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Krankheitskostenversicherung: Anspruch auf zukünftige Deckungszusagen für Behandlungen

LG Berlin, Az.: 23 O 184/13

Urteil vom 12.06.2013

Die Verfügungsbeklagte wird im Wege einstweiliger Verfügung verpflichtet, die Krankenbehandlungs- und Übernachtungskosten gemäß den Kostenvoranschlägen der chirurgischen Klinik Dr. R. vom 21.09.2012 in Höhe von 44.179,47 Euro sowie des Gästehauses am … vom 21.09.2012 in Höhe von 3.580,50 Euro, insgesamt somit 47.759,97 Euro, zu tragen.

Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Krankheitskostenversicherung: Anspruch auf zukünftige Deckungszusagen für Behandlungen
Symbolfoto: Memoryman/Bigstock

Der Verfügungskläger ist seit dem 01.01.1983 Versicherungsnehmer einer Krankheitskostenversicherung (Versicherungsnummer …) bei der Verfügungsbeklagten, welche unter anderem die ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Versicherung wird auf den in Anlage eV9 befindlichen Versicherungsschein Bezug genommen.

Der Verfügungskläger erkrankte im Jahre 2004 an einem Prostatakarzinom, welches noch im selben Jahr operativ entfernt wurde. Im Jahr 2009 erfolgte eine chemotherapeutische Behandlung des Verfügungsklägers. Gleichwohl kam es im Jahre 2010 zu einem erneuten Auftreten der Krebserkrankung in Form eines Lokalrezidivs im Bereich der Blasenwand und in unmittelbarer Nähe zum Enddarm. Dieses wurde zunächst durch eine Hormonablation behandelt, da eine konventionelle Therapie mittels Photonenbestrahlung wegen der zu erwartenden Komplikationen auf Grund der in Folge der Lokalisation zu erwartenden Komplikationen und möglichen Folgeschäden für den Verfügungskläger nicht vertretbar war.

Ferner wurde 2010 bei dem Verfügungskläger ein Bauchaortenaneurysma, welches ebenfalls operativ behandelt werden musste, sowie multiple vergrößerte Lymphknoten diagnostiziert. Ebenfalls im Jahr 2010 musste eine Harnblasenmetastase operativ entfernt werden.

Mit Schreiben vom 23.09.2010 übermittelte der Verfügungskläger der Verfügungsbeklagten die streitgegenständlichen Kostenvoranschläge der Chirurgischen Klinik Dr. R. in München vom 21.09.2012 zur Durchführung einer Protonen-Bestrahlungstherapie mit 21 Fraktionen und einer Behandlungsdauer vom 01.-29.10.2012 über insgesamt 44.179,47 Euro sowie des Gästehauses am …x vom 21.09.2012 hinsichtlich insgesamt 31 Übernachtungspauschalen für die Unterbringung im 2-Bettzimmer und Vollpension während der Behandlungen in der Klinik über insgesamt 3.580,50 Euro bei einem Tagessatz von 115,50 Euro. Die Chirurgische Klinik Dr. R. in München ist europaweit die einzige Klinik, die die streitgegenständliche Protonenbehandlung durchführt. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Kostenvoranschläge wird auf Anlage eV2 Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 27.09.2012 (Anlage 4 des Schriftsatzes der Verfügungsbeklagten vom 07.06.2013) lehnte die Verfügungsbeklagte die Übernahme der Kosten ab und verwies darauf, dass es bisher keine Langzeit-Vergleichsstudien über mittel- bis langfristige Therapieerfolge und Vorteile bzgl. der Mortalität, der Rezidivhäufigkeit und der Spätwirkungen gegenüber der durch die Fachgesellschaften als S3-Leitlinie veröffentlichten Therapieoptionen gäbe und des sich daher gem. § 4 Abs. 6 MB/KK nicht um ein generell erstattungsfähiges Behandlungsverfahren handele. Allenfalls könne man prüfen, ob freiwillige Leistungen möglich seien. Hierzu forderte sie den Verfügungskläger auf, weitere Unterlagen bzgl. einer Indikation der Behandlung durch den ihn behandelnden Urologen einzureichen. Hierauf folgte ein Schriftwechsel zwischen den Parteien, der sich zunächst bis in den April 2013 hinzog, da der Verfügungsbeklagten die von dem Verfügungskläger übersandten Unterlagen nicht genügten und sie auch ihrerseits nicht Rücksprache bei dem behandelnden Urologen des Verfügungsklägers hielt. Im April 2013 holte die Verfügungsbeklagte sodann ein fachärztliches Gutachten einer Fachärztin für Innere Medizin ein. Hierin wird zunächst verbal unvollständig ausgeführt, dass eine Protonentherapie bei Erstdiagnose des Prostata-Karzinoms bei lokal begrenzten und auch bei lokal fortgeschrittenen Karzinomen in der intermediären und Hochrisikogruppe (indiziert sei? – das diesbezügliche Verb fehlt im Gutachten). Empfehlungen zur Behandlung im Rezidiv existierten nicht. Ein erwiesener Nutzen im Lokalrezidiv existiere nicht. Daher bestehe keine medizinische Notwendigkeit für eine solche Behandlung. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Gutachtens wird auf Anlage 16 des Schriftsatzes der Verfügungsbeklagten vom 07.06.2013 Bezug genommen. Hierauf wandte sich die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 22.04.2013 an den Verfügungskläger und erklärte, dass sie auf freiwilliger Basis im Rahmen einer ambulanten Behandlung tarifliche Leistungen für die geplante Protonentherapie zur Verfügung stellen werde. Die Verfügungsbeklagte bemängelte jedoch, dass die eingereichten Kostenvoranschläge in mehreren Punkten nicht konform mit der GOÄ seien und erklärte sich daher nur in Höhe von 22.970,84 Euro zur Kostenerstattung bereit. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Schreibens der Verfügungsbeklagten vom 22.04.2013 und insbesondere den dort erhobenen gebührenrechtlichen Einwendungen wird auf Anlage eV6 Bezug genommen.

