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Krankenversicherung – Ruhen des Vertrages zu Unrecht geltend gemacht

OLG Karlsruhe, Az.: 12 U 78/16, Urteil vom 16.06.2016

Leitsätze

Stellt sich nachträglich heraus, dass der Krankenversicherer zu Unrecht die Voraussetzungen eines Ruhens des Vertrags gemäß § 193 Abs. 6 VVG gegenüber dem Versicherungsnehmer geltend gemacht hat, kann dem Anspruch des Versicherers auf die Differenz zwischen dem Notlagentarif und der ursprünglich vereinbarten Prämie der Einwand der Treuwidrigkeit entgegen stehen.

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22. März 2016 – 11 O 190/14 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Zahlung von Prämien für eine Krankheitskostenversicherung.

Krankenversicherung – Ruhen des Vertrages zu Unrecht geltend gemachtZwischen den Parteien bestand von 2010 bis 2014 eine private Krankheitskostenversicherung. Aus Anlass eines im Jahre 2012 gestellten Erstattungsantrags des Beklagten hielt die Klägerin Rückfrage bei dessen behandelnden Ärzten und kam aufgrund von deren Auskünften zu der Auffassung, dass der Beklagte bei Antragstellung Gesundheitsfragen unrichtig beantwortet habe. Auf dieser Grundlage verlangte sie im Wege der rückwirkenden Vertragsanpassung einen Beitragszuschlag.

Mit Schreiben vom 22. März 2013 teilte der Beklagte mit, dass er der Vertragsänderung nicht zustimmen werde. Die Klägerin erwiderte am 3. April 2013, dass eine Kündigung in dem Schreiben vom 22. März 2013 nicht gesehen werde, so dass der Zuschlag zu zahlen sei. Ferner wies die Klägerin darauf hin, dass der Beklagte erbetene Auskünfte weiterer ihn behandelnder Ärzte sowie der …, die er nicht von der Schweigepflicht entbunden hatte, noch nicht vorgelegt habe.

Von April 2013 bis Juli 2014 zahlte der Beklagte die von der Klägerin geforderten Beiträge – wie sich aus der Aufstellung im Schriftsatz der Klägerin vom 2. März 2015 im Einzelnen ergibt – nur teilweise, insbesondere nicht die durch nachträglichen Zuschlag hinzugekommenen Beitragsanteile. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 mahnte die Klägerin einen Beitragsrückstand von EUR 20.918,16 an und wies den Beklagten darauf hin, dass nach Ablauf einer Zahlungsfrist von zwei Wochen der Vertrag ruhe und sie in der Folgezeit nur noch für Akutbehandlungen hafte. Mit Schreiben vom 27. Juni 2013 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass der Vertrag ruhe, da Zahlungen nicht erfolgt seien. Am 25. März 2014 informierte die Klägerin den Beklagten darüber, dass er nunmehr im Notlagentarif versichert sei.

Mit Schreiben vom 3. Juli 2014 kündigte der Beklagte das Vertragsverhältnis außerordentlich zum 31. Juli 2014; dies akzeptierte die Klägerin nach Nachweis anderweitigen Versicherungsschutzes.

Im ersten Rechtszug hat die Klägerin zunächst die erhöhten Beiträge für die Zeit vom 1. April 2010 und 30. Juni 2013 sowie die Beiträge für den Notlagentarif für die Folgezeit verlangt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe, da der Beklagte die im Versicherungsantrag gestellten Gesundheitsfragen nicht vollständig beantwortet habe, eine rückwirkende Vertragsanpassung verlangen können. Der Beklagte habe von seinem außerordentlichen Kündigungsrecht keinen Gebrauch gemacht. Die Erhöhung ergebe sich aufgrund eines nach einer vorzunehmenden Risikoprüfung festgestellten Zuschlages, der mittels einer AktuarMed-Anfrage der Klägerin ermittelt worden sei. Der Beklagte könne nicht mit Erstattungsansprüchen aufrechnen, weil die Klägerin aufgrund der Obliegenheitsverletzung des Beklagten leistungsfrei sei. Überdies bestehe gegenüber Prämienforderungen des Versicherers ein Aufrechnungsverbot gemäß § 12 AVB/NLT 13.

