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Krankenversicherungsvertrag – vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung

LG Kiel – Az.: 5 O 46/12 – Urteil vom 23.11.2012

Es wird festgestellt, dass das Versicherungsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten mit der dortigen Versicherungs-Nr. ………….fortbesteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Feststellung, dass ihr Krankenversicherungsvertrag mit der Beklagten fortbesteht.

Die Klägerin schloss mit der Beklagten zum 01.01.2009 einen privaten Krankenversicherungsvertrag. Dieser beruht auf einem Antrag der Klägerin vom 15.09.2008. In diesem Antrag wurde die Klägerin unter anderem gefragt, ob in den letzten drei Jahren, und sofern bejaht welche, Beschwerden, Krankheiten, Anomalien und/oder Unfallfolgen vorgelegen hätten. Für den gleichen Zeitraum wurde die Frage gestellt, ob Behandlungen oder Untersuchungen von Ärzten oder Angehörigen anderer Heilberufe vorgenommen wurden. Die Klägerin beantwortete diese Fragen, indem sie eine selbst angefertigte Liste (Anlage K5) und einen Brief der Ärztin Dr. Sxxx einreichte. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen K5 und K9 Bezug genommen.

Krankenversicherungsvertrag - vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung
Symbolfoto: Von alexkich /Shutterstock.com

Mit Schreiben vom 27.05.2011 erklärte die Beklagte der Klägerin gegenüber den Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Diese Erklärung stützte die Versicherung darauf, dass die Klägerin folgende Beschwerden und Erkrankungen nicht angegeben habe: „chronische Sinusitis, Nasenseptumdeviation, Allergie, Durchschlafstörungen, Kniebeschwerden/ -erkrankungen, Colon irritable, Cardiainsuffizienz, Schluckstörungen (Dysphagie), periorale Dermatitis, unklare Belastungsdyspnoe, oft belegte Stimme und Fraktur des Handgelenks und Jochbeins“.

Die vorgebrachten Informationen der Beklagten stammen aus einer Leistungsüberprüfung durch Auskünfte vom vorherigen Versicherer und behandelnden Ärzten im Zeitraum vom 05.05.2011 bis 26.05.2011.

Im Jahr 2006 wurde die Klägerin nach einem Verdrehtrauma am Knie behandelt. Dauerhafte Beeinträchtigungen bestanden danach nicht. Betreffend die Diagnose einer Allergie legte die Beklagte eine Rechnung vor, auf der diese Diagnose vermerkt ist, weitere Diagnosen aber geschwärzt sind.

Mit Schriftsatz vom 3.8.2012 behauptete die Beklagte erstmals, bei der Klägerin seien ein Müdigkeitssyndrom, unklare Bauchschmerzen und ein unklarer Abdomen diagnostiziert worden. Kenntnis erlangte die Beklagte von diesen Diagnosen am 23. und 26.05.2011.

Die Klägerin behauptet, die angeführten Beschwerden seien ihr nicht bekannt gewesen. Sie habe den Fragebogen nach bestem Gewissen ausgefüllt.

Die von der Beklagten angeführte Cardiainsuffizienz sei angegeben worden. Es handele sich um die Refluxerkrankung mit Ösophagitis, welche die Klägerin auf der Anlage K5 angeführt habe. Wegen dieser Erkrankung habe es keine weiteren Behandlungen gegeben. Die angeführte Dysphagie gehe ebenfalls auf die angegebene Refluxerkrankung aus dem Jahr 2004 zurück. Eine chronische Sinusitis sei bei der Klägerin nicht diagnostiziert worden; sie leide nicht an dieser Erkrankung. Es habe lediglich eine einfache Erkältung vorgelegen, zu der Nasentropfen verschrieben worden seien. Hinsichtlich der Nasenseptumdeviation behauptet die Klägerin, diese sei auf ihren Fahrradunfall aus dem Jahr 2005 zurückzuführen, in dem die Nase gerichtet worden sei. Eine periorale Dermatitis sei flüchtig, ungefährlich und nicht pathologisch. Zudem meint die Klägerin, die Diagnose unklarer Belastungsdyspnoe sei eine unwichtige Diagnose. Gleiches gelte hinsichtlich der Colon irritabile. Zudem habe es sich nur um eine vorübergehende Verdauungsstörung gehandelt.