Der Verfügungskläger, der – wie im Rahmen des von ihm gestellten Antrages auf Gewährung von Prozesskostenhilfe geprüft wurde – weitgehend vermögenslos ist und von einer Altersrente von rund 929 Euro lebt und daher die auch nach der teilweisen Kostenübernahme der Verfügungsbeklagten verbleibenden Therapiekosten weder bezahlen noch finanzieren kann, wandte sich mit Antragsschrift auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das vorliegende Verfügungsverfahren sodann mit Schreiben vom 02.05.2013 zunächst am 07.05.2013 an das Amtsgericht Spandau. Auf Hinweis bzgl. der dortigen Unzuständigkeit vom 10.05.2013 beantragte der Verfügungskläger mit Schreiben vom 13.05.2013 sodann die Abgabe an das Landgericht Berlin, wo die Sache am 14.05.2013 einging.

Der Gesundheitszustand des Verfügungsklägers hat sich in der Zeit des Rechtsstreits mit der Verfügungsbeklagten stark verschlechtert. Gemäß der unstreitig gebliebenen Angaben des behandelnden Arztes Dr. L. mittels dessen im Termin vom 12.06.2013 vorliegender eidesstattlicher Versicherung lag der Wert des prostataspezifischen Antigens (PSA) im Serum am 30.10.2012 bei 9,04 ng/ml und am 05.11.2012 ebenfalls noch bei 9 ng/ml. Dieser, die geometrische Wachstumskinetik des Tumors widerspiegelnde Wert stieg sodann wie folgt an:

03.01.2013: 131 ng/ml

08.01.2013: 160 ng/ml

02.04.2013: 424 ng/ml

17.05.2013: 858 ng/ml.

Nach dem letzten Laborbefund vom 17.05.2013 konnte dabei festgestellt werden, dass sich der Tumor immer noch auf die ehemalige Prostataloge rechts dorsomediolateral beschränkt. Zusätzlich zeigt jedoch ein Lymphknoten links paraaortal dorsal ebenfalls einen tumorspezifischen Stoffwechsel. Die gutachterliche Stellungnahme im Rahmen der eidesstattlichen Versicherung durch den behandelnden Arzt Dr. L. führt weiter aus:

„Die durch das sachlich seit Antragstellung bei der …x nicht zu rechtfertigende Ablehnungsverhalten bisher entstandene Progression des Tumorrezidivs birgt ein inzwischen nicht mehr zu kalkulierendes Risiko einer massiven multikokalen Metastasierung. Es grenzt an ein Wunder, dass diese bei Herrn K. bisher nicht eingetreten ist. Jeder weitere Tag, um den das für Herrn K. aussichtsreichste Therapieverfahren – die Protonentherapie – verzögert wird, verschlechtert die Therapiechancen des Patienten in ethisch unverantwortlicher Weise, da bei dem inzwischen vorliegenden massiven Größenwachstum des Lokalrezidivs eine lokale Metastasierung, z. B. in die Blasenwand oder eine Fernmetastasierung z. B. in die Wirbelsäule, erfolgen kann. Das Verhalten der … ist menschenverachtend.“

Die Kammer hat die Sache am 29.05.2013 und – mangels im ersten Termin nachweisbarer Zustellung an die Antragsgegnerin – nochmals am 12.06.2013 verhandelt.

Der Verfügungskläger behauptet, die von ihm beabsichtigte Behandlung sei medizinisch notwendig, erfolgversprechend und dringend geboten, da ansonsten akute Lebensgefahr bestehe. Er verweist diesbezüglich insbesondere auf die von ihm eingereichten ärztlichen Stellungnahmen und auf die eidesstattliche Versicherung des Dr. L. sowie dessen Aussage im Rahmen der mündlichen Verhandlung.

Der Verfügungskläger beantragt, die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, die Krankenbehandlungs- und Übernachtungskosten gemäß den Kostenvoranschlägen der chirurgischen Klinik Dr. R. vom 21.09.2012 in Höhe von zum einen 44.179,47 Euro und zum anderen in Höhe von 3.580,50 Euro, insgesamt in Höhe von 47.759,97 Euro zu tragen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie erklärt auf Hinweis des Gerichts, ob die MB/KK 2009 einschlägig seien angesichts eines Versicherungsbeginnes bereits 1983 sei unklar. Warum vorliegend die MB/KK 09 eingereicht worden seien, sei ebenfalls unklar und möglicherweise ein Versehen.

Die Kammer hat den behandelnden Arzt Dr. L., der im Termin zur weiteren Glaubhaftmachung des Antrages anwesend war, ergänzend angehört und befragt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Befragung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2013 (Blatt 92 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist zulässig und begründet.

A.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.

I. Das angerufene Landgericht ist örtlich gem. § 215 Abs. 1 VVG als Wohnsitzgericht des Versicherungsnehmers örtlich zuständig und angesichts des Streitwertes von bis 31.839,98 Euro auch sachlich zuständig.

II.

Der Antrag auf Verpflichtung zur Kostentragung ist – da dieser auf Hinweis der Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung beziffert wurde – auch hinreichend bestimmt gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

B.

Der Antrag ist auch begründet, die Verfügungsbeklagte ist aus dem mit dem Verfügungskläger bestehenden Versicherungsvertrag ausnahmsweise zur Erklärung der Kostenübernahme bereits vor der Durchführung der streitgegenständlichen ärztlichen Behandlung verpflichtet.

I. Verfügungsanspruch

Der Verfügungskläger hat zunächst aus dem Versicherungsvertrag einen Anspruch auf Übernahme der ambulanten Heilbehandlungskosten gemäß dem Kostenvoranschlag der Chirurgischen Klinik Dr. R. vom 21.09.2012.

