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Krankentagegeldversicherung – Nachweis der Arbeitsunfähigkeit bei chronischer Erkrankung

OLG Karlsruhe – Az.: 9 U 139/10 – Urteil vom 14.06.2012

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 27.08.2010 – 3 O 303/05 – in der Hauptsache wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass der Versicherungsvertrag zwischen der Beklagten und dem Kläger, Versicherungsschein-Nr. … nicht durch Eintritt von Berufsunfähigkeit beendet ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum 22.11.2004 bis zum 16.12.2005 ein Krankentagegeld in Höhe von insgesamt 3.800 Euro zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.12.2009.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können eine Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Krankentagegeldversicherung geltend.

Der Kläger schloss im Jahr 1990 bei der Beklagten eine Krankentagegeldversicherung ab (vgl. den Versicherungsschein Anlage K 1). Das von der Beklagten zugesagte Krankentagegeld wurde im Jahr 2003 durch eine ergänzende Vereinbarung auf 100 Euro pro Tag erhöht. Dabei wurde gleichzeitig eine Geltung der Musterbedingungen 1994 für die Krankentagegeldversicherung – Fassung 01.2002 – (MB/KT 94) vereinbart (vgl. die Bedingungen II 115 ff.).

Der Kläger ist von Beruf selbstständiger Bautechniker. Sein Aufgabengebiet betrifft überwiegend die Bauleitung und Bauüberwachung im Sinne von § 45 LBO Baden-Württemberg. Die konkrete Ausgestaltung der Berufstätigkeit des Klägers ergibt sich im Einzelnen aus der – unstreitigen – Darstellung des Klägervertreters im Schriftsatz vom 02.11.2005 (I 67 ff.).

Der Kläger war unstreitig in der Zeit vom 04.07.2003 bis zum 21.11.2004 erkrankt, und aufgrund dieser Erkrankung arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete für diesen Zeitraum das vereinbarte Krankentagegeld. Für die Zeit nach dem 21.11.2004 lehnte die Beklagte weitere Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung ab.

Der Kläger hat im Verfahren vor dem Landgericht Krankentagegeld in Höhe von insgesamt 39.000,- Euro für die Zeit vom 22.11.2004 bis zum 16.12.2005 verlangt. Außerdem hat er die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagte mit den entsprechenden Zahlungen in Verzug befinde. Des Weiteren solle festgestellt werden, dass der Versicherungsvertrag zwischen den Parteien nicht durch Eintritt von Berufsunfähigkeit beendet ist. Der Kläger hat geltend gemacht, er leide seit 1992 an verschiedenen Krankheiten, insbesondere an Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die dadurch verursachten Schmerzen seien so erheblich gewesen, dass er im klagegegenständlichen Zeitraum nicht mehr in der Lage gewesen sei, seinen Beruf auszuüben. Eine Berufsunfähigkeit sei bisher nicht eingetreten, da die krankheitsbedingten Beschwerden grundsätzlich als vorübergehender Zustand anzusehen seien.

Die Beklagte hat eingewandt, sie sei zu weiteren Krankentagegeldleistungen nach den maßgeblichen Versicherungsbedingungen nicht mehr verpflichtet, da der Kläger jedenfalls ab dem 22.11.2004 als berufsunfähig anzusehen sei. Hilfsweise – für den Fall, dass eine Berufsunfähigkeit nicht festgestellt werden könne – hat sich die Beklagte darauf berufen, dass der Kläger auch nicht arbeitsunfähig sei, bzw., dass ihm zumindest ein entsprechender Nachweis nicht gelungen sei.