Die weiter als Rücktrittsgrund angegebenen Kniebeschwerden der Klägerin gingen zum Teil auf den in Anlage K5 angegebenen Fahrradunfall zurück. Die Kniebeschwerden vom Tanzen habe sie vergessen, weil sie beschwerdefrei und zudem nicht krankgeschrieben gewesen sei. Zudem meint die Klägerin, die Untersuchung im Sommer 2006 liege außerhalb des Dreijahreszeitraums. Weiter sei der Klägerin eine Allergie nicht bekannt. Sie sei nie wegen Allergie behandelt worden, sondern lediglich ohne Befund untersucht worden. Die im Rücktrittsschreiben angegebene Jochbeinfraktur sei im Antrag an die Versicherung angegeben worden. Die Klägerin behauptet, es habe keine Handgelenksfraktur gegeben. Zudem meint sie, diese habe mehr als drei Jahre vor Vertragsschluss gelegen.

Hinsichtlich des Müdigkeitssyndroms und der unklaren Bauchschmerzen meint die Klägerin, diese dürften keine Berücksichtigung finden, weil sie mehr als drei Jahr vor Vertragsschluss diagnostiziert worden seien.

Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass das Versicherungsverhältnis vom 01.01.2009 zur Versicherungs-Nr. ………….Zug um Zug gegen Entrichtung der Beiträge seit Juni 2011 unverändert fortbesteht, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Krankenversicherungsvertrag mit der Klägerin auf der Grundlage des Basistarifs seit Mai 2011 fortzuführen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, die Angabe der Refluxerkrankung reiche im Hinblick auf die Cardiainsuffizienz nicht aus. Die Klägerin habe im Fragebogen angegeben, es bestünde kein weiterer Behandlungsbedarf. Allerdings habe eine weitere Behandlung im Jahr 2010 stattgefunden. Bei der Klägerin sei unklare Belastungsdyspnoe diagnostiziert worden. Weiter seien Colon irritabile zwei Mal diagnostiziert worden. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage B12 Bezug genommen.

Hinsichtlich der Kniebeschwerden behauptet die Beklagte, es hätten am linken Knie persistierende mediale Schmerzen bestanden. Zudem behauptet die Beklagte, die Klägerin habe diverse Allergiebehandlungen seit August 2006 gehabt. Diese seien von Frau Dr. Sxxx diagnostiziert worden. Weiter sei die Klägerin am 14.09.2005 aufgrund einer Handgelenksfraktur behandelt worden.

Diese Diagnosen habe die Klägerin der Beklagten aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht mitgeteilt.

Bei Kenntnis dieser Umstände hätte die Beklagte den Versicherungsvertrag mit der Klägerin im Ergebnis nicht abgeschlossen. Zunächst hätte sie für den stationären Tarif Leistungsausschlüsse und im ambulanten Bereich sechs Zuschläge erhoben. Im Gesamtbild hätte ein Vertragsschluss dann keinen Sinn mehr gemacht, sodass der Antrag der Klägerin abgelehnt worden wäre. Das gelte umso mehr angesichts der Vielzahl vorhandener Diagnosen. Das Gesamtrisiko wäre zu groß gewesen, sodass eine Versicherung der Beklagten nicht mehr zuzumuten gewesen wäre.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat insbesondere ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Bestehens des Rechtsverhältnisses im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Ein Feststellungsinteresse besteht insbesondere, wenn eine Partei Rechte ernsthaft bestreitet. (BGH NJW 1986, 2507). Die Beklagte hat den Rücktritt erklärt und bestreitet sowohl prozessual wie auch außerprozessual, dass ein Versicherungsvertrag besteht.

Die Klage ist auch begründet. Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht ein Versicherungsvertrag mit der dortigen Versicherungsnummer 313/056845861A00016. Dieser Vertrag wurde geschlossen, indem die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 15.09.2008 angenommen hat. Er ist nicht durch die Rücktrittserklärung vom 27.05.2011 erloschen. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte zum Rücktritt berechtigt gewesen ist. Die Voraussetzungen für einen Rücktritt gemäß § 19 Abs. 2 VVG hat die Beklagte nicht nachgewiesen.

Gemäß § 19 Abs. 2 VVG kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, wenn der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht verletzt. Diese Anzeigepflicht wird in § 19 Abs. 1 VVG dahingehend konkretisiert, dass der Versicherungsnehmer bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen hat, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat. Die Beklagte fragte die Klägerin auf dem Antragsformular, ob in den letzten drei Jahren Beschwerden, Krankheiten, Anomalien und/oder Unfallfolgen bestanden hätten. Für diesen Zeitraum wurde auch gefragt, ob Behandlungen oder Untersuchungen von Ärzten oder Angehörigen anderer Heilberufe vorgenommen wurden. Eine Anzeigepflichtverletzung ist danach nicht gegeben.

Die Beklagte stützt ihre Rücktrittserklärung unter anderem darauf, dass die Klägerin auf eine Fraktur des Jochbeins nicht hingewiesen habe. Mit ihrer Anlage zum Krankenversicherungsantrag vom 15.09.2008 hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie im April/Mai 2005 einen Fahrradunfall gehabt habe und unter anderem eine Jochbeinfraktur erlitten habe. Eine Anzeigepflichtverletzung liegt insoweit nicht vor.

Hinsichtlich des Vorwurfs, die Klägerin habe eine „oft belegte Stimme“ nicht angegeben, fehlt es an jeglichen Darlegungen. Es ist nicht ersichtlich, ob und wenn ja wann dies aufgetreten ist und ob darin ein Krankheitswert zu sehen ist. Aus dem Vortrag lässt sich eine Anzeigepflichtverletzung nicht erkennen.

Soweit die Beklagte als Rücktrittsgründe anführt, die Klägerin habe in ihrem Antrag nicht angegeben, dass bei ihr ein Müdigkeitssyndrom, unklare Bauchschmerzen und ein unklares Abdomen diagnostiziert worden seien, kann die Beklagte diese Rücktrittsgründe nicht anführen, weil die Frist des § 21 Abs. 1 VVG abgelaufen war. Demnach kann der Versicherer das Rücktrittsrecht nur innerhalb eines Monats, beginnend mit dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung, geltend machen. Es handelt es sich um Gründe, die die Beklagte in ihrem Rücktrittsschreiben vom 27.05.2011 nicht angegeben hat. Auch nachgeschobene Rücktrittsgründe unterliegen gemäß § 21 Abs. 1 S. 3 VVG der Monatsfrist des § 21 Abs. 1 VVG (Bruck/Möller-Rolfs VVG, 9. Aufl. 2009, § 21 Rn. 20). Kenntnis erlangte die Beklagte insoweit am 23.05.2011 und am 26.05.2011. Erstmals geltend gemacht hat die Beklagte diese Gründe erst mit Schriftsatz vom 03.08.2012, mithin mehr als ein Jahr nach Ablauf der Frist.

Soweit die Beklagte ihren Rücktritt darauf stützt, die Klägerin habe eine Cardiainsuffizienz und Schluckbeschwerden nicht angegeben, liegt ebenfalls kein Rücktrittsgrund vor. Die Klägerin genügte insoweit ihrer Aufklärungspflicht. Es handelt sich bei Cardiainsuffizienz um eine Inkompetenz oder Undichtigkeit des Verschließmechanismus am Mageneingang. Die Klägerin wies mit ihrer Selbstauskunft darauf hin, dass sie an der Refluxkrankheit mit Ösophagitis leide. Insofern zeigt sich die Refluxkrankheit, auf die die Klägerin ausdrücklich hingewiesen hat, offensichtlich als das Symptom der Cardiainsuffizienz. Darauf hat das Gericht bereits im Termin vom 13.07.2012 hingewiesen. Die Klägerin hat mit der Angabe der Refluxerkrankung das Krankheitsbild ausreichend wiedergegeben. Die möglicherweise exaktere medizinische Bezeichnung muss der Klägerin gar nicht bekannt gewesen sein. Jedenfalls aber waren der Beklagten die grundsätzlich damit zusammenhängenden Beschwerden bekannt und eine entsprechende Risikoeinschätzung möglich. Die Klägerin wies die Beklagte auch erläuternd ausdrücklich darauf hin, dass das Ventil am Mageneingang minimal undicht sei. Die weitere Behandlung im Jahr 2010 ist nicht aufklärungsrelevant, weil der Versicherungsvertrag zu diesem Zeitpunkt bereits bestand. Darauf beruhen auch die Schluckbeschwerden der Klägerin.

Auch die Nichtangabe einer Nasenseptumdeviation stellt keine Anzeigenpflichtverletzung dar. Eine Nasenscheidewandverkrümmung ist entweder angeboren oder durch eine Verletzung bedingt. Die Klägerin hat in ihrem Antrag einen Fahrradunfall aus dem Jahr 2005 angegeben, aufgrund dessen die Nase gebrochen war und ambulant gerichtet worden ist. Insofern liegt es nahe, dass diese Diagnose aus dem Jahr 2006 auf dem angegebenen Nasenbruch beruht. Einer besonderen Mitteilung der Nasenscheidewandverkrümmung neben dem Bruch war nicht erforderlich.

