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Krankheitskostenversicherung – Kostenerstattung für eine häusliche 24-Stunden-Krankenbeobachtung

LG Gießen, Az.: 2 O 210/14, Urteil vom 12.08.2014

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger verlangt Deckung aus privater Krankenversicherung für eine 24-Stunden-Krankenbeobachtung für seinen mitversicherten 6-jährigen Sohn .. (im Folgenden: „Sohn“), der an einem epileptischen Anfallsleiden erkrankt ist.

Seit 01.04.2006 ist der Kläger bei der Beklagten krankenversichert. Seine Kinder – inzwischen auch der am .. geborene Sohn – sind nach Tarif SB mitversichert. In diesen Tarifbedingungen (vgl. im Einzelnen Anlage K7 zum Klägerschriftsatz vom 11.08.2014, Bl. 199 ff., 201 d. A.) heißt es unter B) 3. „Häusliche Behandlungspflege“ unter anderem:

„Erstattungsfähig sind Kosten der häuslichen Behandlungspflege. Als Behandlungspflege gelten ärztlich angeordnete und von geeigneten Pflegefachkräften durchgeführte medizinische Einzelleistungen (wie Verbandwechsel, Injektionen, Blutdruckmessung, Katheterwechsel usw.), die auf Heilung, Besserung, Linderung oder das Vermeiden einer Verschlimmerung der Krankheit gerichtet sind. Erstattet werden die Kosten für Leistungen von geeigneten Pflegefachkräften im Rahmen ihrer regionalen Verträge mit öffentlichen Versicherungsträgern.

Leistungen werden nur erbracht, soweit der Versicherer dem Grunde und der Höhe nach eine vorherige schriftliche Zusage erteilt hat.“

Kurz nach seiner Geburt kam es bei dem Sohn zu einer intracerebralen Blutung mit Subduralhämatom und Subarachnoidalblutung sowie einer Hirnkontusion im Mediastromgebiet. Als Folge davon entwickelte sich bei dem Sohn ein epileptisches Anfallsleiden, welches zu epileptischen Krampfanfällen mit unterschiedlichem Schweregrad führt, die jederzeit auftreten können. In diesen Fällen bedarf es der Gabe einer Akutmedikation, um die Anfälle zu durchbrechen.

Der Kläger behauptet unter Bezugnahme auf das Schreiben des Arztes .. vom 01.03.2014 (vgl. im Einzelnen Anlage K4 = Bl. 80 f. d. A.) und dessen ärztliche Anordnung vom 15.05.2014 (vgl. im Einzelnen Anlage K8 = Bl. 204 f., 205 d. A.), es sei eine spezielle Krankenbeobachtung mit jederzeitiger Interventionsmöglichkeit rund um die Uhr, welche die Eltern bislang – dies ist unstreitig – selbst sichergestellt haben, medizinisch notwendig. Zwar ergebe sich insoweit – diese Auffassung vertritt der Kläger in Übereinstimmung mit der Beklagten (vgl. S. 2, 6. Absatz des Protokolls vom 12.08.2014 = Bl. 207 d. A.) – aus den Tarifbedingungen keine entsprechende Leistungspflicht. Doch meint der Kläger, dies sei eine unzulässige und gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksame Einschränkung des Hauptleistungsversprechens gemäß § 1 Abs. 1 lit. a), Abs. 2, Abs. 3 MB/KK 2009. Auch scheitere eine Leistungspflicht der Beklagten nicht an einem diesbezüglichen Vorrang von Leistungen aus der Pflegepflichtversicherung.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit ab Klageerhebung, längstens für die Dauer des Bestehens des Versicherungsvertrages, die Kosten für die Versorgung des Sohnes des Klägers .. mit häuslicher Krankenpflege in Form der speziellen Krankenbeobachtung mit jederzeitiger Interventionsmöglichkeit im Umfang von 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche gegen Vorlage von Originalrechnungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Klage – auch als Feststellungsklage – für unzulässig. Sie bestreitet die medizinische Notwendigkeit einer 24-Stunden-Beobachtung unter Hinweis auf zwei Gutachten der Medicproof vom 12.01.2013 und 17.01.2014 (vgl. im Einzelnen Anlagen BLD 8/9, Bl. 165 ff., 176 ff. d. A.). Sie hält die Nichtgewährung entsprechender Leistungen nach ihren Tarifbedingungen für wirksam, außerdem sei die Pflegeversicherung – insbesondere im Rahmen der Grundpflege – vorrangig.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf die Klageschrift vom 26.05.2014 (Bl. 1 ff. d. A.), die Klageerwiderung vom 04.08.2014 (Bl. 120 ff. d. A.) und den Klägerschriftsatz vom 11.08.2014 (vgl. Bl. 210 ff. d. A.) – jeweils nebst Anlagen – sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2014 (Bl. 206 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Kammer hat den Kläger bereits mit Verfügung vom 10.07.2014 (vgl. im Einzelnen Bl. 99 d. A.) auf bestimmte Schlüssigkeitsbedenken hingewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Krankheitskostenversicherung - Kostenerstattung für eine häusliche 24-Stunden-Krankenbeobachtung
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Zwar wäre die Klage als Leistungsklage mangels bestimmten Klageantrages (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 letzter Halbsatz ZPO) und damit mangels ordnungsgemäßer Klageerhebung unzulässig. Indessen ergibt eine am vernünftigen Willen des Klägers orientierte Auslegung (§§ 133, 157 BGB analog), dass der Kläger nicht Leistung, sondern Feststellung begehrt. Diesbezüglich liegt auch das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) vor. Denn der Kläger beantragt nicht die Beantwortung einer abstrakten Rechtsfrage zur Leistungspflicht der Beklagten, sondern die Feststellung einer klar umschriebenen Leistungspflicht aufgrund einer bereits jetzt bestehenden konkreten Erkrankung des Sohnes.

