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Krankheitskostenversicherung – Behandlungskosten durch einen angestellten Arzt

AG Hamburg-Altona – Az.: 316 C 205/18 – Urteil vom 08.01.2019

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.884,32 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.01.2018 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von Gebührenansprüchen der Kanzlei M Rechtsanwälte, 20095 Hamburg, in Höhe von € 255,85 freizuhalten.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Kostenerstattung aus einem privaten Krankenversicherungsvertrag in Anspruch.

Der Kläger ist seit 1972 bei der Beklagten privat krankenversichert zu den Versicherungsbedingungen der Beklagten (Anlage K1, Bl. 19ff d.A.), deren Bestandteil auch die MB/KK 94 – im Folgenden: MB/KK – sind.

Nach § 1 Abs. 2 MB/KK ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung der versicherten Person, wobei gemäß § 1 Abs. 1 a) MB/KK der Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen gewährt wird. Nach § 4 Abs. 2 MB/KK steht der versicherten Person die Wahl unter den niedergelassenen approbierten Ärzten und Zahnärzten frei.

Mit ärztlichem Befundbericht des Dr. med. A auf dem Briefkopf der D GmbH vom 05.12.2017 (Anlage K2, Bl. 18 d.A.) wurde dem Kläger eine Rezidivvarikose der Vena saphena magna links diagnostiziert.

Der Kläger ließ sich zwischen dem 05. und dem 15.12.2017 im D ärztlich ambulant behandeln. Dafür wurden ihm mit Schreiben vom 27.12.2017 (Anlage K3, Bl. 17f d.A.) € 1.884,32 berechnet. Nachdem der Kläger Befundbericht und Rechnung bei der Beklagten zur Erstattung eingereicht hatte, lehnte diese mit Schreiben vom 02.01.18 (Anlage K4, Bl. 16 d.A.) die Erstattung ab, weil die D GmbH weder niedergelassener Arzt noch Heilpraktiker sei, so dass die Behandlung nicht unter den Versicherungsschutz falle.

Nach Widerspruch des Klägers blieb die Beklagte mit Schreiben vom 01.03.2018 (Anlage K5, Bl. 15 d.A.) bei ihrer Ablehnung.

Daraufhin schaltete der Kläger seine jetzigen Prozessbevollmächtigten ein, die die Beklagte mit Schreiben vom 05.04. und 03.05.18 (Anlage K6, Bl. 10ff d.A.) unter Fristsetzung zum 17.04.18 zur Zahlung aufforderten. Eine Zahlung erfolgte auch hierauf nicht.

Der Kläger ist der Auffassung, er habe einen Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 1 Abs. 1, 2 MB/KK 94, weil es sich um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung gehandelt habe. Die Behandlung bei der D GmbH habe die Voraussetzungen der Behandlung bei einem niedergelassenen Arzt erfüllt.

Die D GmbH sei zwar selbst kein Arzt. Sie stelle jedoch einen Zusammenschluss der approbierten Ärzte dar, die sich zur Ausübung ihres ärztlichen Berufes öffentlich erkennbar bereitstellen.

Der Kläger beantragt, wie erkannt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie meint, weil die D GmbH als juristische Person niemals niedergelassener Arzt sein könne, seien die Honorare nach § 4 Abs. 2 MB/KK nicht erstattungsfähig.

Mit der Klausel solle verhindert werden, dass zu Lasten der Versicherten Kosten erstattet werden, die bei Hinzuziehung eines durch die Bestimmungen des Niederlassungsrechts begrenzten qualifizierten Personenkreises nicht oder nicht in dieser Höhe entstanden wären.

Es handele sich beim D auch nicht um ein medizinisches Versorgungszentrum i.S.v. § 95 SGB V.

Ergänzend wird für das Vorbringen der Parteien auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht gemäß § 1 MB/KK i.V.m. dem Versicherungsvertrag (§ 1 Satz 1 VVG) ein Anspruch auf Erstattung der unter dem 27.12.2017 berechneten Kosten zu. Es handelt sich unstreitig um Kosten der medizinisch notwendigen Heilbehandlung i.S.v. § 1 Abs. 2 MB/KK. Dass andere Tarifbedingungen als § 4 Abs. 2 MB/KK dem Anspruch entgegenstehen, ist nicht vorgetragen.

Auch § 4 Abs. 2 MB/KK steht einer Kostenerstattung nicht entgegen. Durch diese Klausel wird die Inanspruchnahme einer Heilbehandlung bei Ärzten, die bei einer GmbH angestellt sind, nicht ausgeschlossen.

Dass eine GmbH als juristische Person keine Behandlung durchführen kann, ist offensichtlich. Demgemäß kann es für die Beurteilung, ob die Behandlung durch einen approbierten Arzt, der bei einer GmbH angestellt ist, durch § 4 Abs. 2 MB/KK ausgeschlossen ist, nur darauf ankommen, ob ein angestellter Arzt nicht unter den Begriff des „niedergelassenen Arztes“ fällt. Während dies in der Vergangenheit bejaht wurde, weil für den Wortsinn des Begriffs „niedergelassener Arzt“ der Sprachgebrauch im ärztlichen Berufsrecht maßgebend sei, das diesen Begriff gebildet hat, so dass man unter der „Niederlassung“ eines Arztes die öffentlich erkennbare Bereitstellung zur Ausübung des ärztlichen Berufs in selbständiger Praxis verstehe (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1977 – IV ZR 69/76 –, BGHZ 70, 158-173, juris Rn 10), ist dies heutzutage nicht mehr anzunehmen.

