LG Stade – Az.: 3 O 270/15 – Urteil vom 02.10.2018
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.144,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 12.376,00 € seit dem 10.03.2015 und aus weiteren 1.768,00 € seit dem 17.12.2015 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2015 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
6. Der Streitwert wird auf 14.144,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Leistungen aus einer Krankentagegeld-Versicherung für die Zeit vom 03.07.2014 bis zum 31.03.2015.
Die Parteien verbindet eine Krankentagegeld-Versicherung. Hinsichtlich der zwischen den Parteien geltenden vertraglichen Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein, Anlage K1 zur Klagschrift, sowie die AVB, Anlage K 16 zum Schriftsatz vom 24.03.2016, verwiesen. Nach dem Versicherungsvertrag zahlt die Beklagte im Versicherungsfall an den Kläger für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in Höhe von 52,00 € täglich.
Gemäß § 1 (3) der AVB liegt Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Versicherungsvertrages vor, „wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht.“ (vgl. Anlage K16).
Der Kläger war als angestellter Qualitätsstellenleiter im Rohrleitungs- und Anlagenbau tätig. Was die genaue Ausgestaltung seiner Arbeitstätigkeit betrifft, wird auf die Darstellung in der Klagschrift, Bl. 4 f. d.A. und die Anlage K 6 zur Klagschrift Bezug genommen.
In der Zeit vom 05.09.2013 bis zum 31.03.2015 war der Kläger wegen einer mittelgradigen Depression krankgeschrieben und bei seinem Hausarzt Dr. G. in Behandlung. Seit dem 22.11.2013 war er zudem in ambulanter psychiatrischer Behandlung bei Dr. H. und dann seit dem 18.02.2014 bei Frau Dr. W. in psychotherapeutischer Behandlung.
In der Zeit vom 05.09.2013 bis zum 02.07.2014 war der Kläger aufgrund seiner Erkrankung arbeitsunfähig und die Beklagte zahlte ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit bis zum 02.07.2014 das vertraglich vereinbarte Krankentagegeld. Danach stellte sie ihre Leistungen ein, mit der Begründung, dass keine 100prozentige Arbeitsunfähigkeit mehr vorliege, wobei sie sich auf ein von ihr eingeholtes Gutachten des Herrn Prof. Dr. S. berief, der dem Kläger in seinem Gutachten vom 08.07.2014 einen psychiatrisch unauffälligen Befund attestierte und Arbeitsunfähigkeit verneinte. Hinsichtlich des Ergebnisses des Privatgutachtens wird auf Anlage K 8 zur Klagschrift verwiesen.
Der Leistungsaufforderung des Klägers vom 25.02.2015, mit der der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt seiner Ansicht nach geschuldetes Krankentagegeld unter Fristsetzung bis zum 09.03.2015 forderte, kam die Beklagte nicht nach.
Der Kläger behauptet, über den 02.07.2014 hinaus auch in der Zeit vom 03.07.2014 bis zum 31.03.2015 wegen einer mittelgradigen depressiven Episode bedingungsgemäß arbeitsunfähig gewesen zu sein und beantragt mit der Klage für diesen Zeitraum Krankentagegeld in Höhe von insgesamt 14.144,00 € (272 Tage x 52,00 €) sowie – unter Vorlage einer Rückabtretungserklärung seiner Rechtsschutzversicherung (Anlage K 20, Bl. 45 d.A.) – Zahlung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten.

Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 14.144,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.03.2015 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2015 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet unter Berufung auf das Privatgutachten des Prof. Dr. S., dass der Kläger ab dem 03.07.2014 nicht mehr zu 100 Prozent arbeitsunfähig gewesen sei. Für die Geltendmachung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten fehle dem rechtsschutzversicherten Kläger die Aktivlegitimation.
Die Kammer hat zur Frage der bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit mit Beweisbeschluss vom 26.05.2016 (Bl. 53 d.A.) Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. M. vom 23.05.2017 nebst ergänzender Stellungnahme vom 07.03.2018.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist in der Hauptsache vollumfänglich begründet. Lediglich die geltend gemachte Zinsforderung ist zu einem geringen Teil unbegründet.