Die Klage ist jedoch schon auf der Grundlage des Vortrages des Klägers selbst nicht begründet. Die Beklagte ist – auch bei Vorlage von Originalrechnungen – nicht verpflichtet, die Aufwendungen des Klägers für eine spezielle Krankenbeobachtung des Sohnes mit jederzeitiger Interventionsmöglichkeit im Umfang von 24 Stunden täglich an 7 Tagen in der Woche zu erstatten.

Der konkrete Umfang der Leistungspflichten des Krankenversicherers ergibt sich nach dem hier zugrunde liegenden § 1 Abs. 3 MB/KK 2009 insbesondere aus den Tarifbedingungen. Dabei handelt es sich im hier zu beurteilenden Fall unstreitig um den Tarif SB. Dieser Tarif sieht die klägerseits geforderte Leistungspflicht nicht vor. Diese von beiden Parteien im Ergebnis übereinstimmend vertretene Rechtsansicht (vgl. S. 2 oben des Protokolls = Bl. 207 d. A.) ist auch nach Auffassung der Kammer zutreffend. Sie ist insbesondere nicht Bestandteil der unter B) 3. des Tarifs SB geregelten „Häuslichen Behandlungspflege“. Dies folgt aus der Auslegung der genannten Regelung nach dem durchschnittlichen Verständnishorizont eines Versicherungsnehmers.

Maßgeblich erscheint insoweit, dass die Erstattungspflicht auf Einzelleistungen beschränkt ist. Wollte man diesen Begriff auch auf die hier verlangte ununterbrochene häusliche Beobachtung des Kranken mit jederzeitiger Interventionsmöglichkeit erstrecken, so verlöre der Begriff jeden Unterscheidungswert. Dafür spricht auch sein systematischer Zusammenhang mit den im nachgestellten Klammerzusatz genannten Beispielsfällen, bei denen es sich mit Verbandwechsel, Injektionen, Blutdruckmessung und Katheterwechsel typischerweise um Leistungen handelt, die in bestimmten und im Vorhinein festliegenden Zeitintervallen vorzunehmen sind. Hinzu kommt als weiterer Gesichtspunkt, dass es sich um Leistungen handeln muss, die kraft ärztlicher Anordnung von Pflegefachkräften durchgeführt werden. Demgegenüber geht es vorliegend um eine Maßnahme, die nach dem Vortrag des Klägers selbst keine Pflegefachkraft erfordert; denn es ist unstreitig, dass die 24-Stunden-Beobachtung mit jederzeitiger Interventionsmöglichkeit bislang von den Eltern selbst durchgeführt worden war, zu deren Position als Pflegefachkraft weder etwas vorgetragen noch ersichtlich ist.