Krankheitskostenversicherung - Behandlungskosten durch einen angestellten Arzt
(Symbolfoto: Von Micolas/Shutterstock.com)

Bereits seinerzeit war der von der Beklagten unterstellte Zweck der Klausel – zu verhindern, dass zu Lasten der Versicherten Kosten erstattet werden, die bei Hinzuziehung eines durch die Bestimmungen des Niederlassungsrechts begrenzten qualifizierten Personenkreises nicht oder nicht in dieser Höhe entstanden wären – vom Bundesgerichtshof anders beurteilt worden. Danach bringe die Niederlassung auch die Verpflichtung mit sich, dass der Arzt seine Praxis entsprechend den notwendigen personellen, sächlichen und räumlichen Voraussetzungen einrichtet, die es einem Arzt ermöglichen, zu jeder Zeit ärztliche Tätigkeit nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst auszuüben, und dass er seinen Beruf grundsätzlich in oder im Zusammenhang mit dieser Praxis ausübt. Aufgrund dieser mit der Niederlassung verbundenen Berufspflichten könnten der Versicherte und auch der Versicherer im allgemeinen davon ausgehen, dass die von einem niedergelassenen Arzt gewährte Heilbehandlung kunstgerecht, zur Diagnose und/oder Therapie geeignet und damit in aller Regel „medizinisch notwendig“ sei (BGH, a.a.O., Rn 13). Da Krankenhäuser mindestens dieselbe Qualität gewährleisteten, sei ein Leistungsausschluss von Kosten ambulanter Behandlungen, die der Versicherte von einem Krankenhaus im Sinne des § 4 Abs. 4 MB/KK hat durchführen lassen, durch Sinn und Zweck des § 4 Abs. 2 MB/KK nicht mehr gedeckt (BGH, a.a.O., Rn 17). Die Vorschrift hat demgegenüber nicht den Zweck, die finanzielle Belastung des Versicherers zu steuern (BGH, a.a.O., Rn 18).

Das ärztliche Berufsrecht, auf das sich der Bundesgerichtshof 1977 bezogen hat, hat sich in den inzwischen fast 40 vergangenen Jahren grundsätzlich gewandelt. Anders als 1977 sind in fast allen Bundesländern auch Ärzte-GmbHs ausdrücklich zulässig, nachdem sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 25. November 1993 – I ZR 281/91 (Zahnärzte-GmbH) – deutlich zur Abkehr von überkommenen Berufsbildern geäußert hat. Wo sie es nach dem Wortlaut möglicherweise nicht sind, etwa in Rheinland-Pfalz, erscheint es verfassungsrechtlich als geboten, sie im Wege einer Ausnahmeregelung zuzulassen, sofern bestimmte Voraussetzungen gegeben sind (vgl. Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 31. März 2017 – VGH N 4/16 –, juris Rn 58).

Das Hamburgische Kammergesetz für die Heilberufe (HmbKGH) vom 14. Dezember 2005 sieht in § 27 Abs. 3 Satz 2 ausdrücklich vor, dass die Berufsausübung nach Satz 1 Nummer 1 auch als Gesellschafterin oder Gesellschafter einer juristischen Person des Privatrechts zulässig ist, soweit eine eigenverantwortliche und unabhängige Berufsausübung gewährleistet ist und weitere Voraussetzungen erfüllt sind.

Nach allem führt § 4 Abs. 2 MB/KK mit der Beschränkung auf „approbierte niedergelassene“ Ärzte nur zum Ausschluss von Behandlungskosten durch Ärzte, die nur gelegentlich und nicht nach außen erkennbar praktizieren (vgl. dazu Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 19. Juli 2006 – 5 U 53/06 – 5 –, juris Rn 22). Der Klausel entgegen jeglicher praktischer Erfahrung von Versicherungsnehmern, die inzwischen an Behandlungen durch bei GmbHs angestellte approbierte Ärzte gewöhnt sind, die weitergehende Bedeutung zu geben, dass derartige Behandlungen keine Behandlungen durch niedergelassene Ärzte sind, obgleich nach heutigem Sprachgebrauch nur niedergelassene Ärzte „in eigener Praxis“ (vgl. etwa § 21 Abs. 2 HeilBG Rheinland-Pfalz) nicht darunter fallen, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und führte dazu, dass sie insgesamt unwirksam wäre. Denn bei der Auslegung der Tarifbedingungen kommt es auf die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers an (vgl. BGH, Urteil vom 07. November 2018 – IV ZR 14/17 –, juris Rn 21).

Soweit in der Rechtsprechung unter Anwendung von § 4 Abs. 2 MB/KK auch in neuerer Zeit gegenteilig entschieden worden ist (vgl. etwa AG Köln, Urteil vom 23. April 2015 – 120 C 132/14 – LG Paderborn, Urteil vom 14. Dezember 2011 – 3 O 211/10 –), setzen sich diese Entscheidungen mit den oben aufgeworfenen Fragen nicht auseinander, sondern beschränken sich auf das Zitieren der fast 40 Jahre alten Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Anspruch auf die beantragten Zinsen hat der Kläger gemäß §§ 280, 286, 288 BGB.

Aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§ 286 BGB) steht dem Kläger auch der Anspruch auf Befreiung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

 

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