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Krankenversicherung – Prämienanspruch bei Unwirksamkeit der Vertragskündigung

LG Düsseldorf – Az.: 9 S 29/15 – Urteil vom 21.07.2016

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 26.05.2015 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst.

Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 27.10.2014 bleibt aufrechterhalten, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin 779,65 EUR nebst Säumniszuschlag in Höhe von 36,28 EUR sowie weitere 147,56 EUR zu zahlen. Im übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge werden der Klägerin zu 77% und dem Beklagten zu 23% auferlegt. Vorab hat der Beklagte die durch seine Säumnis in erster Instanz veranlassten Kosten zu tragen.

Dieses Urteil und das das mit der Berufung angefochtene Urteil, soweit es aufrechterhalten bleibt, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um rückständige Prämienzahlungen für eine private L.

Mit Wirkung zum 1. Juli 2007 schloss der Beklagte und Berufungskläger bei der Klägerin und Berufungsbeklagten eine private L ab. Diese erfüllte seine Pflicht aus § 193 Abs. 3 VVG und ist zwischenzeitlich in den Notlagentarif umgestellt worden. Mit ihrer Klage macht die Klägerin nach vorausgegangenem Mahnverfahren rückständige Prämien für die für den Zeitraum ab Juni 2011 bis Dezember 2014 in Höhe von 3.398,03 EUR geltend.

Der Beklagte hat sich erstinstanzlich darauf berufen, den Versicherungsvertrag im Mai 2011 gekündigt zu haben. Ferner sei er nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden, so dass er nunmehr den Widerruf erkläre. Darüber hinaus sei die Klageforderung, insbesondere hinsichtlich der Fälligkeit, nicht substantiiert dargelegt.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zunächst durch Versäumnisurteil antragsgemäß verurteilt und auf den Einspruch des Beklagten das Versäumnisurteil durch das angefochtene Urteil vom 26. Mai 2015 aufrechterhalten. Zur Begründung hat es ausgeführt, sein Vorbringen zu einer angeblichen Vertragskündigung sei unsubstantiiert, zumal er ein Kündigungsschreiben nicht vorgelegt habe. Zudem seien die Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung nach § 205 Abs. 6 VVG nicht vorgetragen. Schließlich sei das Versicherungsverhältnis auch nicht durch den Widerruf beendet worden, da die Widerrufsbelehrung in dem Versicherungsschein ausreichend gewesen sei. Außerdem sei das Widerrufsrecht gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG erloschen, da der Vertrag von der Klägerin bereits durch Gewährung von Leistungen erfüllt worden sei. Soweit der Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 30. April 2015 vorgetragen habe, dass die Klägerin ihrer Pflicht zur Belehrung über den Nachweis einer Anschlussversicherung gemäß § 205 VVG nicht nachgekommen sei, sei dieses Vorbringen verspätet und daher nicht mehr zu berücksichtigen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Beklagten. Das Urteil beruhe insoweit auf Rechtsfehlern, als sowohl der Vortrag zur Kündigung als auch zur unterbliebenen Belehrung über die Anschlussversicherungspflicht hätten berücksichtigt werden müssen. Ferner habe das Amtsgericht eine Fälligkeit der Prämienzahlungen bejaht, ohne dass entsprechende Vertragsunterlagen vorgelegt worden seien. Im Übrigen beziehe er sich nochmals auf seinen Widerruf und ergänzt den Vortrag dahingehend, dass eine Zahlung der Rechtsanwaltskosten nicht nachgewiesen sei.

Die Berufungsbeklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Es sei schon fraglich, ob das nunmehr vorgelegte Schreiben des Berufungsklägers eine Kündigung darstelle, jedenfalls verstoße die Erklärung gegen den Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit von Gestaltungsrechten.

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil und das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 27.10.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Klägerin kann lediglich Zahlung in Höhe des tenorierten Betrages für die ausstehenden Prämien des Jahres 2011 fordern. Ein weitergehender Anspruch steht ihr nicht zu. Es liegt zwar keine wirksame Kündigung des Versicherungsvertrages vor; die Klägerin hat hingegen die dem Versicherer nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus Treu und Glauben obliegende Belehrungspflicht nicht beachtet. Folge einer unterbliebenen Belehrung ist, dass die Pflicht des Versicherungsnehmers zur Prämienzahlung entfällt. Dagegen ist der Zahlungsanspruch nicht durch einen Widerspruch des Beklagten vollständig entfallen.