Die klägerseits reklamierte Erstattungspflicht der Beklagten folgt auch nicht unmittelbar aus ihrem Hauptleistungsversprechen gemäß § 1 Abs. 2 MB/KK 2009, wonach als Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit genannt ist und sich der Versicherungsschutz gemäß § 1 Abs. 1 lit. a) MB/KK 2009 in der hier gegebenen Krankheitskostenversicherung auf den Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlungen erstreckt. Denn die Leistungspflicht der Beklagten ist insoweit durch den vereinbarten Tarif SB in dem hier relevanten Bereich gemäß Abschnitt B) 3. „Häusliche Heilbehandlung“ wirksam eingeschränkt. Insbesondere ist diese Beschränkung nicht wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

Das klägerseits berufene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.05.2004 (NJW-RR 2004, 1397 = VersR 2004, 1035) stützt die diesbezügliche Rechtsauffassung des Klägers nicht. Darauf ist er bereits mit Verfügung vom 10.07.2014 ausdrücklich hingewiesen worden. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei jener 24-Stunden-Beobachtung um nichtärztliche Leistungen handelt. Der Bundesgerichtshof führt in dem genannten Urteil (vgl. daselbst unter II. 3. b) aa)) aus, dass Leistungsbegrenzungen in den Versicherungsbedingungen zunächst grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Versicherers überlassen sind. Ausgehend von diesem Grundsatz kommt dann eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers durch Einschränkung des Hauptleistungsversprechens im Wesentlichen für ärztliche Leistungen in Betracht, die indessen hier – wie auch in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – vollständig abgedeckt bleiben. Demgegenüber ordnet der Bundesgerichtshof die Leistungszusage bezüglich nichtärztlicher Leistungen ausdrücklich dem „Vorbehalt des entsprechenden Vereinbarten“ unter. Dem ist im rechtlichen Ausgangspunkt nichts hinzuzufügen.

Freilich kann das vorstehend Ausgeführte nicht schrankenlos gelten. Ausnahmen kommen insbesondere für bestimmte Schwerstfälle in Betracht. So hat das Oberlandesgericht Hamm (NJW 2012, 321 = VersR 2012, 611) eine Gefährdung des Vertragszwecks auch bei Ausschluss nichtärztlicher Leistungen angenommen, wenn sie bei einem Versicherten, der einen hypoxischen Hirnschaden mit chronisch obstruktiver Bronchitis und schwerer Dysphagie erlitten hatte, zur Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen notwendig sind, weil es sonst zu lebensbedrohlichen Situationen durch Verlegung der Luftröhre kommen kann. Diese Konstellation ist indessen sowohl nach dem Schweregrad als auch bzgl. der dort erforderliche Absaugung von Schleim zur Sicherstellung der Atmung durch eine medizinische Fachkraft mit dem hiesigen Fall nicht vergleichbar. Denn hier geht es um die – unstreitig auch durch Nichtfachkräfte mögliche – Beobachtung und Verabreichung eines Medikaments bei Auftreten eines epileptischen Anfalls ohne Bedrohung von Vitalfunktionen. Diese Lage entspricht eher einer Situation, in welcher es um die erforderliche Verabreichung von Medikamenten geht, wofür das Oberlandesgericht Schleswig im Urteil vom 24.11.2011 (Az. 16 U 43/11, zitiert in Juris; vgl. auch SchlHA 2012, 183) eine unangemessene Benachteiligung durch entsprechend eingeschränkte Versicherungsbedingungen verneint hat.

Zusammenfassend lässt sich eine Eintrittspflicht des Krankenversicherers für die Kosten nichtärztlicher Leistungen im Rahmen „Häuslicher Behandlungspflege“ insbesondere in solchen Fällen nicht begründen, in denen – wie hier -typischerweise nahestehende, in Hausgemeinschaft mit dem Kranken lebende Personen die fraglichen Maßnahmen vornehmen können. Diese Typik verlangt auch dann Beachtung, wenn diese nahestehenden Personen, hier die Eltern, aufgrund individueller Lebensumstände diese Maßnahmen – wie der Kläger behauptet -nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen leisten können. Denn dieses individuelle Lebensrisiko der Hilfspersonen ist durch die streitgegenständliche Krankenversicherung nach Auffassung der Kammer nicht gedeckt.

In Anbetracht der vorstehend ausgeführten Rechtslage kann die weitere Frage auf sich beruhen, ob die geltend gemachte Leistungspflicht der Beklagten unabhängig davon auch am Vorrang der Pflegeversicherung scheitert.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91Abs. 1, 709 ZPO.

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