Im Urteil vom 27.08.2010 hat das Landgericht festgestellt, dass der Versicherungsvertrag zwischen den Parteien nicht durch Eintritt von Berufsunfähigkeit beendet ist. Außerdem hat das Landgericht für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Kläger ein Krankentagegeld in Höhe von 3.800,- Euro zugesprochen. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zwar sei eine chronische Erkrankung des Klägers nachgewiesen. Es gebe eine Schmerzerkrankung, die vor allem psychologisch und psychosomatisch erklärbar sei. Das Ausmaß der Schmerzen und die Auswirkungen auf eine mögliche Berufstätigkeit des Klägers seien im Nachhinein – bezogen auf bestimmte Zeiträume – jedoch nicht mehr eindeutig festzustellen. Daher könne eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen nur für diejenigen Zeiträume festgestellt werden, in denen der Kläger stationär behandelt wurde (insgesamt 38 Tage in der Zeit vom 04.11.2005 bis 17.11.2005 und 23.11.2005 bis 16.12.2005). Für den überwiegenden Teil des klagegegenständlichen Zeitraums seit dem Kläger der erforderliche Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit jedoch nicht gelungen. Gleichzeitig habe jedoch die Beklagte den Nachweis einer Berufsunfähigkeit des Klägers nicht geführt, so dass die bestehende Krankentagegeldversicherung nicht durch den Eintritt von Berufsunfähigkeit beendet worden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Er hält die Erwägungen des Landgerichts in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht für fehlerhaft. Maßgeblich für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sei das konkrete Berufsbild, welches der Kläger im Schriftsatz vom 02.11.2005 eingehend dargestellt habe. Bei zutreffender Würdigung der gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M. hätte das Landgericht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Kläger in der gesamten Zeit vom 22.11.2004 bis zum 16.12.2005 nicht mehr in der Lage gewesen sei, seinen Beruf auszuüben. In rechtlicher Hinsicht sei dabei darauf abzustellen, ob dem Kläger noch eine „wertschöpfende“ Tätigkeit möglich gewesen wäre. Dies sei zu verneinen. Soweit der Kläger trotz der Schmerzen noch in geringem Umfang in der Lage gewesen sei, Bürotätigkeiten auszuüben, sei dies ohne Bedeutung. Denn durch untergeordnete Bürotätigkeiten allein habe er die Ausübung seines Berufes, bei dem es wesentlich um die Bauüberwachung vor Ort gehe, nicht fortsetzen können.

Der Kläger ist außerdem der Meinung, das Landgericht habe das erstinstanzlich eingeholte Gutachten in einem Punkt missverstanden. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen sei davon auszugehen, dass schon die dauernde Einnahme hochdosierter Schmerzmedikamente – für sich allein – ausreiche, um eine Arbeitsunfähigkeit festzustellen. Selbst wenn man – wie der Sachverständige an anderer Stelle ausgeführt habe – davon ausgehe, dass der Kläger lediglich an etwa 50 Prozent der maßgeblichen Tage vollständig arbeitsunfähig gewesen sei, müsse dies für eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Krankentagegeld ausreichend. Denn der Beruf des Klägers erfordere eine kontinuierliche Arbeitstätigkeit. Wenn der Kläger an einem Teil der fraglichen Tage in der Lage gewesen sein sollte, die seinem Berufsbild entsprechenden Tätigkeiten auszuüben, wäre dies wirtschaftlich sinnlos gewesen. Denn ohne ein kontinuierliches Arbeiten sei dem Kläger eine Erfüllung von vertraglichen Pflichten im Rahmen der Aufträge von Kunden nicht möglich gewesen.

Der Kläger weist zudem darauf hin, dass das Landgericht seinen erstinstanzlichen Antrag, den Eintritt des Verzuges festzustellen, übergangen habe.

Der Kläger beantragt,   unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Offenburg vom 27.08.2010, Geschäftsnummer 3 O 303/05, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum 22.11.2004 bis 16.12.2005 ein Krankentagegeld in Höhe von 39.000,- Euro zu bezahlen, zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 100,- Euro täglich seit dem 22.11.2004 bis zum 16.12.2005 und aus 39.000,- Euro seit dem 17.12.2005.

Die Beklagte beantragt,   die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts und ergänzt ihren erstinstanzlichen Vortrag. An der erstinstanzlichen Behauptung, der Kläger sei ab dem 22.11.2004 berufsunfähig gewesen, hält die Beklagte nicht mehr fest.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Das Amtsgericht Offenburg hat mit Beschluss vom 01.06.2007 – während des laufenden erstinstanzlichen Verfahrens – das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Das Insolvenzverfahren dauert bis heute an.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat lediglich in geringem Umfang (wegen der Zinsen) Erfolg. Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet.

1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Rechtstreit durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers am 01.06.2007 nicht unterbrochen worden ist. Bei einem Anspruch aus einer privaten Krankentagegeldversicherung handelt es sich um bedingt pfändbare Bezüge im Sinne von § 850 b Abs. 1 Ziffer 4 ZPO, die grundsätzlich zu den „unpfändbaren Gegenständen“ im Sinne von § 36 InsO gehören (vgl. BGH NZI 2010, 777). Bedingt pfändbare Bezüge im Sinne von § 850 b ZPO fallen nur insoweit in die Insolvenzmasse, als sie im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung gemäß § 850 b Abs. 2 ZPO für pfändbar erklärt werden (BGH, NJW-RR 2010, 474). Erst eine solche Billigkeitsentscheidung könnte eine Zugehörigkeit der bedingt pfändbaren Bezüge zur Insolvenzmasse begründen. Eine solche Entscheidung, die insbesondere gemäß § 36 Abs. 4 InsO herbeigeführt werden könnte, ist nicht ergangen. Da die klagegegenständlichen Ansprüche des Klägers nicht – auch nicht teilweise – gemäß § 850 b Abs. 2 ZPO für pfändbar erklärt worden sind, verbleibt es bei der Regel gemäß § 850 b Abs. 1 ZPO (Unpfändbarkeit), mit der Konsequenz, dass die geltend gemachten Ansprüche gemäß § 36 Abs. 1 InsO insolvenzfrei sind.

2. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Krankentagegeld nur für diejenigen Zeiträume zu, in denen er sich aufgrund seiner Schmerzerkrankung in stationärer Behandlung befand. Für diese – vom Landgericht konkretisierten – Zeiträume ist Krankentagegeld bereits zuerkannt. Für die übrige Zeit steht dem Kläger im Rahmen des klagegegenständlichen Zeitraums vom 22.11.2004 bis zum 16.12.2005 ein weiterer Tagegeldanspruch nicht zu.

a) Maßgeblich für die Anspruchsvoraussetzungen sind die MB/KT 94. Diese haben die Parteien im Rahmen der Vertragsänderung im Jahr 2003 vertraglich vereinbart (vgl. den Versicherungsschein vom 21.02.2003 und die beigefügten Bedingungen, II 109 ff.).

b) Die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit sind in § 1 Abs. 3 MB/KT 94 geregelt. Eine krankheitsbedingte Einschränkung der beruflichen Tätigkeit reicht nicht aus. Vielmehr wird Krankentagegeld nur dann geschuldet, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann; das heißt, wer trotz der Erkrankung noch in der Lage ist, seiner beruflichen Tätigkeit in deutlich vermindertem zeitlichem Umfang nachzugehen, beispielsweise auch unter 50 Prozent der normalen Zeit, erhält kein Krankentagegeld. Nur gänzlich unbedeutende Tätigkeiten, die noch wahrgenommen werden können, stehen einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne von MB/KT 94 nicht entgegen (vgl. zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung BGH, Beschluss vom 12.11.2008 – IV ZR 273/07 – zitiert nach Juris; OLG Karlsruhe – 12. Senat –, NVersZ 2000, 133; OLG Karlsruhe – 12. Senat –, NJW-RR 2003, 679; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 746; OLG Naumburg, OLGR 2006, 100; OLG Köln, VersR 2008, 912). Dabei ist anerkannt, dass die – einem Krankentagegeldanspruch entgegenstehenden – Fähigkeiten des Versicherten sich auf eine sogenannte wertschöpfende Tätigkeit beziehen müssen; es kommt darauf an, ob der Versicherte noch solche zu seinem Berufsbild gehörende Tätigkeiten ausüben kann, die zum Kern des Berufes gehören, und grundsätzlich geeignet sind, zur Erzielung von Einkünften beizutragen (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2003, 679; OLG Naumburg aaO; OLG Köln aaO).

Die Beweislast für das Vorliegen einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit in dem klagegegenständlichen Zeitraum obliegt dem Versicherten, also dem Kläger. Es ist eine volle Überzeugungsbildung des Gerichts im Sinne von § 286 ZPO erforderlich. Die gesetzlichen Voraussetzungen für Beweiserleichterungen (beispielsweise bei einer Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO) liegen nicht vor. Zu Recht hat das Landgericht nach der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, dass dem Kläger der Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit in der fraglichen Zeit nicht gelungen ist. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.