1) Der Verfügungskläger verlangt keine Geldleistung, sondern eine auf die Zukunft gerichtete Deckungszusage. Der Fälligkeit eines solchen Begehrens steht nicht bereits entgegen, dass vor der Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung grundsätzlich keine Leistungsverpflichtung des Versicherers besteht. Zwar ist der Versicherer in der Regel nachleistungspflichtig. Es ist jedoch gerechtfertigt, von dieser Grundregel gem. § 242 BGB eine Ausnahme zuzulassen und einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf eine vorherige Deckungszusage für begründet zu erachten, wenn der Behandler des Versicherungsnehmers eine solche Erklärung verlangt, wenn der Versicherungsnehmer einen von ihm geforderten Vorschuss nicht leisten kann oder wenn er von der beabsichtigten Behandlungsmaßnahme Abstand nehmen müsste, weil er das Risiko, die Kosten selbst tragen zu müssen, nicht eingehen kann (OLG Oldenburg NJOZ 2010, 2262 m. w. N.). So liegt es hier. Die … Klinik hat mit Übersendung ihres Kostenvoranschlages vom 21.09.2012 erklärt, dass die Bestrahlungstermine „nach Kostenübernahme bzw. Vorauszahlung“ abgestimmt werden und den Verfügungskläger im Rahmen der Patienteninformationen umfangreich auch bzgl. eines Vorgehens gegenüber der Privatkrankenversicherung aufgeklärt mit dem Hinweis, dass der Verfügungskläger seine Ansprüche, sollte die Krankenversicherung die Kosten nicht übernehmen, der Versicherung gegenüber mittels eines Rechtsanwaltes durchsetzen solle. Die behandelnde Klinik hat somit eindeutig zum Ausdruck gebracht, die Behandlung von einer vorherigen Kostendeckungszusage oder Vorauszahlung abhängig zu machen. Da der Verfügungskläger zu einer solchen Vorauszahlung finanziell nicht in der Lage ist, steht dem Anspruch daher vorliegend ausnahmsweise nicht die fehlende Fälligkeit desselben entgegen.

2) Der Anspruch besteht auch dem Grunde nach, da der Verfügungskläger die medizinische Notwendigkeit der beabsichtigten Behandlung glaubhaft gemacht hat. Nach den Angaben seines Behandlers im Termin ist die Protonentherapie geeignet, die Tumorerkrankung des Verfügungsklägers zu behandeln. Nach seinen Erläuterungen ist sie sogar besser geeignet als andere Behandlungsmethoden, da bei Durchführung einer Strahlentherapie die extrem hohe Gefahr einer Schädigung der Aorta angesichts des bei dem Verfügungskläger bestehenden Bauchaortenanorysmas und der schwerwiegenden Schädigung der Aorta einerseits sowie die hohe Gefahr einer Schädigung der Blasenwand andererseits bestünde, was bei Durchführung der Protonentherapie jeweils nicht der Fall ist. Die Protonentherapie ist danach auch besser geeignet als eine Chemotherapie, da die Chemotherapie nach den überzeugenden Ausführungen des Behandlers geringe Erfolgsaussichten bietet und gleichzeitig die den Körper des Verfügungsklägers am meisten belastende Behandlungsmethode darstellt.

Angesichts des Datums des Vertragsschlusses geht die Kammer von der Geltung der MB/KK 76 aus. Die dortige „Wissenschaftsklausel“ hat der BGH für unwirksam erklärt, sodass es auf die Frage der Beurteilung der Behandlung in der Schulmedizin und einer Gleichwertigkeit nicht ankommt.

3)

Der Anspruch ist auch der Höhe nach begründet.

a) Die Höhe des Anspruches folgt schlüssig aus dem Kostenvoranschlag der …-Klinik. Soweit die Verfügungsbeklagte gegen die keine gebührenrechtlichen Einwände erhoben, sondern sich zur Übernahme der Kosten verpflichtet hat, ist die Anspruchshöhe daher begründet.

b) Soweit die Verfügungsbeklagte gebührenrechtliche Einwände erhoben hat, sind diese wie folgt unberechtigt:

(1) Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, zur Zahlung von 31.48 Euro gem. Nr. 15 GOÄ nicht verpflichtet zu sein, ist dies rechtlich falsch. Eine hausärztliche Koordinierung ist, wie sich aus der diesbezüglichen Kommentarliteratur (siehe insoweit Brück, Kommentar zur GOÄ, 3. Auflage, 24. EL Stand Dezember 2012 Seite 284) ersehen lässt, nicht notwendig an die Tätigkeit eines Hausarztes gebunden. Vielmehr kann auch ein Facharzt durch eine kontinuierliche ambulante Betreuung chronisch Kranker eine derartige Koordinierung leisten. Eine solche Koordinierungsleistung der …klinik ist hier bei einer Behandlungsdauer von über 3 Wochen und einem ebenfalls notwendigen mehrtägigen Aufenthalt des Verfügungsklägers in München offensichtlich.