Der Kläger hat aus dem mit der Beklagten geschlossenen Krankentagegeld-Versicherungsvertrag iVm § 1 (3) AVB Anspruch auf Zahlung des Krankentagegelds in der tenorierten Höhe, da der der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum bedingungsgemäß arbeitsunfähig war.
1.
Der Kläger war in der Zeit vom 03.07.2014 bis zum 31.03.2015 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bedingungsgemäß arbeitsunfähig.
a. Nach § 1 (3) MB/KT liegt bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht, wobei maßgeblich ist, dass der Kläger infolge seiner Erkrankung vorübergehend in keiner Weise eine Erwerbstätigkeit ausüben konnte, also zu 100 % arbeitsunfähig war. Abzustellen war dabei auf seine konkret vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit als Qualitätsstellenleiter im Rohrleitungs- und Anlagenbau.
b. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. M., denen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließt, war der Kläger im streitigen Zeitraum arbeitsunfähig:
aa. Der Sachverständige Dr. M. kommt in seinem Gutachten nebst Ergänzung nach Würdigung der ihm vorliegenden ärztlichen Atteste, Stellungnahmen und Unterlagen des Hausarztes sowie der behandelnden Fachärzte zu dem überzeugenden Ergebnis, dass der Kläger zwar zum Zeitpunkt der Begutachtung gesund gewesen sei, aber die Diagnose einer mittel- bis schwergradigen depressiven Episode in dem fraglichen Zeitraum plausibel und hochwahrscheinlich erscheine (S. 32 d. Gutachtens), deren Dauer insgesamt auch nicht übermäßig lang sei und sich im Rahmen der Dauer einer depressiven Episode bewege (s. S. 26 d. Gutachtens).
Auch sei die von der Psychotherapeutin übersandte Verlaufsdokumentation, die zwar keine psychopathologischen Befunde oder Hinweise auf Selbst- und Beurteilungsskalen enthalte, aber eine regelmäßige Therapieteilnahme belege (vom 16.04.2014 bis 26.08.2015: 29 Sitzungen), mit den Feststellungen des Hausarztes und des behandelten Facharztes für Psychiatrie stimmig, ebenso die von dem Privatgutachter Prof. Dr. S. durchgeführte Testung.
Darüber hinaus sind die Feststellungen auch mit der durchgehenden Krankschreibung, die der Kläger letztlich lückenlos belegt hat, in Einklang zu bringen.
bb. Diesem Ergebnis steht auch das Privatgutachten des Prof. Dr. S. nicht entgegen, weil es nach der überzeugenden Bewertung des Sachverständigen Dr. M. nicht belastbar, da widersprüchlich und beliebig sei. Hierzu hat der Sachverständige im Einzelnen begründet und nachvollziehbar ausgeführt, in welchen Punkten sich der Privatgutachter widersprochen habe und dass Testergebnisse, die wiederum die Befunde der Behandler bestätigen würden, keine Beachtung gefunden hätten (S. 28-30 +S. 32/33 d. Gutachtens): So belegte die Allgemeine Depressionsskala, die der Gutachter angewendet, dann aber unbeachtet gelassen habe, eine klinisch relevante depressive Symptomatik. Auch habe sich der Privatgutachter widersprochen, indem er wegen des Fehlens einer negativen Selbstbeurteilung des Klägers eine depressive Störung verneint, gleichwohl aber eine eben solche negative Selbstwertung an anderer Stelle dokumentiert habe.
cc. Nach dem weiteren Ergebnis der Begutachtung war der Kläger durch die Erkrankung im streitgegenständlichen Zeitraum auch arbeitsunfähig, das heißt vollständig nicht in der Lage, seine Tätigkeit als Qualitätsstellenleiter auszuführen. Hierzu hat der Sachverständige überzeugend dargetan, dass der Kläger krankheitsbedingt nur kurzfristige Einzeltätigkeiten zu verrichten imstande war, die isoliert betrachtet keinen Sinn ergeben, mithin nicht als wertschöpfende Tätigkeit im Sinne einer verbleibenden Arbeitsfähigkeit qualifiziert werden konnten.
c. Mit den Feststellungen des Sachverständigen sieht die Kammer die Arbeitsunfähigkeit als erwiesen an: Soweit der Sachverständige bei seinem Ergebnis von einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ spricht, war diese Annahme im Rahmen des § 286 ZPO zur Überzeugungsbildung der Kammer erforderlich, aber auch ausreichend, da retrospektiv eine absolute Gewissheit über den Grad der Erkrankung und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Klägers so gut wie unmöglich zu erreichen war.
