schwerwiegend, die Klägerin stellte in schwerwiegender Weise ihren Eigennutz über die Belange des Versicherers.

Der Kündigungsgrund, der sich aus dem Klägervortrag ergibt, ist erst im Prozess hilfsweise angeführt wurde.

Ursprünglich bestand als Kündigungsgrund nur die Tatsache, dass die Rechnungen vollständig gefälscht waren.

Der weitere Kündigungsgrund konnte nachgeschoben werden. (BGH, Urteil vom 1. 12. 2003 – II ZR 161/02 zur Frage einer Geschäftsführerkündigung; BGH, Beschluss vom 11.10.2017 – VII ZR 46/15 zur Kündigung nach VOB/B)

Der oben genannte Grund bestand auch schon im Zeitpunkt der Kündigungserklärung. Selbst wenn man im Bereich der Krankenversicherung einen ähnlich strengen Maßstab an die Kündigung legen würde, wie im Arbeitsrecht, wo verlangt wird, dass der nachgeschobene Grund, der Kündigung keinen neuen Charakter verleiht (BAG, Urteil vom 18. 1. 1980 – 7 AZR 260/78), so wäre das Nachschieben hier möglich.

Denn wie oben dargestellt, handelt es sich auch jetzt um eine Fälschung von Rechnungen. Die Kündigung behält ihren Charakter.

3.

Es ist unschädlich, dass die Beklagte die Kündigung ohne Abmahnung oder Frist zur Abhilfe erklärt hat, entgegen § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB.

Denn das war nach § 314 Abs. 2 Satz 3 BGB entbehrlich, da besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.

Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt hier zu dem Ergebnis, dass eine Abmahnung nicht geboten war. Würde man dies anders sehen, so hätte jeder Versicherungsnehmer die Möglichkeit, einmal sanktionslos zu versuchen, den Versicherer in erheblicher Weise zu täuschen. (OLG Hamm in NJW-RR 2006, 1035)

4.

Aus dem unbestrittenen Beklagtenvortrag ergibt sich, dass binnen angemessener Frist im Sinne des § 314 Abs. 3 BGB die Kündigung erklärt wurde. Dies geschah am selben Tag, an dem der Sachverhalt aus Sicht der Beklagten ausermittelt war.

5.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.

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