(2) Richtig ist, dass der Kostenvoranschlag mit der Nr. 5863 analog eine nicht existierende Gebührenziffer aufweist. Der Verfügungskläger hat sich daher im Rahmen der mündlichen Verhandlung den Vortrag der Beklagten zu eigen gemacht und die Position wie von der Beklagten bereits vorgenommen als 3 x 5855 analog GOÄ geltend gemacht. Dies ergibt bei dem geltend gemachten 2,5fachen Multiplikator und einer zweifachen Abrechnung, da vorliegend sowohl der Blasentumor als auch die Aorta bestrahlt werden, einen Kostenpunkt von 2 x 3.016,33 Euro = 6.032,67 Euro, was fast identisch dem Kostenansatz des Kostenvoranschlages entspricht (dieser lautet auf 6.034,06 Euro), weshalb die Kammer angesichts der geringen Differenz einerseits und dem vorläufigen Charakter eines Kostenvoranschlages davon abgesehen hat, die nun begründete Kostenposition um die Differenz von 1,39 Euro zu kürzen.

(3) Soweit die Beklagte die Position „Planverifikation“ gemäß Nr. 5855 GOÄ analog vor der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehen konnte, hat die Kammer dies durch die ergänzende und sodann unstreitig gebliebene Befragung des Dr. L. hinreichend geklärt und festgestellt, dass es sich um eine selbständige ärztliche Leistung dahingehend handelt, dass der Patient in ein speziell für die Behandlung zu erstellendes Schaumstoffbett eingepasst werden muss. Eine Identität dieser praktischen Tätigkeit mit der Erstellung des Bestrahlungsplanes ist daher nicht gegeben.

(4) Soweit die Beklagte ferner für die intraoperative Strahlenbehandlung nur 1 Behandlung am Tag anerkannt hat, hat die Kammer durch die Befragung des Dr. L. dies ebenfalls insoweit geklärt, als der Verfügungskläger nicht nur am Blasenrezidiv, sondern auch an der Aorta bestrahlt werden soll und daher 2 Bestrahlungen am Tag anfallen.

(5) Soweit die Beklagte weiter den geltend gemachten Multiplikator von 2,5 nicht nachvollziehen kann, ist für die Kammer auch diese Berechnung durch Befragung des behandelnden Arztes Dr. L. dahingehend glaubhaft gemacht worden, als dieser ausgeführt hat, dass – was zwischen den Parteien unstreitig ist – die Ziffern der GOÄ die Protonenbestrahlung noch nicht explizit vorsehen, daher eine (wie hier teilweise mehrfache) analoge Heranziehung notwendig ist und auch diese Gebührenpunkte die Kosten für eine derart kostspielige Behandlung nur dann hinreichend decken, wenn eine angemessene Erhöhung wie vorliegend auf den 2,5fachen Satz erfolgt. Diese Darlegung genügt der Kammer: richtig ist, dass die Heranziehung der GOÄ bei der vorliegenden Behandlung bereits an sich nur teilweise zielführend, aber notwendig ist. Vordringlich ist dabei jedoch zu beachten, dass – sofern wie hier Behandlungsmethoden medizinisch für zwingend notwendig zu erachten sind – die behandelnde Klinik auch kostendeckend arbeiten können muss. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass vorliegend das ärztliche Ermessen, welches der Berechnung zu Grunde liegt, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nur kursorisch zu überprüfen ist, was hier geschehen ist. Eine weitere Hinauszögerung des hier lebensnotwendigen Rechtsschutzes allein mit der Begründung, die behandelnde Klinik müsse noch ergänzend angeben, aus welchen Einzelgründen sie nicht 1,8fach, sondern 2,5fach abgerechnet habe, wäre mit dem Ziel des Verfahrens vorliegend unvereinbar, zumal es sich wie bereits dargelegt ohnehin nur um eine Kostenschätzung durch die Klinik handelt, bei der sodann im Rahmen der Behandlung – etwa durch zusätzlich auftretende Schwierigkeiten – noch weitere Erhöhungen der Multiplikatoren stattfinden können, welche – vorbehaltlich einer ausreichenden Begründung hierfür – sodann ebenfalls durch die Beklagte zu begleichen sind. Die hinreichende Begründung der Multiplikatoren ist daher vorliegend nicht abschließend zu prüfen.