c) Entscheidend sind die vom Landgericht zutreffend gewürdigten Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. M.. Danach besteht zwar kein Zweifel daran, dass der Kläger in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum unter einer schwerwiegenden Schmerzerkrankung gelitten hat. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Schmerzen des Klägers – jedenfalls überwiegend – nicht einer bestimmten organischen Ursache zugeordnet werden konnten, sondern dass die Ursachen der Schmerzerkrankung vorrangig im psychischen und psychosozialen Bereich zu sehen waren. Nach dem Gutachten des Sachverständigen – und auch nach den vom Sachverständigen ausgewerteten Arztberichten – waren das Ausmaß der Schmerzen und die Auswirkungen auf die Lebensführung des Klägers im Laufe der Jahre zu unterschiedlichen Zeiten nicht gleichbleibend, sondern deutlich unterschiedlich. Der Sachverständige konnte daher im Rahmen des klagegegenständlichen Zeitraums nicht sicher feststellen, wie das Ausmaß der Schmerzen an bestimmten Tagen, bzw. in bestimmten Zeitspannen, war, und inwieweit der Kläger tatsächlich im gesamten Zeitraum an der Ausübung seiner Berufstätigkeit vollständig gehindert war. Der Sachverständige kam zu dem Schluss, dass der Kläger in der fraglichen Zeit sicher weniger als 50 Prozent der Zeit arbeitsunfähig war (vgl. Seite 3 des Protokolls vom 09.07.2010, I 523). Auch insoweit, als der Sachverständige es für möglich hielt, dass der Kläger in der Zeit zwischen dem 22.11.2004 und dem 16.12.2005 wegen seiner Schmerzen zeitweise seine Tätigkeit nicht ausüben konnte, handelt es sich nicht um eine Feststellung mit einer gewissen Sicherheit, sondern lediglich um Plausibilitäts- oder Wahrscheinlichkeitsüberlegungen, die für eine Überzeugungsbildung des Gerichts nicht ausreichend sind.

Der Sachverständige hat in seinem Gutachten – entgegen der Interpretation des Klägers – auch nicht festgestellt, dass der Kläger aufgrund der ständigen Einnahme von Schmerzmedikamenten arbeitsunfähig gewesen wäre. Die abweichende Interpretation des Klägervertreters in der Berufungsbegründung (II 33) beruht auf einem Missverständnis der im Termin vom 09.07.2010 protokollierten Erläuterungen des Sachverständigen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Erklärungen des Sachverständigen zu den Folgen der Schmerzmedikation (vgl. die protokollierten Erläuterungen, Seite 2 und Seite 3 des Protokolls vom 09.07.2010, I 521 und I 523 und das schriftliche Gutachten vom 16.12.2009, Seite 15, 16, I 441, 443) ergibt sich vielmehr, dass die Schmerzmedikation zwar möglicherweise gewisse Nebenwirkungen verursacht hat, insbesondere wenn gerade die Dosis erhöht wurde. Eine Schlussfolgerung von der Einnahme dieser Medikamente auf eine – zur Arbeitsunfähigkeit führende – deutliche Einschränkung der körperlichen und geistigen oder psychischen Fähigkeiten des Klägers ist jedoch nicht möglich. Der Sachverständige hat außerdem in seinem Gutachten klargestellt, dass eine schmerzbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers für geringere Zeiträume zwar plausibel erscheint, dass jedoch eine Konkretisierung dieser Zeiten im Nachhinein nicht möglich ist. Der Sachverständige konnte keine konkreten Anknüpfungstatsachen finden, aufgrund derer eine schmerzbedingte Arbeitsunfähigkeit für bestimmte Tage anzunehmen wäre. Insbesondere haben sich aus den dem Sachverständigen vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine Anhaltspunkte für solche nachträglichen Konkretisierungen ergeben.

Der Sachverständige hat die nicht auszuräumenden Schwierigkeiten bei seiner Begutachtung, die sich aus Beweislastgründen zu Lasten des Klägers auswirken, im Einzelnen erläutert. Zum Einen ist es generell sehr viel schwieriger, Ausmaß und Auswirkungen einer Schmerzerkrankung retrospektiv – also im Nachhinein – sicher festzustellen, als bei einer Begutachtung, die lediglich der Feststellung eines gegenwärtigen Zustandes dient. Der Sachverständige hat zudem darauf hingewiesen, dass ihm zu wenig Befunde und sonstige Feststellungen von den behandelnden Ärzten für die fragliche Zeit vorlagen. Es fehlen nach dem Gutachten des Sachverständigen vor allem Dokumentationen des sogenannten nonverbalen Schmerzverhaltens. In diesem Zusammenhang ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass beispielsweise der Hausarzt des Klägers, Dr. T., den Kläger in der Zeit ab dem 22.11.2004 als arbeitsfähig eingeschätzt hat (vgl. die Anlage B 2).

d) Der Einwand des Klägers, der Sachverständige habe in seinem Gutachten nicht das konkrete Berufsbild des Klägers berücksichtigt, trifft nicht zu. Aus dem Gutachten (Seite 19 des Gutachtens, I 449) ergibt sich, dass der Sachverständige die wesentlichen Tätigkeiten, die zum Beruf des Klägers gehören, berücksichtigt hat. Die Beschreibung des Berufsbildes im Gutachten entspricht – in einer Kurzfassung – der ausführlichen Darstellung im Schriftsatz des Klägervertreters vom 02.11.2005 (I 67 ff.).