Nachdem die Klägerin ihre ursprüngliche Klage zur Hauptsache und den Säumniszuschlägen teilweise und zu den geltend gemachten Inkassokosten in Höhe von 1.085,04 EUR zurück genommen hat, hat sie zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 14.036,71 EUR nebst eines Säumniszuschlages in Höhe von 3.079,59 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat die Berechtigung des Beitragszuschlags bestritten. Er habe mit Schreiben vom 22. März 2013 den Vertrag gekündigt. Er sei mit der Tariferhöhung nicht einverstanden gewesen, womit auch ausgedrückt worden sei, dass er mit der Weiterführung des Vertrages nicht einverstanden gewesen sei, da die Klägerin ihm nur die Wahl gelassen habe, die Erhöhung zu akzeptieren oder zu kündigen. Da er eine Erhöhung nicht akzeptiert habe, könne sein Schreiben nur als Kündigung ausgelegt werden. Die Wortwahl sei gerade bei einem Verbraucher nicht entscheidend. Unerheblich sei auch, dass der Beklagte noch Beiträge an die Klägerin nach dem 22. März 2013 überwiesen habe. Dies beruhe nämlich nur auf den Forderungen der Klägerin, die auch noch nach Entziehung der Einzugsermächtigung versucht habe, Beiträge beim Beklagten abzubuchen. Es stünden im Übrigen noch Rechnungen im Wert von etwa EUR 3.000 zur Erstattung offen.

Das Landgericht hat, nachdem es den Zeugen H – einen mit der Antragsprüfung befassten Mitarbeiter der Klägerin – vernommen hatte, der Klage unter Abweisung im Übrigen in Höhe eines Teilbetrages von EUR 4.080,27 nebst Säumniszuschlägen stattgegeben. Die Klägerin sei zur Beitragserhöhung wegen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung nicht berechtigt gewesen, weil es an einer ausreichenden Belehrung gefehlt habe. Es könnten daher nur die ursprünglich vereinbarten Beiträge verlangt werden. Zu einer Aufrechnung mit etwaigen Erstattungsansprüchen sei der Beklagte wegen des bedingungsgemäßen Aufrechnungsverbot nicht berechtigt.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts, die seinem Prozessbevollmächtigten am 2. April 2016 zugestellt worden ist, richtet sich die am 18. April 2016 eingegangene und am 25. April 2016 begründete Berufung des Beklagten. Er ist der Auffassung, er habe bereits mehr gezahlt, als er geschuldet habe. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin habe er insgesamt EUR 37.150,68 geleistet. Geschuldet habe er aber – nachdem die Beitragserhöhungen infolge Anzeigepflichtverletzung nach der Feststellung des Landgerichts nicht wirksam gewesen seien – nur EUR 31.830,92.

Der Beklagte beantragt, das am 22. März 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Mannheim – 11 O 190/14 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Ihre eigene Aufstellung über die Beiträge und Zahlungen könne nicht zugrunde gelegt werden. Sei der Risikozuschlag nicht wirksam erhoben, sei es nämlich nicht zu einer Umstellung in den Notlagentarif ab dem 3. Juli 2013 gekommen; es sei daher der Beitrag nach dem ursprünglichen Wahltarif geschuldet. Eine Aufrechnung mit Erstattungsansprüchen sei nicht möglich, da diese weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird, soweit hier keine anderen Feststellungen getroffen sind, auf die angefochtene Entscheidung und die Schriftsätze der Parteien sowie die von ihnen vorgelegten Urkunden Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist begründet und führt zur vollständigen Abweisung der Klage.

A.

Der Senat versteht die Ausführungen der Klägerin in deren Schriftsätzen vom 14. und 15. Juni 2016 – insbesondere den Verweis auf die erstinstanzliche Anlage K 21 – dahin, dass diese im Berufungsrechtszug keine andere Prämienforderung geltend machen wollte als diejenige, die Gegenstand des zusprechenden Teils des angefochtenen Urteils war. Unabhängig von der Frage, ob im ersten Rechtszug eine Klageänderung vorgenommen worden ist – deren Zulässigkeit jedenfalls wegen Sachdienlichkeit (§ 263 ZPO) keinen Bedenken unterliegen würde -, stehen daher zur Entscheidung des Senats für den Monat März 2014 eine Restprämienforderung von EUR 484,99 und die Monate April bis Juli 2014 Prämien von jeweils EUR 898,82.

B.