Da es sich um einen Zeitraum in der Vergangenheit handelt, konnte der Sachverständige nur die vorhandenen Arztberichte einer Plausibilitätskontrolle unterziehen, was er umfassend und mit überzeugendem Ergebnis getan hat.
Konkrete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen nach dem Ergebnis des Sachverständigen nicht. Soweit der Sachverständige angibt, es sei im Laufe der Therapie zu einer Besserung gekommen, war in Zusammenschau mit den Krankschreibungen, den ärztlichen Attesten und der plausiblen Dauer des dokumentierten Krankheitsverlaufs gleichwohl von Arbeitsunfähigkeit für jeden vom Kläger mit der Klage geltend gemachten Tag auszugehen. Die sich im Zusammenhang mit der nachträglichen Beurteilung ergebenden Beweisschwierigkeiten durften bei der Beweiswürdigung zum Nachteil des Klägers nicht derart überspannt werden, dass die Angaben der Behandler – einer kritischen sachverständigen Beurteilung unterzogen – von Vornherein zum Beweis nicht ausreichend sein könnten. Denn anderenfalls wäre es einem Versicherungsnehmer im Streitfall regelmäßig nicht möglich, im Nachhinein seine Arbeitsunfähigkeit zu beweisen bzw. wäre – noch im Krankheitsfall – zu Beweissicherungszwecken gehalten, über die eigentliche Behandlung hinaus selbst kostenträchtige Gutachten zum eigenen Gesundheitszustand einzuholen. Genau dies ist hingegen nach der Konzeption der Versicherungsbedingungen der Beklagten nicht geschuldet, die im Leistungsfall vom Versicherungsnehmer lediglich verlangen, eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes beizubringen (s. § 4 Abs. 7 AVB) und an Ermittlungen seitens des Versicherers dahingehend mitzuwirken, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und sich von einem vom Versicherer beauftragten Arzt untersuchen zu lassen (§ 9 Abs. 2 und 3 AVB). Wenn, wie hier der Fall, ein solches, vom Versicherer eingeholtes Privatgutachten wegen nicht haltbarer Begründung erkennbar wertlos ist, der Versicherer dann gleichwohl auf dieser Grundlage einen Anspruch verneint und damit den Versicherungsnehmer zu einer Klage zwingt, können sich aus dem Zeitablauf ergebende Beweisschwierigkeiten, auch im Lichte der Grundsätze zur zumindest fahrlässigen Beweisvereitelung, nicht zum Nachteil des Klägers auswirken, dem in diesem Fall zumindest die Möglichkeit eröffnet sein musste, im Nachhinein den Beweis auch mit sachverständigenseits als valide bewerteten Behandlungsunterlagen zu führen.
2.
Die Höhe des tenorierten Anspruchs ergibt sich aus dem kalendertäglich vereinbarten Krankentagegeld von 52,00 € für insgesamt 272 Tage.
3.
Der Anspruch auf Zahlung der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ergibt sich aus den §§ 280, 249 BGB iVm § 398 BGB, wobei aufgrund der Rückabtretung der Rechtsschutzversicherung an der Aktivlegitimation des Klägers keine Zweifel bestehen.
Der Ausspruch über die Zinsen folgt aus den §§ 280, 286, 288, 291 ZPO, wobei Verzugszinsen auf die Hauptforderung nur für das Krankentagegeld bis zum 25.02.2015 (einschließlich) verlangt werden konnten, da nur bezüglich dieses Anspruchs der Versicherer vorgerichtlich in Verzug gesetzt wurde. Der Anspruch auf Krankentagegeld für die Zeit vom 26.02.2015 bis zum 31.03.2015 war damit nur ab Rechtshängigkeit zu verzinsen, so dass darüber hinausgehende geltend gemachte Zinsen der Klagabweisung unterlagen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO.