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Krankentagegeldversicherung – Wirksamkeit der Herabsetzung des Krankentagegeldes beim Absinken des durchschnittlichen Nettoeinkommens

LG Stuttgart, Az.: 6 O 142/15, Urteil vom 19.02.2016

1. Es wird festgestellt, dass der Kläger über den 02.10.2015 hinaus im Falle zukünftiger Arbeitsunfähigkeit und Erfüllung der weiteren Leistungsvoraussetzungen im Sinne der Bestimmungen der Krankentagegeldversicherung einen Anspruch auf Krankentagegeld in Höhe von 250,00 € pro Tag hat und kein Recht der Beklagten zur Reduzierung des Krankentagegeldsatzes besteht.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 3.850,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.485,00 € ab dem 21.01.2015, aus weiteren 660,00 € ab dem 19.02.2015, aus weiteren 1.155,00 € ab dem 01.05.2015 und aus weiteren 550,00 € ab dem 21.05.2015 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, 2.085,95 € als Nebenforderung an den Kläger zu bezahlen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 74.112,50 €.

Tatbestand

Der Kläger verlangt die Feststellung eines fortbestehenden Krankentagegeldanspruches in Höhe von 250,00 € im Falle der Arbeitsunfähigkeit und Auszahlung noch offener Differenzbeträge, die sich aufgrund eingetretener Arbeitsunfähigkeit und Inanspruchnahme der Krankentagegeldversicherung ergeben.

Der am 05.07.2959 geborene Kläger ist ein seit 20 Jahren selbständiger Finanzdienstleister und Vermögensverwalter.

Anlässlich eines vorhergehenden unselbständigen Beschäftigungsverhältnisses schloss er im Jahr 1991 bei der Beklagten eine private Krankenversicherung und eine Krankentagegeldversicherung ab, für welche seinerzeit ein Krankentagegeld in Höhe von 160,00 DM vereinbart wurde. Bestandteil des Krankenversicherungsvertrages sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung MB/KT 78, Fassung: August 1989. Nachdem das Bruttoeinkommen des Klägers im Zuge eines Wechsels seiner Arbeitsstelle gestiegen war, beantragte er am 22.11.1993 eine Erhöhung des Krankentagegeldes auf 200,00 DM.

Im Jahr 1995 wurde die Versicherung vorübergehend ruhendgestellt. Mit Beginn einer selbständigen Tätigkeit im Jahr 1995 beantragte der Kläger mit Schreiben vom 09.10.1995 das Wiederaufleben der Versicherung mit dem zuvor vereinbarten Krankentagegeldsatz von 200,00 DM (Anlage K 3). Dieses Schreiben enthält u.a. folgenden Passus:

„Sie sicherten mir zu, in diesem Fall jetzt und später auf einen Nachweis der Höhe des Einkommens zu verzichten“.

Die Beklagte antwortete dem Kläger mit Schreiben vom 13.10.1995 (Anlage B 5), welches folgenden Inhalt hat:

„Sehr geehrter Herr … ,

gerne lassen wir Ihren Versicherungsschutz zum 09.10.95 wieder aufleben.

Nachdem Sie am 09.10.95 eine selbständige Tätigkeit aufgenommen haben, können wir Ihnen eine Verdienstausfallversicherung ab dem 15. Tag der Arbeitsunfähigkeit anbieten. Das Tagegeld kann jedoch nur bis maximal insgesamt 200,00 DM täglich abgeschlossen werden. Wenn Sie daran interessiert sind, müsste Ihr bisheriger Tarif KT 43 entfallen. Dies ist im Rahmen der Dynamisierung ohne Gesundheitsprüfung möglich. Ihr ursprüngliches Eintrittsalter wird angerechnet.

Bitte überlassen Sie gleichzeitig zu Ihrer Antwort eine Kopie Ihrer Gewerbeamtsanmeldung.

Zu dieser Umstellung benötigen wir keinen Einkommensnachweis.

Sollten Sie jedoch in Zukunft Ihre Verdienstausfallversicherung anpassen wollen, benötigen wir entsprechende Gehaltsnachweise, um die Höhe Ihres Tagegeldes richtig einstufen zu können. (…)“.

Am 20.11.1995 wurde dem Kläger sodann ein Versicherungsschein über ein Krankentagegeld von 200,00 DM ab dem 43. Krankheitstag ausgestellt und übersandt (Anlage K 4).