Die hiernach zur Entscheidung gestellten Prämienforderungen stehen der Klägerin nicht zu. Bei Verrechnung der unstreitigen Zahlungen des Beklagten auf die auf der Grundlage der nachfolgenden Ausführungen tatsächlich bestehenden Beitragsforderungen verbleiben Rückstände für die Monate März bis Juli 2014 nicht mehr.

1. Nach den von der Klägerin nicht angegriffenen Ausführungen des Landgerichts war diese zu einer rückwirkenden Vertragsanpassung aufgrund unvollständig beantworteter Gesundheitsfragen wegen des Fehlens einer hinreichend hervorgehobenen Belehrung nicht berechtigt. Sie konnte daher nicht den Beitrag durch rückwirkende Vertragsanpassung erhöhen, sondern lediglich den ursprünglichen Monatsbeitrag für die Krankheitskostenversicherung in Höhe von EUR 898,82 verlangen. Dieser Betrag ist nach dem eigenen Vortrag der Klägerin bis einschließlich Mai 2013 stets gezahlt worden.

2. Im Juni 2013 schuldete der Beklagte noch den nicht erhöhten Beitrag von EUR 898,82, einschließlich der Zusatzverträge, aber ohne den Zuschlag aufgrund rückwirkender Vertragsanpassung.

3. Nach dem Vortrag der Klägerin in der Anspruchsbegründungsschrift reduzierte sich der monatliche Beitrag infolge Kündigung der Zusatzversicherungen ab dem 3. Juli 2013 auf EUR 244,49 und ab dem 1. August 2013 auf EUR 223,87; ab dem 1. Oktober 2013 waren infolge Umstellung in den Notlagentarif bis zur Beendigung des Versicherungsvertrags zum 31. Juli 2014 noch EUR 61,85 fällig. Setzt man für Juli 2013 für zwei Tage (2/31tel) den Beitrag von EUR 898,82 und für 29 Tage den Beitrag von EUR 244,49 an, ergeben sich für die Zeit von Juni 2013 bis Juli 2014 insgesamt folgende geschuldete Beträge:

………….

4. Unter Zugrundelegung der klägerischen Aufstellung der Prämienzahlungen (Anlage K 21, AHK I. Instanz) – die mit der Aufstellung des Beklagten in der Anlage B 4 (AH I. Instanz) übereinstimmt – sind in dem fraglichen Zeitraum insgesamt EUR 8.503,21 geleistet worden:

………..

5. Aus der Zahlungsaufstellung Anlage K 21 ergibt sich, dass der Beklagte im Monat Juni 2013 lediglich EUR 300 statt der geschuldeten EUR 898,82 gezahlt hat. Es bestand daher zunächst ein Rückstand von EUR 598,82. Für Juli 2013 ist keine Zahlung verzeichnet, so dass insoweit ein Rückstand von EUR 294,33 entstanden ist, der durch Zahlung von EUR 1.798,82 im August 2013 ausgeglichen wurde. Bei Zahlung jeweils zum Monatsersten – hiervon ist mangels genauerer Angaben auszugehen – bestand damit ein Rückstand von EUR 598,82 für zwei Monate und von EUR 294,33 für einen Monat. Es sind daher Säumniszuschläge (§ 193 Absatz 6 Satz 8 VVG in der bis 31. Juli 2013 geltenden Fassung) von EUR 11,98 und EUR 2,84 angefallen. Auf diese war – da es sich um eine Zinsen ersetzenden pauschalen Verzugsschadensersatz handelt – die Zahlung des Beklagten vom August 2013 zunächst zu verrechnen (§ 367 BGB). Zieht man von den EUR 1.798,82 die Säumniszuschläge ab, verbleibt ein Betrag von EUR 1.784. Dieser war zunächst auf die ältesten Rückstände (§ 366 Absatz 2 BGB) aus Juni und Juli 2013 (zusammen EUR 893,15) zu verrechnen. Es verblieb damit eine Überzahlung von EUR 890,85, die durch die Zahlung von EUR 1.228,99 im September 2013 weiter angewachsen ist. Obwohl der Kläger im Oktober 2013 (nach der ursprünglichen Aufstellung der Klägerin geschuldet: EUR 61,85) und Juni 2014 (geschuldet: EUR 61,85) keine Zahlungen geleistet hat, ist damit in der Zeit von August 2013 bis zur Vertragsbeendigung kein weiterer Rückstand entstanden.

6. Die Klägerin kann sich entgegen ihrer Auffassung nicht darauf berufen, dass sie von Juli 2013 bis Juli 2014 Monatsbeiträge von EUR 898,82 – dem ursprünglichen Vertrag entsprechend – verlangen könne, wenn die rückwirkende Vertragsanpassung entsprechend der landgerichtlichen Entscheidung unwirksam ist und die Voraussetzungen für die Kündigung bzw. die Tarifumstellung damit nicht vorlagen. Ein solches Verlangen stellt ein den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) widersprechendes widersprüchliches Verhalten dar.

a) Eine nach § 242 BGB untersagte unzulässige Rechtsausübung kommt unter anderem in Betracht, wenn durch ein Verhalten des Rechtsinhabers ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine bestimmte Sach- oder Rechtslage bei der Gegenpartei hervorgerufen wurde. Eine Arglist oder ein Verschulden desjenigen, der das Recht ausüben will, ist nicht erforderlich, sondern lediglich eine Zurechenbarkeit des Verhaltens (Staudinger/Dirk Olzen/Dirk Loschelders [2015], BGB, § 242 Rn. 290 f. m. w. N.). Die Gegenpartei muss auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer bestimmten Rechts- oder Tatsachenlage vertraut haben; der Rechtsmissbrauch entfällt daher bei Kenntnis der wahren Sachlage oder bei eigenem widersprüchlichen Verhalten des Gegners in derselben Sache (BGH BeckRS 2010, 24791, Tz. 22).

b) Nach diesem rechtlichen Maßstab stellt sich als treuwidrig dar, dass die Klägerin nunmehr für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum die Zahlung der ursprünglich vereinbarten Prämie verlangt, obwohl sie die Zusatzversicherungen gekündigt und dem Beklagten ein Ruhen des Versicherungsvertrags sowie später den Wechsel in den Notlagentarif mitgeteilt hat.

aa) Allerdings tritt der Wechsel in den Notlagentarif, wie die Formulierung des § 193 Absatz 7 VVG zeigt, nicht unmittelbar aufgrund einer Erklärung des Versicherers, sondern kraft Gesetzes ein; gleiches gilt im Ansatz für das Ruhen des Vertrages. Die bis zum 31. Juli 2013 geltende Fassung des § 193 Absatz 6 VVG sah allerdings vor, dass der Versicherer bei Zahlungsrückständen auf das drohende Ruhen des Vertrages hinweisen und dieses sodann feststellen musste. Dies ist hier mit den Schreiben der Klägerin vom 7. und 27. Juni 2013 geschehen.

bb) Durch die Erteilung des Hinweises und das Feststellen des Ruhens des Vertrages ohne das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen hat die Klägerin – was ihr zurechenbar ist – eine vertragliche Nebenpflicht verletzt; gleiches gilt für die Kündigung der Zusatzversicherungen ohne eine entsprechende Grundlage.

cc) Durch die genannten Schreiben hat die Klägerin ein schutzwürdiges Vertrauen des Beklagten darin begründet, dass er die für die Zusatzversicherungen anfallenden Beiträge und die Differenz zwischen dem Notlagentarif und den ursprünglich vereinbarten Beiträgen für die Vergangenheit nicht mehr zu zahlen hat. Die Kündigung der Zusatzversicherungen und die Umstellung in den Notlagentarif waren geeignet, den Beklagten davon abzuhalten, solche Behandlungen in Anspruch zu nehmen, die zwar von dem ursprünglich vereinbarten Tarif, nicht aber von den eingeschränkten Leistungen im Notlagentarif gedeckt gewesen wären. Die Schreiben vom 7. und 27. Juni 2013 – zu diesem Zeitpunkt war der Notlagentarif nach § 193 Absatz 7 VVG in Verbindung mit § 12h VAG a. F. noch nicht eingeführt – enthalten den Hinweis, dass der Versicherer nunmehr nur noch für Aufwendungen, die zur Behandlung „akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“, also „nur in Notfällen“ erforderlich seien. Der Beklagte musste auf der Grundlage dieser Ausführungen davon ausgehen, künftig Diagnosen und Therapien nur noch in deutlich eingeschränktem Umfang in Anspruch nehmen zu können; er musste etwa annehmen, von Vorsorgeuntersuchungen, nicht schmerzindizierten Zahnbehandlungen u. ä. ausgeschlossen zu sein. Die am 25. März 2014 erteilte Information über den Notlagentarif änderte daran nichts; auch nach deren Inhalt war der Beklagte nur zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzuständen versichert. Mit dem Schreiben vom 25. März 2014 wurde der Beklagte außerdem angehalten, zur Vermeidung von Erstattungsnachteilen Behandlern den dem Schreiben beigefügten „Behandlungsausweis für den Notlagentarif“ vorzulegen. Der Beklagte musste daher besorgen, gegenüber Behandlern offenbaren zu müssen, dass er nach Auffassung des Versicherers seine Beiträge nicht oder jedenfalls nicht vollständig bezahlt hatte.