Soweit die Beklagte ihren Rücktritt auf eine nicht angegebene Handgelenksfraktur stützt, führt sie dazu aus, diese sei am 14.09.2005 in der Kartei einer behandelnden Ärztin erkennbar. Darauf kann die Beklagte keinen Rücktrittsgrund stützen. Die Beklagte fragte sowohl hinsichtlich der Krankheiten und Beschwerden, wie auch hinsichtlich Behandlungen und Untersuchungen einen Zeitraum von drei Jahren ab. Die Klägerin gab ihre Erklärungen am 15.09.2008 ab, sodass der erfragte Dreijahreszeitraum bis zum 16.09.2005, höchstens bis zum 15.09.2005 zurückreicht, jedenfalls aber nicht bis zum 14.09.2005. Dass diesbezüglich weitere Behandlungen stattfanden oder weitere Beschwerden vorlagen, ist nicht vorgetragen worden.

Bei der behaupteten chronischen Sinusitis ergibt sich aus dem von der Beklagten vorgelegten Antwortbogen des behandelnden Arztes, dass laut Angaben der Klägerin gegenüber dem Arzt die Krankheitsmerkmale „Nasenkribbeln und Niesreiz“ waren. Derartige Bagatellbeschwerden müssen nicht angegeben werden. In dem Antragsformular heißt es ausdrücklich, dass kurzfristige Erkrankungen wie Husten und Schnupfen nicht anzeigepflichtig sind. Es ist nicht dargetan, dass hier eine häufigere Behandlung notwendig war, sie ergibt sich auch nicht aus den Behandlungsunterlagen. Vielmehr ist dort nur ein Behandlungstermin verzeichnet.

Auch die von der Beklagten genannten Durchschlafstörungen brauchten von der Klägerin nicht besonders angegeben zu werden. Sie sind Teil der Beschwerden, die zu dem Krankheitsbild, wie im Arztbrief von Frau Dr. Sxxx beschrieben, gehören. Dieser Arztbrief lag der Beklagten bei Antragstellung vor.

Die Beklagte kann vom Vertrag nicht zurücktreten, weil die Klägerin die Beklagte nicht über Colon irritabile (unklare Bauchbeschwerden), periorale Dermatitis (Bläschenausschlag um den Mund) und unklare Belastungsdyspnoe (Atembeschwerden) aufgeklärt habe. Hier fehlt es an der Gefahrerheblichkeit dieser Umstände. Es handelt sich jeweils um vergleichsweise unbedeutende Diagnosen, die im Regelfall mit nur vorübergehender Beeinträchtigung einhergehen und dann schnell in Vergessenheit geraten. Dass mit diesen Diagnosen dauerhafte Beeinträchtigungen einhergingen, ist nicht dargelegt.

Gefahrerheblich sind solche Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Der Versicherungsnehmer genügt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung seiner Darlegungslast bereits dann, wenn er pauschal behauptet, der betreffende Umstand sei nicht gefahrerheblich. Liegt die Gefahrerheblichkeit nicht auf der Hand, ist es Sache der Versicherers, substantiiert seine Risikoprüfungsgrundsätze vorzutragen (BGH, VersR 2000, 1486). Bei den insoweit herangezogenen Diagnosen ist eine solche offensichtliche Gefahrerheblichkeit nicht erkennbar. Weder waren bei den hier vorliegenden Beschwerden häufigere Behandlungen notwendig, noch ist aus den Unterlagen überhaupt eine Therapie zu entnehmen. Auch die Zusammenschau der einzelnen Beschwerden vermag nicht das Gesamtbild einer offenkundig gefahrerheblichen Gesundheitsstörung zu vermitteln.

Die Beklagte hat nicht hinreichend dargelegt, dass sie den Vertrag nicht, auch nicht zu einer höheren Prämie oder mit einem teilweisen Leistungsausschluss geschlossen hätte, wenn ihr diese Umstände bekannt gewesen wären. Dabei genügt nicht das pauschale Vorbringen, der Versicherer lehne grundsätzlich alle Risikoerhöhungen ab, noch reicht die Ausführung, der Vertrag wäre allenfalls zu anderen Bedingungen zustande gekommen (MüKo-Langheid VVG, 2009, § 19 Rn. 185 m.w.N.).

Die Beklagte hat ausgeführt, sie hätte im stationären Tarif Leistungsausschlüsse vereinbart und im ambulanten Bereich insgesamt sechs Zuschläge erhoben. Ein Grund für diese Differenzierung ist nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Die Beklagte muss zwischen Erheblichem und Unerheblichem unterscheiden und erläutern, nach welchen Kriterien sie die Grenzziehung vornimmt (vgl. OLG Düsseldorf, r+s 1994,81). Das ist nicht geschehen. Sie hat nicht ausgeführt, welche Diagnose zu Beitragsanpassung oder zu Leistungsausschlüssen geführt hätte. Zudem fehlen Ausführungen dazu, in welchem Umfang Beitragsanpassungen vorgenommen wären und welche Leistungen im Nachgang zu einer Diagnose ausgeschlossen worden wären. Warum bei mehreren Modifikationen, die ein untragbares Risiko mildern oder gar ausschließen sollen, ein Vertragsschluss gänzlich unterblieben wäre, ist aus dem Vortrag der Beklagten ebenfalls nicht ersichtlich und ergibt sich auch nicht von selbst.

Entsprechender substantiierter Vortrag der Beklagten zur Gefahrerheblichkeit der vorgebrachten Rücktrittsgründe erfolgte auch nach richterlichem Hinweis nicht. Da keine offensichtliche Gefahrerheblichkeit gegeben ist, ist die Beklagte nicht von ihrer sekundären Darlegungslast befreit. Genügt die auf sekundärer Ebene darlegungspflichtige Partei, wie hier die Beklagte, diesen Anforderungen nicht, ist der gegnerische Vortrag nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen (Zöller-Greger ZPO, 28. Aufl. 2010, § 138 Rn. 8b). Ein weiterer richterlicher Hinweis (vgl. Zöller-Greger ZPO, § 139 Rn. 14a) war nicht angezeigt.

Auch die diagnostizierten Kniebeschwerden rechtfertigen nicht den Rücktritt. Soweit die Klägerin Kniebeschwerden im Frühjahr 2005 hatte, liegen diese Beschwerden nicht im anzeigepflichtigen Zeitraum. Die Klägerin gab ihre Erklärungen zum Gesundheitszustand am 15.09.2008 ab. Sie war damit nicht verpflichtet, über den Herbst 2005 hinausgehend Auskünfte zu erteilen. Wenn die Klägerin darüber hinaus überobligatorische Auskünfte erteilt, dürfen ihr eventuelle Unrichtigkeiten an dieser Stelle nicht zum Nachteil gereichen. Weitere Kniebeschwerden hatte die Klägerin im Jahr 2006. Soweit die Klägerin meint, diese Diagnose liege außerhalb der relevanten Dreijahresfrist, ist ihr darin nicht zu folgen. Wie bereits ausgeführt, war die Klägerin bis in das Jahr 2005 hinein auskunftspflichtig. Es handelte sich um ein Verdrehtrauma, das die Klägerin beim Tanzen erlitt. Es muss also der Umstand berücksichtigt werden, dass es sich um eine anlassbezogene Verletzung handelte, die auf stärkere Beanspruchung zurückgehen kann. Unstreitig war diese zu der Zeit für die Klägerin schmerzhaft. Sie leidet aber zum jetzigen Zeitpunkt unter keinen weiteren Beeinträchtigungen. Für diese Fälle berücksichtigt die Rechtsprechung besonders den Anlass der Diagnose, sodass es zu Erleichterungen für den Versicherungsnehmer kommt (BGH VersR 1991, 578; OLG Hamburg VersR 1990, 610; vgl. auch BGH VersR 2000, 1486). Denn bei gewöhnlichen Sportverletzungen, auch wenn sie behandelt worden sind, gilt nicht zwingend, dass diese den Versicherer veranlasst hätten, den Vertrag gar nicht oder zu anderen Bedingungen abzuschließen (BGH VersR 1991, 578). Auch insoweit gilt daher, dass die Beklagte, nachdem die Klägerin dies entsprechendes behauptet hat, substantiiert ihre Risikoprüfungsgrundsätze hätte darlegen müssen und insbesondere ausführen müssen, wann sie Zuschläge oder Leistungsausschlüsse vereinbart. Dies ist hier nicht geschehen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Beklagte durch Übersendung des Arztberichtes aus der radiologischen Gemeinschaftspraxis bereits mit Antragstellung informiert war.

Hinsichtlich der behaupteten Allergie der Klägerin fehlt es ebenfalls an substantiierten Darlegungen der Beklagten. Sie behauptet bloß unter Vorlage einer Arztrechnung, dass diverse Allergiebehandlungen stattgefunden hätten, wobei jedoch weitere Teile der Rechnung, insbesondere der Diagnosen geschwärzt sind. Zweifelhaft ist insoweit bereits die objektive Pflichtverletzung, da mit Anlage K8 ein Brief eben jener behandelnden Ärztin an die Klägerin bei der Beklagten mit dem Antrag vorgelegt wurde, in der eine Akupunkturbehandlung nachgewiesen ist, jedoch keine Allergie. Fraglos kann eine vorhandene Allergie einen gefahrerheblichen Umstand darstellen, der jedoch näherer Darlegung bedürfte. Allergien sind weit verbreitet und verschiedenster Natur. Inwieweit diese gefahrerheblich in einem Umfang sein soll, dass die Versicherung den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, auch im Zusammenwirken mit weiteren Diagnosen, ist nicht dargelegt. Eine Überprüfung, ob die vorhandene Allergie offensichtlich gefahrerheblich war, ist in Anbetracht der insoweit unsubstantiiert vorgetragenen Diagnose nicht möglich. Seitens der Beklagten wird lediglich unter Vorlage einer Arztrechnung behauptet, die Klägerin leide unter einer Allergie. Wogegen die Klägerin allergisch reagiere und in welchem Ausmaß, hat die Beklagte nicht dargelegt. Das ergibt sich auch nicht aus den vorgenommenen Behandlungen, weil dort im Wesentlichen Akupunkturbehandlungen aufgeführt sind, die die Klägerin zudem in ihrem Antrag grundsätzlich angegeben hat. Auch insoweit, unterstellte man zugunsten der Beklagten ein Allergieleiden der Klägerin, ist dieses aufgrund der Darstellungen nicht offensichtlich gefahrerheblich, sodass die Beklagte auch insoweit ausführlich hätte darlegen müssen, aufgrund welchen Risikoprüfungsgrundsatzes sie welche vertraglichen Modifikationen verlangt hätte.

Selbst wenn man von einer objektiven Verletzung der Anzeigenobliegenheit ausginge, wäre ein Rücktritt gemäß § 19 Abs.3 VVG ausgeschlossen. Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt, ist das Rücktrittsrecht des Versicherers ausgeschlossen. Vorsätzliches Verhalten der Klägerin ist auszuschließen. Grobe Fahrlässigkeit fällt demjenigen zur Last, der die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich grobem Maß verletzt und dasjenige unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Das Fehlen grober Fahrlässigkeit muss der Versicherungsnehmer beweisen (Bruck/Möller/Rolfs VVG § 19 Rn.100, 107). Von grober Fahrlässigkeit ist hier nicht auszugehen. Die Klägerin durfte die nicht aufgeführten Beschwerden als Bagatellen einordnen. Wie bereits oben ausgeführt, hatten die von der Beklagten genannten Diagnosen nur einmalige Arztbesuche und keine erkennbaren Therapien zur Folge. Die Beschwerden lagen bei Antragstellung zudem meist schon zwei Jahre zurück. Lediglich wegen unklarer Bauchschmerzen hat die Klägerin im Jahr 2008 erneut einen Arzt aufgesucht. Da sich keine Behandlung anschloss, durfte die Klägerin von harmlosen Störungen ausgehen.

Auch bei grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht ist das Rücktrittsrecht ausgeschlossen, wenn die Beklagte zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätte (§ 19 Abs.4 VVG). Seit Einführung der Verpflichtung des Versicherers, Versicherung zum Basistarif gemäß § 193 Abs.5 VVG zu gewähren, wird diese Voraussetzung zu bejahen sein, denn der Versicherer wird nicht damit gehört werden können, dass er nicht abgeschlossen hätte, wenn er dazu verpflichtet war (OLG Frankfurt Urteil vom 19.1.2011, 7U 77/10). Der Antrag darf nur abgelehnt werden, wenn der Antragsteller bereits bei dem Versicherer versichert war und der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hat oder vom Vertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Klage war ohne den einschränkenden Zug um Zug Ausspruch stattzugeben. Das Bestehen des Krankenversicherungsvertrages ist nicht von der Beitragszahlung abhängig. Das Vorbringen der Klägerin ist so zu verstehen, dass sie davon ausgeht, dass bei Feststellung des Fortbestehens der Versicherung auch die dann rückständigen Beiträge zu zahlen sind. Dies ist aber nicht im Tenor auszusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

 

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