In der Folgezeit wurde das Krankentagegeld zum 01.12.2005 zunächst auf 175,00 € erhöht. Mit Schreiben des Klägers vom 11.03.2010 beantragte dieser eine weitere Erhöhung des Krankentagegeldes auf 250,00 € (Anlage K 9). Auch diese Änderung wurde von der Beklagten policiert, und der Kläger zahlte seinerseits die entsprechenden monatlichen Versicherungsbeiträge.

Der Kläger leidet seit einigen Jahren an einer chronischen Sinusitis, aufgrund welcher es immer wieder zu längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten kam, für welche die Beklagte Leistungen erbrachte.

Im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit vom 02.06.2014 bis 06.07.2014 forderte die Beklagte den Kläger zum Nachweis seines monatlichen Nettoeinkommens für die letzten zwölf Monate vor Beginn der aktuellen Arbeitsunfähigkeit auf. Nachdem der Kläger der Beklagten die monatlichen Gewinn- und Verlustrechnungen für den Zeitraum von Juni 2013 bis Mai 2014 übersandt hatte, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 03.11.2014 (Anlage K 5) mit, dass sie entsprechend den vom Kläger vorgelegten Unterlagen von einem aktuellen Einkommen von 69.693,01 € ausgehe, was eine Reduzierung des Krankentagegeldes auf 195,00 € ab dem 01.12.2014 zur Folge habe.

Entgegen der vorgenannten Ankündigung erstellte die Beklagte am 08.11.2014 erneut einen Versicherungsschein, der auf einem Krankentagegeld in Höhe von 250,00 € basierte (Anlage K 6).

Vom 16.12.2014 bis 11.01.2015 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete insoweit am 02.01.2015 ein tägliches Krankentagegeld in Höhe von 195,00 €.

Eine weitere Erkrankung des Klägers bestand in der Zeit vom 26.01.2015 bis 06.02.2015, und auch für diesen Zeitraum erbrachte die Beklagte lediglich Krankentagegeld in Höhe von 195,00 €.

Schließlich war der Kläger auch im Zeitraum vom 06.03.2015 bis 26.03.2015, sowie in der Zeit vom 14.04.2015 bis 23.04.2015 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete auch für diese Zeiträume lediglich ein Krankentagegeld in Höhe von 195,00 €.

Mit seiner Klage macht der Kläger nunmehr für die o.g. Zeiträume die Differenzbeträge zwischen 250,00 € und 195,00 € = 55,00 €/Krankheitstag geltend und begehrt die Feststellung, dass die Beklagte auch zukünftig verpflichtet sei, ein Krankentagegeld, unabhängig vom Einkommen des Klägers, in Höhe von 250,00 € zu bezahlen.

Der Kläger behauptet, nach Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit im Jahr 1995 habe er mit der Beklagten vereinbart, dass diese aktuell und später auf einen Nachweis der Höhe des Einkommens verzichte und das jeweils vereinbarte Krankentagegeld unabhängig von der Einkommenshöhe bezahlen werde. Auch im Rahmen der späteren Erhöhungen des Krankentagegeldes habe für die Beklagte das Jahreseinkommen des Klägers keine Rolle gespielt. So habe sich rechnerisch für das Jahr 2009 ein Jahresüberschuss von 71.815,86 € ergeben, welcher auf 365 Tage verteilt einen Tagessatz von 196,00 € ergebe. Dennoch habe die Beklagte seinerzeit eine Erhöhung des Tagessatzes auf 250,00 € entsprechend dem Antrag des Klägers vorgenommen. Auch nach dem Schreiben der Beklagten vom 03.11.2014, mit welchem eine Reduzierung auf 195,00 € ab 01.12.2014 angekündigt worden sei, habe die Beklagte einen Versicherungsschein am 08.11.2014 mit einem Krankentagegeld in Höhe von 250,00 € erstellt. Aufgrund der im Oktober 1995 getroffenen Vereinbarung sei es der Beklagten verwehrt, das Krankentagegeld ausgehend von einem bestimmten Jahreseinkommen des Klägers ohne dessen Zustimmung zu reduzieren.

Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass die Regelung in § 4 I Nr. 2-4 der Versicherungsbedingungen hinsichtlich einer Limitierung und Herabsetzung des Krankentagegeldanspruches wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot und die Unklarheitenregelung einer AGB-rechtlichen Kontrolle nicht standhielten und unwirksam seien. Insbesondere liege eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers vor, da nach § 4 Abs. 4 MB/KT es dem Versicherer gestattet sei, seine Leistungen einseitig für die Zukunft herabzusetzen, unabhängig davon, ob der Versicherungsfall bereits eingetreten sei oder nicht. Darüber hinaus sei die Klausel auch insoweit unklar, als nach § 4 I Nr. 2 MB/KT der verwendete Begriff des Nettoeinkommens im Hinblick auf Selbständige unstrittig sei und eine Definition sich nicht aus den Versicherungsbedingungen ergebe.

Der Kläger beantragt, wie erkannt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass zwischen den Parteien im Oktober 1995 eine Vereinbarung getroffen worden sei, wonach die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Krankentagegeldes unabhängig von dessen Einkommen sein sollte. Im Schreiben vom 09.10.1995 (Anlage K 3) sei lediglich die Rede davon, dass die Beklagte auf einen Nachweis der Einkommenshöhe verzichten solle, nicht hingegen auf die tarif- und versicherungsvertraglichen Beschränkungen betreffend das Verhältnis zwischen Einkommenshöhe und Tagesgeldhöhe. Im Übrigen habe sich der klägerische Wunsch auf den Verzicht des Nachweises der Einkommenshöhe einzig und allein auf denjenigen Fall, dass ein Krankentagegeld in Höhe von täglich 200,00 DM vereinbart sei, beschränkt. Auch aus dem Schreiben der Beklagten vom 13.10.1995 (Anlage B 5) ergebe sich, dass es die vom Kläger behauptete Vereinbarung nicht gebe.

Die Beklagte ist der Auffassung, die vereinbarten Versicherungsbedingungen seien wirksam; insbesondere sei der Begriff des Nettoeinkommens eines Selbständigen, auch wenn es begriffliche Unschärfen gebe, bestimmt genug, da Allgemeine Vertragsbedingungen, die für zahlreiche Lebenssachverhalte gelten, regelmäßig pauschalierende Regelungen treffen müssten.

Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers durch die hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen liege nicht vor.

Hinsichtlich des weiteren Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 02.10.2015 (Bl. 124/127 d.A.) Bezug genommen.

Mit Zustimmung der Parteien hat das Gericht durch Beschluss vom 04.12.2015 (Bl. 156/157 d.A.) die Entscheidung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die einseitige Herabsetzung des Krankentagegeldes auf 195,00 €/Tag durch die Beklagte ist ohne vertragliche Grundlage erfolgt und damit unwirksam.

1. Im Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob eine Herabsetzung des Krankentagegeldes von dem zuletzt vereinbarten Betrag in Höhe von 250,00 € auf 195,00 € bereits daran scheitert, dass zwischen den Parteien bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrages ein bestimmtes Nettoeinkommen des Klägers für die Bemessung des Krankentagegeldsatzes zugrunde gelegt wurde.

Aus dem als Anlage K 1 vorgelegten Versicherungsantrag ergeben sich insoweit keinerlei konkrete Angaben des Klägers zu dessen Einkommensverhältnissen. Lediglich in einer Schlusserklärung oberhalb der Unterschriftsleiste befindet sich die Erklärung des Klägers, dass das Krankentagegeld zusammen mit anderweitigen derartigen Ansprüche die Höhe seines durchschnittlichen Nettoeinkommens nicht übersteige. Des Weiteren erfolgte mit Antrag des Klägers vom 11.03.2010 eine Erhöhung des Krankentagegeldes von den seinerzeit vereinbarten 175,00 € auf 250,00 € unter Vorlage einer Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2009 mit einem Jahresüberschuss von 71.815,85 €, was bei einer Umlegung auf 365 Kalendertage einem Tagessatz von 196,00 € entsprechen würde, woraus sich ergibt, dass die Erhöhung auf 250,00 € offensichtlich nicht auf Basis des nachgewiesenen Jahresnettoeinkommens erfolgte.

Aus den vorstehenden Umständen könnte sich daher schon entnehmen lassen, dass dem Vertrag ein bestimmtes Einkommen des Klägers nicht zugrunde gelegt wurde, so dass bereits aus diesem Grund eine Anpassung des Krankentagegeldes scheitern könnte (vgl. OLG Saarbrücken, ZfS 2002, 445; OLG Karlsruhe, VersR 2015, 613; Prölss/Martin/Voit, VVG, 29. Aufl., § 4 MB/KT 2009, Rn. 10).