2)

Daneben besteht vorliegend auch ein Anspruch auf Übernahme des Gästehauses für die Übernachtungs- und Verpflegungskosten des Verfügungsklägers. Die Verfügungsbeklagte hat diese gem. § 242 BGB aus Treu und Glauben ausnahmsweise deshalb zu tragen, weil eine ordnungsgemäße Behandlung des Klägers ansonsten unmöglich würde. Der Kläger wohnt in Berlin. Die einzige Behandlungsstätte in ganz Europa befindet sich in München. Die Behandlungen haben über ca. 3 Wochen 2 Mal täglich zu erfolgen, sodass der Kläger notwendigerweise in München verbleiben und dort übernachten muss. Auch ist der Kläger nach den Ausführungen des Dr. L. nach den Behandlungen gesundheitlich geschwächt und nicht in der Lage, sich vor Ort Essen zuzubereiten, sodass auch eine Vollverpflegung notwendig ist. Zuletzt erscheint der Kostenfaktor von 115,50 Euro pro Tag für Übernachtung und Vollverpflegung in München der Kammer auch der Höhe nach schlüssig, sodass auch bzgl. dieser Kosten ein Verfügungsanspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten durch die Verfügungsbeklagte besteht.

II. Verfügungsgrund

Vorliegend besteht auch ein Verfügungsgrund für den Erlass der einstweiligen Verfügung: Der Verfügungskläger hat durch die eidesstattliche Versicherung des behandelnden Arztes Dr. L. dahingehend, dass das bisherige Abwarten der Beklagten bereits dazu geführt habe, dass sich das Tumorwachstum bei dem Kläger erheblich beschleunigt habe, sich dieses Tumorwachstum weiter geometrisch beschleunige und es an ein Wunder grenze, dass das Rezidiv noch nicht zu einer Metastasierung geführt habe, nachvollziehbar dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die umgehende Behandlung des Klägers ohne jeglichen weiteren Zeitverzug für den Kläger überlebensnotwendig ist. Jede weitere Verzögerung der Behandlung verschlechtert danach die Therapieaussichten in unverantwortlicher Weise, sodass höchste Eile geboten ist.

Der Annahme eines Verfügungsgrundes steht auch nicht die von der Beklagten vorgetragene Rechtsansicht entgegen, der Kläger habe keinen Verfügungsgrund mehr, weil er sich mit der Einreichung von ärztlichen Bescheinigungen zuviel Zeit gelassen habe. Eine derartige Rechtsansicht ist im konkreten Fall fernliegend. Zwar ist anerkannt, dass ein Verfügungskläger, der sich mit der Beantragung von einstweiligem Rechtsschutz zu viel Zeit lässt, des Verfügungsgrundes allein durch dieses Zuwarten verlustig gehen kann (so z. B. KG NJW-RR 2001, 1201). Dieser Grundsatz beruht jedoch nicht etwa auf einer Verwirkung von Ansprüchen, sondern auf der Annahme der Selbstwiderlegung (KG a. a. O., LG Aachen, BeckRS 2008, 02565), welche wiederum voraussetzt, dass aus dem Verhalten des Antragstellers zu schließen sein muss, dass ihm auf Grund des Zuwartens die Sache doch nicht eilig sei (so bspw. für das Wettbewerbsrecht OLG Hamburg GRUR 2008, 366). Dies dem Kläger, der vorliegend um sein Leben kämpft, zu unterstellen, ist jedoch offensichtlich falsch.

Auf Grund der gebotenen extremen Eilbedürftigkeit war der Beklagten auch keine Überlegungsfrist dahingehend einzuräumen, ob sie die gebotene Behandlung nicht doch noch vollständig freiwillig bezahlen will.

Die vorliegende Leistungsverfügung nimmt, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Verfügungskläger weitgehend mittellos ist und daher auch dann, wenn er in der Hauptsache unterliegen würde, die Behandlungskosten nicht bezahlen könnte und diese somit bei der Beklagten verbleiben werden, die Hauptsache vorweg. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist jedoch allgemein in Fällen der akuten Existenzgefährdung anerkannt, welche hier ersichtlich gegeben ist, da anders der Schutz der Gesundheit und des Lebens des Antragstellers effektiv nicht geschützt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Das Urteil ist mit Verkündung sofort vollstreckbar, ohne dass es einer Entscheidung hierüber bedarf (allg. Meinung, siehe Zöller, 28. Auflage, § 929 Rn. 1), der Tenor des Urteils ist insoweit deklaratorisch.

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