dd) Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Beklagten entfällt nicht deshalb, weil dieser auch über den 27. Juni 2013 hinaus teilweise Zahlungen in Höhe des ursprünglich vereinbarten Prämie von EUR 898,82 geleistet hat. Der Beklagte ist, wie sich seinem Schreiben vom 22. März 2013 entnehmen lässt, der von der Klägerin vorgenommenen rückwirkenden Vertragsanpassung entgegen getreten. Er ist daher offenbar zunächst davon ausgegangen, dass er die Klägerin zu einem vertragskonformen Verhalten – nämlich der Weiterführung der Versicherung zu den bisherigen Bedingungen – würde bewegen können. Die Klägerin hat dagegen, wie ihr Vorbringen im ersten Rechtszug zeigt, an ihrer Auffassung festgehalten, dass sie zu der rückwirkenden Vertragsanpassung – und den in ihrer Folge ausgesprochenen vertragsgestaltenden Maßnahmen – berechtigt gewesen sei.

ee) Die Treuwidrigkeit eines widersprüchlichen Verhaltens setzt nach zutreffender Auffassung (ebenso Staudinger a. a. O., Rn. 293 m. w. N. auch zur Gegenansicht; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Auflage, § 242 Rn. 56) nicht stets voraus, dass die Gegenpartei bereits vertrauensvoll Dispositionen getroffen hat; vielmehr kann – wenn auch nur ausnahmsweise – ein Vertrauen auch dann schutzwürdig sein, wenn kein „besonderer Vertrauenstatbestand“ begründet worden ist (BGH NJW 1986, 2104, juris-Rn. 47). Eine besondere Schutzwürdigkeit liegt hier vor, nachdem die Klägerin an dem objektiv nicht gerechtfertigten Beitragszuschlag und der Ruhendstellung des Vertrages bis in den Prozess hinein festgehalten hat. Entgegen der von der Klägerin in der Berufungsverhandlung vertretenen Auffassung kommt es auf Vortrag des Beklagen dazu, dass er mit Rücksicht auf die Kündigung der Zusatzversicherungen oder die Umstellung auf den Notlagentarif bestimmte konkret anstehende Behandlungen unterlassen habe, nicht an.

ff) Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Beklagten hätte erst mit einer gerichtlichen Entscheidung geendet, die die fehlende Berechtigung der rückwirkenden Vertragsanpassung feststellt. Eine solche ist hier aber vor Beendigung des Versicherungsvertrages nicht ergangen.

C.

Auf die vom Beklagten erklärte Aufrechnung mit einem möglichen Erstattungsanspruch kommt es, da die klageweise geltend gemachte Forderung nicht besteht, nicht an.

III.

1. Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91 Absatz 1, 269 Absatz 3 Satz 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

2. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Absatz 2 Satz 1 ZPO) liegen nicht vor. Zwar ist – soweit ersichtlich – bisher höchstrichterlich nicht entschieden, ob dem Krankenversicherer das Verlangen der ursprünglich vereinbarten Prämie verwehrt ist, wenn er zu Unrecht das Ruhen von Leistungen aus dem Vertrag festgestellt hat und sich dies später als objektiv nicht gerechtfertigt erweist. Insoweit liegt aber weder eine klärungsbedürftige noch eine klärungsfähige grundsätzliche Rechtsfrage vor. An der Klärungsfähigkeit bestehen deshalb Zweifel, weil die Frage, ob das Verhalten einer Vertragspartei sich als treuwidrig darstellt, nach sämtlichen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist und sich daher einer über die Bildung größerer Fallgruppen hinausgehenden Verallgemeinerung entzieht. Die Klärungsbedürftigkeit ist deshalb zweifelhaft, weil die hier vorliegende Konstellation – Kündigung bzw. Umstellung auf den Notlagentarif nach vorhergehender unberechtigter rückwirkender Vertragsanpassung – nicht so zahlreich auftreten dürfte, dass eine höchstrichterliche Klärung geboten ist.

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