2. Offenbleiben kann im Ergebnis auch, ob die vom Kläger behauptete Individualvereinbarung im Oktober 1995 zustande kam, nach welcher die Parteien im Hinblick auf die selbständige Tätigkeit und damit typischerweise einhergehenden Einkommensschwankungen auf einen Nachweis der Höhe des Einkommens zukünftig verzichtet hätten bzw., wie eine derartige Vereinbarung auszulegen wäre.

Gegen die vom Kläger behauptete Auslegung spricht auf den ersten Blick zumindest das Antwortschreiben der Beklagten vom 13.10.1995 (Anlage B 5), in welchem darauf hingewiesen wird, dass für eine künftige Anpassung der Tagesgeldhöhe entsprechende Gehaltsnachweise des Klägers zu erbringen seien.

3. Das erkennende Gericht schließt sich der Auffassung des OLG Karlsruhe (VersR 2015, 613) an, wonach die einseitige Anpassung von Krankentagegeld und Beitrag durch die Beklagte deshalb unwirksam ist, weil die Regelungen in § 4 Abs. 4 i.V.m. § 2 Abs. 2 MB/KT einer AGB-rechtlichen Kontrolle nicht standhalten.

a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind Allgemeinen Geschäftsbedingungen gleichstehend und unterliegen der AGB-Kontrolle. Für die Beurteilung ihrer Wirksamkeit sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. BGH, VersR 2014, 625 und ständig).

b) Die Inhaltskontrolle führt zur Unwirksamkeit der Vorschriften. § 4 Abs. 4 MB/KT benachteiligt den Kläger entgegen des Gebots von Treu und Glauben unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 2 S. 1 BGB.

aa) § 4 Abs. 4 MB/KT gestattet es dem Versicherer, seine Leistung einseitig für die Zukunft herabzusetzen, unabhängig davon, ob der Versicherungsfall bereits eingetreten ist oder nicht. Voraussetzung dieser Leistungsbeschränkung ist, dass das Nettoeinkommen des Versicherten unter die Höhe des dem Vertrag zugrunde gelegten Einkommens gesunken ist. Die Herabsetzung von Krankentagegeld und Beitrag erfolgt dann entsprechend dem geminderten Nettoeinkommen.

Damit wird dem Versicherer ein Entschließungsermessen eingeräumt, ob er seinen Leistungsumfang für die Zukunft entsprechend mindern will oder nicht. Das benachteiligt den Versicherungsnehmer, der sich nicht auf einen Fortbestand des Vertrages, so wie er ursprünglich abgeschlossen wurde, verlassen kann (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Aus § 4 Abs. 4 MB/KT ist ein Zeitraum, innerhalb dessen der Versicherer berechtigt ist, das Krankentagegeld herabzusetzen, nicht ersichtlich. Die frühestmögliche Wirkung der Herabsetzung tritt bedingungsgemäß zu Beginn des zweiten Monats nach Kenntniserlangung des Versicherers vom Absinken des Nettoeinkommens ein.

Ein letztmöglicher Zeitpunkt einer Herabsetzung ist in den Bedingungen nicht geregelt. Die Klausel schließt es nicht aus, dass der Versicherer auch nach Ablauf der Zwei-Monatsfrist die Herabsetzung erklärt. Der Versicherer kann also mit der Herabsetzung ohne weiteres bis zum Versicherungsfall abwarten und bis dahin Prämien für einen Risikoschutz vereinnahmen, bei dem sich das Risiko bekanntermaßen nicht realisiert hat. Im Versicherungsfall lassen sich dann Leistungen und Prämien herabsetzen für ein bekannt realisiertes Risiko. Damit wird – jedenfalls bei Selbständigen, deren Einkommen regelmäßig Schwankungen unterworfen ist und so häufiger Anpassungsmöglichkeiten eröffnen dürfte – das Äquivalenzverhältnis der Leistungen nachträglich einseitig änderbar. Das ist insbesondere dann problematisch, wenn das Einkommen infolge der Arbeitsunfähigkeit weiter sinkt, so dass schrittweise eine Reduzierung der Versicherungsleistungen bis auf 0 denkbar ist (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG München, R + S 2005, 610). Damit verliert der Versicherte gerade die Absicherung, die er durch seine Prämienzahlungen erreichen wollte. Das Ziel einer derartigen Krankentagegeldversicherung besteht ja gerade darin, dass der Versicherungsnehmer sich gegen ein Absinken des Nettoeinkommens allein aufgrund der Arbeitsunfähigkeit absichern und die Aufrechterhaltung des Einkommens auf dem Niveau des bisherigen Nettoeinkommens erreichen wollte. Ein solcher Effekt dürfte seine Rechtfertigung auch kaum darin finden, dass in der Regel nur schwer feststellbar sein wird, welcher Anteil eines Einkommensrückganges bei einem Selbständigen auf Arbeitsunfähigkeitszeiten zurückgeht und welcher sich auf sonstige Gründe zurückführen lässt, z.B. gewisse Einschränkungen der Gewährleistungsfähigkeit in einem Umfang, der nicht vom Versicherungsschutz gedeckt ist, oder sonstige Ursachen, in die der Versicherer keine Einblicke hat. Eine Regelung, die auf diese Interessenlage des Versicherten Rücksicht nimmt, ist den Bedingungen der Beklagten nicht zu entnehmen.

bb) Im Unterschied zu der bereits zitierten Entscheidung des OLG Karlsruhe (a.a.O.) kann vorliegend allerdings nicht von einer Asymmetrie des Anpassungsverfahrens für Versicherungsnehmer und Versicherung gesprochen werden, weil nach § 4 II Nr. 1 der vorliegenden Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer bei einer Erhöhung des Nettoeinkommens eine Höherversicherung des Krankentagegeldes im Verhältnis der Steigung des Nettoeinkommens beantragen kann, ohne dass es hierfür eines Angebots der Beklagten bedürfte. Indes stellt auch diese Anpassungsmöglichkeit keinen Umstand dar, der unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände, welche die Interessen des Versicherten nicht ausreichend berücksichtigen, dazu führen würde, die Klausel insgesamt als wirksam anzuerkennen.

c) Die Regelungen zur Herabsetzung des Krankentagegeldes verstoßen im Übrigen gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) und sind auch deshalb unwirksam (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Bei einer den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklausel muss der Versicherungsnehmer den danach noch bestehenden Umfang der Versicherung erkennen können (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; BGH, VersR 2013, 1397).

aa) Aus den bereits oben ausgeführten Gründen ist für den beruflichen selbständigen Versicherungsnehmer insbesondere die Entwicklung seines Versicherungsschutzes kaum absehbar. Die Umstände und der Ablauf einer möglichen Absenkung des Krankentagegeldes sind aus den Bedingungen zunächst nicht zu ersehen (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

bb) Unklar ist aber auch, welcher Stichtag für die Berechnung des Nettoeinkommens aus dem Durchschnittseinkommen der letzten zwölf Monate nach § 4 Abs. 2 MB/KT maßgeblich sein soll. Dort wird der Zeitraum vor Antragstellung bzw. vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit genannt. Damit ergeben sich drei mögliche Anknüpfungspunkte:

Der Zeitpunkt der Stellung des Versicherungsantrages, der Zeitpunkt der Stellung des Leistungsantrages und der Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit. Welcher Zeitpunkt tatsächlich maßgeblich sein soll, lässt sich auch im Wege der Auslegung nicht ermitteln. Soweit es bei der Erhöhung des Versicherungsschutzes auf ein gestiegenes Nettoeinkommen ankommt, ist der Stichtag überhaupt nicht ersichtlich. Der dann notwendige Nachweis kann den Versicherungsnehmer dazu zwingen, Zwischenbilanzen zu erstellen, um diesen Nachweis zu führen. Eine zutreffende Beurteilung ist im Allgemeinen erst nach Fertigstellung der Einkommensteuererklärung möglich, was bei Selbständigen häufig Jahre dauert (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

cc) Auch der Begriff des Nettoeinkommens in § 4 I Abs. 2 MB/KT ist unbestimmt und in der Rechtsprechung und Lehre umstritten (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., m.w.N.). Wie der Betrag letztlich berechnet wird, ist aus den Bedingungen nicht zu ersehen.

dd) § 4 Abs. 3 MB/KT, der dem Versicherungsnehmer aufgibt, unverzüglich eine Minderung seines Nettoeinkommens mitzuteilen, soweit diese Minderung nicht nur vorübergehend ist, ist bei Selbständigen problematisch. Jedes Einkommen in einer konkreten Höhe eines Selbständigen ist naturgemäß nur vorübergehend. Wann also eine Vertragsanpassung droht und wann noch nicht, ist für den Versicherungsnehmer nur schwer einzuschätzen (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

d) Rechtsfolge des Verstoßes ist die Unwirksamkeit der Klausel bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Versicherungsvertrages im Übrigen (§ 306 Abs. 1 BGB). Damit entbehrt die Reduzierung des Krankentagegeldes durch die Beklagte einer vertraglichen Grundlage und ist ebenfalls unwirksam.

e) Eine ergänzende Vertragsauslegung gemäß §§ 153, 157, 242 BGB dergestalt, dass für den Versicherer die Möglichkeit der Reduzierung von Krankentagegeld und Beitrag bei sinkendem Nettoeinkommen besteht, kommt nicht in Betracht. Entfällt die Möglichkeit zur Anpassung des Krankentagegeldes an das Nettoeinkommen des Versicherten, ist es dem Versicherer nicht unzumutbar, am insoweit lückenhaften Vertrag festzuhalten. Zwar widerspricht ein vom Verdienst abgekoppeltes Krankentagegeld zunächst dem Zweck der Krankentagegeldversicherung, den Verdienstausfall abzudecken. Diese Lösung von Verdienst und Krankentagegeld ist indes bereits in der Ausgestaltung der Krankentagegeldversicherung als Summen- und nicht als Schadensversicherung angelegt. Das bei einer Diskrepanz zwischen Nettoeinkommen und Krankentagegeld erhöhte subjektive Risiko des Versicherers besteht in erheblichem Maße bereits bei einem dem Nettoeinkommen entsprechenden Krankentagegeld und ist durch die Versicherungsprämien abgedeckt (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

4. Nachdem die Herabsetzung des Krankentagegeldes unwirksam ist, schuldet die Beklagte dem Kläger für die bereits eingetretenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit die Differenz zwischen den gezahlten Beträgen in Höhe von 195,00 € zu dem geschuldeten Krankentagegeld von 250,00 €. Die entsprechende Berechnung des Klägers ist nachvollziehbar und rechnerisch zutreffend und wird auch von der Beklagten nicht bestritten, so dass sich ein Zahlungsanspruch für die Arbeitsunfähigkeitszeiten bis einschließlich 23.04.2015 in Höhe von 3.850,00 € ergibt.

5. Das besondere Feststellungsinteresse des Klägers nach § 256 ZPO für die Feststellung zukünftiger Leistungsverpflichtungen der Beklagten über den 02.10.2015 hinaus ergibt sich aus der jederzeit bestehenden Möglichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls.

 

6. Der Anspruch des Klägers auf Verzugszins ergibt sich aus den §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.

Nachdem die Beklagte die Zahlung eines Krankentagegeldes in Höhe von 250,00 €, bezogen auf die jeweiligen Arbeitsunfähigkeitszeiten, von vornherein ernsthaft und endgültig verweigerte, kam sie ab den jeweiligen Zahltagen, zu welchen sie die abschließenden Zahlungen zum jeweiligen Versicherungsfall erbrachte, ohne weitere Mahnung des Klägers in Verzug. Verzugszinsen sind daher im beantragten Umfang zuzusprechen.

Aufgrund der pflichtwidrigen Ankündigung der Beklagten mit Schreiben vom 03.11.2014 (Anlage K 5), das Krankentagegeld auf 195,00 € zu reduzieren, steht dem Kläger ein Schadensersatz in Höhe der Kosten der Rechtsverfolgung, hier der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, in geltend gemachter Höhe zu.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 ZPO.

Bei der Streitwertfestsetzung wurde im Hinblick auf den Feststellungsantrag der 3,5-fache Jahresbetrag der Differenz zwischen dem vereinbarten und dem reduzierten Krankentagegeld ohne Abschlag für die Feststellung in Höhe von 70.262,50 € angesetzt. Nachdem es sich bei der Beklagten um eine Versicherung handelt, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass diese ihre Leistungen auch aufgrund eines rechtskräftigen Feststellungsurteils im bedingungsgemäßen Umfang erbringen wird.

 

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