e) Auf die Frage, ob der Kläger innerhalb der Zeit vom 22.11.2004 bis zum 16.12.2005 – über die stationären Behandlungstage hinaus – eine bestimmte Mindestzahl von Tagen arbeitsunfähig gewesen sein muss, kommt es nicht an. Denn ein Anspruch auf Krankentagegeld besteht gemäß § 1 Abs. 3 MB/KT 94 nur für diejenigen Tage, an denen der Kläger vorübergehend tatsächlich (vollständig) an der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit gehindert war. Wenn sich die Arbeitsunfähigkeit für keinen konkreten Zeitraum sicher feststellen lässt, reicht eine Vermutung – oder Wahrscheinlichkeitsaussage – dass irgendwann eine Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, nicht aus. Denn der Krankentagegeldanspruch kann immer nur auf einen konkreten, eindeutig identifizierten, Zeitraum bezogen werden.

f) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger, wie er vorträgt, aus wirtschaftlichen Gründen auf eine kontinuierliche Tätigkeit angewiesen war, so dass eine Verpflichtung zur Zahlung von Krankentagegeld für einen längeren Zeitraum schon dann gegeben wäre, wenn der Kläger während dieses längeren Zeitraums in verschiedenen – zeitlich nicht näher konkretisierbaren – Zeitabschnitten arbeitsunfähig war. Denn es kommt für das Krankentagegeld allein auf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, und nicht auf die wirtschaftlichen Folgen (entgangener Gewinn) für den Versicherten an. Wenn – wovon nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme auszugehen ist – eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 1 Abs. 3 MB/KT 94 für keinen konkreten Zeitraum sicher feststellt werden kann, spielt die Frage, ob und inwieweit der Kläger noch in der Lage war, seine selbstständige Tätigkeit als Bautechniker wirtschaftlich und gewinnbringend auszuüben, keine Rolle.

Dem steht nicht entgegen, dass für den Begriff der Arbeitsunfähigkeit von der Rechtsprechung grundsätzlich darauf abgestellt wird, ob dem Versicherten eine „wertschöpfende“ Tätigkeit trotz seiner Erkrankung noch möglich ist. Denn der Begriff der wertschöpfenden Tätigkeit meint nicht den wirtschaftlichen Erfolg des Versicherten (tatsächliche Gewinnerzielung), sondern allein die Art der Tätigkeit, die dem Versicherten noch möglich ist. Das bedeutet für den vorliegenden Fall: Entscheidend ist allein, dass für keine konkrete Zeitspanne innerhalb des klagegegenständlichen Zeitraums (außer der Zeit der stationären Behandlungen) sicher festgestellt werden kann, dass der Kläger nicht mehr in der Lage war, die zu seinem Berufsbild als Bautechniker gehörenden Tätigkeiten (vgl. die Darstellung des Klägervertreters im Schriftsatz vom 02.11.2005 und die Darstellung im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen vom 16.12.2009, Seite 19, I 449) auszuüben. Auf die Frage, ob der Kläger aufgrund der gegebenen Beeinträchtigungen noch in der Lage war, über einen längeren Zeitraum ausreichende Einkünfte zu erzielen, kommt es hingegen gemäß § 1 Abs. 3 MB/KT 94 nicht an.

3. Die Berufung ist insoweit teilweise begründet, als der Kläger Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem bereits erstinstanzlich zugesprochenen Betrag von 3.800,- Euro ab dem 01.12.2009 geltend macht.

a) Der Kläger ist wegen der Zinsen von einem erstinstanzlichen Feststellungsantrag im Berufungsverfahren auf einen bezifferten Zahlungsantrag übergegangen. Gegen die Klageänderung im Berufungsverfahren bestehen gemäß §§ 533, 529 ZPO keine Bedenken.

b) Die geltend gemachten Zinsen stehen dem Kläger gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 BGB ab dem 31.12.2009 zu. Zwar ist Rechtshängigkeit schon vorher eingetreten. Der Tagegeldanspruch in Höhe von 3.800 Euro ist jedoch erst zum 01.12.2009 fällig geworden, da der Kläger erst zu diesem Zeitpunkt die erforderlichen Nachweise für die Versicherungsleistung erbracht hatte (§ 6 Abs. 1 MB/KT 94 i.V.m. § 1 Abs. 3 MB/KT 94). Denn ein medizinischer Befund hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit für die Zeiten stationärer Behandlungen ergab sich erst aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M. vom 16.12.2009. Dieses Gutachten hat die Beklagte ausweislich der Zustellungsurkunde ihres Prozessbevollmächtigten am 30.12.2009 erhalten (I 455).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

6. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

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