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Krankenversicherung – Aufrechnung Beitragsrückständen mit Erstattungsansprüche im Notlagentarif

LG Osnabrück – Az.: 9 S 375/17 – Urteil vom 28.02.2018

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Bersenbrück vom 15.09.2017 zum Aktenzeichen 4 C 473/17 wird zurückgewiesen.

2. Der Berufungskläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtsfrage, ob in einer im Notlagentarif befindlichen privaten Krankenversicherung bei der Leistungsabrechnung die Aufrechnung mit rückständigen Beiträgen zulässig ist.

Der Kläger befand sich in der Zeit vom 15.11.2016 bis 18.11.2016 in stationärer Behandlung. Für diese wurden 1.897,04 € in Rechnung gestellt (Anlage K6), zudem hat ihm das Krankenhaus 5,- € Bearbeitungsgebühren berechnet. Im Rahmen der Leistungsabrechnung hat die Beklagte als privater Krankenversicherer des gemäß der einbezogenen Bedingungen (Anlage K3) im Notlagentarif befindlichen Klägers gegenüber dem Leistungsanspruch aufgrund und im Hinblick auf aufgelaufene Prämien die Aufrechnung in selber Höhe erklärt.

Der Kläger ist der Auffassung, eine Aufrechnung gegenüber Leistungsansprüchen bei bestehendem Notlagentarif sei unzulässig.

Die Klage ist der Beklagten am 04.08.2017 zugestellt worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.902,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 1.897,04 € seit dem 14.02.2017 und aus 1.902,04 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Gebührenforderung seiner Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwälte … in Höhe von 255,85 € freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, die erklärte Aufrechnung sei wirksam, weswegen der Kläger keine Leistung verlangen könne.

Mit dem am 15.09.2017 verkündeten Urteil hat das Amtsgericht Bersenbrück die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil, das dem Berufungskläger am 20.09.2017 zugestellt worden ist, hat dieser mit beim Landgericht Osnabrück am 02.10.2017 eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom selben Tag Berufung eingelegt und diese mit am 20.11.2017 beim Landgericht Osnabrück eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag begründet.

Unter Aufrechterhaltung der erstinstanzlichen Einwendungen rügt der Berufungskläger die vom Amtsgericht vorgenommene Rechtsanwendung.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Bersenbrück vom 15.09.2017, Aktenzeichen 4 C 473/17, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.902,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 1.897,04 € seit dem 14.02.2017 und aus 1.902,04 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufungsbeklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Aufrechterhaltung seiner Rechtsansicht.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts Bersenbrück im Urteil vom 15.09.2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Dem Kläger steht infolge der erklärten Aufrechnung kein Leistungsanspruch in Höhe von 1.897,04 € aus der zwischen den Parteien bestehenden privaten Krankenversicherung zu, § 389 BGB. Der Anspruch ist durch die wirksame Aufrechnung mit Prämienrückständen erloschen, weswegen der Kläger auch nicht etwa die Anspruch auf Zahlung der erhobenen Bearbeitungsgebühren von 5,- € hat.

Die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts beruht nicht auf einer Rechtsverletzung. Das Amtsgericht hat aus den von ihm fehlerfrei getroffenen Feststellungen zutreffende Folgerungen gezogen, die auch durch das Vorbringen in der Berufungsbegründungsschrift nicht erschüttert werden.

1.

Ein kodifiziertes Aufrechnungsverbot ist nicht gegeben.

Vielmehr ergibt sich aus der Regelung des § 35 VVG, dass der Versicherer eine fällige Prämienforderung, aber auch jede andere ihm aus dem Vertrag zustehende Forderung nicht nur gegenüber Ansprüchen des Versicherungsnehmers, sondern auch dann wenn diese Ansprüche Dritten zustehen, gegenüber diesen aufrechnen kann. Eine Ausnahme zu dieser grundsätzlichen Regelung hat der Gesetzgeber nicht getroffen, sodass von der generellen Aufrechenbarkeit auszugehen ist.

2.

Ein Verbot ergibt sich auch nicht etwa aus der Gesamtschau der maßgeblichen Vorschriften oder dem Regelungszweck.

Hintergrund der Schaffung des Notlagentarifs war für den Gesetzgeber nämlich der (vorübergehende) Schutz des Versicherungsnehmers vor weiterer Überschuldung durch zukünftig anfallende Prämien, nicht aber die Befreiung von der Zahlungspflicht schon angefallener Prämien für die Ruhenszeit, die erst zum geschaffenen Notlagentarif führen. Hätte der Gesetzgeber ein Aufrechnungsverbot gewollt, hätte er dies bei der gegebenen Sachlage und in Ansehung des § 35 VVG explizit geregelt.

Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass die Zulässigkeit der Aufrechnung dann in Frage zu stellen ist, wenn die Verrechnung den effektiven Versicherungsschutz beseitigt. Dies ist aber, wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, nicht der Fall. Der Behandlungsanspruch des Versicherten bleibt nämlich bestehen, die Kündigung einer Pflichtversicherung im Sinne des § 193 VVG durch den Versicherer ist unzulässig, § 206 VVG. Die Zulässigkeit der Aufrechnung führt daher nicht zu einer faktischen Beendigung der Versicherung, vgl. hierzu OLG Jena in VersR 2016, 1242 ff. und auch OLG Oldenburg in VersR 2017, 872 ff..

Dem Gesetzgeber ging es bei Verfassen der Regelung des § 193 VVG ausschließlich um die Eindämmung der weiteren Überschuldung des in Zahlungsschwierigkeiten geratenen privat Krankenversicherten. Hilfsbedürftige Personen im Sinne des Sozialgesetzbuchs hingegen können nach der gesetzlichen Regelung überhaupt nicht in den Notlagentarif geraten, das Ruhen des vereinbarten Tarifs tritt nämlich nach § 193 VI 5 VVG nicht ein bzw. endet, wenn Bedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch besteht. Hiernach droht mithin gar kein Entzug der (medizinischen) Grundversorgung, der Notlagentarif soll diese gar nicht gewährleisten, sondern betrifft allein den säumigen Versicherungsnehmer, nicht aber den hilfsbedürftigen (insoweit erscheint die Bezeichnung als „Notlagentarif“ in der Tat missglückt und suggeriert etwas anderes, vgl. OLG Jena a.a.O.).

Zwar führt das OLG Hamm in seinem Urteil vom 24.08.2016, Aktenzeichen 20 U 235/15, hierzu aus, dass nicht jeder zahlungsunfähige Versicherungsnehmer hilfsbedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuchs ist, und daher doch im Einzelfall ein faktischer Entzug des Versicherungsschutzes drohe, indes vermag die Kammer der Schlussfolgerung des OLG Hamm in Form einer Unzulässigkeit der Aufrechnung aus den angeführten Gründen nicht zu folgen. Nach vorzugswürdiger Rechtsansicht – die das Amtsgericht überzeugend mit seiner Entscheidung vertritt, wobei die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen auf das erstinstanzliche Urteil sowie die Ausführungen des OLG Jena in VersR 2016, 1242 ff., verweist – ist bei Leistungsansprüchen des Versicherten die Aufrechnung mit rückständigen Beiträgen daher auch dann zulässig, wenn der Versicherungsvertrag im Notlagentarif geführt wird.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §97 I ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

III.

Die Revision war gemäß § 543 II 1 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da eine uneinheitliche obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt und die Rechtsfrage bislang nicht höchstrichterlich geklärt worden ist.

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