1. Der Beklagte hat durch das Schreiben vom 3. Mai 2010 (Bl. 174 d. A.) – dessen Erhalt die Klägerin zweitinstanzlich nicht mehr bestreitet – die Kündigung des Vertragsverhältnisses mit der Klägerin erklärt, wobei zwischen den Parteien außer Streit steht, dass dieses nicht aus dem Jahr 2010, sondern aus dem Jahr 2011 stammt. Darin hat er der Klägerin eine Frist von sieben Tagen nach Erhalt des Schreibens gesetzt, innerhalb derer eine Rechnung beglichen werden soll. Ferner heißt es dazu „ansonsten kündige ich mit sofortiger Wirkung“. Dabei handelt es sich um eine Kündigungserklärung unter einer Bedingung. Da der Eintritt der Bedingung im Belieben des Empfängers steht, handelt es sich um eine sogenannte Potestativbedingung, die ausnahmsweise auch bei Gestaltungsrechten zulässig ist.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Potestativbedingung nicht deshalb unzulässig, weil die Kündigungserklärung während der nach wie vor nicht abgeschlossenen Prüfung einer Erstattungsfähigkeit der eingereichten Rechnung erfolgt sei und die Klägerin in eine ungewisse Lage versetzt habe. Das berechtigte Interesse der Klägerin an einer Feststellung bzw. Prüfung des Versicherungsfalles ist dadurch nicht beeinträchtigt worden. Die unter der Potestativbedingung erklärte Kündigung hat die Klägerin nicht im Ungewissen gelassen. Es lag an ihr, die Regulierung vorzunehmen oder nicht und für letzteren Fall galt die Kündigung. Der bloße Umstand, dass die Kündigungserklärung während einer Leistungsprüfung erfolgte, beeinträchtigt die Interessen der Klägerin auch nicht in treuwidriger Weise, weil sie im Falle berechtigter Nachfragen eben keine Leistung auf die eingereichte Rechnung erbringen muss. Vielmehr muss es einem Versicherungsnehmer, der mit dem Regulierungsverhalten seines Versicherers unzufrieden ist, unbenommen bleiben, den Vertrag dann auch während eines noch nicht abschließend beschiedenen Leistungsantrages zu kündigen.

Allerdings begründet die unterbliebene Erstattung der Rechnung innerhalb der gesetzten Frist kein Recht zur außerordentlichen Kündigung, da die vom Beklagten als Kündigungsgrund herangezogene Leistungsprüfung durch die Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sich für den Beklagten nicht als unzumutbar darstellt.

Die Kündigungserklärung, in der der unbedingte Wille des Beklagten zum Ausdruck kommt, den Vertrag zu beenden, ist daher hilfsweise als ordentliche Kündigung mit Frist gemäß § 205 Abs. 1 VVG zum Jahresende auszulegen.

2. Durch die Kündigungserklärung ist das Vertragsverhältnis indes nicht wirksam beendet worden. Da in erster Instanz unstreitig geblieben ist, dass der Versicherungsvertrag der Erfüllung der Pflicht des Beklagten aus § 193 Abs. 3 VVG diente, ist Voraussetzung einer wirksamen Kündigung nach § 205 VVG, dass der Versicherungsnehmer bereits eine Anschlussversicherung abgeschlossen hat. Zum Bestehen einer Anschlussversicherung haben die Parteien nichts vorgetragen.

3. Trotz des formal fortbestehenden Vertrages kann die Klägerin ab dem Zeitpunkt, zu dem die Kündigung bei ordnungsgemäßem Verlauf wirksam geworden wäre, keine Prämien verlangen.

Nach dem auch von dem Beklagten zitierten und in Ablichtung vorgelegten Urteil des BGH vom 14. Januar 2015 (IV ZR 43/14) hat der Versicherer keinen Anspruch auf Prämienzahlungen, wenn er auf die Notwendigkeit einer Anschlussversicherung nicht hingewiesen hat. Dies folgt aus dem den Versicherungsvertrag beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben. Anders läge es nur, wenn der Versicherte nach der Kündigung noch Leistungen aus der Versicherung geltend gemacht hat.

Den diesbezüglichen Vortrag des Beklagten hat das Amtsgericht rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt. Über den Einspruch haben zwei Termine am 12. Januar 2015 (ohne Antragstellung, Bl. 88 d. A.) und am 27. April 2015 (Protokoll Bl. 126 d. A.) stattgefunden. Den Zugang einer Kündigung hat die Klägerin ihrerseits erst mit Schriftsatz vom 19. März 2015 bestritten (Bl. 92 der Akten). Im Termin vom 27. April 2015 hat der Beklagte zwar keinen Schriftsatznachlass beantragt, allerdings hat er in diesem Termin ein Schreiben der Klägerin vom 13. April 2015 vorgelegt, in dem diese ausführt, die seinerzeitige Kündigung des Beklagten habe nicht anerkannt werden können. Damit ist rechtzeitig vor Schluss der mündlichen Verhandlung der Vortrag der Klägerin, zu keinem Zeitpunkt ein Kündigungsschreiben erhalten zu haben, widersprüchlich geworden, so dass ungeachtet des Umstandes, dass der Beklagte ein Kündigungsschreiben erst später vorlegen konnte, zumindest eine sekundäre Darlegungslast für die Klägerin bestanden hat, diesen Widerspruch aufzuklären. Insoweit hätte Anlass bestanden, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, was das Amtsgericht jedoch in seinem Urteil ohne nähere Begründung abgelehnt hat.

Auch auf entsprechenden Hinweis der Kammer hat die Klägerin weder eine Belehrung über die Notwendigkeit einer Anschlussversicherung noch eine nachfolgende Inanspruchnahme durch den Beklagte aus dem Vertrag vorgetragen, so dass die vom BGH aufgestellten Anforderungen an das Bestehen des Prämienzahlungsanspruchs nicht erfüllt sind.

4. Im Hinblick auf die Hauptforderung stehen der Klägerin Prämien für den Zeitraum Juni 2011 bis einschließlich Dezember 2011 in Höhe von 779,65 EUR entsprechend der Berechnung der Klägerin in der Anspruchsbegründung zu. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der vereinbarten Prämie in Höhe von 187,14 EUR für den Monat Juni, der anteiligen Prämie für den Monat Juli bis zum Inkrafttreten des Notlagentarifes in Höhe von 174,66 EUR sowie der anteiligen Prämie gemäß Notlagentarif ab dem 29. Juli in Höhe von 5,50 EUR und fünf Prämien auf der Grundlage des Notlagentarifes in Höhe von 82,47 EUR für die Monate August bis Dezember 2011.

Entgegen der Auffassung der Klägerin stehen ihr nicht Prämien in Höhe von 187,14 EUR für den gesamten Zeitraum des Jahres 2011 zu. Der Wahltarif ist nicht maßgeblich, da aufgrund der aus den vorstehend erörterten Gründen nicht wirksamen Kündigung das Vertragsverhältnis formell fortbesteht und die Umstellung in den Notlagentarif erfolgt ist.

Hinsichtlich der Säumniszuschläge hat die Kammer die aus Anlage K5 ersichtlichen Beträge für die Monate Juni bis Dezember 2011 addiert.

Aufgrund der Höhe der von der Klägerin zu beanspruchenden Prämie bemisst sich auch der auf die Höhe der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren begrenzte Anspruch auf Inkassokosten auf den Gegenstandswert von 779,65 EUR. Dies ergibt folgende Berechnung:

Gegenstandswert: 779,65 EUR

1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG 104,00 EUR

Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR

Zwischensumme 124,00 EUR

19% MwSt. Nr. 7008 VV RVG 23,56 EUR

Gesamtsumme 147,56 EUR

5. Der Prämienzahlungsanspruch ist nicht durch einen wirksamen Widerruf oder Widerspruch des Versicherungsvertrags durch den Beklagten entfallen.

Maßgeblich sind insoweit die §§ 5a, 8 VVG in der Fassung vom 02.12.2004 bis 31.12.2007 (im Folgenden: a. F.). Der Wortlaut der in dem Versicherungsschein (Anl. K 6) der Akten enthaltenen Widerspruchsbelehrung entspricht dem § 5a VVG a. F.; besteht ein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a. F., so findet das Widerrufsrecht aus § 8 Abs. 4 VVG a.F. gemäß § 8 Abs. 6 VVG a.F. keine Anwendung.

Der vom Beklagten erklärte „Widerruf“ ist auch als Widerspruch auszulegen. Gemäß § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a. F. erlischt das Recht zum Widerspruch indes 1 Jahr nach Zahlung der ersten Prämie. Diese Regelung ist auf Krankenversicherungsverträge ungeachtet der EuGH-Rechtsprechung zu Lebensversicherungen weiterhin anwendbar. Damit scheidet ein wirksamer Widerspruch im Jahr 2011 aus; auf Nachfrage der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Parteien angegeben, dass die Prämien vor dem Auftreten des streitgegenständlichen Rückstands gezahlt worden sind. Darauf, dass die Widerspruchsbelehrung drucktechnisch in keiner Weise hervorgehoben war, kommt es mithin nicht an.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97, 344 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht vorliegen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 3.954,68 EUR

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